Leitsatz (amtlich)

Zur Eignung als Voraussetzung für eine Förderung der beruflichen Bildung durch die Bundesanstalt für Arbeit gehören auch die körperlichen (gesundheitlichen) Bedingungen, die erforderlich sind, um den Anforderungen des mit der beruflichen Bildung angestrebten Berufs objektiv genügen zu können.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Richtlinien für berufliche Bildungsmaßnahmen vom 1967-03-22 (ANBA 1967, 233) sind kein autonomes Satzungsrecht, sondern nur allgemeine Verwaltungsvorschriften iS von GG Art 86.

2. Das Grundrecht auf freie Berufswahl nach GG Art 12 wird nicht berührt, wenn eine Förderung der Ausbildung in dem selbst (frei) gewählten Beruf unterbleibt (Fortführung von BSG 1973-03-29 7 RAr 12/72 = Dienstbl BA C AFG § 47 Nr 1707a).

 

Normenkette

AFG § 36 Fassung: 1969-06-25, § 40 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 47 Fassung: 1969-06-25; GG Art. 12 Fassung: 1949-05-23, Art. 86

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 26. Februar 1973 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Förderung seiner Ausbildung zum Schiffbauer.

Der 1946 geborene Kläger war nach dem Besuch der Volksschule von April 1961 bis Januar 1968 als mithelfender Sohn in der elterlichen Landwirtschaft tätig. Im Rahmen dieser Tätigkeit durchlief er vom 1. April 1961 bis zum 31. März 1963 eine sog. Elternlehre als Landwirt; eine Abschlußprüfung hat er nicht abgelegt. Vom 25. Januar 1968 bis zum 31. Januar 1969 arbeitete der Kläger als angelernter Ziegeleifacharbeiter.

Aufgrund eines formgerechten Lehrvertrages wurde der Kläger in der Zeit vom 1. Februar 1969 bis 31. Januar 1972 bei der Firma Schiffswerft und Maschinenfabrik Max S, B, in dem Beruf des Schiffbauers ausgebildet. Die Facharbeiterprüfung hat der Kläger mit guten Ergebnissen bestanden. Die Lehrstelle war dem Kläger durch die Berufsberatung des Arbeitsamts (ArbA) Bremerhaven vermittelt worden.

Am 10. Juni 1969 stellte der Kläger beim ArbA Bremerhaven zwei Anträge: Einmal begehrte er die Bewilligung von Unterhaltsgeld (Uhg), zum anderen beantragte er die Förderung nach Richtlinien für berufliche Bildungsmaßnahmen (Berufsausbildungsbeihilfe - BAB -). Im Verwaltungsverfahren hörte das ArbA verschiedene Sachverständige. Im Gutachten vom 17. September 1969 stellte der Arbeitsamtsarzt Dr. med. M fest, daß der Kläger zwar ein ausreichendes Sehvermögen auf dem linken Auge habe, auf dem rechten jedoch praktisch blind sei. Aufgrund dessen seien ausgesprochene Hocharbeiten nicht ratsam. Der Kläger erscheine daher für die Tätigkeit eines Schiffbauers wenig geeignet. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 1. Juli 1970 kam Dr. med. M vom ärztlichen Dienst des ArbA Bremerhaven aufgrund der von Dr. D erhobenen Befunde zu dem Ergebnis, daß der Kläger für den Schiffbauerberuf wegen der damit verbundenen Unfallgefahr nicht geeignet sei. In zwei gutachtlichen Stellungnahmen vom 17. Juli 1969 und 21. Oktober 1969 äußerte sich die Fachpsychologin B des ArbA Bremerhaven dahin, daß gegen eine Förderung des Klägers in einem handwerklich-technischen Lehrberuf keine Bedenken bestünden. Das ArbA hat schließlich noch eine Stellungnahme der "Nordwestlichen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft (BG) Hannover" vom 3. April 1970 eingeholt. Darin heißt es, daß die für den Maschinenbauerberuf von der Fachpsychologin abgegebene Stellungnahme hinsichtlich der Gefahrabwendung volle Gültigkeit habe. Diese Gefahren könnten im Maschinenbauerberuf auch von einem Einäugigen zu übersehen sein. In der Stellungnahme heißt es dann wörtlich weiter: "Anders liegen die Verhältnisse bei einem Schiffsmaschinenbauer bzw. Eisen-Schiffbauer. Bei der Ausübung beider Berufe wird der Betroffene immer wieder in eine neue ihm unbekannte Umgebung gestellt. Der Arbeitsplatz in dieser Umgebung schließt Gefahren durch Stoß, durch Absturz oder durch bewegte Lasten in sich. Zum rechtzeitigen Erkennen einer Gefahr muß der Betroffene seine Umgebung mit einem Blickwinkel von etwa 180° übersehen können. Deshalb halte ich unter Hinweis auf die o. a. Unfallverhütungsvorschriften einen Einäugigen für den Einsatz im Beruf eines Schiffsmaschinenbauers oder Eisen-Schiffbauers für nicht geeignet". In der Stellungnahme der BG ist Bezug genommen worden auf § 17 der Unfallverhütungsvorschriften (UVV) 1.0, in dem es unter "Allgemeine Vorschriften" heißt: "Versicherte, die an Ohnmachtsanfällen, Fallsucht, Krämpfen, Schwindel, Schwerhörigkeit, Kurzsichtigkeit, Bruchschäden oder anderen Schäden und Gebrechen derart leiden, daß sie dadurch bei gewissen Arbeiten einer außergewöhnlichen Gefahr ausgesetzt sind oder Mitarbeiter gefährden können, dürfen mit solchen Arbeiten nicht beschäftigt werden".

Unter Hinweis auf die beim Kläger festgestellte mangelnde Eignung für den Beruf des Schiffbauers lehnte das ArbA die von ihm gestellten Förderungsanträge ab, und zwar den Antrag auf Uhg im Bescheid vom 6. Mai 1970 (Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 1970), den Antrag auf Gewährung einer BAB durch Bescheid vom 15. Dezember 1969 (Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 1970). Der Kläger hat gegen beide Bescheide in der Gestalt der jeweiligen Widerspruchsbescheide form- und fristgerecht Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat die beiden Verfahren durch Beschluß vom 12. März 1971 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Im Urteil vom 17. Mai 1971 hat es die Klage abgewiesen.

Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil war erfolglos (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Bremen vom 26. Februar 1973). Zur Begründung hat das LSG insbesondere ausgeführt: Der Anspruch des Klägers für die Zeit vom 1. Februar 1969 bis zum 30. Juni 1969 sei nicht begründet, weil die Voraussetzungen der §§ 133, 133 a des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) i. V. m. den Richtlinien des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung für berufliche Bildungsmaßnahmen vom 22. März 1967 (ANBA 1967 S. 233 - RL -) nicht gegeben seien. Nach Ziffer 3 c RL könnten nur solche Maßnahmen gefördert werden, die der beruflichen Umschulung dienen. Darum habe es sich aber beim Kläger nicht gehandelt. Seine Lehre als Schiffbauer sei eine regelrechte Berufsausbildung gewesen. Diese sei in Ziffer 4 a RL ausdrücklich als nicht förderungsfähig bezeichnet worden. Der Kläger könne aber auch für die Zeit ab 1. Juli 1969 keine Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) erhalten. Maßgebend sei § 40 AFG. Gemäß § 36 AFG i. V. m. der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit (BA) über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung vom 31. Oktober 1969 (ANBA 1970 S. 213 - AA -) dürfe eine Förderung der beruflichen Ausbildung nur erfolgen, wenn der Antragsteller die erforderliche Eignung für den angestrebten Beruf besitze. Die theoretische und praktische Befähigung des Klägers für den Beruf des Schiffbauers könne zwar nicht in Zweifel gezogen werden. Es fehle ihm jedoch an der darüber hinaus notwendigen körperlichen Eignung für diesen Beruf. Das LSG setzt sich im einzelnen mit den Gutachten der Fachpsychologin B und der Ärzte Dr. D und Dr. M auseinander und kommt zu dem Ergebnis, daß der medizinischen Aussage gegenüber der Beurteilung aus rein psychologischer Sicht der Vorzug zu geben sei. Dies hält das LSG um so mehr für gerechtfertigt, als sich diese medizinische Stellungnahme mit der Äußerung der BG vom 3. April 1970 decke. Es sei demzufolge sachgerecht, daß die Beklagte die berufliche Förderung für unzweckmäßig gehalten habe, weil die Ausübung des vom Kläger angestrebten Berufs wegen seiner körperlichen Mängel sowohl für ihn wie für Dritte mit einer objektiven erhöhten gesundheitlichen Gefährdung verbunden sei. Die Beklagte habe daher auch nicht widersprüchlich gehandelt, wenn sie zunächst versucht habe, das Lehrverhältnis in ein Umschulungsverhältnis umzuwandeln, da sie erst durch die amtsärztliche Untersuchung vom 17. September 1969 von der Sehbehinderung des Klägers erfahren habe.

Mit der - zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung von Artikel 12 des Grundgesetzes (GG) durch das LSG. Nach dieser Vorschrift hätten alle Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Dies habe der Kläger getan. Die Beklagte habe ihn während seiner Ausbildung unangemessen beeinträchtigt, weil sie ihm die geldlichen Mittel vorenthalten habe, die sie anderen gewährte. Die Beklagte habe sich nicht auf das Gutachten des Amtsarztes stützen dürfen; dieser habe den Kläger im übrigen nicht für ungeeignet, sondern nur für "wenig geeignet" erklärt. Die Fachpsychologin hingegen habe überhaupt keine Bedenken gegen den beabsichtigten Beruf geäußert. Rückschauend sei festzustellen, daß der Kläger die Ausbildungszeit ohne Unfall zurückgelegt und die Facharbeiterprüfung mit guten Ergebnissen bestanden habe. Infolgedessen sei die Vorenthaltung der finanziellen Förderung verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Ungeeignet könne ein Bewerber für einen bestimmten Beruf nur dann sein, wenn er eine vorgeschriebene Eignungsprüfung nicht bestanden habe; nur eine solche Regelung sei im Interesse der Gemeinschaft getroffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könne nur in diesen Fällen davon ausgegangen werden, daß Schäden oder Gefahren für die Allgemeinheit bestünden. Davon könne hier jedoch keine Rede sein. Daß der Kläger sich möglicherweise in dem von ihm gewählten Beruf selber gefährde, sei sein eigenes Risiko und rechtlich nicht zu beanstanden. Im übrigen sei festzustellen, daß bis heute ein selbst verschuldeter Unfall nicht eingetreten sei.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG Bremen vom 17. Mai 1971 sowie der Bescheide der Beklagten vom 15. Dezember 1969 und vom 6. Mai 1970 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 13. Mai 1970 und vom 10. Juni 1970 die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 1. Februar bis 30. Juni 1969 Unterhaltsgeld und für die Zeit vom 1. Juli 1969 bis 31. Januar 1972 Berufsausbildungsbeihilfe in der gesetzlichen Höhe zu gewähren und ihm darüber einen Bescheid zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers seien nicht gerechtfertigt; denn Art. 12 Abs. 1 GG sichere nur die Ausübung des Grundrechts der Freiheit der Berufswahl, bewahre jedoch nicht vor ungünstigen Folgen, die im Einzelfall aus der Ausübung erwachsen könnten.

Beide Beteiligte sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Ein Anspruch des Klägers auf Förderung seiner Ausbildung zum Schiffbauer ist nicht gegeben.

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß sich der Anspruch des Klägers für die Zeit von Beginn seiner Lehre (1. Februar 1969) bis zum 30. Juni 1969 nach den Vorschriften des AVAVG, für die Zeit ab 1. Juli 1969 nach denen des AFG richtet. Dies entspricht den Anträgen des Klägers: Wie vor dem SG und dem LSG begehrt er auch im Revisionsverfahren zur Förderung seiner Ausbildung zum Schiffbauer für die Zeit bis 30. Juni 1969 Uhg, für die Zeit ab 1. Juli 1969 BAB. Gemäß § 123 SGG ist von dem so eindeutig zum Ausdruck gebrachten Klageanspruch auszugehen.

Der Anspruch für die Zeit bis 30. Juni 1969 richtet sich nach den §§ 133, 133 a AVAVG idF des 7. Änderungsgesetzes zum AVAVG vom 10. März 1967 (BGBl I, 266), insoweit in Kraft seit 1. April 1967. Danach kann die Beklagte Teilnehmern an Maßnahmen Uhg gewähren, welche der Vorbereitung auf den Beruf, der beruflichen Fortbildung und Umschulung dienen oder geeignet sind, die Kenntnisse und Fähigkeiten von Beziehern von Arbeitslosengeld (Alg) zu erhalten oder zu erweitern und damit die Vermittlung in Arbeit zu fördern. Gemäß § 138 (iVm § 137) AVAVG erläßt der Verwaltungsrat mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit (BMA) zur Durchführung der Maßnahmen u. a. nach §§ 133, 133 a AVAVG Allgemeine Richtlinien. Dies ist in den RL vom 22. März 1967 geschehen. Von diesen RL hat das LSG zu Unrecht angenommen, daß es sich um autonomes Recht handele. Auf die Entscheidung des Senats vom 17. Februar 1965 in SozR Nr. 1 zu § 143 b AVAVG konnte sich das LSG hierzu nicht berufen. Abgesehen davon, daß der Senat in jenem Urteil bereits entschieden hat, daß die Richtlinien zu § 143 b AVAVG nur die einheitliche Durchführung der bei der Förderung zu treffenden Ermessensentscheidung regeln (Selbstbindung der Verwaltung), ermächtigte § 143 b AVAVG den Verwaltungsrat zur Zulassung der Leistungsgewährung, während § 138 AVAVG lediglich die Ermächtigung zur Durchführung von Maßnahmen enthielt, die das Gesetz selbst schon vorsieht. Danach können die RL nach § 138 AVAVG nicht als autonomes Satzungsrecht angesehen werden, deren Inhalt die Gerichte - soweit er ermächtigungskonform ist - bindet. Vielmehr haben sie nur die Qualität allgemeiner Verwaltungsvorschriften i. S. von Art. 86 GG (vgl. Draeger-Buchwitz-Schönefelder, Komm. z. AVAVG, § 138, II); sie bewirkten Bindung nur im Innenverhältnis, d. h. für die Dienststellen der BA. Inhaltlich stellten sie die mit Selbstbindung formulierte Ausübung des nach §§ 133, 133 a AVAVG bestehenden Ermessens der BA zur Förderung von Maßnahmen der beruflichen Bildung dar. Insoweit sind sie auch für die Gerichte von Bedeutung. Soweit ihr Inhalt den Rahmen des der BA eingeräumten Ermessens nicht verläßt, er sich also weder als Ermessensfehlgebrauch noch als Ermessensüberschreitung darstellt, ist er zu beachten (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG; vgl. auch BSG in SozR Nr. 1 zu § 137 AVAVG).

Die RL schlossen die "übliche Berufsausbildung" von der Förderung aus (Nr. 4 a RL). Damit ist der Ermessensrahmen des § 133 AVAVG nicht verlassen worden; denn jene Vorschrift betraf inhaltlich Bildungsmaßnahmen, die nicht der geregelten Berufsausbildung zuzuordnen sind, insbesondere Fortbildung und Umschulung. Das gilt auch für die Maßnahmen, die "der Vorbereitung auf den Beruf" dienen. Nach den Motiven des Gesetzes (vgl. Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, Drucksache 2714 S. 15 zu § 135) sollten derartige Maßnahmen für Jugendliche gefördert werden, die noch nicht in einem Lehr- oder Anlernverhältnis stehen oder gestanden haben. Außerdem findet sich für die Förderung der Berufsausbildung die gesetzliche Regelung in § 131 AVAVG. Der Ausschluß der üblichen Berufsausbildung von der Förderung nach § 133 AVAVG ist daher unter dem Gesichtspunkt des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG nicht zu beanstanden (vgl. auch Draeger-Buchwitz-Schönefelder, aaO, Anm. 2 zu § 133).

Das LSG ist davon ausgegangen, daß es sich hier um eine solche "übliche Berufsausbildung" handelt. Das ist eine Frage der inhaltlichen Zuordnung. Der Zeitfaktor den das LSG als Maßstab genommen hat (Umschulung müsse stets von kürzerer Dauer sein als eine normale berufliche Ausbildung), erscheint nicht als taugliches Abgrenzungsmerkmal. So sahen die RL in Nr. 22 Abs. 3 selbst vor, daß unter bestimmten Umständen auch solche Maßnahmen gefördert werden können, die länger als zwei Jahre dauern.

Die Frage, ob die Lehre des Klägers für ihn i. S. der RL inhaltlich Berufsausbildung oder berufliche Umschulung darstellt, braucht indes nicht abschließend entschieden zu werden. Selbst wenn sie nämlich inhaltlich auch nach dem vor dem 1. Juli 1969 geltenden Recht als berufliche Umschulung einzuordnen wäre, käme die Gewährung von Uhg nach den §§ 133, 133 a AVAVG i. V. m. den RL nur in Betracht, wenn der Kläger für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet war. Nr. 9 Abs. 1 RL schreibt vor: "Die Teilnehmer an einer Maßnahme sind zu beraten und nach ihrer körperlichen und geistigen Veranlagung sowie nach ihrer sonstigen persönlichen Eignung auszuwählen. Auf die Neigung und sonstigen individuellen Umstände ist soweit als möglich Bedacht zu nehmen".

Darin kommt der Grundgedanke zum Ausdruck, daß eine Förderung nur erfolgen darf, wenn der Teilnehmer für die Ausübung des angestrebten Berufs persönlich geeignet ist. Diese Regelung hält sich schon deshalb innerhalb des Rahmens des der BA eingeräumten Ermessens, weil auch ohne eine solche ausdrückliche Regelung die Voraussetzung der Eignung als eine jeder staatlichen Bildungsförderung immanente Bedingung anzusehen ist (vgl. z. B. §§ 14, 27, 36, 56 AFG; § 9 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes; § 11 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 - BGBl I, 1881 -; § 556 Abs. 1 Nr. 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -; § 1237 a Abs. 2 Satz 2 RVO; § 14 a Abs. 2 Satz 1 AVG; § 36 a Abs. 2 Satz 2 des Reichsknappschaftsgesetzes; § 26 Abs. 1 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -). Eignung in diesem Sinn ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und bedeutet einmal den Besitz von Fähigkeiten und Kenntnissen, die eine erfolgreiche berufliche Bildung erwarten lassen, d. h. die es wahrscheinlich erscheinen lassen, daß der Teilnehmer das Lehrgangsziel erreichen wird. Dies war nach den Feststellungen des LSG beim Kläger der Fall. Danach besaß der Kläger auch die theoretische und praktische Befähigung für den Beruf des Schiffbauers. - Die erforderliche Eignung für die Teilnahme an einer beruflichen Bildungsmaßnahme besitzt darüber hinaus nur derjenige, der aufgrund seiner körperlichen (gesundheitlichen) Beschaffenheit in der Lage sein wird, den Anforderungen objektiv gerecht zu werden, die der mit der Bildungsmaßnahme angestrebte Beruf an ihn stellen wird. Das trifft nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) für den Kläger nicht zu. Es kommt dafür in diesem Verfahren nur auf die Ausbildung in dem Beruf des Schiffbauers an, für die der Kläger Förderung begehrt. Die praktische Blindheit des Klägers auf dem rechten Auge hat zur Folge, daß er die Tätigkeit eines Schiffbauers nur unter erhöhten Gefahren für sich und Dritte ausüben kann. Diese körperliche Beeinträchtigung des Klägers ist sogar so groß, daß er nach den einschlägigen UVV mit den Arbeiten eines Schiffbauers nicht beschäftigt werden dürfte. Damit ist er im Rechtssinne nicht geeignet für diesen Beruf. Dem steht es nicht entgegen, daß der Kläger diesen Beruf tatsächlich ausübt; denn die Frage der Eignung richtet sich nach objektiven Merkmalen und nicht nach der subjektiven Vorstellung des jeweiligen Teilnehmers an einer Maßnahme. Ebensowenig rechtfertigt sich ein anderes Ergebnis deshalb, weil die Beklagte selbst dem Kläger die Lehrstelle bei der Firma S. vermittelt hat. Sofern ihr daraus überhaupt ein Vorwurf gemacht werden könnte - nach den Feststellungen des LSG hat sie erst durch die ärztliche Untersuchung vom 17. September 1969 von der Sehbeeinträchtigung des Klägers erfahren - bewirkte dies nicht die Begründung eines Anspruchs des Klägers auf Förderung nach §§ 133, 133 a AVAVG.

Soweit es den vom Kläger erhobenen Anspruch auf BAB für die Zeit ab 1. Juli 1969 betrifft, gelten die §§ 33 ff, insbesondere § 40 AFG. Auch hier bedarf die Frage der inhaltlichen Zuordnung der Lehre des Klägers - Ausbildung oder Umschulung - keiner abschließenden Entscheidung. Der Anspruch des Klägers auf Förderung einer Berufsausbildung i. S. von § 40 AFG scheitert hier nämlich ebenfalls daran, daß er für den angestrebten Beruf nicht geeignet ist (§ 36 AFG). Die Eignung in diesem Sinne ist nicht anders zu beurteilen als nach früherem Recht. Sie umfaßt, wie schon ausgeführt, neben den intellektuellen Fähigkeiten für die erfolgreiche Teilnahme an der Bildungsmaßnahme auch die gesundheitlichen Bedingungen, die erforderlich sind, um den Anforderungen des künftigen Berufs objektiv genügen zu können. Selbst wenn der Antrag des Klägers für die Zeit ab 1. Juli 1969 als Antrag auf Förderung einer beruflichen Umschulung gemäß § 47 AFG ausgelegt werden könnte, ergäbe sich nichts anderes; denn der Anspruch auf Förderung einer beruflichen Umschulung nach § 47 AFG setzt ebenfalls die Eignung des Teilnehmers voraus; § 36 AFG gilt auch insoweit. Letztlich kann es sonach dahinstehen, welcher Bildungsart die Ausbildung des Klägers zum Schiffbauer zuzuordnen ist. In jedem Fall hängt ihre Förderung von der Eignung des Klägers für den Beruf des Schiffbauers ab, die aufgrund der vom LSG festgestellten Sachlage objektiv zu verneinen ist.

Dieses Ergebnis widerspricht nicht - wie der Kläger meint dem Grundrecht auf freie Berufswahl nach Art. 12 GG. Art. 12 GG gewährleistet die ungehinderte Ausübung dieses Grundrechts. Er gibt jedoch weder einen Anspruch darauf, in dem frei gewählten Beruf Beschäftigung zu finden (vgl. BAG in NJW 1964, 1921), noch schützt Art. 12 GG vor ungünstigen Folgen, die sich für den einzelnen aus der von ihm getroffenen Berufswahl ergeben können (vgl. BSGE 3, 298, 301; 4, 1, 7). Infolgedessen wird das Recht aus Art. 12 GG auch dann nicht berührt, wenn eine Förderung seitens der Beklagten zur Ausbildung in dem selbst (frei) gewählten Beruf des Antragstellers unterbleibt; denn die Ausübung des durch Art. 12 GG garantierten Berufswahlrechts wird dadurch nicht behindert (vgl. BSG 36, 1, 3).

Das angefochtene Urteil ist demnach zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 291

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