Work-Life-Blending: Rechtssichere Gestaltung neuer Arbeitskonzepte
Flexible Arbeitsmodelle führen zu einer zunehmenden Vermischung von Beruf und Privatleben, dem sogenannten "Work-Life-Blending". Beschäftigte sind über moderne Kommunikationsmittel jederzeit erreichbar, verlagern ihren Arbeitsort vorübergehend ins Ausland oder arbeiten regelmäßig im heimischen Arbeitszimmer. Die mit der Verflechtung von Arbeit und Freizeit einhergehenden Rechtsrisiken sollten vom Arbeitgeber umfassend geprüft werden. Denn eine rechtssichere Gestaltung neuer Arbeitskonzepte ist komplex. Das zeigen aktuelle Urteile und Gesetzesvorhaben zu den Themen "ständige Erreichbarkeit", Workation und Homeoffice.
Work-Life-Blending durch ständige Erreichbarkeit
Im Digitalzeitalter können Arbeitgeber Arbeitnehmende über moderne Kommunikationsmittel technisch jederzeit erreichen. Über das Smartphone oder den Laptop werden Nachrichten teilweise auch in der Freizeit der Arbeitnehmenden ausgetauscht. Die ständige Erreichbarkeit von Arbeitnehmenden ist jedoch arbeitsschutz- und arbeitszeitrechtlich problematisch. Das Gesetz sieht in der Regel eine tägliche Arbeitszeit von acht Stunden bei einer ununterbrochenen Ruhezeit von elf Stunden vor (§§ 2, 5 ArbZG). Wird die Ruhezeit durch eine Arbeitsleistung unterbrochen, ist sie erneut vollständig zu gewähren. Inwiefern geringfügige Tätigkeiten wie zum Beispiel das Lesen von beruflichen E-Mails am Abend die Ruhezeit unterbrechen, ist äußerst streitig. In diesem Zusammenhang entschied das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 23. August 2023 (Az. 5 AZR 349), dass ein Arbeitnehmer in seiner Freizeit zur Wahrnehmung der ihm zugewiesenen Dienstzeiten verpflichtet sein kann und das Lesen einer entsprechenden Mitteilung per SMS keine Arbeitszeit darstellen muss (hier lesen Sie mehr zum Urteil).
Ein Recht auf Unerreichbarkeit in der Freizeit besteht demnach nicht. Dennoch sollten Arbeitgeber die Zulässigkeit einer Kontaktaufnahme mit ihren Beschäftigten in deren Freizeit im Einzelfall prüfen. Bei erheblichen Unterbrechungen der Ruhezeiten drohen Bußgelder und die Möglichkeit einer Strafbarkeit (§§ 22, 23 ArbZG). Während einzelne Länder Arbeitgeber zur Regulierung der Erreichbarkeit ihrer Arbeitnehmenden verpflichten (zum Beispiel "Recht auf Abschalten" in Frankreich), sieht der deutsche Gesetzgeber solche konkreten Maßnahmen nicht vor. Allerdings können Arbeitgeber durch Richtlinien zum Umgang mit betrieblichen Kommunikationsmitteln in der Freizeit oder Schulungen zur Differenzierung zwischen Arbeits- und Ruhezeiten (Reisezeit als Arbeitszeit) die Sensibilität ihrer Arbeitnehmenden für arbeitszeitrechtliche Grundsätze schärfen. Eine Überprüfung und Anpassung der Arbeitszeit-Compliance ist nicht zuletzt angesichts der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13. September 2022 (Az. 35/22) und des andauernden Gesetzesverfahren zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung ratsam.
Work-Life-Blending bei Workation
Das vorübergehende Arbeiten aus dem Ausland (Workation) ist nicht nur oftmals ein Wunsch von reisefreudigen Arbeitnehmenden, sondern wird teilweise von Arbeitgebern aktiv im Rahmen des Recruitings (Stichwort "War for talents") angeboten. Die rechtssichere Gestaltung einer Workation ist allerdings sehr komplex. Eine längere berufliche Tätigkeit außerhalb von Deutschland kann zu einer Verlagerung des "gewöhnlichen Arbeitsorts" führen, sodass die Arbeitsvorschriften des jeweiligen ausländischen Rechts zugunsten der Arbeitnehmenden die deutschen Bestimmungen ersetzen. In Frankreich gilt beispielsweise grundsätzlich eine wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden mit der Folge, dass jede darüberhinausgehende Überstunde vergütungspflichtig sein kann. Es droht zudem ein hohes Sanktionsrisiko bei Verstößen gegen die landesspezifischen Vorgaben für ausländische Arbeitnehmende (Arbeitserlaubnis). Steuerliche Konsequenzen (Betriebsstätte im Ausland) sind ebenso zu beachten wie die Frage des anwendbaren Sozialversicherungsrechts (A1-Bescheinigung).
Angesichts dieser vielfältigen Rechtsfragen und Rechtsrisiken lehnte das Arbeitsrecht München mit Urteil vom 27. August 2021 (Az.12 Ga 62/21) einen Anspruch auf Genehmigung einer Auslandsbeschäftigung ab.
Vor der Genehmigung einer Workation sollten Arbeitgeber die gesetzlichen Anforderungen und rechtlichen Auswirkungen umfassend analysieren. Im Wege individualvertraglicher Abreden zur jeweiligen Workation können etwaige Informationspflichten erfüllt (§ 2 Abs. 2 NachwG) und die Ausgestaltung der Workation (Tätigkeitsumfang) präzisiert werden. Allgemeine Grundsätze zur Workation, insbesondere Zustimmungsvoraussetzungen, zeitliche und lokale Einschränkungen und ein Recht des Arbeitgebers auf Rückruf, können durch betriebliche Regelungen für alle Arbeitnehmende festgelegt werden. (Mehr zum Thema Workation lesen Sie im Beitrag "Workation und Homeoffice im Ausland: Was Arbeitgeber beachten müssen").
Work-Life-Blending und Homeoffice
Das regelmäßige Arbeiten aus dem Homeoffice hat sich auch nach der Covid-19-Pandemie etabliert. Ein Recht bzw. eine Pflicht zur Arbeit im Homeoffice sieht das Gesetz dennoch nicht (mehr) vor. Der im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung vorgesehene Anspruch auf eine einzelfallbezogene Erörterung des Wunsches auf Homeoffice wurde bislang nicht umgesetzt. Insofern bedarf es weiterhin einer ausdrücklichen Vereinbarung zur Homeoffice-Tätigkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmenden.
Für Arbeitgeber können sich unter anderem praktische Schwierigkeiten bei der Rückforderung und Kürzung der Vergütung wegen mangelnder Arbeitsleistung im Homeoffice (sogenannte "low performance") ergeben. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 28. September 2023, Az. 5 Sa 15/23) trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast, dass und in welchem Umfang der Arbeitnehmende seine Arbeitspflicht im Homeoffice nicht erfüllt hat. Angesichts des eingeschränkten Zugriffs des Arbeitgebers auf den häuslichen Arbeitsplatz könnte die Beweisführung komplex sein.
Um Streitigkeiten vorzubeugen, sollte die Homeoffice-Vereinbarung entsprechende Regelungen insbesondere zu potenziellen Konfliktfeldern beinhalten. Dies betrifft etwa die Frage der Übernahme bzw. der Erstattung von Kosten im Homeoffice. Ferner erscheint bei dauerhaften Tätigkeiten im Homeoffice die Delegation der Pflicht des Arbeitgebers zur Aufzeichnung der Arbeitszeit auf den jeweiligen Arbeitnehmer sinnvoll. Um die Einhaltung des Arbeitsschutzes überwachen zu können, sollte dem Arbeitgeber ein Zutrittsrecht zur heimischen Arbeitsstätte eingeräumt werden. Andernfalls wäre ein Betreten der Wohnung aufgrund ihres grundrechtlichen Schutzes durch Art. 13 GG nicht möglich.
Ausblick: Komplexe Regelungen nötig
Die obigen Aspekte zeigen beispielhaft und nicht abschließend die Komplexität der Regelung von flexiblen Arbeitsmodellen angesichts des Phänomens Work-Life-Blending. Die Verflechtung von Arbeit und Freizeit mag weitere vielfältige individualrechtliche Auswirkungen haben (wie auch hinsichtlich des Phänomens "Bleisure Travel"). Kollektivrechtlich könnten zudem etwaige Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu beachten sein. Um den rechtlichen Anforderungen durch das Gesetz und der Rechtsprechung gerecht zu werden, sollten Arbeitgeber daher frühzeitig entsprechende Rahmenbedingungen treffen.
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