BAG-Urteil

Probezeitkündigung eines Schwerbehinderten war wirksam


Probezeitkündigung eines Schwerbehinderten war wirksam

Arbeitgeber müssen, bevor sie einem schwerbehinderten Arbeitnehmer in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses kündigen, kein Präventionsverfahren durchführen. Das hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt.

Es bleibt dabei: Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, vor einer ordentlichen Kündigung während der im Kündigungsschutzgesetz vorgesehenen sechsmonatigen Wartezeit ein Präventionsverfahren durchzuführen.

Die Vorschrift des § 167 Abs. 1 SGB IX  verpflichtet Arbeitgeber, bei Schwierigkeiten mit einem schwerbehinderten Mitarbeitenden zunächst Maßnahmen zu ergreifen, um einer möglichen Gefährdung des Arbeitsverhältnisses entgegenzuwirken. Allerdings gilt dies laut Bundesarbeitsgericht (BAG) nur für Fälle, in denen das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist, bestätigte das Gericht die Vorinstanz.

Für Unsicherheit gesorgt hatte hier zuletzt das LAG Köln, das aufgrund einer EuGH-Entscheidung geurteilt hat, dass Arbeitgeber bereits innerhalb der sogenannten Wartezeit, in der ein schwerbehinderter Mensch noch keinen Kündigungsschutz genießt, ein Präventionsverfahren durchführen müssen. 

Der Fall: Probezeitkündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers

Der Arbeitnehmer ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 80. Er war seit Anfang 2023 als Leiter für die Haus- und Betriebstechnik in einem Unternehmen eingesetzt, dass regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt. Ein Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung bestehen nicht. In § 2 seines Arbeitsvertrages wurde eine Probezeit von sechs Monaten mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen vereinbart. Innerhalb der Probezeit kündigte ihm der Arbeitgeber zum 15. April 2023.

Kündigungsschutzklage gegen Kündigung in der Probezeit

Der schwerbehinderte Arbeitnehmer ging gegen diese Kündigung vor. Er berief sich auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 10. Februar 2022, Az. C-485/20 und meinte, dass der Arbeitgeber ihm bei Unzufriedenheit vor einer Kündigung zunächst eine andere Stelle hätte anbieten müssen mit einer Tätigkeitsbeschreibung, der er mit seiner Behinderung hätte gerecht werden können. Zudem rügte er, dass der Arbeitgeber das Präventionsverfahren gemäß § 167 SGB IX als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht durchgeführt habe.

LAG: Präventionsverfahren auch in der Probezeit

Das Arbeitsgericht Köln hatte in einem ähnlich gelagerten Fall zuvor - entgegen der BAG-Rechtsprechung zur Vorgängernorm des § 84 SGB IX (BAG, Urteil vom 21. April 2016, Az. 8 AZR 402/14) - entschieden, dass der Arbeitgeber auch während der gesetzlichen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG verpflichtet sei, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Dies ergebe die unionsrechtskonforme Auslegung der Norm. Diese Verpflichtung hat das LAG Köln mit Urteil vom 12. September 2024, Az. 6 SLa 76/24 bestätigt. Die vom Bundesarbeitsgericht vorgenommene zeitliche Beschränkung ergebe sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch stütze die Auslegung des Gesetzeszweckes das Ergebnis.

Anders sah es das LAG Thüringen und verwies auf die bisherige BAG-Rechtsprechung.

BAG: Präventionsverfahren nur, wenn Kündigungsschutzgesetz anwendbar

Das Bundearbeitsgericht hat in seinem aktuellen Urteil klargestellt, dass es an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält. Für die Erfurter Richter ergab die Auslegung der Vorschrift des § 167 Abs. 1 SGB IX, dass sie ausschließlich für Kündigungen im zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes gilt.

Dies folgte für das BAG schon aus dem Wortlaut der Vorschrift. Das Präventionsverfahren soll danach bei "Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis" durchgeführt werden. Damit werde erkennbar an die Terminologie des Kündigungsschutzgesetzes angeknüpft, nämlich an die in § 1 Abs. 2 KSchG verwendeten Begriffe "Gründe … in der Person", "Gründe … in dem Verhalten" und "dringende betriebliche Erfordernisse". Das Präventionsverfahren wegen der aufgetretenen Schwierigkeiten sei daher nur zu durchlaufen, wenn das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist und ein nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG geeigneter Grund erforderlich ist.

Auslegung im Einklang mit EU-Recht

In seiner ausführlichen Begründung ging das BAG zudem auf die Gesetzessystematik ein. Anders als beispielsweise § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX bei unterlassener Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung sei das Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX gerade keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Die Regelung sei nur eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, welcher aber außerhalb des Geltungsbereiches des Kündigungsschutzgesetzes keine Anwendung finde.

Das BAG betonte zudem, die historische Auslegung. Dass § 167 Abs. 1 SGB IX lediglich im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung finden soll, werde auch dadurch deutlich, dass der Gesetzgeber die Vorschrift trotz der Novellierungen um das Bundesteilhabegesetz und das Teilhabestärkungsgesetz nicht geändert habe, und auch in Kenntnis der BAG-Rechtsprechung nach dem Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention  keinen Anlass für eine Änderungen gesehen habe. Für das Gericht ein Zeichen dafür, dass die BAG-Rechtsprechung toleriert werde.

Eine unionsrechtskonforme Auslegung hielt das BAG für nicht geboten. Denn dem Arbeitnehmer werde in der Wartezeit oder im Kleinbetrieb mit dem Präventionsverfahren keine angemessene Vorkehrung iSv. Art. 5 der EU- Richtlinie vorenthalten.

Wirksame Kündigung in der Probezeit

Das BAG entschied, dass der Arbeitgeber im konkreten Fall weder eine einschlägige Verfahrens- oder Fördervorschrift zugunsten von Arbeitnehmern mit Behinderung verletzt habe, noch eine zu ergreifende positive Maßnahme zugunsten dieser Menschen unterlassen habe.

Hinweis: BAG, Urteil vom 3. April 2025, Az. 2 AZR 178/24; Vorinstanz: LAG Thüringen, Urteil vom 4. Juni 2024, Az. 1 Sa 201/23


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