3.2.1 Allgemeines

 

Rz. 653

Die außerordentliche personenbedingte Kündigung ist vor allem dann von praktischer Relevanz, wenn eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist. Der Ausschluss kann sich aus arbeitsvertraglichen und tariflichen Regelungen oder gesetzlichen Bestimmungen des besonderen Kündigungsschutzes ergeben, etwa bei Betriebsratsmitgliedern.

Die außerordentliche Kündigung erfordert nach § 626 Abs. 1 BGB einen objektiv an sich geeigneten Grund, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung zu beenden, die Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB und eine Abwägung der beidseitigen Interessen, bei der im Ergebnis das unmittelbare Auflösungsinteresse des Arbeitgebers das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers überwiegen muss.[1]

 

Rz. 654

Ein personenbedingter Kündigungsgrund ist grds. nur ausnahmsweise geeignet, eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen. Es ist immer vorrangig zu prüfen, ob nicht mit der Wiederherstellung der Eignung gerechnet werden kann oder ob nicht vorrangig mildere Mittel als eine Kündigung denkbar sind. Bezogen auf eine Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit als personenbedingter Grund einer außerordentlichen Kündigung ist der Prüfungsmaßstab auf allen 3 Stufen erheblich strenger. Die prognostizierten Fehlzeiten (1. Stufe) und die sich aus ihnen ergebenden erheblichen Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen (2. Stufe) müssen deutlich über das Maß hinausgehen, das eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen würde. Zwar muss der Leistungsaustausch nicht komplett entfallen, aber schwer gestört sein. Voraussetzung ist ein gravierendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung (3. Stufe) ist zu prüfen, ob die gravierende Äquivalenzstörung dem Arbeitgeber auf Dauer zuzumuten ist (BAG, Urteil v. 25.4.2018, 2 AZR 6/18[2]).

[1] Hierzu Wege, § 626 BGB.
[2] AP BGB § 626 Krankheit Nr. 18.

3.2.2 Einzelfälle

3.2.2.1 Betriebsratsmitglied

 

Rz. 655

Einem Betriebsratsmitglied kann nach § 15 KSchG, § 626 BGB nur dann gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber bei einem Nichtbetriebsratsmitglied in dieser Situation die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre (BAG, Urteil v. 15.3.2001, 2 AZR 624/99[1]). Dies beruht auf § 78 Satz 2 BetrVG, wonach Betriebsratsmitglieder wegen ihrer Betriebsratstätigkeit nicht benachteiligt werden dürfen. Bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ist dem Arbeitgeber eine Einhaltung der Kündigungsfrist aber regelmäßig zumutbar, weil bei Dauererkrankungen die Entgeltfortzahlungspflicht entfallen ist. Spricht der Arbeitgeber eine außerordentliche personenbedingte Änderungskündigung aus, so ist diese nur dann begründet, wenn die Änderung der Arbeitsbedingungen für den Arbeitgeber unabweisbar notwendig und dem Betriebsratsmitglied zumutbar ist (BAG, Urteil v. 27.9.2001, 2 AZR 487/00[2]).

[1] EzA KSchG n. F. § 15 Nr. 52.
[2] EzA KSchG n. F. § 15 Nr. 54; hierzu Rachor, § 2.

3.2.2.2 Ordentliche Unkündbarkeit

 

Rz. 656

Arbeitsverträge oder Tarifverträge können das Recht des Arbeitgebers zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausschließen. Meist wird dies bei einem höheren Alter des Arbeitnehmers und einer bestimmten Mindestbeschäftigungszeit im Betrieb oder Unternehmen der Fall sein. Da die Berechtigung zur außerordentlichen Kündigung aber nicht wirksam ausgeschlossen werden kann (§ 314 BGB), ist in diesen Fällen unter besonderen Voraussetzungen auch eine außerordentliche personenbedingte Kündigung möglich, die i. d. R. mit einer der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden sozialen Auslauffrist verbunden werden muss. Die außerordentliche Kündigung ist bei ordentlicher Unkündbarkeit nur dann zulässig, wenn das Arbeitsverhältnis ohne die Beendigung inhaltsleer würde, weil der Arbeitnehmer etwa auf Dauer außer Stande ist, eine Arbeitsleistung zu erbringen. Ohne eine außerordentliche Kündigungsmöglichkeit wäre ein Arbeitgeber sonst gezwungen, über Jahre hinweg ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis fortzusetzen, bei dem er sein Direktionsrecht nicht mehr ausüben könnte. So kommt z. B. bei einer haftbedingten Arbeitsverhinderung eine außerordentliche Kündigung eines tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers mit einer der – fiktiven – ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist in Betracht. Ein "an sich" wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB für eine solche Kündigung besteht jedenfalls dann, wenn die vorübergehende Unmöglichkeit der Arbeitsleistung i. S. v. § 275 Abs. 1 BGB mit einer "endgültigen" Unmöglichkeit gleichzusetzen ist (BAG, Urteil v. 22.10.2015, 2 AZR 381/14[1]).

 

Rz. 657

Bei einer solchen Sachlage handelt es sich um einen Dauertatbestand, sodass die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht bereits mit dem Anfang der Nichterbringung der Arbeitsleistung beginnt (BAG, Urteil v. 22.10.2015, 2 AZR 381/14[2]). Der Kündigungsgrund aktualisiert sich mit jedem Tag der Nichtleistung erneut (BAG, Urteil v. 21.3.1996, 2 AZR 455/95[3]). Auch hä...

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