Beteiligte

…, Kläger und Revisionskläger

…, Beklagte und Revisionsbeklagte

1) …, 2) …

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob die Beklagte vom Kläger als Gemeinschuldner außerhalb des Konkursverfahrens die Zahlung von Beiträgen zur Krankenversicherung, Angestelltenversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit sowie von Sämniszuschlägen verlangen kann.

Der Kläger war persönlich haftender Gesellschafter (Komplementär) der Kommanditgesellschaften (KG) J. -P. ... M. ... H. ... KG (H) und J. -P. ... M. ... KG M. ... und Sch. ... (MS). Am 12. November 1982 ordnete das Amtsgericht Lübeck die Sequestration des Vermögens der H. an, erließ ein allgemeines Veräußerungsverbot (§ 106 Abs. 1 Satz 3 Konkursordnung - KO - ) und bestellte den Beigeladenen zu 1) zum Sequester mit der Befugnis zur Fortführung der Geschäfte. Am 15. November 1982 erfolgte die Sequestration des Vermögens der MS durch Beschluß des Amtsgerichts Norderstedt, das ebenfalls ein allgemeines Veräußerungsverbot erließ und den Beigeladenen zu 2) zum Sequester bestellte.

Am 1. Februar 1983 (H) und 31. Januar 1983 (MS) wurden Konkursverfahren über die Vermögen der Gesellschaften eröffnet und die Beigeladenen zu 1) und 2) jeweils zu Konkursverwaltern ernannt. Die Ansprüche auf Konkursausfallgeld (Kaug) von Arbeitnehmern beider Gesellschaften finanzierten Kreditinstitute gegen Lohnabtretung vor. Für den Drei-Monats-Zeitraum vor Konkurseröffnung entrichtete die Beigeladene zu 3) Beiträge gemäß § 141n Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) an die Beklagte.

Durch Haftungsbescheid vom 10. August 1983 forderte die Beklagte vom Kläger Beiträge für drei Angestellte der H für die Monate November 1982 bis einschließlich Januar 1983 in Höhe von DM 9.704,56 und einen Säumniszuschlag gemäß § 24 Abs 2 Sozialgesetzbuch - Viertes Buch - (SGB 4), der bis zum 15. Juli 1983 berechnet wurde, in Höhe von DM 694,70. Durch weiteren Bescheid vom selben Tage forderte sie für acht Angestellte der MS Beiträge für die Monate Oktober 1982 bis einschließlich Januar 1983 in Höhe von DM 23.134,72 zuzüglich eines Säumniszuschlages, der ebenfalls bis zum 16. Juli 1933 berechnet wurde, in Höhe von DM 1.576,20. Beitragsforderungen und Säumniszuschläge meldete die Beklagte bei den Konkursgerichten zur Tabelle und beim Beigeladenen zu 2) zur Masse an. Eine Befriedigung erfolgte bisher nicht.

Nach erfolglosem Widerspruch gegen die Bescheide vom 10. August 1983 (Widerspruchsbescheid von 6. Februar 1984) gab das Sozialgericht (SG) den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen statt (Urteil vom 11. Juni 1985). Die persönliche Haftung des Komplementärs gemäß §§ 123, 161 Handelsgesetzbuch (HGB), sei eine "Handlungshaftung", die mit der Anordnung der Sequestration entfallen sei.

Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) die ... (Beigeladene zu 3) und die ... (Beigeladene zu 4) gemäß § 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen. Durch Urteil vom 28. Oktober 1936 hat es die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Auch im Gesellschaftskonkurs hafte der Komplementär für die bis zur Eröffnung entstandenen Gesellschaftsschulden. Inhalt und Zweck der Sequestration rechtfertigten es nicht, ihn aus der Haftung für die vor Konkurseröffnung entstandenen Gesellschaftsschulden zu entlassen.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger, das LSG habe die Rechtswirkungen der Sequestration verkannt. Mit ihr habe der Kläger die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über das Vermögen der Gesellschaften an den Sequester verloren. Die während der Sequestration entstandenen Beitragsschulden seien Masseschulden, für die der Kläger nicht mit seinem konkursfreien Vermögen hafte.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Beigeladene zu 1) und die Beigeladene zu 3) haben sich dem Antrag der Beklagten angeschlossen.

Der Beigeladene zu 1) ist der Ansicht, die Beschäftigungsverhältnisse hätten nicht vom Sequester mit sofortiger Wirkung beendet werden können. Im übrigen hafte der Komplementär im Gesellschaftskonkurs auch für Masseschulden persönlich.

Die übrigen Beigeladenen haben sich zur Sache nicht geäußert und keine Anträge gestellt.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

II.

Die Revision des Klägers ist nur zum Teil begründet.

Die Bescheide der Beklagten sind insoweit rechtswidrig und in diesem Umfang vom SG zu Recht aufgehoben worden, als die Beklagte vom Kläger die Zahlung von Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt DM 2.270,90 verlangt hat (DM 694,70 für Beitragsschulden der H und DM 1.576,20 für Beitragsschulden der MS).

Dagegen haftet der Kläger als Komplementär der beiden in Konkurs gefallenen KG für deren Beitragsschulden in Höhe von insgesamt DM 32.889,28 (= DM 9.704,56 der H und DM 23.184,72 der MS) mit seinem gesamten konkursfreien Vermögen. Die Bescheide der Beklagten sind insoweit rechtmäßig und vom LSG zutreffend bestätigt worden.

Vor Eröffnung der Konkursverfahren am 1. Februar 1983 über das Vermögen der H und am 31. Januar 1982 über das Vermögen der MS waren diese Gesellschaften Arbeitgeber der Arbeitnehmer, für die in den angefochtenen Bescheiden Beiträge erhoben werden (zum Begriff des Arbeitgebers vgl BSGE 34, 111, 113 mwN; 18, 190, 196f). Gegenüber der beklagten Ersatzkasse als zuständiger Einzugsstelle (§§ 121 Angestelltenversicherungsgesetz - AVG -, 176 Abs 3 AFG) waren sie verpflichtet, für die von ihnen beschäftigten Angestellten Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung (§ 118 Abs 1 AVG), zur Krankenversicherung (vgl die Firmenabrechnungsvereinbarungen vom 4. März 1980 mit H und vom 1. Januar 1970 mit MS; BSGE 31, 59 ff) und Beiträge zur beigeladenen B. ... (§ 176 Abs 1 Satz 2 AFG) zu entrichten.

Die Beitragsschulden sind entstanden, obgleich die Gesellschaften ab dem 1. November 1982 kein Arbeitsentgelt mehr gezahlt haben. Denn Beiträge zur Sozialversicherung und zur Beigeladenen zu 3) sind auch für geschuldetes, bei Fälligkeit aber nicht gezahltes Arbeitsentgelt zu entrichten (Urteil des Senats vom 26. Oktober 1982 - BSGE 54, 136).

Die Beitragsansprüche sind auch nicht insoweit untergegangen, als die Beklagte jeweils für die letzten der Konkurseröffnung vorausgehenden drei Monate Beiträge aus der Kaug-Versicherung gemäß § 141n Abs 1 Satz 1 AFG erhalten hat (§ 140 Abs 2 Satz 1 AFG, eingefügt durch Art 1 Nr 55c des Fünften Gesetzes zur Änderung das Arbeitsförderungsgesetzes - 5. AFG-ÄndG - vom 23. Juli 1979, BGBI I S 1189, 1197).

Für diese vor Konkurseröffnung entstandenen Beitragsverbindlichkeiten hat der Kläger als persönlich haftender Gesellschafter gemäß §§ 128, 161 HGB einzustehen. Es handelt sich hierbei um eine primäre, nicht subsidiäre, Einstandspflicht des persönlich haftenden Gesellschafters auf gleicher Stufe neben der Gesellschaft (BGHZ 34, 293, 295f; BSG SozR 7910 § 59 Nr 15; Rob. Fischer, Großkommentar HGB, 3. Aufl, § 128 Anm 11). Dem Gegenstand nach haftet der Gesellschafter gemäß § 128 HGB für alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft (Gesellschaftsschulden), auch für Ansprüche gegen die Gesellschaft aus öffentlichem Recht (Rob. Fischer aaO Anm 14).

Mit Eröffnung der Konkursverfahren über die Vermögen der H und MS am 1. Februar 1983 bzw an 31. Januar 1983 verlor die Beklagte nicht die Befugnis, die Beitragsschulden gegenüber dem Kläger als persönlich haftendem Gesellschafter durch Bescheide vom 10. August 1983 zu fordern. Im Konkurs der KG nahm der Kläger zwar die Rolle des Gemeinschuldners ein (Kuhn/Uhlenbruck, KO, 10. Aufl, § 209 Rz 19 mwN und Rz 13). Die Konkursgläubiger sind im Konkurs der Gesellschaft aber frei, gegen den Komplementär aufgrund seiner persönlichen und unbeschränkten Haftung vorzugehen und sich aus dessen konkursfreiem Vermögen wegen des vollen Betrages ihrer Forderungen zu befriedigen (Urteil des Senats vom 23. Oktober 1987 - 12 RK 11/86 -; Hess/Kropshofer, KO, 2. Aufl, § 212 Rz 4; Jaeger/Weber, KO, 3. Aufl, § 212 Rz 1; Kuhn/Uhlenbruck aaO § 212 Rz 1), solange nicht auch über sein Privatvermögen der Konkurs eröffnet worden ist (§ 212 KO).

An der persönlichen Haftung des Klägers ändert sich auch nichts dadurch, daß die Beitragsansprüche der Beklagten im Falle der H nahezu vollständig und im Falle der MS weit überwiegend Zeiträume betreffen, in denen die Vermögen beider Gesellschaften unter Sequestration standen (§ 106 KO). Das Gesetz enthält nirgends einen Anhalt für eine derartige Differenzierung. Auch Zweck und Rechtsnatur der Sequestration rechtfertigen es nicht, die persönliche Haftung des Komplementärs für Masseschulden und Konkursforderungen nur deshalb zu verneinen, weil vor Konkurseröffnung ein Sequester zur Sicherung der Konkursmasse bestellt wurde. Die Sequestration dient nur der Sicherung der künftigen Konkursmasse (BGH, NJW 1983, 837, 388 mwN; BFHE 146, 363, 366). Der Sequester wird mit seiner Bestellung nicht Arbeitgeber (vgl BAGE 47, 214; Uhlenbruck KTS 1982, 201, 207). Arbeitgeber blieben während der Sequestration die H und die MS. Dies gilt auch dann, wenn ihm das Gericht - wie im Falle der H - die Befugnis zur Fortführung der Geschäfte durch Beschluß eingeräumt hat. Auch in diesem Fall hat er sich auf diejenigen Sicherungs- und Verwaltungsmaßnahmen zu beschränken, die der Feststellung der Masse, ihrer Sicherung und der Aufrechterhaltung des Betriebes dienen (BFHE 146, 363, 366). Diese eng begrenzte Aufgabenstellung schließt es aus, daraus Haftungsbeschränkungen für die Gesellschaften herzuleiten, die nicht einmal im Falle der Konkurseröffnung bestehen.

Hinsichtlich der geforderten Säumniszuschläge sind die Haftungsbescheide indes rechtswidrig. Zwar können auch die Säumniszuschläge gegen den Kläger persönlich geltend gemacht werden (Urteil des Senats vom 23. Oktober 1987 - 12 RK 11/36). Dies gilt auch für Zuschläge, die auf Zeiten nach Konkurseröffnung entfallen. Die Bescheide entsprechen insoweit jedoch nicht den Erfordernissen, die an eine Ermessensentscheidung zu stellen sind.

Nach § 24 Abs. 1 SGB 4 "kann" der Versicherungsträger, der die Beiträge einzuziehen hat, für Beiträge, die der Zahlungspflichtige eine Woche nach Fälligkeit noch nicht entrichtet hat, einen einmaligen Säumniszuschlag bis zur Höhe von 2 vH der berücksichtigten Beiträge erheben. Darüber hinaus kann für jeden angefangenen Monat ein Säumniszuschlag in Höhe 1 vH der rückständigen Beiträge erhoben werden, wenn die Beiträge länger als drei Monate fällig sind (§ 24 Abs. 2 Halbsatz 1 SGB 4). Die Entscheidung darüber ist dem pflichtgemäßen Ermessen des Versicherungsträgers überlassen. Die Entscheidung der Beklagten über die Säumniszuschläge ist rechtswidrig, weil es an der durch den Zweck der Ermächtigung vorgeschriebenen Abwägung und angemessenen Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls im Rahmen der Ermessensausübung fehlt. Für die pflichtgemäße Ausübung das Ermessens, sind ua die persönlichen Verhältnisse des Zahlungspflichtigen sowie die Umstände zu berücksichtigen, die zur Säumnis geführt haben. Bei Säumniszuschlägen, die nach einer Konkurseröffnung festgesetzt werden, darf vor allem nicht außer Betracht bleiben, daß der Beitragsschuldner die durch das Konkursverfahren verursachte weitere Verzögerung der Zahlung kaum mehr beeinflussen kann und deshalb einer der Zwecke des Säumniszuschlages, zur pünktlichen Beitragszahlung anzuhalten (vgl Gemeinschaftskommentar zum SGB 4, § 24 Rz 20), entfällt. Die Bescheide vom 10. August 1983 und die Widerspruchsbescheide vom 6. Februar 1934 lassen nicht erkennen, daß die Beklagte derartige Umstände berücksichtigt und gegeneinander abgewogen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Bundessozialgericht

12 RK 53/86

 

Fundstellen

ZIP 1988, 1342

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