Leitsatz (amtlich)

1. Eine vor Vollendung des 16. Lebensjahres begonnene, abgeschlossene nicht versicherungspflichtige oder versicherungsfreie Lehrzeit kann selbst dann nur mit dem nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden Teil als Ausfallzeit berücksichtigt werden, wenn der Versicherte schon vor Beginn der Lehrzeit versicherungspflichtig beschäftigt oder tätig gewesen ist.

2. § 36 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst a AVG (= § 1259 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst a RVO) verstößt in dieser Auslegung nicht gegen das Grundgesetz.

 

Orientierungssatz

Ausfallzeiten nach § 1259 Abs 1 S 1 Nr 4 RVO - Sozialstaatsprinzip:

1. Der Rechtscharakter der Ausfallzeiten schließt es aus, eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips darin zu erblicken, daß der Gesetzgeber nicht eine im Vergleich zum geltenden Recht noch günstigere Regelung über die Voraussetzungen oder den Umfang der Anrechenbarkeit von Ausfallzeiten getroffen hat.

2. Es stellt keine sachwidrige Differenzierung dar, daß anders als in den Fällen der Nummern 1 bis 3 die Ausfalltatbestände der Nr 4 des § 36 Abs 1 S 1 AVG (§ 1259 Abs 1 S 1 ab Vollendung des 16. Lebensjahres des Versicherten als Ausfallzeiten anerkannt werden.

 

Normenkette

AVG § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. a Fassung: 1972-10-16; RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. a Fassung: 1972-10-16; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 20 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 12 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 S. 1; AVG § 36 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-3; RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-3

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 21.01.1982; Aktenzeichen L 10 An 2216/80)

SG Konstanz (Entscheidung vom 13.11.1980; Aktenzeichen S 6 An 1283/79)

 

Tatbestand

In der Revisionsinstanz allein noch streitig ist die Anerkennung des vor Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden Teils einer abgeschlossenen Lehrzeit als Ausfallzeit.

Der am 6. Oktober 1916 geborene Kläger war vom 21. Oktober bis 29. Dezember 1929 und erneut vom 28. April 1930 bis 22. Februar 1931 als Laufjunge versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 2. März 1931 bis zur Ablegung der Gesellenprüfung am 7. März 1934 erlernte er das Fleischerhandwerk.

Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens vermerkte die Beklagte gemäß ihren Bescheiden vom 28. November 1978 und 12. April 1979 lediglich den nach der Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden Teil der Lehrzeit des Klägers vom 6. Oktober 1932 bis 7. März 1934 als Ausfallzeit. Der Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 1979).

Während des anschließenden Rechtsstreits vor dem Sozialgericht (SG) Konstanz bewillige die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 10. April 1980 für die Zeit ab 1. April 1980 Altersruhegeld wegen Vollendung des 63. Lebensjahres. Bei der Berechnung der Leistung berücksichtigte sie wiederum die Lehrzeit erst ab 6. Oktober 1932 und nicht von ihrem tatsächlichen Beginn am 2. März 1931 an als Ausfallzeit.

Mit Urteil vom 13. November 1980 wies das SG Konstanz die Klage hinsichtlich des Anspruchs auf Vormerkung bzw Berücksichtigung der Lehrzeit als Ausfallzeit bereits ab 2. März 1931 ab. Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein. Im Verlaufe des Berufungsverfahrens nahm die Beklagte mit Bescheid vom 4. Februar 1981 eine Neuberechnung des Altersruhegeldes vor. Als Ausfallzeit der versicherungsfreien Lehrzeit berücksichtigte sie wie bisher nur den Zeitraum vom 6. Oktober 1932 bis 7. März 1934.

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen und die Klage wegen des Bescheides vom 4. Februar 1981 abgewiesen (Urteil vom 21. Januar 1982). Zur Begründung hat es zu dem im Revisionsverfahren allein noch streitigen Anspruch ausgeführt, nach § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) könne nur die Zeit einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden abgeschlossenen nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit als Ausfallzeit berücksichtigt werden. Eine andere Beurteilung könne entgegen der Ansicht des Klägers nicht deshalb erfolgen, weil er bereits vor Beginn der Lehrzeit ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis ausgeübt habe.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine fehlerhafte Anwendung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG sowie Verletzungen der Art 3 Abs 1, Art 12 Abs 1 Satz 1 und Art 20 Abs 1 in Verbindung mit Art 28 Abs 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG). Entgegen der Ansicht des LSG habe § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG eine vor Vollendung des 16. Lebensjahres liegende Lehrzeit nicht ausnahmslos und in jedem Fall von der Anrechnung als Ausfallzeit ausschließen wollen. Bei Erlaß des Gesetzes sei nicht an die Fälle gedacht worden, daß die Lehrzeit schon vor Vollendung des 16. Lebensjahres begonnen und zum Teil zurückgelegt worden sei und daß ihr die Zeit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung vorausgegangen und diese somit durch die Lehrzeit schon vor Vollendung des 16. Lebensjahres unterbrochen worden sei. Insoweit sei das Gesetz lückenhaft und diese Lücke im Wegen der Analogie auszufüllen. Dabei rechtfertige die Rechtsgleichheit mit den Gründen für die Anerkennung einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres begonnenen Lehrzeit als Ausfallzeit die analoge Anwendung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG auch auf die vor Vollendung des 16. Lebensjahres zurückgelegte Lehrzeit. Außerdem sei der hier zur Beurteilung stehende Tatbestand in seinen wesentlichen Teilen den in § 36 Abs 1 Satz 1 Nrn 1 bis 3 AVG geregelten Fällen rechtsähnlich, in denen die Anrechnung von Ausfallzeiten auch für Zeiten vor der Vollendung des 16. Lebensjahres uneingeschränkt vorgeschrieben sei. Schließlich sei die analoge Anwendung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG auf den vorliegenden Sachverhalt im Wege der verfassungskonformen Auslegung geboten. Erfasse sie nämlich entsprechend der Ansicht des LSG und der Beklagten lediglich die nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden Zeiten einer abgeschlossenen nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit, so müsse sie als verfassungswidrig angesehen werden. Nach dem Sinn und Zweck der Ausfallzeitenregelung solle dem Versicherten ein Ausgleich dafür gegeben werden, daß er infolge bestimmter Umstände an der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit gehindert worden sei und somit rentensteigernde Pflichtbeitragszeiten nicht habe zurücklegen können. Diesem Sinn und Zweck des Gesetzes habe § 36 Abs 1 Nr 4 AVG in seiner bis zum 30. Juni 1965 geltenden ursprünglichen Fassung dadurch Rechnung getragen, daß unter bestimmten Voraussetzungen bereits Zeiten einer nach Vollendung des 15. Lebensjahres liegenden Schulausbildung als Ausfallzeiten gegolten hätten. Mit dem Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I S 476) sei durch Änderung des § 36 AVG die abgeschlossene nicht versicherungspflichtige oder versicherungsfreie Lehrzeit als Ausfallzeit eingeführt worden. Abweichend von der bisherigen Regelung gälten jedoch seither nur noch Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden Ausbildung als Ausfallzeiten. Das sei willkürlich. Für eine Differenzierung der Zeiten vor und nach Vollendung des 16. Lebensjahres fehle ein sachlich einleuchtender Grund. Insbesondere treffe es nicht zu, daß eine Lehrzeit im allgemeinen vor Vollendung des 16. Lebensjahres ohnehin nicht zurückgelegt werde. Aber selbst wenn dies der Regelfall sein sollte, hätte der Gesetzgeber Vorsorge für die Fälle treffen müssen, in denen wie vorliegend nachweisbar vor Vollendung des 16. Lebensjahres eine versicherungspflichtige Beschäftigung durch eine versicherungsfreie Lehrzeit unterbrochen worden sei. Jedenfalls in diesen Fällen hätte ebenso wie in den Fällen des § 36 Abs 1 Satz 1 Nrn 1 bis 3 AVG die Anrechenbarkeit als Ausfallzeiten nicht auf die nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden Zeiten beschränkt werden dürfen. Damit zugleich liege im Verhältnis zu den in § 36 Abs 1 Satz 1 Nrn 1 bis 3 AVG geregelten Fällen eine willkürliche Differenzierung und unberechtigte Schlechterstellung vor. Außerdem würden ihm (Kläger) unter Verletzung des Art 12 Abs 1 GG daraus Nachteile erwachsen, daß er durch Eintritt in seine handwerkliche Berufsausbildung und Lehre von seinem Grundrecht auf Freiheit der Berufswahl Gebrauch gemacht habe. Schließlich diene eine solche gesetzliche Regelung unter Verletzung des Sozialstaatsprinzips (Art 20 Abs 1 GG) nicht dem Ausgleich berechtigter sozialer Belange des Versicherten und entspreche deshalb nicht den Anforderungen sozialer Gerechtigkeit.

Der Kläger beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Januar 1982 und des Sozialgerichts Konstanz vom 13. November 1980 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide vom 28. November 1978 und 12. April 1979 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 1979) sowie vom 10. April 1980 und 4. Februar 1981 zu verurteilen, die Zeit vom 2. März 1931 bis 5. Oktober 1932 zusätzlich als Ausfallzeit vorzumerken und bei der Berechnung des Altersruhegeldes zu berücksichtigen; hilfsweise: das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage einzuholen, ob § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG insoweit verfassungswidrig und nichtig ist, als die Anrechnung von Zeiten einer abgeschlossenen nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit als Ausfallzeit auf Zeiten nach Vollendung des 16. Lebensjahres beschränkt wird und Zeiten einer solchen Lehrzeit vor Vollendung des 16. Lebensjahres von der Anrechnung als Ausfallzeit ausgeschlossen werden.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie bringt vor, schon nach dem eindeutigen und nicht auslegungsfähigen Wortlaut wie auch nach der Entstehungsgeschichte des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG habe der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift bewußt und gewollt das vollendete 16. Lebensjahr als untere Grenze für die Ausbildungs-Ausfallzeiten festgelegt. Die Vorschrift enthalte keine Regelungslücke und sei einer von ihrem Wortlaut abweichenden Interpretation nicht zugänglich.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) erteilt.

 

Entscheidungsgründe

Die durch nachträgliche Zulassung statthafte Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vormerkung des vor Vollendung seines 16. Lebensjahres liegendes Teils seiner Lehrzeit vom 2. März 1931 bis 5. Oktober 1932 als Ausfallzeit und auf deren Berücksichtigung bei der Berechnung des ihm bewilligten Altersruhegeldes.

Materiell-rechtliche Grundlage für die Berücksichtigung einer Lehrzeit als Ausfallzeit ist § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG in der Fassung des Art 1 § 2 Nr 13 Buchst a) des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I S 1965). Danach sind Ausfallzeiten im Sinne des § 35 AVG Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden (a) abgeschlossenen nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit, (b) einer weiteren Schulausbildung oder einer abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung (bis zu einer bestimmten Höchstdauer). Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden abgeschlossenen nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit sind erstmals durch § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG in seiner ab 1. Juli 1965 geltenden Fassung des Art 1 § 2 Nr 19 Buchst d) RVÄndG zu Ausfallzeiten bestimmt worden. Nach § 36 Abs 1 Nr 4 AVG in seiner bis dahin geltenden Fassung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I S 88) sind - unter weiteren einschränkenden Voraussetzungen - Ausfallzeiten lediglich die Zeiten einer nach Vollendung des 15. Lebensjahres liegenden weiteren Schulausbildung sowie einer abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung gewesen.

Seinem eindeutigen Wortlaut nach läßt § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG die Berücksichtigung des vor Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden Teiles einer abgeschlossenen nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit als Ausfallzeit nicht zu (vgl BSGE 38, 50, 51 ff = SozR 2200 § 1259 Nr 3 S 9 ff, wonach die Anerkennung des vor Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden Teils einer Lehrzeit als Ausfallzeit offensichtlich gegen geltendes Recht verstößt). Demgegenüber meint die Revision, das Gesetz sei jedenfalls insofern lückenhaft und diese Lücke im Wege der ergänzenden Rechtsfindung auszufüllen, als bei seinem Erlaß nicht an den Fall gedacht worden sei, daß die Lehrzeit schon vor Vollendung des 16. Lebensjahres und zudem im Anschluß an eine ebenfalls vor Vollendung des 16. Lebensjahres ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung begonnen worden sei. Dem kann der Senat nicht beipflichten. Zwar ist die Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift auf nach ihrem Wortlaut nicht unmittelbar erfaßte Sachverhalte im Wege des Analogieschlusses nicht ausgeschlossen. Das setzt jedoch das Bestehen einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus, welche die Gerichte berechtigt, das Vorliegen einer Regelungslücke festzustellen und diese unter Berücksichtigung des Sinnes und Zwecks der Vorschrift und des Willens des Gesetzgebers zu schließen (vgl ua BSG SozR 4100 § 186 c Nr 2 S 4; 2200 § 381 Nr 28 S 71; 2200 § 162 Nr 2 S 10; 3100 § 19 Nr 10 S 28; BSGE 53, 273, 274 = SozR 2200 § 182 Nr 82 S 161; jeweils mwN). Bezüglich des Ausschlusses der Berücksichtigung des vor der Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden Teils einer abgeschlossenen nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit als Ausfallzeit ist § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG nicht planwidrig unvollständig. Vielmehr entspricht dieser Ausschluß dem Plan des Gesetzgebers. Die Einfügung des Ausfalltatbestandes der abgeschlossenen nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit durch das RVÄndG hat einmal den begünstigten Versicherten einen ähnlichen Vorteil verschaffen sollen, wie ihn zuvor schon Studierende durch die rentensteigernde Anrechnung der Schul- und Hochschulausbildung gehabt haben (vgl BSGE 31, 226, 232 = SozR Nr 30 zu § 1259 RVO). Zum anderen hat die Neuregelung eine gewisse Gleichbehandlung der vor dem 7. September 1949 ohne Entgelt und damit nicht versicherungspflichtig oder nur gegen freien Unterhalt und damit versicherungsfrei ausgeübten Lehrzeiten mit den nach diesem Zeitpunkt absolvierten und durchgehend versicherungspflichtigen Lehrzeiten bezweckt (vgl BSGE 48, 100, 102 = SozR 2200 § 1259 Nr 37 S 98; BSGE 52, 1, 2 = SozR 2200 § 1259 Nr 50 S 129; BSG SozR aaO Nr 64 S 182 und Nr 66 S 183). Der von der Bundesregierung beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Beseitigung von Härten in den gesetzlichen Rentenversicherungen (BR-Drucks 319/64; BT-Drucks IV/2572) hat eine Einbeziehung von Lehrzeiten in die Ausfallzeitenregelung der § 1259 der Reichsversicherungsordnung (RVO), § 36 AVG nicht vorgesehen und lediglich die Ersetzung der Zahl "15" durch die Zahl "16" in § 1259 Abs 1 Nr 4 RVO, § 36 Abs 1 Nr 4 AVG vorgeschlagen (aaO, jeweils S 4 und 8) mit der Begründung (aaO, jeweils S 26), es erscheine im Interesse einer Gleichbehandlung mit denjenigen Versicherten, die nach Beendigung der normalen Schulzeit in das Erwerbsleben eingetreten seien und erst mit Vollendung des 16. Lebensjahres hätten versicherungspflichtig werden können, sowie der Vertriebenen und Flüchtlinge, denen eine Beschäftigungszeit nach dem Fremdrentengesetz (FRG) erst von diesem Zeitpunkt an angerechnet werden könne, geboten, eine weitere Schulausbildung als Ausfallzeit erst nach Vollendung des 16. Lebensjahres anzurechnen. Der Bundesrat hat gegen diese Heraufsetzung der unteren Altersgrenze bei der Ausfallzeit der weiteren Schulausbildung keine Einwendungen erhoben, jedoch auf Empfehlung seines Ausschusses für Arbeit und Sozialpolitik (vgl BR-Drucks 319/1/64, S 5) in einer Entschließung eine eingehende Prüfung des Problems für erforderlich gehalten, daß versicherungsfreie Lehrlingszeiten und sonstige Zeiten der Berufsausbildung nicht als Ausfallzeiten angerechnet werden könnten, obwohl die Lehre zumindest in gleichem Maße der Vorbereitung auf den späteren Beruf diene wie der Schulbesuch (vgl Bundesrat, Bericht über die 272. Sitzung am 10. Juli 1964, S 159, und BT-Drucks IV/2572, S 33). Demgegenüber hat die Bundesregierung eine weitergehende Anrechnung von Lehrlingszeiten wegen der damit verbundenen finanziellen Mehrbelastung abgelehnt (BT-Drucks IV/2572, S 40). Der Bundestagsausschuß für Sozialpolitik hat sodann vorgeschlagen, in die Ausfallzeitenregelung der § 1259 Abs 1 Nr 4 RVO, § 36 Abs 1 Nr 4 AVG auch Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden abgeschlossenen versicherungsfreien Lehrzeit einzubeziehen (vgl BT-Drucks IV/3233, S 13 und 30). Dabei ist speziell zur Altersuntergrenze von 16 Jahren ausgeführt worden, im Falle einer Berücksichtigung von Lehr- und Schulzeiten bereits vom vollendeten 15. Lebensjahr an müsse auch allen Versicherten, die bis Ende 1923 erst mit Vollendung des 16. Lebensjahres hätten versicherungspflichtig werden können, zumindest ein Jahr zuerkannt werden. Das erfordere einen zu hohen finanziellen Aufwand (vgl Bericht des Abgeordneten Ollesch, zu BT-Drucks IV/3233, S 5). Im Verlaufe der zweiten Beratung des Gesetzesentwurfs im Bundestag ist dann noch einmal der Antrag gestellt worden, die Altersuntergrenze im Rahmen der § 1259 Abs 1 Nr 4 RVO, § 36 Abs 1 Nr 4 AVG von 16 auf 15 Jahre herabzusetzen (vgl Deutscher Bundestag, 4. Wahlperiode, 176. Sitzung am 1. April 1965, Niederschrift S. 8888, Anlage 3, Umdruck 606, Ziffern 2 und 7). Dieser Änderungsantrag ist jedoch mehrheitlich abgelehnt worden (vgl Niederschrift aaO, S 8862 f, 8863).

Die Entstehungsgeschichte des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG erweist somit, daß der Gesetzgeber sehr wohl den Fall bedacht hat, daß eine Lehrzeit schon vor Vollendung des 16. Lebensjahres begonnen worden ist, und diesen Teil der Lehrzeit bewußt von der Berücksichtigung als Ausfallzeit hat ausnehmen wollen. Insofern ist das Gesetz nicht planwidrig lückenhaft und damit die Ausfüllung einer Regelungslücke seitens der Rechtsprechung nicht veranlaßt. Während der Beratungen des RVÄndG nicht ausdrücklich angesprochen worden ist allerdings der Fall, daß der vor Vollendung des 16. Lebensjahres begonnenen Lehrzeit die Zeit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung vorausgegangen und diese somit durch die Lehrzeit unterbrochen worden ist (zum Begriff der "Unterbrechung" im Sinne des § 36 Abs 1 Satz 1 Nrn 1 bis 3 AVG vgl zuletzt BSGE 53, 54, 55 = SozR 2200 § 1259 Nr 60 S 170 mwN). Indes ist auch für diesen Fall eine Auslegung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG entgegen seinem Wortlaut dahingehend, daß der vor Vollendung des 16. Lebensjahres liegende Teil einer abgeschlossenen nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit als Ausfallzeit zu berücksichtigen ist, nicht zulässig. Die Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit und damit das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses sowie die Entrichtung von Beiträgen vor Beginn des Ausfalltatbestandes sind lediglich in den Fällen des § 36 Abs 1 Satz 1 Nrn 1, 2, 2a und 3 AVG Voraussetzung für die Berücksichtigung des jeweiligen Tatbestandes als Ausfallzeit (BSGE 16, 120, 121 = SozR Nr 4 zu § 1259 RVO; BSGE 28, 68, 69 = SozR Nr 20 zu § 1259 RVO; BSGE 32, 229, 230 f = SozR Nr 32 zu § 1259 RVO; BSG SozR Nr 52 zu § 1259 RVO). In diesen Fällen handelt es sich bei den Ausfalltatbeständen ihrem Wesen nach um Zustände von vorübergehender Dauer, welche eine alsbaldige Fortsetzung der zuvor ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit erwarten lassen (BSG SozR Nr 18 zu § 1259 RVO; BSG SozR 2200 § 1259 Nr 10 S 30). Für die in Nr 4 des § 36 Abs 1 Satz 1 AVG geregelten Ausfalltatbestände der abgeschlossenen Lehrzeit, der weiteren Schulausbildung und der abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung gilt dies nicht. Sie sind - wie in der zeitlichen Begrenzung der Anrechenbarkeit einer Schul- oder Fachschulausbildung und einer Hochschulausbildung als Ausfallzeit zum Ausdruck kommt - für gewöhnlich auf eine längere Dauer angelegt. Vor allem aber setzt ihre Berücksichtigung als Ausfallzeiten die Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit gerade nicht voraus (BSGE 28, 68, 71 = SozR Nr 20 zu § 1259 RVO). Einer derartigen Unterbrechung kommt somit im Rahmen des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) (und b) AVG eine rechtliche Relevanz nicht zu. Dann aber kann eine solche Unterbrechung auch nicht für den Fall erheblich sein, daß einer vor Vollendung des 16. Lebensjahres begonnenen und später abgeschlossenen Lehrzeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit vorausgegangen ist. Insbesondere ist wegen dieses Umstandes eine von § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG abweichende Berücksichtigung des vor Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden Teils der abgeschlossenen Lehrzeit weder gerechtfertigt noch geboten.

In Anwendung und Auslegung allein des einfachen Rechts kann nach alledem der Kläger die Anerkennung bzw Berücksichtigung des vor Vollendung seines 16. Lebensjahres liegenden Teils seiner Lehrzeit nicht verlangen. Zur Aussetzung des Verfahrens und zur Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gemäß Art 100 Abs 1 GG besteht kein Anlaß. Der Senat hält entgegen der Ansicht des Klägers § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG insoweit, als danach lediglich die Zeit einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden abgeschlossenen nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit als Ausfallzeit berücksichtigt werden darf, nicht für verfassungswidrig und kann damit den Rechtsstreit abschließend entscheiden.

Nicht festzustellen ist insbesondere eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG. Mit dem hierin statuierten allgemeinen Gleichheitssatz ist eine gesetzliche Regelung dann nicht vereinbar, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, die Bestimmung also als willkürlich bezeichnet werden muß (so zuerst BVerfGE 1, 14, 52 und seither ständige Rechtsprechung; vgl zB BVerfGE 55, 114, 128 = SozR 2200 § 1302 Nr 4 S 19 f; BVerfGE 60, 101, 108 f = SozR 4100 § 163 Nr 4 S 7). Dabei ist im vorliegenden Zusammenhang zusätzlich zweierlei zu berücksichtigen. Einmal steht dem Gesetzgeber bei der Regelung von Ansprüchen im Bereich der darreichenden Verwaltung und insbesondere von Sozialleistungen eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zu. In diesen Bereichen ist eine Regelung mit dem Gleichheitssatz vereinbar, wenn vernünftige Gründe für sie bestehen und der Gesetzgeber willkürliche Privilegierungen und Diskriminierungen vermeidet (vgl BVerfGE 51, 295, 301 mwN; BVerfGE 60, 16, 42 = SozR 3100 § 89 Nr 10 S 42; BVerfGE 60, 113, 119 = SozR 2200 § 201 Nr 2 S 2). Zum anderen ist der Gesetzgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen, wie sie insbesondere im Sozialversicherungsrecht vorkommen, zum Erlaß generalisierender und typisierender Regelungen genötigt. Derartige Regelungen sind nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG im Grundsatz verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl ua BVerfGE 50, 177, 188 = SozR 5750 Art 2 § 9a Nr 8 S 21; BVerfGE 51, 115, 122 f = SozR 4100 § 112 Nr 10 S 31).

Unter Berücksichtigung dessen läßt § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG insoweit, als lediglich der nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegende Teil einer Lehrzeit Ausfallzeit ist, einen Widerspruch zu Art 3 Abs 1 GG nicht erkennen. Die Ausfallzeitenregelung des § 36 AVG in ihrer Gesamtheit und des Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) der Vorschrift im besonderen betrifft einen Bereich der darreichenden Verwaltung. Ausfallzeiten sind Zeiten ohne eigene Beitragsleistung des Versicherten. Ihre an sich dem Versicherungsprinzip widersprechende Berücksichtigung ist in Ausprägung des Sozialstaatsgedankens eine Solidarleistung der Versichertengemeinschaft (vgl BSGE 30, 163, 166 = SozR Nr 25 zu § 1259 RVO; BSGE 42, 123, 124 = SozR 2200 § 1259 Nr 19 S 63). Ausfallzeiten beruhen demnach überwiegend auf staatlicher Gewährung und sind Ausdruck besonderer staatlicher Fürsorge (BverfGE 58, 81, 112 = SozR 2200 § 1255a Nr 7 S 12 mwN). Damit steht dem Gesetzgeber bei der Bestimmung der Ausfalltatbestände sowie der Voraussetzungen und des Umfanges ihrer Anrechenbarkeit als Ausfallzeiten eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zu. So ist es ihm zB nicht verwehrt, lediglich bestimmte typische Ausbildungen als Ausfalltatbestände vorzusehen und ihre Anrechenbarkeit als Ausfallzeiten zeitlich zu beschränken (BSGE 31, 226, 231 f = SozR Nr 30 zu § 1259 RVO; BSG SozR Nr 46 zu § 1259 RVO; BSGE 48, 100, 103 = SozR 2200 § 1259 Nr 37 S 99; vgl auch Dreierausschuß des BVerfG in SozR 2200 § 1259 Nr 46 S 120). Desgleichen ist es ihm nicht versagt, eine übermäßige Belastung der Versichertengemeinschaft zu vermeiden (BSG SozR 2200 § 1259 Nr 38 S 101 und Nr 58 S 157) und nicht das jeweils Erforderliche, sondern nur ausgleichsweise das Vertretbare zu begünstigen (BSGE 30, 163, 166 = SozR Nr 25 zu § 1259 RVO; BSG SozR Nr 57 zu § 1259 RVO). Die Begrenzung der Anrechenbarkeit einer Lehrzeit als Ausfallzeit auf den Zeitraum nach der Vollendung des 16. Lebensjahres des Versicherten beruht - wie aus der bereits dargestellten Entstehungsgeschichte des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG erhellt - auf den Erwägungen, daß bis zum Jahre 1923 Versicherungspflicht erst mit der Vollendung des 16. Lebensjahres begonnen hat und die Einführung einer niedrigeren Altersgrenze für die Berücksichtigung einer Lehrzeit als Ausfallzeit zu einer übermäßigen Belastung der Versicherungsgemeinschaft führen würde. Erstere Erwägung mag zwischenzeitlich insofern an Bedeutung verloren haben, als gegenwärtig unter den Neurentnern kaum noch Personen sein werden, auf welche die bis 1923 geltende Regelung über den Beginn der Versicherungspflicht erst mit der Vollendung des 16. Lebensjahres Anwendung gefunden hat. Im Zeitpunkt der Einführung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG durch das RVÄndG im Jahre 1965 hingegen hat diese Regelung noch Auswirkungen gehabt und die Begrenzung der Anrechenbarkeit einer Lehrzeit als Ausfallzeit auf den Zeitraum von der Vollendung des 16. Lebensjahres des Versicherten an sachlich gerechtfertigt. Der weitere Gesichtspunkt der Vermeidung einer übermäßigen Belastung der Versichertengemeinschaft hat ebenso wie bei Schaffung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG auch heute noch unverändert Gültigkeit und sachliche Berechtigung. Angesichts dessen kann die Regelung, daß als Ausfallzeit lediglich der nach Vollendung des 16. Lebensjahres zurückgelegte Teil einer abgeschlossenen nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit berücksichtigt werden darf, für sich allein betrachtet nicht als willkürlich angesehen werden.

Sie führt entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung im Verhältnis zu den Ausfallzeiten im Sinne des § 36 Abs 1 Satz 1 Nrn 1 bis 3 AVG. Zwar werden mit den dort genannten Einschränkungen auch die vor Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden Zeiten einer krankheits- oder unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit, einer Rehabilitationsmaßnahme vor dem 1. Oktober 1974, einer Schwangerschaft oder eines Wochenbetts, des Bezuges von Schlechtwettergeld oder einer Arbeitslosigkeit als Ausfallzeiten berücksichtigt. Zwingende Voraussetzung dafür ist jedoch, daß der Ausfalltatbestand eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrochen, der Versicherte also vor Beginn des Ausfalltatbestandes bereits eine solche Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt und damit der Solidargemeinschaft der Versicherten angehört hat. In den Fällen des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG wird eine vorhergegangene Zugehörigkeit zur Versichertengemeinschaft hingegen nicht verlangt und hierdurch dem Umstand Rechnung getragen, daß typischerweise eine Lehrzeit, eine weitere Schulausbildung oder eine Fachschul- oder Hochschulausbildung dem durch Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit geprägten Berufsleben vorauszugehen pflegen. Angesichts dieser Unterschiede der tatsächlichen Ausgangslage stellt es keine sachwidrige Differenzierung dar, daß anders als in den Fällen der Nrn 1 bis 3 die Ausfalltatbestände der Nr 4 des § 36 Abs 1 Satz 1 AVG erst ab Vollendung des 16. Lebensjahres des Versicherten als Ausfallzeiten anerkannt werden. Allerdings hat speziell der Kläger schon vor Beginn seiner im Alter von 14 Jahren aufgenommenen Lehre eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt. Den Sachverhalt, daß ein Versicherter vor Vollendung seines 16. Lebensjahres eine Lehre begonnen und zuvor schon eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, hat der Gesetzgeber weder ausdrücklich geregelt noch - soweit erkennbar - bei der Schaffung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG im Blickfeld gehabt. Daraus läßt sich indes eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG nicht herleiten. Bei der vorliegenden Fallgestaltung handelt es sich unter Berücksichtigung des bereits erwähnten Umstandes, daß regelmäßig eine Lehrzeit zu Beginn des Berufslebens absolviert und erst nachfolgend eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt wird, um einen atypischen Sachverhalt. Ihn hat der Gesetzgeber im Rahmen einer notwendigerweise pauschalierenden und generalisierenden Regelung zulässigerweise außer Acht lassen dürfen.

Die vom Kläger ferner erhobene Rüge einer Verletzung des Art 12 Abs 1 GG ist offensichtlich unbegründet. § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a AVG enthält weder allgemein noch speziell insoweit, als lediglich der nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegende Teil einer abgeschlossenen nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit als Ausfallzeit zu berücksichtigen ist, eine Regelung der Berufswahl oder Berufsausübung. Allerdings sind am Maßstab des Art 12 Abs 1 GG nicht nur solche Vorschriften zu prüfen, welche die berufliche Betätigung unmittelbar zum Gegenstand haben. Vielmehr kann das Grundrecht der Berufsfreiheit auch durch Bestimmungen berührt werden, welche, ohne unmittelbar berufsregelnden Charakter zu haben, infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet sind, die Berufsfreiheit mittelbar zu beeinträchtigen, und damit objektiv eine berufsregelnde Tendenz erkennen lassen (BVerfGE 13, 181, 185 f; 16, 147, 162; 49, 24, 47 f; 52, 42, 54; aus der Rechtsprechung des BSG vgl ua BSGE 39, 291, 295 = SozR 4100 § 36 Nr 5 S 9; BSGE 48, 33, 42 = SozR 4100 § 44 Nr 19 S 62; BSG SozR 2200 § 1236 Nr 16 S 39; 4100 § 36 Nr 21 S 60). Selbst eine solche Tendenz läßt § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG nicht erkennen. Insbesondere führt er nicht zu einer "Benachteiligung" des Klägers deswegen, weil "er von seinem Grundrecht auf Freiheit der Berufswahl durch Eintritt in seine handwerkliche Berufsausbildung und Lehre Gebrauch gemacht hat". Angesichts dessen, daß die Lehrzeit erst aufgrund des lange Zeit nach ihrem Beginn in Kraft getretenen § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG nachträglich zugunsten des Klägers wenigstens zu einem Teil als Ausfallzeit berücksichtigungsfähig geworden ist, kann von einer "Benachteiligung" schlechterdings nicht die Rede sein (vgl auch BSG SozR Nr 46 zu § 1259 RVO aE).

Aus ähnlichen Erwägungen vermag der Senat einen Widerspruch des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a) AVG zum Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1, Art 28 Abs 1 Satz 1 GG) nicht zu erkennen. Dieses in erster Linie den Gesetzgeber bindende Prinzip begründet die Verpflichtung des Staates, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Dabei kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl BVerfGE 59, 231, 263 mwN). Nicht hingegen darf das Sozialstaatsprinzip dahin ausgelegt werden, daß mit seiner Hilfe Regelungen, deren Anwendung in bestimmten Fällen zu Härten oder Unbilligkeiten führt, modifiziert werden könnten (BVerfGE 59, 287, 301 = SozR 2200 § 1255 Nr 14 S 28 mwN). Erst recht bietet das Sozialstaatsprinzip dann, wenn derartige Härten oder Unbilligkeiten noch nicht einmal festzustellen sind, keine Handhabe für das Begehren auf Verbesserung einer ohnehin schon auf staatlicher Gewährung in Erfüllung des Sozialstaatsgedankens beruhenden Leistung. Ein solches Begehren kann sogar wegen der Überbewertung des Individualinteresses und der Nichtachtung der berechtigten Interessen der in Anspruch genommenen Solidargemeinschaft dem Sozialstaatsprinzip zuwiderlaufen. Die Berücksichtigung von Ausfallzeiten ist - wie erwähnt - eine Solidarleistung der Versichertengemeinschaft als Ausdruck besonderer staatlicher Fürsorge. Dieser Rechtscharakter der Ausfallzeiten schließt es aus, eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips darin zu erblicken, daß der Gesetzgeber nicht eine im Vergleich zum geltenden Recht dem Versicherten noch günstigere Regelung über die Voraussetzungen oder den Umfang der Anrechenbarkeit von Ausfallzeiten getroffen hat.

Die Vorinstanzen haben dem Anspruch des Klägers auf Berücksichtigung des vor Vollendung seines 16. Lebensjahres liegenden Teils seiner Lehrzeit zu Recht nicht entsprochen. Dies führt zur Zurückweisung der Revision.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 224

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