BAG, Urteil v. 19.12.2019, 6 AZR 59/19

Leitsätze (amtlich)

1. Die Entscheidung der Tarifvertragsparteien, ein geändertes Vergütungssystem erst ab einem bestimmten Stichtag in Kraft zu setzen, ist gerichtlich nur auf Willkür zu überprüfen.

2. Die Beschränkung der stufengleichen Höhergruppierung nach § 17 Abs. 4 TVöD-AT auf Höhergruppierungen, die ab dem 1.3.2017 erfolgt sind, ist verfassungskonform.

Sachverhalt

Der Kläger war ursprünglich bei der Beklagten als Straßenhilfswärter und nun als Streckenwart in einer Straßenmeisterei beschäftigt. Der TVöD-VKA findet auf das Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung.

Der Kläger wurde bis zum 31.1.2012 nach EG 5 Stufe 6 TVöD (VKA) vergütet. Seit 1.2.2012 ist er in die EG 8 TVöD (VKA) eingruppiert. Nach § 17 Abs. 4 TVöD-AT a. F. wurde er tarifgerecht zunächst der Stufe 3 dieser Entgeltgruppe zugeordnet, seit Februar 2015 befand er sich infolge des Stufenaufstiegs in Stufe 4.

Zum 1.5.2017 wurde ein ca. 4 Jahre jüngerer Beschäftigter, der wie der Kläger als Streckenwart in derselben Straßenmeisterei beschäftigt ist, nach § 17 Abs. 4 TVöD-AT n. F. von der EG 5 Stufe 6 TVöD (VKA) in die EG 8 TVöD (VKA) aufgrund der Neureglung nun stufengleich, d. h. in EG 8 Stufe 6, höhergruppiert.

Der Kläger hat gerichtlich die Feststellung verlangt, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihn ab dem 1.3.2017 ebenfalls nach EG 8 Stufe 6 TVöD (VKA) zu vergüten. Er begründetet dies damit, dass die Beschränkung der stufengleichen Höhergruppierung auf Höhergruppierungen ab dem 1.3.2017, d. h. ab dem Tag des Inkrafttretens der Neufassung des § 17 Abs. 4 TVöD-AT n. F. gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoße; denn sie führe dazu, dass er wesentlich niedriger vergütet werde als sein vergleichbarer Kollege, welcher dieselbe Tätigkeit erst seit dem 1.5.2017 ausübe. Für diese durch die Stichtagsregelung bewirkte Differenzierung gebe es keinen sachlichen Grund. Zudem verstoße sie gegen Art. 33 Abs. 2 GG.

Die Entscheidung

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Was die Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes betrifft, hatte dies bereits das LAG verneint mit der Begründung, die Beklagte habe keine verteilende Entscheidung getroffen, sondern nur Tarifrecht angewandt.

Darüber hinaus hat der Kläger auch aus anderen Rechtsgrundlagen keinen Anspruch auf Vergütung nach EG 8 Stufe 6 TVöD (VKA) ab dem 1.3.2017.

Das Gericht führte hierzu aus, dass die Höhergruppierung des Klägers tarifgerecht gemäß der alten Fassung des § 17 Abs. 4 TVöD-AT erfolgt sei. § 17 Abs. 4 n. F. komme dagegen nicht zur Anwendung; denn die Neuregelung trat gem. § 3 i. V. m. § 4 des Änderungstarifvertrags Nr. 12 zum TVöD erst zum 1.3.2017 in Kraft. Und eine Rückwirkung der Neuregelung über die stufengleiche Höhergruppierung hätten die Tarifvertragsparteien nicht vorgesehen. Dies verstoße nach Ansicht des BAG nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, selbst wenn es – wie vorliegend – hierdurch zu einer Besserstellung der von § 17 Abs. 4 TVöD-AT n. F. erfassten Beschäftigten gegenüber denjenigen kommen könne, die bereits vor dem 1.3.2017 höhergruppiert worden waren.

Weiter urteilte das BAG, dass die gewählte Stichtagsregelung nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Das Gericht führte hierzu aus, dass Stichtagsregelungen "Typisierungen in der Zeit" seien, und obwohl jeder Stichtag unvermeidlich Härten mit sich bringe, seien solche Regelungen aus Gründen der Praktikabilität zur Abgrenzung der begünstigten Personenkreise grundsätzlich zulässig, wenn sich die Wahl des Stichtags am gegebenen Sachverhalt orientiere und demnach sachlich vertretbar sei. Stellten die Tarifvertragsparteien ein Vergütungssystem um, wie hier die Regelungen für eine Stufenzuordnung nach Höher- oder Herabgruppierung, dann sei dafür ein Stichtag unabdingbar. Einen solchen Stichtag dürften die Tarifvertragsparteien auch in den Grenzen des Vertrauensschutzes frei aushandeln und auch autonom bestimmen, für welche Personenkreise und ab welchem Zeitpunkt es Übergangs- oder Besitzstandsregelungen geben solle. Es sei hierbei lediglich eine Willkürkontrolle durchzuführen. Im vorliegenden Fall sei eine Willkür offenkundig nicht ersichtlich; denn die Geltung des neu gefassten § 17 Abs. 4 TVöD-AT ab dem 1.3.2017 sei Teil eines tariflichen Gesamtkompromisses im Rahmen der Neustrukturierung des gesamten Vergütungssystems gewesen. Die Tarifvertragsparteien hatten den Stichtag nicht willkürlich gewählt, sondern hätten ein ausgewogenes Gesamtkonzept vor Augen gehabt. Die ausschließlich zukunftsbezogene Umstellung der Regelungen zur Stufenzuordnung nach einer Höhergruppierung sei als Teil des gefundenen Gesamtkompromisses rechtlich nicht zu beanstanden.

Zudem verstoße die Nichtanwendung von § 17 Abs. 4 TVöD-AT n. F. auf vor dem 1.3.2017 erfolgten Höhergruppierungen nicht gegen Art. 33 Abs. 2 GG, da dessen Anwendungsbereich schon nicht eröffnet sei; denn vorliegend gehe es nicht um die Besetzung einer offenen Stelle, sondern u...

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