Kolumne Entgelt: Bürokratie ohne Praxisbezug

Inzwischen dürfte bekannt sein, dass Verdienstausfallentschädigungen nach dem IfSG und das Kurzarbeitergeld steuerfrei sind. Weniger bekannt dürfte sein, dass es sich bei solchen Zahlungen um Lohnersatzleistungen handelt, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen, der Lohnsteuerbescheinigung zu melden sind und zu Nachzahlungen bei der Einkommensteuer führen können. Unsere Kolumnistin Christiane Droste-Klempp kann kaum fassen, zu welch abenteuerlichen Beanstandungen es diesbezüglich bei Steuerprüfungen kommt.

Wir befinden uns Anfang März 2020 und die Welt – auch die der Gehaltsabrechnung – ist noch in herrlicher Ordnung. Kurz danach: Verwirrung, Ängste, Ratlosigkeit - eine Pandemie in Deutschland. Kein Unternehmen, keine Privatperson hat eine solche Situation in Deutschland für möglich gehalten und folglich war auch niemand darauf vorbereitet. Umso bemerkenswerter ist, wie zeitnah mit einer großzügigen Verordnung zum Kurzarbeitergeld reagiert wurde und immerhin gab es ein Infektionsschutzgesetz, welches Regelungen für Quarantäne und Verdienstausfallentschädigungen vorsah. Gänzlich einleuchtend, dass die Anwendung dieser Spezialregelungen täglich neue Fragestellungen eröffnete. Wer hatte denn bereits irgendwelche Erfahrungen mit dem Kurzarbeitergeld gesammelt, welche Gehaltsabrechnungsprogramme waren hierauf vorbereitet?

Praktische Lösungen waren gefragt

Anwender mussten nun schnell reagieren und Ausfallstunden, die durch Kurzarbeit entstanden sind, korrekt berechnen und dokumentieren, Fragen zu Überstunden, variablen Entgeltbestandteilen, Firmenwagen in Kürze beantworten und im Gehaltsabrechnungssystem – Sie wissen, das Gehalt kann nicht warten – irgendwie erfassen. Bei der Berechnung der Verdienstausfallentschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz wusste keiner, ob nach Kalendertagen oder Arbeitstagen gekürzt werden soll. Plötzlich sprachen auch alle über einen § 616 BGB, was mit Urlaubsrückkehren passieren sollte, wer den Lohn weitergezahlt bekommen und beim wem keine Zahlung mehr erfolgen sollte und überhaupt: Was ist denn zu beachten, wenn Mitarbeiter arbeitsunfähig sind?

Das ist nur ein kleiner Einblick in die Komplexität dieser Sachverhalte. Wem will man nun verübeln, wenn aufgrund von schnellen Entscheidungen auch falsche getroffen wurden, die sich jedoch erst nach einigen Monaten als falsch erwiesen haben. Es kannte sich ja niemand wirklich aus und es fehlte an wichtigen rechtlichen Entscheidungen oder Kommentierungen. Wir befanden bzw. befinden uns eben in einer Pandemie!

Sollte es dann nicht selbstverständlich sein, dass die Institutionen, die für die Überprüfung der anzuwendenden Regelungen zuständig sind, Milde walten lassen?

Penibel bis ins Detail geprüft

Die Praxis zeigt das Gegenteil. Denn im Rahmen von Steuerprüfungen werden die Bescheide für die Erstattungen der Verdienstausfallentschädigung nach dem IfSG ebenso eingefordert wie die der Agentur für Arbeit bezüglich des Kurzarbeitergeldes und nun wird geprüft, ob dieser Betrag, der steuerfrei an die Mitarbeitenden ausgezahlt wurde, Monate später in eben dieser Höhe von der Behörde erstattet wurde. Und glauben Sie mir: aus den genannten Gründen einer Pandemie-Situation passen diese Beträge höchst selten!

Und jetzt, ja jetzt muss korrigiert werden. Das heißt: Sollte ein höherer Betrag, als steuerfrei abgerechnet, von der jeweiligen Behörde erstattet worden sein, dann ist zu viel Steuer an das Finanzamt bezahlt worden oder sollte gar ein geringerer Betrag von der Behörde erstattet worden sein als steuerfrei abgerechnet wurde, dann muss noch Steuer an das Finanzamt gezahlt werden. Dies liest sich in der Theorie einfacher als es in der Praxis umgesetzt werden kann. Denn sobald die Lohnsteuerbescheinigung an das Finanzamt übermittelt wurde – was bei Austritt und für das Kalenderjahr spätestens bis Ende Februar des Folgejahres zu erfolgen hat – kann die Lohnsteuer über die Gehaltsabrechnung nicht mehr korrigiert werden. Somit muss eine nach § 41c EStG haftungsbefreiende Anzeige beim Finanzamt erfolgen.

Wenn sich nun bei hunderten oder gar tausenden von Fällen Differenzen ergeben – vielleicht auch nur 6,83 Euro oder 24,50 Euro - sollte dies dann nicht im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung toleriert werden? Schließlich befinden wir uns in einer Pandemie!

Nein, zeigt die Praxis. Alles muss seine Ordnung haben und auch rückwirkend bis ins kleinste Detail den Regelungen entsprechen. Wie herrlich leicht haben es die Prüfer jetzt, Inhalte zu beanstanden, die heute klar sind und damals keiner kannte. Corona hat uns so deutlich wie noch nie vor Augen geführt, dass unsere Bürokratie völlig den Praxisbezug verloren hat!


Christiane Droste-Klempp arbeitet im eigenen Unternehmen als Trainerin, Beraterin und Projektleiterin für sämtliche Themen des Lohnsteuer- und Sozialversicherungsrechts und berät seit vielen Jahren Unternehmen bei der Auswahl und Umsetzung strategischer Personalmodelle.