Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 6. September 1973 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat der Beigeladenen deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für die Zeit von März 1957 bis August 1964 gemäß § 9 Abs. 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nachzuversichern ist.

Der 1923 geborene Kläger trat 1946 in das Kloster Maria Laach, Benediktiner-Abtei, ein. Er verblieb dort als Ordensgeistlicher bis zum 31. August 1964. Seit dem 1. September 1964 ist er als Angestellter bei einer Steuerberatungsgesellschaft in Hamburg versicherungspflichtig beschäftigt. Am 6. November 1966 bat er um seine Zurückversetzung in den Laienstand (exclaustratio qualificata), die ihm von der Ordensgemeinschaft am 17. Dezember 1966 mit Fristsetzung bis zum 17. Dezember 1968 gewährt wurde. Am 15. Januar 1969 trat der Kläger aus der Kirche aus.

Mit Schreiben vom 27. April 1967 beantragte er u. a. „die Anerkennung von versicherungsfreier Tätigkeit für die Zeit von 15. Juli 1953 bis 1. September 1964”. Die Beklagte erteilte ihm daraufhin eine Bescheinigung über Ersatz- und Ausfallzeiten mit dem Bemerken, daß die Zeiten des Aufenthalts in der Benediktiner-Abtei Maria-Laach keine Ausbildungszeiten im Sinne des AVG seien. Mit einem weiteren Schreiben vom 18. Januar 1970 bat der Kläger, für seine versicherungsfreie Tätigkeit vom 15. Juli 1953 bis 31. August 1964 die Nachversicherung in die Wege zu leiten. Dies lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 9. September 1970 ab, weil ein Nachversicherungsantrag weder vom Kläger noch von der Ordensgemeinschaft innerhalb eines Jahres nach dem Ausscheiden am 31. August 1964 gestellt worden sei. Seinen Widerspruch vom 5. Oktober 1970 begründete der Kläger damit, daß sein vorläufiges Fernbleiben vom Kloster nach dem 31. August 1964 rechtlich zunächst durch die Erlaubnis zu einem Experiment außerhalb des Klosters und später durch das römische Dekret der Exclaustration geregelt worden sei. In beiden Regelungen sei an seiner Zugehörigkeit zur klösterlichen Gemeinschaft festgehalten worden. Der für § 9 Abs. 5 AVG maßgebende Termin sei der Tag seines Kirchenaustritts am 15. Januar 1969. Bereits in seinem Schreiben vom 27. April 1967 sei aber der Antrag auf Nachversicherung zu sehen, die er jedenfalls seit der gesetzlichen Neuregelung von 1957 begehre. Am 11. Februar 1971 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sie nunmehr sein Schreiben vom 27. April 1967 als rechtzeitig gestellten Antrag auf Nachversicherung ansehe. Den Widerspruch wies sie jedoch mit Bescheid vom 22. Juli 1971 zurück, weil der Kläger in der fraglichen Zeit keine gemeinnützige Tätigkeit im Sinne der Nachversicherungsvorschriften ausgeübt habe. Mit weiterem Bescheid vom 18. Dezember 1972 lehnte die Beklagte die Nachversicherung des streitigen Zeitraumes auch unter Berücksichtigung des § 9 Abs. 5 AVG in der ab 1. Januar 1973 geltenden Fassung ab.

Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) zurückgewiesen und die Klage gegen den Bescheid vom 18. Dezember 1972 abgewiesen, weil die Beklagte weder nach § 9 Abs. 5 AVG in den vor und nach dem Inkrafttreten des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 9. Juni 1965 geltenden Fassungen (§ 9 Abs. 5 AVG aF) noch nach § 9 Abs. 5 AVG in der Fassung des Rentenreformgesetzes vom 16. Oktober 1972 –RRG– (§ 9 Abs. 5 AVG nF) verpflichtet sei, für die Zeit vom 1. März 1957 bis 31. August 1964 die Nachversicherung des Klägers durchzuführen. Die materiell-rechtliche Ausschlußfrist von einem Jahr, innerhalb welcher der Nachversicherungsantrag nach § 9 Abs. 5 AVG aF hätte gestellt werden müssen, habe bereits mit dem tatsächlichen Ausscheiden des Klägers aus der Ordensgemeinschaft am 31. August 1964 begonnen. Für das Ausscheiden im Sinne dieser Vorschrift komme es nicht auf seinen kirchenrechtlichen Status an. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob der Kläger kirchenrechtlich durch die Exclaustration am 17. Dezember 1966 bzw. 17. Dezember 1968 oder erst durch seinen Kirchenaustritt am 15. Januar 1969 aus der Gemeinschaft ausgeschieden sei. Da somit die einjährige Antragsfrist bereits am 31. August 1965 geendet habe, sei sie auch dann versäumt, wenn man bereits das Schreiben des Klägers vom 27. April 1967 als „wirksamen” Antrag auf Nachversicherurg ansehen wolle. Auch § 9 Abs. 5 AVG nF ändere an diesem Ergebnis nichts. Diese nicht mehr an eine Antragsfrist gebundene Neuregelung sei gemäß Art. 6 § 8 Abs. 1 RRG erst am 1. Januar 1973 in Kraft getreten. Deshalb sei auch der weitere Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 1972, der gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden sei, nicht zu beanstanden (Urteil vom 6. September 1973).

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Diese ist durch Beschluß des erkennenden Senats vom 17. Januar 1974 – dem Kläger zugestellt am 24. Januar 1974 – als unzulässig verworfen worden, weil die Revision nicht innerhalb der bis zum 31. Dezember 1973 verlängerten Begründungsfrist begründet worden war. Hierauf hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers mit dem beim Bundessozialgericht (BSG) am 18. Februar 1974 eingegangenen Schriftsatz die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dabei an Eides Statt erklärt, er habe am 27. Dezember 1973 den Begründungsschriftsatz fertiggestellt und am gleichen Tag persönlich in den Briefkasten in Hamburg 70, Ecke Friedrich-Ebert-Damm/Stephanstraße, eingeworfen. Es sei ihm unerklärlich, aus welchen Gründen die Briefsendung verlorengegangen ist. Mit der gleichzeitig nachgeholten Revisionsbegründung rügt der Kläger eine Verletzung des § 9 AVG aF und nF durch das Berufungsgericht. Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Hamburg vom 8. September 1972 sowie den Bescheid vom 9. September 1970 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 1971 und den Bescheid vom 18. Dezember 1972 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, für die Zeit vom 1. März 1957 bis 31. August 1964 die Nachversicherung durchzuführen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die beigeladene Vereinigung der Benediktiner zu Maria Laach e.V. hat keinen Antrag gestellt.

II

Dem Kläger ist wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist gemäß § 67 Abs. 1 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, ohne daß es hierfür einer besonderen formellen Entscheidung bedarf (vgl. BSG 6, 80, 82). An der Einhaltung der Frist war der Kläger ohne Verschulden verhindert, weil – wie durch die eidesstattliche Versicherung seines Prozeßbevollmächtigten ausreichend glaubhaft gemacht ist (vgl. hierzu BVerfG in BayVbl 1974, 382–384) – der Revisionsbegründungsschriftsatz 4 Tage vor Ablauf der Frist zur Post gegeben wurde und ein Rechtsmittelführer mit einem normalen Verlauf der Postbeförderung rechnen darf (so ständige Rechtsprechung: vgl. BSG 1, 227, 232; BSG in SGb 59, 394; BGH in VersR 66, 685; BFH in DB 1968, 877; BVerwG in Buchholz BVerwG Nr. 52 zu 310 § 60 VwGO jeweils mit weiteren Nachweisen). Der Wiedereinsetzungsantrag und die Revisionsbegründung sind auch binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses – der Zustellung des Revisionsverwerfungsbeschlusses – beim BSG eingegangen (§ 67 Abs. 2 Satz 1 und 3 SGG).

Der Wiedereinsetzung steht schließlich auch nicht entgegen, daß die Revision bereits wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist als unzulässig verworfen worden ist. Vielmehr wird der Verwerfungsbeschluß durch die gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegenstandslos (vgl. BSG in SozR Nr. 6 zu § 67 SGG).

Die sonach statthafte Revision ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil läßt keinen Rechtsfehler erkennen.

Die vom Kläger begehrte Nachversicherung für die Zeit von März 1957 bis August 1964 hätte nach § 9 Abs. 5 Satz 1 AVG aF vorausgesetzt, daß sie von ihm oder von der Beigeladenen innerhalb eines Jahres nach seinem Ausscheiden aus der Ordensgemeinschaft beantragt worden wäre. Daran fehlt es. Zu Recht hat das LSG angenommen, daß das Ausscheiden im Sinne dieser Vorschrift allein nach sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen ist. Es kommt somit nicht darauf an, seit wann ein Ausscheiden im Sinne des Kirchenrechts, der Ordensregel oder der Gemeinschaftssatzung vorliegt. Dies folgt bereits daraus, daß auf dem Kirchenrecht beruhende innerkirchliche Maßnahmen – wie hier die exclaustratio qualificata vom 17. Dezember 1966 – in dem auch das Sozialversicherungsrecht umfassenden staatlichen Zuständigkeitsbereich keine unmittelbaren Rechtwirkungen entfalten können (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 17. Februar 1965 in BVerfGE 18, 385). Ebenso wie das Ausscheiden aus einer versicherungsfreien Beschäftigung im Sinne des § 9 Abs. 1 AVG gewöhnlich faktisch zu verstehen ist (vgl. BSG-Urteil vom 19. Juni 1969 – 11 RA 114/67; ferner Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst, AVG-Kommentar, Band IV, Anm. B II zu § 9), kann auch für das Ausscheiden von Mitgliedern geistlicher Genossenschaften aus ihrer Gemeinschaft nur die tatsächliche Beendigung der versicherungsfreien Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 7 AVG maßgebend sein (so ausdrücklich Hanow-Lehmann-Bogs, Reichsversicherungsordnung, Kommentar, 5. Aufl., Anm. 11 zu § 1232). Damit im Einklang hat auch das BSG im Urteil vom 18. Mai 1966 (BSG 25, 24, 25) das Ausscheiden einer katholischen Ordensschwester aus der Ordensgemeinschaft bereits zu dem Zeitpunkt angenommen, zu dem diese den Orden tatsächlich verlassen hat. Im vorliegenden Fall begann somit die einjährige Antragsfrist des § 9 Abs. 5 AVG aF bereits nach dem tatsächlichen Verlassen des Klosters am 31. August 1964, zumal der Kläger unmittelbar im Anschluß daran, d. h. am 1. September 1964 eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnahm. Innerhalb der sonach am 31. August 1965 abgelaufenen Frist ist indes nach den von der Revision nicht angefochtenen und deshalb für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) kein Antrag auf Nachversicherung gestellt worden.

Dem Ergebnis, daß mangels Einhaltung der einjährigen Antragsfrist die Nachversicherung gemäß § 9 Abs. 5 AVG aF nicht zulässig ist, steht auch nicht die ursprüngliche Bejahung der „rechtzeitigen” Antragstellung durch die Beklagte aufgrund ihres Schreibens vom 27. April 1967 entgegen. Abgesehen davon, daß die Frist im Sinne dieser Vorschrift nach der Entscheidung des erkennenden Senats vom 15. Juli 1969 (SozR Nr. 13 zu § 1232 RVO) eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist darstellt, die nicht zur Disposition der Beklagten steht, hat diese im Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 1971 den Nachversicherungsantrag aus anderen Gründen abgelehnt. Die damalige – unrichtige – Annahme einer fristgerechten Antragstellung hat somit die Entscheidung der Beklagten nicht getragen. Deshalb war weder die Beklagte an die ursprüngliche Bejahung des rechtzeitigen Antrags zu Gunsten des Klägers gebunden noch waren die Gerichte gehindert, zu dem gleichen Ergebnis wie die Beklagte, jedoch mit – vom angefochtenen Bescheid – abweichenden Rechtsgründen zu gelangen (vgl. Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 3 zu § 141, S. II/254 i.V.m. Anm. 2 e zu § 54 S. 181).

Des weiteren hat das LSG zwar ohne nähere Begründung, aber zutreffend angenommen, daß der Bescheid vom 18. Dezember 1972, durch welchen die Beklagte die begehrte Nachversicherung auch nach § 9 Abs. 5 AVG in der Fassung des RRG (= AVG nF) abgelehnt hat, gemäß § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist. Selbst wenn man nämlich der Auffassung ist, daß dieser Bescheid nur das „neue” Recht betrifft und deshalb den ursprünglich angefochtenen Bescheid in seinem Bestand unberührt läßt, ist § 96 SGG jedenfalls entsprechend anzuwenden. Da die Vorschrift in erster Linie der Prozeßökonomie dienen soll, erscheint es geboten, sie auch auf einen neuen Verwaltungsakt auszudehnen, der den streitigen Anspruch für eine weitere Zeit betrifft, die sich an dem vom angefochtenen Bescheid erfaßten Zeitraum anschließt (ebenso BSG in SozR Nr. 3 zu § 624 RVO mit weiteren Nachweisen).

Entgegen der Auffassung der Revision hat das LSG auch zu Recht entschieden, daß der Kläger seinen Anspruch nicht auf § 9 Abs. 5 AVG nF stützen kann. Nach dieser Vorschrift ist die Nachversicherung der dort genannten ausscheidenden Mitglieder zwar nicht mehr von einem – fristgebundenen – Antrag abhängig. Die neue Fassung ist aber erst am 1. Januar 1973 in Kraft getreten (Art. 6 § 8 Abs. 1 RRG). Da das REG über eine rückwirkende Anwendung des § 9 Abs. 5 AVG nF keine Regelung enthält, gilt die neue Vorschrift nur für Mitglieder, die nach dem 31. Dezember 1972 aus der Gemeinschaft ausgeschieden sind (so übereinstimmend Eicher-Haase-Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 5. Aufl., Anm. 10 zu § 1232 RVO/9 AVG; Verbandskommentar zur RVO, 6. Aufl., Anm. 11 zu § 1232; (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 7.12.1972 – 1 RA 57/72 und BSG in SozR Nr. 68 zu § 1251 RVO). Die zeitliche Beschränkung der Neuregelung auf Nachversicherungsfälle, die auf einem Ausscheiden des Mitglieds einer Gemeinschaft nach dem 31. Dezember 1972 beruhen, ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich und nicht zu beanstanden (vgl. insoweit BSG-Urteil vom 26.9.1972 – 12 RJ 398/71 – in SozR Nr. 15 zu Art. 2 § 14 ArVNG).

Nach alledem mußte der Revision des Klägers der Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Unterschriften

Dr. Wannagat, Dr. Schubert, Burger

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 22.11.1974 durch Hoppe Amtsinspektor als Urk.Beamter der Gesch.Stelle

 

Fundstellen

BSGE, 221

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