Ermessensausübung bei Lohnsteuer-Haftung des Arbeitgebers

Grundlage für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung ist, dass die Finanzbehörde die ermessensrelevanten Umstände zutreffend ermittelt hat. Geht sie von falschen Tatsachen aus oder hat sie ermessensrelevante Gesichtspunkte, obwohl das möglich war, nicht festgestellt, liegt ein Ermessensfehlgebrauch vor. So entschied das Sächsische FG.

Haftungsbescheide zur Lohnsteuer

Vor dem FG wurde folgender Sachverhalt verhandelt: Aufgrund einer Fahndungsprüfung bei der Klägerin – einer GmbH – stellte die Steuerfahndungsstelle fest, dass im Zeitraum August 2011 bis Juli 2014 Lohnzahlungen nicht als Arbeitslohn versteuert worden waren. Das Finanzamt erließ daraufhin mehrere Haftungsbescheide gegenüber der GmbH.

Dem Vorbringen der Klägerin, die vom Finanzamt als Arbeitnehmer angesehenen Personen seien selbstständige Subunternehmer gewesen bzw. das Auswahlermessen sei deshalb fehlerhaft ausgeübt worden, weil die als vermeintliche Arbeitnehmer bezeichneten Personen nicht in das Auswahlermessen einbezogen worden, obgleich die Personen dem Finanzamt bekannt gewesen seien, folgte das Finanzamt im Einspruchsverfahren nicht.

Haftungsbescheide waren rechtswidrig

Das FG hat die angefochtenen Haftungsbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufgehoben. Es bedürfe – so das FG – vorliegend keiner Entscheidung der Frage, ob und in welchem Umfang die Haftungsvoraussetzungen nach § 42d Abs. 1 Nr.  1 EStG gegeben seien, denn die Haftungsbescheide seien schon deshalb rechtswidrig, weil das Finanzamt vom bei der Inhaftungnahme des Arbeitgebers im Fall des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen bestehenden Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht habe.

Auswahl- und Entschließungsermessen

Soweit Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Gesamtschuldner für die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers als einer Vorauszahlungssteuer für die Einkommensteuer einstehen müssten, stehe dem Betriebsstättenfinanzamt nach § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG ein Auswahl- und Entschließungsermessen zu. Dabei betreffe das Entschließungsermessen die Frage, ob nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer geltend gemacht werden soll. Im Rahmen des Auswahlermessens sei zu entscheiden, wer von mehreren Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften würden, in Anspruch genommen werde.

Keine Haftung des Arbeitgebers

Stehe bei namentlich bekannten Arbeitnehmer leicht überprüfbar und sicher fest, dass sie mit den Einkünften, hinsichtlich derer der Lohnsteuerabzug unterblieben sei, vollständig und ordnungsgemäß – wenn auch fälschlicherweise im Rahmen einer unzutreffenden Einkunftsart – zur Einkommensteuer veranlagt worden seien, sei der Arbeitgeber nicht in Haftung zu nehmen.

Könne die Lohnsteuer vom Betriebsstättenfinanzamt bei den Arbeitnehmern als Steuerschuldnern noch erhoben werden und stehe dem auch § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG nicht entgegen, sei der Arbeitgeber nachrangig heranzuziehen, wenn wenige namentlich feststehende Arbeitnehmer betroffen seien und deren Einkünfte wahrscheinlich unter der steuerpflichtigen Grenze liegen würden.

Grundlage für die Ermessensausübung

Grundlage für eine ordnungsgemäße Ausübung des Entschließungs- und Auswahlermessens sei, dass die Finanzbehörde die ermessensrelevanten Umstände zutreffend ermittelt habe. Gehe sie von falschen Tatsachen aus oder habe sie ermessensrelevante Gesichtspunkte, obwohl das möglich war, nicht festgestellt, liege ein Ermessensfehlgebrauch vor. Die sei hier der Fall gewesen.

Grundsätzlich müssen spätestens in der Einspruchsentscheidung die ermessensleitenden Gesichtspunkte zutreffend und vollständig wiedergegeben werden. In Verfahren vor dem FG kann das Finanzamt seine Ermessenserwägungen nur noch ergänzen (§ 102 Satz 2 FGO).

Sächsisches FG Urteil vom 16.12.2021 - 8 K 623/21

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