Wann rechtfertigt der Kirchenaustritt eine Kündigung?

Ist es zulässig, dass kirchliche Arbeitgeber Beschäftigten allein aufgrund ihres Austritts aus der katholischen Kirche kündigen? Das soll jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) klären. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat erneut ein Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof vorgelegt.

Es sind Köche, Hebammen oder Sozialpädagoginnen: Immer wieder müssen sich Arbeitsgerichte mit der Wirksamkeit von Kündigungen befassen, die kirchliche Arbeitgeber gegenüber Mitarbeitenden aussprechen, weil diese aus der Kirche ausgetreten sind - und das, obwohl in den meisten dieser Bereiche auch Beschäftigte ohne Religionszugehörigkeit oder mit einer anderen Religionszugehörigkeit tätig sein dürfen.

BAG befragt erneut den EuGH

Erst kürzlich landete das Verfahren um die Kündigung einer Hebamme wegen ihres Austritts aus der katholischen Kirche vor dem EuGH. Sie darf weiterarbeiten. Der Arbeitgeber, der der Caritas angeschlossen ist, hatte nach der mündlichen Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) anerkannt, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst wurde. 

Jetzt hat das BAG dem EuGH erneut einen ähnlichen Fall vorgelegt, damit dieser endgültig klärt, ob ein kirchlicher Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis allein aufgrund der Beendigung der Mitgliedschaft zur katholischen Kirche kündigen darf, wenn der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses aus der katholischen Kirche austritt. In diesem Fall wurde einer Mitarbeiterin in der Schwangerschaftsberatung wegen ihres Austritts aus der katholischen Kirche gekündigt.

Der Fall: Kündigung nach Kirchenaustritt  

Die Arbeitnehmerin ist seit dem Jahr 2006 als Sozialpädagogin bei einem Verein tätig, der der katholischen Kirche angehört und sich der Hilfe für Kinder, Jugendliche, Frauen und ihren Familien in besonderen Lebenslagen widmet. Zu ihren Aufgaben gehört insbesondere die Beratung von schwangeren Frauen. 2013 trat sie aus der katholischen Kirche aus. Zu diesem Zeitpunkt war sie in Elternzeit, die bis 2019 dauerte. Nach dem Ende der Elternzeit versuchte der Arbeitgeber die Mitarbeiterin zum Wiedereintritt in die Kirche zu bewegen. Ohne Erfolg - daher kündigte er das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. Dezember 2019. Zum Zeitpunkt der Kündigung beschäftigte der Arbeitgeber in der Schwangerschaftsberatung vier Arbeitnehmerinnen, die der katholischen Kirche, und zwei Arbeitnehmerinnen, die der evangelischen Kirche angehörten.

Die Vorinstanzen hielten beide Kündigungen für unwirksam. Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat das Verfahren über die Revision des Arbeitgebers ausgesetzt.

Rechtfertigt Kirchenaustritt die Kündigung?

Zunächst soll der EuGH beantworten, ob die Ungleichbehandlung der Arbeitnehmerin mit Arbeitnehmern, die niemals Mitglied der katholischen Kirche waren, gerechtfertigt sein kann.

Hinweis: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 1. Februar 2024, Az. 2 AZR 196/22 (A); Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 1. März 2022, Az. 8 Sa 1092/20

EU-Recht verlangt grundsätzlich Gleichbehandlung

Nach mehreren Vorlagen an den EuGH hat das BAG zuletzt die Rechte von Arbeitnehmenden in kirchlichen Einrichtungen gestärkt. So entschied es in unionskonformer Auslegung, dass kirchliche Arbeitgeber bei Stellenausschreibungen nicht pauschal eine bestimmte Religionszugehörigkeit von Bewerbenden voraussetzen dürfen. Auch die Kündigung eines Chefarztes wegen seiner Wiederheirat erklärte es für unwirksam, nachdem der EuGH zuvor erkannt hatte, dass diese dem EU-Diskriminierungsverbot widerspricht.

Der Fall: Kündigung wegen zwischenzeitlichem Kirchenaustritt

Auch in dem Fall der Hebamme, der seitens der Caritas gekündigt wurde, hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) das Verfahren ausgesetzt, um zunächst den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu befragen, inwieweit die Ungleichbehandlung der Hebamme zu anderen Mitarbeitenden, die nie der katholischen Kirche angehörten, gerechtfertigt sein kann. Zu einer Entscheidung kam es letztlich nicht. 

Die Hebamme war lange bei ihrem kirchlichen Arbeitgeber, einem Dortmunder Krankenhaus, das der Caritas angeschlossen ist, beschäftigt. Dann machte sie sich im Jahr 2014 selbstständig und trat im Herbst desselben Jahres aus der Kirche aus. 2019 kam es zu einer erneuten Festanstellung der Hebamme.

Bei ihrem Einstellungsgespräch im Frühling wurde der Kirchenaustritt nicht thematisiert. Sie unterschrieb den Arbeitsvertrag, den sie zusammen mit dem Personalbogen dem Arbeitgeber übersandte. Dort hatte sie ihre fehlende Religionszugehörigkeit angegeben, was dem Arbeitgeber erst später auffiel. Nachdem Überredungsversuche, sie zum erneuten Kircheneintritt zu bewegen, scheiterten, kündigte ihr der Arbeitgeber im Juli noch in der Probezeit.

Diskriminierung wegen Religion aufgrund der Ungleichbehandlung?

Das BAG setzte das Verfahren aus und legte die Sache dem EuGH vor. Dieser sollte klären, inwieweit die Ungleichbehandlung der Hebamme zu anderen Mitarbeitenden, die nie der katholischen Kirche angehörten, gerechtfertigt sein kann. Dies vor dem Hintergrund des Schutzes vor Diskriminierungen wegen Religion, den das EU-Recht zur Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf gewährleistet.

Zu einem Urteil des EuGH kam es nicht: Nach der mündlichen Verhandlung vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs erkannte der Arbeitgeber an, dass das mit der Hebamme bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Arbeitgebers aufgelöst wurde. Das Verfahren vor dem BAG wurde daraufhin durch ein Anerkenntnisurteil beendet.  

Hinweis: Bundesarbeitsgericht, Anerkenntnisurteil vom 14. Dezember 2023, Az: 2 AZR 130/21; Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 21. Juli 2022; Az: 2 AZR 130/21 (A); Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 24. September 2020; Az: 18 Sa 210/20


Das könnte Sie auch interessieren:

Unwirksame Kündigung einer Justiziarin beim Erzbistum Köln

Kein Schadensersatz für ehemaligen Kirchenmusiker

Kirchenaustritt rechtfertig keine fristlose Kündigung