Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 13.01.1988)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. Januar 1988 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Nachversicherung für die Zeit vom 6. Oktober 1948 bis 13. Februar 1952 bzw Vormerkung dieses Zeitraums als Ausfallzeit.

Der im Jahre 1928 geborene Kläger durchlief nach kaufmännischer Lehre, Kriegsdienst, Vertreibung und versicherungspflichtiger Beschäftigung als Bote von Januar 1947 bis Oktober 1948 als Laienbruder das Postulat und das Noviziat für den Dominikanerorden. Vom 6. Oktober 1948 bis zu seiner Entlassung durch Dekret vom 13. Februar 1952 gehörte er als Professe diesem Orden – Provinz Teutonia (Beigeladene) – an. Anschließend absolvierte er eine dreijährige Drogistenlehre und ist seit Oktober 1956 selbständiger Gastronom. Für die Zeit ab Januar 1956 wurden freiwillige und Pflichtbeiträge entrichtet.

Den Antrag des Klägers, für die Zeit im Dominikanerorden die Nachversicherung durchzuführen, lehnte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ab, weil eine Nachversicherung für Zeiten vor dem 1. März 1957 gesetzlich nicht vorgesehen sei (Bescheid vom 30. September 1971). Diese Entscheidung bestätigte sie mit dem streitigen Bescheid vom 5. April 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 1985. Mit weiterem Bescheid vom 14. August 1984 merkte sie die Zeit vom 1. Januar 1947 bis 5. Oktober 1948 als Ausfallzeit (versicherungsfreie Lehrzeit) vor, verneinte hingegen für die anschließende Zeit bis 31. Januar 1952 das Vorliegen eines Ausfallzeittatbestandes (Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 1985).

Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts Lübeck –SG– vom 21. Oktober 1986; Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts –LSG– vom 13. Januar 1988). Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das zum 1. März 1957 neu eingeführte Rechtsinstitut der Nachversicherung erstrecke sich nur auf seit diesem Zeitpunkt eingetretene Nachversicherungsfälle. Weder durch Auslegung noch durch Analogie sei eine Anwendung des § 9 Abs. 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) auf Nachversicherungsfälle vor dem 1. März 1957 möglich. Diese Rechtslage verstoße auch nicht gegen Art. 3 und 20 des Grundgesetzes (GG). Die Mitglieder geistlicher Gemeinschaften seien vor diesem Zeitpunkt weder versicherungsfrei noch von der Versicherungspflicht befreit gewesen und hätten nicht in einem Beschäftigungsverhältnis iS des Sozialversicherungsrechtes gestanden. Sie rückwirkend dem vom AVG erfaßten Personenkreis gleichzustellen, habe sich schon deshalb verboten, weil sonst auf die geistlichen Gemeinschaften und die anderen in § 9 Abs. 5 AVG genannten Dienstherren unvorhergesehene erhebliche finanzielle Belastungen zugekommen wären, die ihnen aus sozial- und rechtsstaatlichen Gründen nicht hätten auferlegt werden können. Die Zeit der Profeß könne auch nicht als Ausfallzeit anerkannt werden. Während dieser Zeit sei der Kläger nicht den Bestimmungen des AVG unterworfen gewesen. Außerdem habe er den angestrebten Beruf eines Laienbruders bereits nach Ablegung der ersten Profeß erreicht, durch die er Ordensmitglied geworden sei. Der weitere Erwerb von hauswirtschaftlichen Fertigkeiten und das Erlernen von Arbeiten zur Unterstützung der Tätigkeit des Priesters habe zur Vervollkommnung des erreichten Status gedient und sei daher nicht als Ausbildung, sondern als berufliche Fortbildung zu werten.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 9 Abs. 5 und 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG sowie – hilfsweise – der §§ 103 und 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Er ist der Ansicht, die vom Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 18. Mai 1966 (BSGE 25, 24 ff) vertretene Auffassung, daß § 9 Abs. 5 AVG nur Zeiten nach Inkrafttreten des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) erfasse, treffe heute nicht mehr zu (Hinweis auf BSG vom 6. März 1986 – 12 RK 51/84 – SGb 1987, 298, 300). Das Recht der Nachversicherung entspringe dem Sozialstaatsprinzip, das für alle Bürger der Bundesrepublik Deutschland und damit auch für Ordensmitglieder gelte. Wenn man seine Tätigkeit im streitbefangenen Zeitraum als Arbeit ansehe – wofür die Anerkennung der vorangehenden Zeit als Lehrzeit spreche –, müsse für diese Arbeit ein „sozialer Mindeststandard” gewährleistet werden. Dies sei nach seinem Ausscheiden aus dem Orden, gegen den er einen Anspruch auf Unterhalt in „gesunden, kranken und alten Tagen” gehabt habe, nicht mehr der Fall. Jedenfalls müsse er gemäß § 9 Abs. 5 AVG idF des Rentenreformgesetzes (RRG) nachversichert werden. Diese geänderte Bestimmung erfasse grundsätzlich alle Zeiten der Ordensmitgliedschaft für die Nachversicherung. Falls dennoch eine Nachversicherung in Betracht komme, sei die streitige Zeit als Ausfallzeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG anzuerkennen. Er sei in dieser Zeit sowohl zum Koch als auch zu einem „vollwertigen” Ordensmitglied ausgebildet worden und habe neben praktischen Fertigkeiten vor allem Kenntnisse des Ordensstandes und der christlichen Liturgie erworben. Nach den von der Beigeladenen vorgelegten Konstitutionen sei die Ausbildung zum Laienbruder erst mit der zweiten Profeß abgeschlossen gewesen. Das LSG habe sich nicht im einzelnen mit dem Inhalt der Konstitutionen auseinandergesetzt und verabsäumt, diesen genauer zu ermitteln (Verstoß gegen §§ 103, 106 SGG).

Der Kläger beantragt,

  1. die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. Januar 1988 und des Sozialgerichts Lübeck vom 21. Oktober 1986 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. April 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 1985 aufzuheben und den Bescheid vom 14. August 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 1985 abzuändern,
  2. die Beklagte zu verurteilen, ihren Bescheid vom 30. September 1971 aufzuheben und für die Zeit vom 6. Oktober 1948 bis 13. Februar 1952 die Nachversicherung durchzuführen,
  3. hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, auch die Zeit vom 6. Oktober 1948 bis 13. Februar 1952 als Ausfallzeit vorzumerken.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie wendet ein, Mitglieder der in § 9 Abs. 5 AVG genannten Gemeinschaften seien erstmals durch das AnVNG dem Schutz der Rentenversicherung unterstellt worden. Da entsprechende Übergangsvorschriften fehlten, könnten die neuen Vorschriften nur für Zeiten ab 1. März 1957 gelten. Mit Ableistung des Postulats und Noviziats sei die Ausbildung des Klägers für den Ordensberuf beendet gewesen. Selbst wenn für einen Zeitraum nach Ablegung der Gelübde noch eine „Lehrzeit” angenommen werden müßte, sei dies keine Ausfallzeit iS des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst a AVG. Die Vorschrift erfasse ausschließlich Lehrverhältnisse, für die von vornherein Versicherungspflicht nicht bestanden habe oder die aus Gründen der fehlenden Entgeltzahlung bei gleichzeitiger Gewährung von Sachbezügen versicherungsfrei gewesen seien, während im streitbefangenen Zeitraum allein wegen der Ordenszugehörigkeit des Klägers keine Beitragsentrichtung stattgefunden habe.

Die Beigeladene hat sich nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Er hat weder Anspruch auf Nachversicherung der Zeit vom 6. Oktober 1948 bis 13. Februar 1952 noch auf Vormerkung dieser Zeit als Ausfallzeit.

Gegenstand des Rechtsstreits ist – im Hinblick auf den Hauptantrag des Klägers – der streitige Bescheid vom 5. April 1984 in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 1985 gefunden hat. Durch ihn hat die Beklagte abgelehnt, den früher ergangenen, bindend gewordenen Bescheid vom 30. September 1971 aufzuheben und die Nachversicherung gemäß § 9 Abs. 5 AVG durchzuführen. Rechtsgrundlage hierfür ist § 44 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – (SGB 10), der nach Art II § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB 10 auch dann anzuwenden ist, wenn der aufzuhebende Verwaltungsakt vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden ist (vgl BSGE 54, 223, 228 = SozR 1300 § 44 Nr. 3). Danach ist ein – im Zeitpunkt seines Erlasses – rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Der Bescheid vom 30. September 1971 ist jedoch rechtmäßig.

Nach § 9 Abs. 5 AVG idF des Art. 1 AnVNG vom 23. Februar 1957 (BGBl I S 88) sind ua Mitglieder geistlicher Genossenschaften und Angehörige ähnlicher Gemeinschaften, die aus ihrer Gemeinschaft ausscheiden, für die Zeit nachzuversichern, in der sie aus überwiegend religiösen oder sittlichen Beweggründen mit Krankenpflege, Unterricht oder anderen gemeinnützigen Tätigkeiten beschäftigt waren, aber der Versicherungspflicht nicht unterlagen oder nach § 8 Abs. 3 AVG befreit waren, wenn dies von dem ausscheidenden Mitglied oder der Gemeinschaft innerhalb eines Jahres nach dem Ausscheiden beantragt wird. Hierzu bestimmt Art. 2 § 4 Abs. 1 Satz 1 AnVNG ergänzend, daß im Falle eines Ausscheidens aus einer versicherungsfreien Beschäftigung „nach Inkrafttreten dieses Gesetzes” – (also gemäß Art. 3 § 7 Satz 2 AnVNG nach (hier wohl iS von „seit”) dem 1. März 1957) – § 9 AVG auch für die Zeit vorher gilt, wenn in dieser Zeit nach den jeweils geltenden, dem § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 und dem § 8 AVG sinngemäß entsprechenden Vorschriften Versicherungsfreiheit bestand. Dies bedeutet: Die Nachversicherung nach § 9 AVG kann – soweit kein Sonderfall iS des Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG gegeben ist – überhaupt nur durchgeführt werden, wenn der Nachversicherungsfall (das Ausscheiden) seit dem 1. März 1957 eingetreten ist (vgl BSGE 25, 24 f = SozR Nr. 6 zu Art. 2 § 3 ArVNG). Da der Kläger bereits 1952 aus dem Orden entlassen worden war, fällt er schon deswegen nicht unter (den zeitlichen Geltungsbereich des) § 9 Abs. 5 AVG.

Das stimmt auch überein damit, daß für die Durchführung der Nachversicherung nach ständiger Rechtsprechung des BSG grundsätzlich das beim Ausscheiden aus der Beschäftigung geltende Recht maßgebend ist (BSGE 17, 206, 208 = SozR Nr. 3 zu Art. 2 § 3 ArVNG; BSG SozR 2200 § 1232 Nrn 10 und 15). Als der Kläger 1952 ausschied, existierten für Mitglieder geistlicher Genossenschaften keine Vorschriften über die Nachversicherung, weil nach allgemeiner Auffassung die Tätigkeit eines Ordensmitglieds innerhalb seiner klösterlichen Gemeinschaft nicht auf arbeitsrechtlichen Bestimmungen beruhte und damit von den sozialversicherungsrechtlichen Regelungen über Versicherungspflicht und -freiheit nicht erfaßt wurde (vgl Hegemann, RV 1964 S. 291 f; Boecker, Die Nachversicherung von ausgeschiedenen Mitgliedern geistlicher Genossenschaften, Diakonissen, Schwestern vom Deutschen Roten Kreuz und Angehörigen ähnlicher Gemeinschaften in der sozialen Rentenversicherung, Diss 1962, S. 74 ff). Erst die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze von 1957 unterstellten diese Personen den Bestimmungen des AVG oder der RVO (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 AVG = § 1227 Abs. 1 Nr. 5 RVO) und bezogen sie selbst dann in die Nachversicherung ein, wenn sie nicht der Versicherungspflicht unterlagen (§ 9 Abs. 5 AVG = § 1232 Abs. 5 RVO; zur Frage der Versicherungsfreiheit von Ordensmitgliedern vgl BSGE 25, 24, 26 f = SozR Nr. 6 zu Art. 2 § 3 ArVNG; BSG SozEntsch VI § 9 Nr. 14). Entsprechend dem Grundsatz, daß neue gesetzliche Regelungen erst für Zeiten von ihrem Inkrafttreten an wirksam werden, bedeutet dies, daß die Nachversicherung nur durchgeführt werden kann, wenn der Nachversicherungsfall des Ausscheidens aus der Gemeinschaft nach dem 28. Februar 1957 eingetreten ist (BSGE 25, 24, 25 = SozR a.a.O.; BSG SozR 2200 § 1232 Nr. 10; Hegemann, a.a.O., S. 291 f; Boecker, a.a.O., S. 74).

Im übrigen sind auch andere Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 5 AVG aF nicht erfüllt. Abgesehen davon, daß der Kläger den Antrag auf Durchführung der Nachversicherung erstmals im Jahre 1971 – und damit nicht innerhalb der als materiell-rechtliche Ausschlußfrist ausgestalteten Jahresfrist des § 9 Abs. 5 AVG aF (vgl BSG SozR Nr. 13 zu § 1232 der Reichsversicherungsordnung – RVO) – gestellt hat, war er in der Zeit vom 6. Oktober 1948 bis 13. Februar 1952 nicht mit gemeinnützigen Tätigkeiten beschäftigt. Hierzu zählen nur Tätigkeiten im sozialen mitmenschlichen Bereich, die unmittelbar der Befriedigung von Bedürfnissen der Allgemeinheit dienen (Außenwirkung), nicht jedoch die vom Kläger ausschließlich verrichteten ordensinternen Arbeiten (vgl BSGE 31, 139, 142 = SozR Nr. 15 zu § 1232 RVO mit ausführlicher Begründung; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd III S. 618 h mwN; Storr, Die Sozialversicherung der Ordensleute und Priester der katholischen Kirche, S. 79 ff; Hegemann, a.a.O., S. 291, 294). Dieser war nach den für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG, die auch den Inhalt der in Bezug genommenen Akten umfassen, nur im Garten, in der Küche und in der Sakristei des Klosters beschäftigt.

Der Kläger kann – unabhängig von der Frage, ob dies im Rahmen der Überprüfung eines Bescheides nach § 44 SGB 10 überhaupt zu klären ist – für den streitbefangenen Zeitraum auch nicht gemäß § 9 Abs. 5 AVG idF des RRG vom 16. Oktober 1972 (BGBl I S. 1965) die Nachversicherung verlangen. Nach dieser Vorschrift ist die Nachversicherung zwar nicht mehr von einem fristgebundenen Antrag und der Ausübung gemeinnütziger Tätigkeiten während der Ordenszugehörigkeit abhängig. Die Neufassung der Vorschrift ist aber erst am 1. Januar 1973 in Kraft getreten (Art. 6 § 8 Abs. 1 RRG) und – mangels rückwirkender Geltungsanordnung – nur auf Mitglieder anwendbar, die nach dem 31. Dezember 1972 aus der Gemeinschaft ausgeschieden sind (BSGE 38, 221, 223 = SozR 2200 § 1232 Nr. 1 mwN; BSG, Urteil vom 9. Mai 1974 – 11 RA 2/73). Im übrigen hat das RRG die Stichtagsregelung des Art. 2 § 4 Abs. 1 AnVNG nicht beseitigt.

Diese vom Gesetzgeber bewußt geschaffene Rechtslage (vgl hierzu BSGE 25, 24, 27 ff = SozR a.a.O.; BSG SozEntsch VI § 9 Nr. 14; vgl auch den nicht Gesetz gewordenen Vorschlag der Bundesregierung, in Abänderung des geltenden Rechts eine Nachversicherung ehemaliger Ordensmitglieder auch für Zeiten vor 1957 durchzuführen in BT-Drucks VI/1126 S. 44 Nr. 4 und den Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu BT-Drucks VI/3767 S. 13 zu § 1232 Abs. 5, wonach in Zukunft bei einem Ausscheiden eines Mitglieds aus der Gemeinschaft immer eine Nachversicherung erfolgen soll) begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Durch die Beschränkung der Nachversicherung auf Ordensmitglieder, die nach dem 28. Februar 1957 aus der Gemeinschaft ausgeschieden sind, wird weder der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) noch das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) verletzt.

Das Sozialstaatsprinzip begründet die Pflicht des Staates, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen, sagt aber nichts darüber, wie diese Ordnung im einzelnen zu verwirklichen ist (BVerfGE 59, 231, 263). Auf sozialrechtlichem Gebiet hat der Gesetzgeber, an den sich das Sozialstaatsgebot in erster Linie richtet (vgl Katzenstein, VSSR 1982, 168, 200 ff unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG), einen besonders weiten Gestaltungsspielraum, dessen Grenzen er schon deswegen nicht überschritten hat, weil durch § 9 Abs. 5 AVG eine ausschließlich begünstigende Regelung getroffen worden ist.

Eine Verpflichtung, diese Vergünstigung auf bereits abgeschlossen in der Vergangenheit liegende Sachverhalte auszudehnen, besteht auch mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht. Vom Gesetzgeber gewählte Stichtagsregelungen sind nur dann nicht mit dem Gleichheitssatz vereinbar, wenn die vorgesehene Begrenzung, am gegebenen Sachverhalt gemessen, sachlich unvertretbar ist. Ist hingegen die Einführung eines Stichtages notwendig und die Wahl des Zeitpunktes am gegebenen Sachverhalt orientiert und somit sachlich vertretbar, so müssen Härten, die jeder Stichtagsregelung innewohnen, hingenommen werden (BVerfGE 13, 31, 38; 47, 85, 94; 58, 81, 126). In diesem Rahmen hat sich der Gesetzgeber bei der Neugestaltung der Nachversicherung gehalten. Nach dem bis zum 28. Februar 1957 geltenden Recht stellte die Nachversicherung ihrem Wesen nach ausschließlich eine Ergänzung der Vorschriften über die Versicherungsfreiheit bei anderweitiger ausreichender Versorgung dar; durch sie sollte die soziale Sicherung wiederhergestellt werden, die mit dem Verlust der zugesicherten Versorgungsanwartschaft, auf der die Versicherungsfreiheit beruhte, weggefallen war. Abweichend hiervon ist die Durchführung der Nachversicherung nach § 9 Abs. 5 AVG weder davon abhängig, daß eine lebenslängliche Versorgung durch das Ausscheiden verloren geht, noch daß überhaupt eine Anwartschaft auf eine derartige Versorgung bestanden hat (so etwa bei einem Professen mit zeitlichen Gelübden). Sinn und Zweck der Nachversicherung nach § 9 Abs. 5 AVG ist, ausscheidende Mitglieder der dort genannten Gemeinschaften davor zu schützen, daß ihnen durch ihre – gemeinnützige – Tätigkeit im Hinblick auf die Entstehung und Höhe einer späteren Rente Nachteile erwachsen (BSGE 25, 24, 28 = SozR a.a.O.; Boecker, a.a.O. S. 28 ff). Da § 9 Abs. 5 AVG mit der erweiterten sozialpolitischen Zielsetzung erst am 1. März 1957 in Kraft getreten ist und Ordensmitglieder, die vor diesem Zeitpunkt aus der Gemeinschaft ausgeschieden sind, nicht mit einer Nachversicherung rechnen konnten, andererseits aber durch eine rückwirkende Geltungsanordnung der Norm auf die Orden nachträglich erhebliche, nicht vorhersehbare finanzielle Belastungen zugekommen wären (§ 124 Abs. 1 AVG), war der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Vermeidung übermäßiger Belastungen befugt, der Neuregelung nur Wirkung für die Zukunft beizumessen (vgl insbesondere BVerfG in SozR 2200 § 1232 Nr. 11 zu BSG SozR a.a.O. Nr. 10).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger genannten Urteil des 12. Senats des BSG vom 6. März 1986 (= SozR 5750 Art. 2 § 46 Nr. 14). Abgesehen davon, daß der Kläger jenes Verfahrens als Prediger beim Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden zum Personenkreis des § 9 Abs. 1 AVG zählte, der bereits vor der Einführung des AnVNG den Vorschriften des AVG unterstellt war, ist er erst nach dem 28. Februar 1957 aus dem kirchlichen Dienst ausgeschieden, so daß gemäß Art. 2 § 4 Abs. 1 AnVNG eine Nachversicherung auch für Zeiten vor Inkrafttreten des Gesetzes möglich war.

Die Beklagte hat demnach zu Recht die Durchführung der Nachversicherung des Klägers für die Zeit vom 6. Oktober 1948 bis 13. Februar 1952 abgelehnt.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Vormerkung des streitigen Zeitraums als Ausfallzeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG. Offen bleiben kann hierbei, ob die Ausbildung des Klägers zum Laienbruder bereits mit Ablegung der ersten Profeß am 6. Oktober 1948 beendet oder – wie die Revision unter Hinweis auf die von der Beigeladenen vorgelegten Konstitutionen des Dominikanerordens meint – erst mit Ablegung der zweiten Profeß bzw der ewigen Gelübde abgeschlossen war. Selbst wenn im streitigen Zeitraum eine weitere Berufsausbildung (zur Frage der Berufsausbildung während des Postulats und Noviziats vgl BSGE 23, 231, 233 f = SozR Nr. 20 zu § 1267 RVO und BSG SozR Nr. 13 zu § 45 BVG) stattgefunden hat, wird diese nicht von § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG erfaßt.

Ausfallzeiten sollen einen rentenrechtlichen Ausgleich dafür schaffen, daß der Versicherte durch sie ohne sein Verschulden daran gehindert war, einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen und so Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu leisten (BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 23; zuletzt Urteil des erkennenden Senats vom 21. April 1988 = SozR a.a.O. Nr. 102). Im vorliegenden Fall war der Kläger jedoch nicht infolge einer weiteren Ausbildung an der Entrichtung von Pflichtbeiträgen gehindert, sondern weil er durch Ablegen der ersten Profeß nach den für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG Mitglied des Dominikanerordens geworden und als solches, wie bereits oben ausgeführt, nicht den Regelungen des AVG unterworfen war. In Fällen, in denen sich die Ausbildung innerhalb eines allgemeineren „Beschäftigungsverhältnisses” vollzieht, kann nicht die Ausbildung, sondern nur das sie umschließende „Beschäftigungsverhältnis” für die Entrichtung oder Nichtentrichtung von Pflichtbeiträgen maßgebend gewesen sein (BSGE 56, 5, 7 f = SozR 2200 § 1259 Nr. 79).

Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG sind nicht erfüllt. Bei der ordensinternen Aus- oder Weiterbildung des Klägers nach dem 5. Oktober 1948 handelte es sich weder um eine abgeschlossene nicht versicherungspflichtige oder versicherungsfreie Lehrzeit (Buchst a der Vorschrift) noch um eine weitere Schulausbildung oder eine abgeschlossene Fachschul- oder Hochschulausbildung (Buchst b).

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG liegt eine Lehrzeit vor, wenn eine abhängige Beschäftigung in einem Betrieb hauptsächlich der Fachausbildung dient, diesem Ziel entsprechend geleitet wird und der Auszubildende tatsächlich die Stellung eines Lehrlings einnimmt (BSGE 6, 147, 151; 31, 226, 231 f = SozR Nr. 30 zu § 1259 RVO; BSG SozR Nr. 40 zu § 1259 RVO; BSG SozR 2200 § 1259 Nrn 22, 87, 102). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, richtet sich nach den Gegebenheiten zur Zeit der als Ausfallzeit geltend gemachten Ausbildung (speziell für die Lehrzeit BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 22 und 102; vgl im übrigen BSGE 48, 219, 222 = SozR a.a.O. Nr. 42; BSG SozR a.a.O. Nr. 76, jeweils mwN).

Lehrling iS des bis zum Inkrafttreten des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) vom 14. August 1969 (BGBl I S 1112) geltenden – und daher auf die Zeit von Oktober 1948 bis Februar 1952 anzuwendenden – Rechts war, wer für einen Ausbildungsberuf in Handwerk, Industrie und Verwaltung die vor Ablegung der Gesellen- oder Gehilfenprüfung vorgeschriebene Ausbildung zurücklegte (vgl BSG SozR 2200 § 1259 Nrn 64 und 102). Es bedarf keiner Prüfung im einzelnen, ob der Anspruch des Klägers nicht schon daran scheitert, daß die Zeit als Professe diesen Anforderungen nicht oder nicht voll genügte. Seinem Begehren steht jedenfalls entgegen, daß diese Zeit keine „abgeschlossene” Lehrzeit war. Indem der Gesetzgeber in § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst a AVG nur eine abgeschlossene Lehrzeit als Ausfallzeittatbestand anerkennt, verlangt er unmißverständlich, daß ihr Durchlaufen – nicht anders als in Buchst b a.a.O. bezüglich der dort geforderten „abgeschlossenen” Fachschul- oder Hochschulausbildung – den Weg ins Berufsleben eröffnet (BSG SozR 2200 § 1259 Nrn 100 und 102, jeweils mwN). Es muß durch sie eine berufliche Qualifikation erreicht sein, die die Aufnahme einer regelmäßig in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtigen Berufstätigkeit ermöglicht.

Die vom Kläger während seiner Zeit als Professe durchlaufene Aus- oder Weiterbildung führte nicht zu einer derartigen beruflichen Qualifikation. Sie war – wie oben näher ausgeführt – vielmehr darauf zugeschnitten, den Zugang zu einer von der gesetzlichen Rentenversicherung gar nicht erfaßten – und durch Ablegung der ewigen Gelübde auf Dauer ausgerichteten – Tätigkeit als Laienbruder im Dominikanerorden zu eröffnen. Eine solche Zeit stellt keine durch § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst a AVG rentenrechtlich begünstigte „abgeschlossene Lehrzeit” dar.

Auch für die Vormerkung der streitigen Zeit als Zeit weiterer Schulausbildung – allein diese Alternative des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst b AVG kommt wegen des fehlenden Abschlusses in Betracht – fehlen die Voraussetzungen. Von diesem Ausfallzeittatbestand wird nur der Besuch einer allgemeinbildenden Schule erfaßt (BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 75), nicht jedoch eine rein ordensinterne Ausbildung, die zudem nicht der Vermittlung allgemeiner Bildungsgüter, sondern dem Erlernen spezifischer Kenntnisse und Fertigkeiten dient (vgl BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 74).

Eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG auf andere als die dort genannten Ausbildungszeiten ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht statthaft. Die an sich dem Versicherungsprinzip widersprechende Berücksichtigung von Ausfallzeiten als Zeiten ohne Beitragsleistung ist in Ausprägung des Sozialstaatsgedankens eine Solidarleistung der Versichertengemeinschaft und beruht überwiegend auf staatlicher Gewährung als Ausdruck besonderer staatlicher Fürsorge (BSGE 55, 224, 229 = SozR 2200 § 1259 Nr. 77 mwN). Zur Vermeidung einer übermäßigen Belastung der Solidargemeinschaft hat der Gesetzgeber deshalb gezielt und abschließend nur bestimmte typische Ausbildungen – und diese auch zumeist nur zeitlich begrenzt – als Ausfallzeiten berücksichtigt wissen wollen (BSGE 31, 226, 231 = SozR a.a.O.; BSG SozR Nr. 46 zu § 1259 RVO; BSGE 48, 100, 108 = SozR 2200 § 1259 Nr. 37; BSGE 55, 224, 229 = SozR a.a.O. Nr. 77; zuletzt BSG SozR a.a.O. Nr. 102).

Nach alledem war die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1063553

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