1 Betriebsrisikolehre

Der Arbeitgeber trägt das Risiko von Betriebsstörungen.[1] Er muss in allen Fällen, in denen er die zur Arbeit bereiten Arbeitnehmer aufgrund von Betriebsstörungen nicht beschäftigen kann, Lohn und Gehalt weiterzahlen. Dies folgt daraus, dass der Arbeitgeber den Betrieb und die betriebliche Gestaltung organisiert, leitet, die Verantwortung trägt und die Erträge bezieht. Es ist daher nur konsequent, dass der Arbeitgeber letztlich dafür einstehen muss, dass der Betrieb ordnungsgemäß läuft und die Arbeitnehmer auch bei Betriebsstörungen einen Vergütungsanspruch haben. Gegebenenfalls kann das Betriebsrisiko durch Vereinbarung von Kurzarbeit und Kurzarbeitergeld nach §§ 95 ff. SGB III abgefedert werden.

 
Wichtig

Betriebsschließung in Corona-Pandemie durch allgemeinen Lockdown kein Fall des Betriebsrisikos

Der Arbeitgeber trägt nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen durch behördliche Anordnung in einem Bundesland die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert und nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden (Lockdown).

In einem solchen Fall realisiert sich nicht ein in einem bestimmten Betrieb angelegtes Betriebsrisiko.

Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage.

Es ist Sache des Staates, ggf. für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile – wie es zum Teil mit dem erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld erfolgt ist – zu sorgen. Soweit ein solcher – wie bei geringfügig Beschäftigten – nicht gewährleistet ist, beruht dies auf Lücken im sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem. Aus dem Fehlen nachgelagerter Ansprüche lässt sich jedoch keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers herleiten, so das Bundesarbeitsgericht (BAG).[2]

Die Entscheidung des BAG gilt allerdings nicht für einzelne Betriebsschließungen wegen Corona, z. B. durch die Gesundheitsbehörden wegen "Durchseuchung" des Betriebs mit Corona – hier trägt die Arbeitgeberseite weiterhin das Betriebsrisiko.

Auch für Berufsausbildungsverhältnisse gelten die Grundsätze dieser Risikozuweisung. Dort ist allerdings in § 19 Abs. 1 Nr. 2a BBiG der Vergütungsanspruch auf 6 Wochen begrenzt.

Nicht zum Betriebsrisiko des Arbeitgebers gehört das Wegerisiko. Das Risiko, den Arbeitsplatz (pünktlich) zu erreichen, trägt der Arbeitnehmer. Kann er witterungsbedingt oder wegen Stau oder Ausfall öffentlicher Verkehrsmittel den Arbeitsplatz nicht oder nicht rechtzeitig erreichen, entfällt der Entgeltanspruch.[3]

Von besonderer Bedeutung für die Betriebsrisikolehre ist die Rechtsprechung zum Arbeitskampfrisiko.[4] Hiernach ist vom Betriebs- und Wirtschaftsrisiko das Arbeitskampfrisiko zu unterscheiden. In den Fällen des Arbeitskampfrisikos ist es unerheblich, ob die Arbeitnehmer nicht arbeiten können, weil die Arbeitsleistung unmöglich wurde oder weil der Arbeitgeber sie wirtschaftlich nicht verwerten kann. Bei Arbeitskämpfen steht vielmehr die Kampfparität der Tarifvertragsparteien im Vordergrund. Hieraus folgt nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), dass im Streikfall der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, zur Abwehraussperrung zu greifen (Aussperrung). Der Arbeitgeber kann sich aber auch damit begnügen, die Vergütungszahlung für alle Arbeitnehmer zu verweigern. Treten Störungen in Unternehmen auf, die nicht unmittelbar bestreikt werden, sondern von Fernwirkungen des Streiks in anderen Unternehmen betroffen werden, soll eine Verweigerung der Vergütungsfortzahlung dann möglich sein, wenn anderenfalls die Kampfparität gefährdet würde. Dies ist nach Auffassung des BAG z. B. dann der Fall, wenn der Arbeitgeber auch in anderen Tarifbezirken von den gleichen Verbänden vertreten wird.

2 Abweichende vertragliche Regelungen

Nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit steht es den Arbeitsvertragsparteien zwar frei, im Einzelarbeitsvertrag abweichende Regelungen für Fälle von Betriebsstörungen zu treffen. Allerdings scheitert eine solche Regelung in Formulararbeitsverträgen in der Regel an der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Da mit einer solchen Regelung vom wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abgewichen wird, dürfte hierin eine unangemessene Benachteiligung liegen.[1] Will sich der Arbeitgeber in einzeln ausgehandelten Verträgen[2] in solchen Fällen von der Verpflichtung zur Lohnzahlung freizeichnen, bedarf dies einer klaren und eindeutigen Vereinbarung. Nicht ausreichend wäre etwa eine Formulierung, wie: "Bezahlt wird nur die tatsächliche Arbeitsleistung". Auch in Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen können abweichende Regelungen von der grundsätzlichen Vergütungspflicht des A...

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