Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung gegenüber ehemaligem Betriebsratsmitglied. Außerordentliche Kündigung gegenüber ehemaligem Betriebsratsmitglied wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit. Kündigung

 

Orientierungssatz

  • Dem Arbeitgeber ist es regelmäßig zumutbar, das Ende des nachwirkenden Kündigungsschutzes gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG abzuwarten und sodann ordentlich zu kündigen, wenn er das Arbeitsverhältnis mit einem ehemaligen Betriebsratsmitglied wegen dauernder krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit beenden will.
  • Ob § 15 KSchG die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist generell ausschließt, bleibt offen.
 

Normenkette

BGB § 626; KSchG § 15 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 22.09.1999; Aktenzeichen 2 Sa 386/99)

ArbG Neumünster (Urteil vom 16.06.1999; Aktenzeichen 1 Ca 137c/99)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 22. September 1999 – 2 Sa 386/99 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch außerordentliche Kündigungen der Beklagten vom 18. Januar sowie vom 15. Februar 1999 beendet worden ist.

Der am 16. Dezember 1963 geborene, verheiratete Kläger, der vier Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet ist, ist bei der Beklagten seit dem 1. September 1989 als Staplerfahrer beschäftigt. Der Kläger hatte zuletzt einen Stundenlohn von 22,86 DM brutto bei einer Arbeitsleistung von 169 Stunden im Monat. Bis Mai 1998 gehörte der Kläger dem Betriebsrat an. Der Kläger hat einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter gestellt.

Am 17. Oktober 1997 erkrankte der Kläger an einem Rückenleiden, welches ihn arbeitsunfähig machte. Im Rahmen einer Wiedereingliederungsmaßnahme setzte die Beklagte ihn ab dem 23. März 1998 in seinem ursprünglichen Tätigkeitsbereich als Staplerfahrer für ca. vier Stunden täglich ein. Die Wiedereingliederungsmaßnahme mußte am 3. April 1998 abgebrochen werden. Unter Berücksichtigung des Belastungsprofils beschäftigte die Beklagte den Kläger im Rahmen einer weiteren Wiedereingliederungsmaßnahme ab 27. Juli 1998 als anzulernenden Maschinisten. Vor Abschluß der Maßnahme erkrankte der Kläger am 12. August 1998 erneut. Nach einer in Absprache mit ihm durchgeführten medizinischen Untersuchung kam der berufsgenossenschaftliche arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Dienst Elmshorn zu dem Ergebnis, daß der Kläger aus arbeitsmedizinischer Sicht dauerhaft weder auf seinem bisherigen Arbeitsplatz (Staplerfahrer mit Heben und Tragen von Lasten bis 30 kg) noch an der Ringmaschine einsetzbar sei.

Die Beklagte leitete mit Schreiben vom 28. September 1998 das Antragsverfahren auf Zustimmung der Fürsorgestelle zur außerordentlichen Kündigung ein. Nachdem die Fürsorgestelle des Kreises Segeberg mit Bescheid vom 15. Oktober 1998 die Zustimmung zur Kündigung versagt hatte, legte die Beklagte mit Schreiben vom 12. November 1998 Widerspruch ein. Am 8. Januar 1999 fand eine Anhörung statt. Am selben Tag erfuhr die Beklagte durch einen Anruf bei der Hauptfürsorgestelle von der im Anschluß an die Anhörung getroffenen Entscheidung, daß dem Widerspruch stattgegeben und die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung erteilt sei. Der Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 1999 wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 1. Februar 1999 zugestellt.

Mit Schreiben vom 11. Januar 1999 unterrichtet die Beklagte den Betriebsrat über die beabsichtigte außerordentliche fristlose, hilfsweise außerordentliche Kündigung mit einer Auslauffrist von drei Monaten. Der Betriebsrat lehnte die Kündigung des Klägers mit Schreiben vom 15. Januar 1999 ab.

Mit Schreiben vom 18. Januar 1999 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit einer Auslauffrist von drei Monaten. Nach Zustellung des Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 1999 kündige die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 5. Februar 1999 vorsorglich erneut außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit dreimonatiger Auslauffrist.

Mit beim Arbeitsgericht am 22. Januar und 12. Februar 1999 eingegangenen Klagen hat sich der Kläger gegen die Kündigungen gewandt. Er hat die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats in Zweifel gezogen und geltend gemacht, seit Anfang März 1999 wieder arbeitsfähig und in der Lage zu sein, bei der Beklagten als Staplerfahrer zu arbeiten. Er sei darüber hinaus sowohl aus ärztlicher als auch aus fachlicher Sicht in der Lage, als Innendienstmitarbeiter im Bereich der Abwassertechnik zu arbeiten. Auf Grund des nachwirkenden Kündigungsschutzes des § 15 KSchG sei eine ordentliche Kündigung bis 31. Mai 1999 ausgeschlossen gewesen. Eine lang andauernde Krankheit rechtfertige keineswegs grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung, nur weil die ordentliche Kündigung ausgeschlossen sei.

Der Kläger hat beantragt,

  • festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 18. Januar 1999 aufgelöst worden ist,
  • festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 5. Februar 1999 aufgelöst worden ist,
  • die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen über den 5. Februar 1999 hinaus als Staplerfahrer mit einem derzeitigen Arbeitsentgelt von 22,86 DM/Stunde weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, der Kläger sei infolge seiner Erkrankung dauerhaft nicht in der Lage, die nach seinem Arbeitsvertrag geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Da die Innendiensttätigkeit überwiegend kaufmännischer Natur sei und insbesondere auch die buchhalterische Abwicklung von Angeboten und Verkauf umfasse, entspreche sie in keiner Weise dem persönlichen Eignungs- und Leistungsprofil eines Arbeitnehmers im gewerblichen Bereich. Daß der Kläger als ehemaliges Betriebsratsmitglied zum Kündigungsszeitpunkt noch nachwirkenden Kündigungsschutz gehabt habe, habe einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne bzw. mit einer sozialen Auslauffrist nicht entgegengestanden. Nach der Rechtsprechung sei eine lang anhaltende Krankheit und dauernde Unfähigkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, grundsätzlich ein möglicher Kündigungsgrund iSv. § 626 BGB zumindest in den Fällen, in denen die ordentliche Kündigung – gleich aus welchem Grund – ausgeschlossen sei.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagen ist unbegründet. Die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung gem. § 626 BGB, § 15 Abs. 1 KSchG sind nicht gegeben.

  • Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, da schon an eine ordentliche Kündigung wegen Erkrankung eines Arbeitnehmers ein strenger Maßstab anzulegen sei, scheide eine außerordentliche Kündigung wegen Krankheit in aller Regel aus. § 15 KSchG schränke die Möglichkeit einer Kündigung gegenüber ehemaligen betriebsverfassungsrechtlichen Funktionsträgern nur auf eine bestimmte Zeit ein und halte das Recht zur außerordentlichen Kündigung ohne Veränderung des Prüfungsmaßstabes aufrecht; die Vorschrift stelle ausdrücklich darauf ab, ob der Arbeitgeber zur Kündigung “aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist” berechtigt sei. Deshalb habe die Beklagte vorliegend auch nicht mit einer Auslauffrist wirksam außerordentlich kündigen können.
  • Dem folgt der Senat jedenfalls im Ergebnis.

    • Fristlos kann einem Betriebsratsmitglied nach § 15 KSchG, § 626 BGB nur gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren Nichtbetriebsratsmitglied dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre (Prüfung anhand der sog. “fiktiven Kündigungsfrist”, vgl. BAG 10. Februar 1999 – 2 ABR 31/98 – BAGE 91, 30, 35 f. mwN). Für den Zeitraum des nachwirkenden Kündigungsschutzes gilt nichts anderes. § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG wiederholt, abgesehen vom Zustimmungserfordernis nach § 103 BetrVG, wörtlich die in § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen.

      Soll wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gekündigt werden, so ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit einem nicht gegen ordentliche Kündigungen geschützten Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist regelmäßig zumutbar, zumal der Arbeitgeber gewöhnlich bereits von seiner Entgeltfortzahlungspflicht befreit ist (BAG 18. Oktober 2000 – 2 AZR 627/99 – NZA 2001, 219 auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen mwN). Dafür, daß bei dem vorliegenden Sachverhalt der Beklagten die Einhaltung der (fiktiven) Kündigungsfrist unzumutbar gewesen sein könnte, ist nichts ersichtlich. Die streitigen Kündigungen konnten deshalb das Arbeitsverhältnis des Klägers jedenfalls nicht fristlos auflösen.

    • Im Ergebnis nichts anders gilt aber auch, soweit die Kündigungen hilfsweise unter Einhaltung einer Auslauffrist ausgesprochen worden sind. Gemäß § 15 Abs. 1 KSchG ist die Kündigung gegenüber einem Betriebsratsmitglied und binnen einen Jahres nach Beendigung seiner Amtszeit nur zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Ob damit eine außerordentliche Kündigung mit einer der Kündigungsfrist bei einer ordentlichen Kündigung entsprechenden Auslauffrist generell unvereinbar wäre (vgl. hierzu KR-Fischermeier 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 133; aA KR-Etzel 5. Aufl. § 15 KSchG Rn. 23), kann vorliegend dahinstehen (vgl. auch BAG 10. Februar 1999 aaO). Es ist nämlich nicht ersichtlich, weshalb es der Beklagten bei der von ihr behaupteten dauerhaften Arbeitsunfähigkeit des Klägers unzumutbar gewesen sein soll, das Ende des nachwirkenden Kündigungsschutzes gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG abzuwarten und sodann dem Kläger fristgerecht zu kündigen. Auch die Beklagte hat keine besonderen Umstände vorgetragen, aus denen sich eine solche Unzumutbarkeit ergeben könnte. Die streitigen Kündigungen sind somit unwirksam, ohne daß es noch auf die weiteren von den Parteien und Vorinstanzen erörterten Rechtsfragen ankäme.
 

Unterschriften

Rost, Bröhl, Fischermeier, Bensinger, Röder

 

Fundstellen

Haufe-Index 901888

NWB 2001, 2906

ARST 2002, 29

SAE 2001, 335

ZAP 2001, 1134

AuA 2002, 93

EzA

NZA-RR 2002, 20

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