Beteiligte

Der 4a Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 28. November 1985 für Recht erkannt: Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. Juni 1983..

 

Tatbestand

I

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU).

Der im Januar 1925 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Er arbeitete nach dem Kriegsdienst zunächst als Hilfsarbeiter und ab September 1946 bei der Reichs- bzw. bei der Deutschen Bundesbahn als Werkhelfer, Elektrokarrenführer, Bundesbahnarbeiter, Hilfszugschaffner (13 Monate), Betriebsarbeiter und ab Oktober 1953 als Rangierarbeiter (Lohngruppe V des Lohntarifvertrags für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn -LTV-). Seit Juni 1955 arbeitete er ständig im Zugbegleitdienst, und zwar zunächst als Hilfszugschaffner (Lohngruppe IV). Nach Ablegung der Zugschaffnerprüfungen wurde er ab Juni 1958 von der Deutschen Bundesbahn als Bundesbahnschaffner ins Beamtenverhältnis übernommen (Besoldungsgruppe A 2) und schied deshalb aus der Versicherungspflicht aus. Ab 1. Januar 1967 arbeitete er als Zugführer (Besoldungsgruppe A 5). Zum 31. Januar 1980 wurde er als Bundesbahnobersekretär (Besoldungsgruppe A 7) aus Gesundheitsgründen vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Er bezieht Ruhegehalt.

Den im November 1979 gestellten Antrag des Klägers auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit lehnte die beklagte Bundesbahn-Versicherungsanstalt mit Bescheid vom 25. Februar 1980 ab, weil der Kläger nach dem Ergebnis der ärztlichen Untersuchungen noch leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne.

Die hiergegen erhobene Klage ist vor dem Sozialgericht (SG) ohne Erfolg geblieben. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte in der angefochtenen Entscheidung vom 7. Juni 1983 verurteilt, dem Kläger ab 1. Dezember 1979 Rente wegen BU zu gewähren. In der Begründung stützt sich das LSG außer auf die Gutachten der medizinischen Sachverständigen auf die Aussage des in der mündlichen Verhandlung am 7. Juni 1983 gehörten Bundesbahn-Oberinspektors S… zur Frage von Tätigkeiten, auf die der Kläger noch verwiesen werden könnte. Durch eine Reihe gewichtiger Gesundheitsstörungen sei der Klägerin seiner Erwerbsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Er könne nicht mehr schwere und gleichbleibend mittelschwere, sondern nur noch solche körperlich leichten Arbeiten verrichten, bei denen Zwangshaltung, darüber hinaus besondere Anforderungen an die Wahrnehmungsfähigkeit und Aufmerksamkeit sowie Zeitdruck, Wechselschichten und Zugluft ausgeschlossen seien. "Bisheriger Beruf" des Klägers i.S. von § 1246 Abs. 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei dessen letzte versicherungspflichtige, in Lohngruppe IV LTV eingestuft gewesene Tätigkeit als Hilfszugschaffner, deren Wert der eines Facharbeiters entsprochen habe (Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts -PSG- vom 15. Juli 1982 - 5b RJ 90/81). Die Bundesbahn habe diese Einstufung vorgenommen, weil es sich bei ihr um eine Beamtentätigkeit handele und die Grundeinstufung der Beamtentätigkeit der Einstufung des qualifizierten Facharbeiters entspreche. Allerdings könne der Kläger nicht auf Facharbeiter-Tätigkeiten verwiesen werden, weil er nicht über entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten verfüge. Die Verweisung auf herausgehobene angelernte Arbeiten scheitere daran, daß der Kläger aufgrund der "präinvolutiven Reaktionslage" mit verlangsamter Reaktion und Schwerfälligkeit erhöhten Anforderungen an das Konzentrationsvermögen und an die Aufmerksamkeit nicht mehr gewachsen sei. Für den Kläger kämen allenfalls noch "vereinzelte Arbeitsgelegenheiten" wie die des Filmvorführers in Betracht. Auf sie könne er aber nicht verwiesen werden.

Mit der hiergegen vom Senat zugelassenen Revision bringt die Beklagte vor: Für den qualitativen Wert des bisherigen Berufs des Versicherten sei nicht allein die tarifliche Einstufung maßgebend. Bei der Schaffnertätigkeit handele es sich um eine Beamtentätigkeit, die in der Regel von Beamten des einfachen Dienstes wahrgenommen werde. Stehe für eine solche Tätigkeit ein Beamter nicht zur Verfügung, so sehe der LTV bei der Beschäftigung eines Arbeiters als Schaffner die Lohngruppe IV für einen "Beamtendiensttuer" nur deshalb vor, weil die Verwendung eines Arbeiters auf einem Beamtendienstposten - also ein qualitätsfremdes Merkmal - besonders honoriert werden solle. Dabei handele es sich um soziale Gründe, nämlich darum, zu vermeiden, daß der Beamtendiensttuer geringeren Lohn erhalte als ein vergleichbarer Beamter, der keine Sozialbeiträge zu zahlen habe. Für die Tätigkeit eines Schaffners sei eine Ausbildung im üblichen Sinn nicht erforderlich. Eine betriebliche Einweisung bzw. Einarbeitung reiche aus. Vor dem erstmaligen Einsatz als Schaffner erhalte ein Versicherter eine kurzfristige verwendungsmäßige betriebliche Einweisung, die einschließlich der vorbereitenden Beschäftigung insgesamt dreieinhalb Monate dauere. Werde er später zur Beamtenlaufbahn zugelassen, so durchlaufe er die Laufbahnausbildung zum Schaffner, die weitere 6 Monate dauere. Im Hinblick auf die kurze Einweisungszeit entspreche die Schaffnertätigkeit einer angelernten Tätigkeit i.S. der Rechtsprechung des BSG. Der Hilfszugschaffner verfüge über keine theoretischen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten, die von einem voll ausgebildeten Facharbeiter verlangt werden. Er wäre wegen der ihm fehlenden theoretischen Kenntnisse kaum verweisbar. Das würde bedeuten, daß ein voll ausgebildeter Facharbeiter in der Regel ohne weiteres verwiesen werden könne, während dies bei einem Versicherten der vorstehend genannten Art wegen fehlender Kenntnisse nicht möglich wäre. Der Kläger, der nur eine verkürzte Anlernzeit durchlaufen habe, könne zumutbar noch auf die Tätigkeit eines Amtsgehilfen, bei der Behandlung der aus- und eingehenden Postsachen in einer zentralen Stelle (Lohngruppe V) verwiesen werden.

Die Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts vom 7. Juni 1983 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 26. März 1981 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, das LSG sei in Übereinstimmung mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zutreffend davon ausgegangen, daß ihm als Hilfszugschaffner der Lohngruppe IV der Berufsschutz eines Facharbeiters zustehe. Als Facharbeiter könne er zumutbar nur auf angelernte Arbeiten und herausgehobene ungelernte Arbeiten, soweit diese tariflich wie sonstige angelernte Arbeiten eingestuft sind, verwiesen werden. Der Hinweis der Beklagten auf die Möglichkeit einer Verweisung als Amtsgehilfe sei unbeachtlich, da es sich hierbei um neues tatsächliches Vorbringen handele. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG erstrecke sich der Berufsschutz eines Facharbeiters nicht nur auf gelernte Arbeiter, sondern auch auf gleichhoch zu bewertende andere Arbeitertätigkeiten. Diese rechtliche Gleichstellung mit dem gelernten Arbeiter erstrecke sich aber auch auf entsprechend hoch zu bewertende Beamtentätigkeiten, die von Arbeitern verrichtet würden. Diesen Tätigkeiten sei gemeinsam, daß sie von Arbeitern nach einer relativ kurzen Einarbeitungszeit vollwertig verrichtet werden können. Weit überwiegend handele es sich dabei um Beamtendienstposten der Besoldungsgruppe A 2. Die Zuordnung von Beamtentätigkeiten in die Lohngruppe IV beruhe nicht auf qualitätsfremden Erwägungen. Die weitere neue Tatsachenbehauptung der Beklagten, für die hohe tarifliche Einstufung des Klägers sei die besondere Honorierung einer Beamtentätigkeit maßgebend gewesen, lasse sich aus dem Tarifvertrag nicht herleiten. Für den Bundesbahnbetrieb gebe es noch keine Dienstleistungsfachkraft als staatlich anerkannten Ausbildungsberuf. Wichtig sei aber, daß für Jugendliche eine dreijährige Ausbildungszeit für den einfachen Dienst bei der Deutschen Bundesbahn vorgesehen sei.

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Nach § 1246 Abs. 2 Satz 1 RVO ist berufsunfähig (bu) ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen und geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fertigkeiten herabgesunken ist. Dabei umfaßt nach Satz 2 a.a.O. "der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit des Versicherten zu beurteilen ist", alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit "zugemutet werden können". Das bedeutet, daß der Gesetzgeber dem Versicherten einen Anspruch auf Rente wegen BU nicht schon dann einräumt, wenn er seinen - versicherungspflichtig ausgeübten - "bisherigen Beruf" (= "bisherige Berufstätigkeit") aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr auszuüben in der Lage ist. Vielmehr verlangt das Gesetz von dem Versicherten, daß er, immer bezogen auf seinen "bisherigen Beruf", einen "zumutbaren" beruflichen Abstieg in Kauf nimmt und sich vor Inanspruchnahme einer Rente mit einer geringerwertigen Erwerbstätigkeit zufrieden gibt (BSGE 41, 129, 131). Erst wenn der Versicherte in diesem Sinne nicht auf einem zumutbaren anderen Beruf "verwiesen" werden kann, ist er bu i.S. des Gesetzes. "Zugemutet werden" i.S. von § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO können dem Versicherten alle von ihm - nach seinen gesundheitlichen Kräften und seinen beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten - ausführbaren Tätigkeiten, die nach ihrer im Gesetz angeführten positiven Kennzeichnung - Ausbildung und deren Dauer, besondere Anforderungen, Bedeutung des Berufs im Betrieb -, d.h. nach ihrer Qualität dem bisherigen Beruf nicht zu fern stehen (vgl. z.B. BSG in SozR Nr. 22 zu § 45 des Reichsknappschaftsgesetzes -RKG-; BSGE 38, 153 = SozR 2200 § 1246 Nr. 4; BSGE 41, 129, 132 = SozR 2200 § 1246 Nr. 11; SozR § 1246 Nrn. 27, 29 und ständige Rechtsprechung). Zur praktischen Ausführung dieser Rechtssätze ist das BSG aufgrund einer Beobachtung der tatsächlichen Gegebenheiten der Arbeits- und Berufswelt, wie sie u.a. auch in Tarifverträgen Ausdruck finden, zu der generellen Feststellung gelangt, daß sich die Arbeiterberufe in drei nach ihrer Leistungsqualität - nicht nach der Entlohnung oder nach dem Prestige - hierarchisch geordnete Gruppen aufgliedern: Die unterste Gruppe mit dem Leitberuf des Ungelernten, die mittlere Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten (mit "sonstiger", d.h. nicht dem Facharbeiter entsprechender Ausbildung) und die Gruppe mit dem Leitberuf des Gelernten (Facharbeiter). Darüber steht die - zahlenmäßig kleine - Gruppe mit dem Leitberuf des Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion, dem der besonders qualifizierte Facharbeiter gleichzubehandeln ist ("Vierstufen-Schema", vgl. z.B. BSGE 43, 243, 245 = SozR 2200 § 1246 Nr. 16; BSGE 45, 276, 278 = SozR 2200 § 1246 Nr. 27, 29, 51, 85, 86 und 95 sowie in ständiger Rechtsprechung, vgl. etwa SozR 2200 § 1246 Nr. 126). Als i.S. von § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO zumutbarer beruflicher Abstieg hat die angeführte Rechtsprechung des BSG jeweils den Abstieg zur nächstniedrigen Gruppe angenommen. Hiernach kann z.B. ein Versicherter, der nach seinem bisherigen Beruf in die Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters fällt, auf Tätigkeiten in die Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten (sonstiger Ausbildungsberuf) verwiesen werden, nicht aber auf die Gruppe mit dem Leitberuf des Ungelernten (BSGE 43, 243, 246 = SozR 2200 § 1246 Nr. 16 und 21 und fortan in ständiger Rechtsprechung, vgl. z.B. BSGE 55, 45 = SozR 2200 § 1246 Nr. 107 mit zahlreichen Nachweisen).

Das LSG ist im vorliegenden Fall, ohne daß dies rechtlich zu beanstanden wäre, davon ausgegangen, daß "bisheriger Beruf" (= "bisherige Berufstätigkeit") des Klägers die zuletzt von ihm - vor Aufnahme ins Beamtenverhältnis - versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit eines Hilfszugschaffners gewesen ist. Zur Beantwortung der Frage, in welche der Gruppen des Vierstufen-Schemas der Kläger mit diesem seinem bisherigen Beruf gehört, ist nach der dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung dessen qualitativer Wert zu ermitteln. Der Kläger hat nach dem vom LSG - auch durch Bezugnahme auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten - festgestellten Sachverhalt keine Berufsausbildung durchlaufen, wie sie für den Beruf eines Facharbeiters kennzeichnend ist. Hiernach könnte der Kläger nur dann in die Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters (gelernten Arbeiters) fallen, wenn die von ihm ausgeübte Tätigkeit eines Hilfszugschaffners gleichwohl eine entsprechend hohe Qualität gehabt und er die Befähigung zu ihrer Ausübung durch eine längere berufliche Praxis vollwertig erworben hätte. Denn die in § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO genannte, eine Berufstätigkeit positiv charakterisierende "Berufsausbildung" kennzeichnet grundsätzlich nur den Weg, auf dem der Versicherte in der Regel zu einem qualifizierten Beruf gelangt (vgl. dazu BSG in SozR Nr. 22 zu § 45 RKG; BSGE 38, 153 = SozR 2200 § 1246 Nr. 4; BSGE 41, 129, 132 = SozR 2200 § 1246 Nr. 11; SozR 2200 § 1246 Nr. 29).

In der Praxis bestehen freilich Schwierigkeiten, einen Versicherten in eine der Gruppen des Vierstufen-Schemas einzuordnen, wenn er sich keiner regelrechten Berufsausbildung unterzogen hat, die - insbesondere im Blick auf deren Art und Dauer - die Qualität des Berufs regelmäßig problemlos ausweist. Zur Erleichterung dieser Schwierigkeiten einer zutreffenden - tatsächlichen - Einordnung in eine der vier Gruppen des Schemas hat die Rechtsprechung des BSG die Heranziehung von Tarifverträgen zugelassen. Es hat sich dazu berechtigt gesehen, weil seiner Ansicht nach die Tarifpartner, d.h. die "unmittelbar am Arbeitsleben beteiligten Bevölkerungskreise" durch die Tarifverträge - trotz aller im Einzelfall feststellbaren Mängel - noch relativ zuverlässig eine Bewertung von Berufstätigkeiten vornehmen, die den Anforderungen auch des "Schemas" entspricht. Denn auch die der Berufswelt besonders nahestehenden Tarifpartner berücksichtigen bei der tariflichen Einstufung - wie das BSG bei der Feststellung des Vierstufen-Schemas - die Qualität des Berufs aufgrund seiner positiv zu bewertenden Anforderungen und Merkmale (vgl. BSGE 41, 129, 133 = SozR 2200 § 1246 Nr. 11; SozR 2200 § 1246 Nr. 29). Damit ist den Versicherungsträgern und Gerichten bei der auf tatsächlichem Gebiet liegenden Ermittlung des qualitativen Werts des bisherigen Berufs ein wertvolles Hilfsmittel an die Hand gegeben (vgl. hierzu auch Burger in Hundert Jahre sozialgerichtliche Rechtsprechung, Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes, Band XXVI S. 93, 96 f mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum und die Entscheidung des BSG vom 11. Juli 1985 - 5b RJ 88/84).

Hieran knüpft das LSG im konkreten Fall an, wenn es die den Kläger mit seinem "bisherigen (versicherten) Beruf" als Hilfszugschaffner in die Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters allein deshalb einordnet, weil ihn die Deutsche Bundesbahn in die Lohngruppe IV LTV eingestuft gehabt habe, nach der auch Facharbeiter entlohnt würden. Eine "qualitätsfremde" Einstufung hat das LSG mit der Begründung verneint, daß es sich bei der Tätigkeit des Hilfszugschaffners um eine Beamtentätigkeit handele und Beamte grundsätzlich wie Facharbeiter eingestuft würden. Diese Begründung überzeugt nicht von vornherein: Tätigkeiten von Beamten des einfachen Dienstes sind solche von geringerem qualitativen Wert (Eingangsvoraussetzungen: Hauptschulabschluß "oder gleichwertiger Bildungsstand", danach Vorbereitungsdienst von 6 Monaten, hiernach nur fakultativ die Ablegung einer Prüfung, vgl. C 17, 18 der Verordnung über die Laufbahn der Bundesbeamten -BLV- vom 15. November 1978, zuletzt geändert durch die Verordnung vom 8. Juli 1981 - BGBl. I S. 646). Auch die Entscheidung des 5. Senats des BSG vom 15. Juli 1982 (5b RJ 90/81) beanwortet die Frage der Einstufung des Hilfszugschaffners nicht abschließend. In dieser Entscheidung ist herausgestellt, daß der seinerzeit beklagte Rentenversicherungsträger "auch in der Revisionsinstanz nicht vorgetragen (habe), daß die tarifliche Gleichstellung des Hilfszugschaffners mit dem Bahnfacharbeiter auf (solchen) qualitätsfremden Merkmalen beruht"; deshalb hat dort das BSG keinen Anlaß gesehen, die vom LSG vorgenommene Zuordnung infrage zu stellen. Im vorliegenden Fall dagegen hat der beklagte Versicherungsträger gerade eine solche qualitätsfremde Einstufung des Klägers noch in der Revisionsinstanz mit eingehenden Argumenten behauptet.

Der vorliegende Fall bietet indessen keinen Anlaß, der - nicht von vornherein abzulehnenden - Argumentation der Beklagten im einzelnen nachzugehen, etwa der, die - nach Ansicht der Beklagten - überhöhte tarifliche Einstufung des Hilfszugschaffners bezwecke ausschießlich, dem in der Arbeiterrentenversicherung beitragspflichtigen "Beamtendiensttuer" ein etwa gleichhohes Nettoentgelt wie dem vergleichbaren beitragsfreien Beamten zu sichern. Jedenfalls ist der Kläger der Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten (sonstiger Ausbildungsberuf) zuzuordnen. Eine Einstufung in diese Gruppe hält auch die Beklagte noch in ihrer Revisionsbegründung für zutreffend. Im Hinblick auf die lange Dauer, in der der Kläger vor Aufnahme der Tätigkeit als Hilfszugschaffner bei der Deutschen Bundesbahn in verschiedenen Tätigkeitsbereichen eingesetzt gewesen war - u.a. bereits 1950/51 13 Monate vorübergehend als Hilfszugschaffner - und entsprechende spezielle Berufserfahrungen zu erwerben in der Lage war, im Hinblick ferner auf die 1950 und 1953 abgelegten Zugschaffnerprüfungen sowie unter Berücksichtgung der Tatsache, daß er später als Beamter in den mittleren Dienst übernommen werden konnte, läßt sich der bisherige Beruf des Klägers innerhalb der Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten dem oberen Bereich zuordnen. Dabei ist von Bedeutung, daß die Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten eine "inhomogene und vielschichtige Berufsgruppe" (BSG in SozR 2200 § 1246 Nr. 109 S. 347) darstellt. In sie fallen Versicherte, deren Qualifikation bereits durch eine betriebliche Ausbildung von nur 3 Monaten (vgl. z.B. SozR Nr. 40 zu § 45 RKG; SozR Nr. 54 zu § 1246 RVO; SozR 2200 § 1246 Nr. 33 und Nr. 101), aber auch durch einen anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildung "bis zu 2 Jahren" gekennzeichnet werden (vgl. dazu aus der jüngeren Rechtsprechung des BSG z.B. BSGE 55, 45 = SozR 2200 § 1246 Nr. 107; SozR a.a.O. Nr. 109 und die Entscheidung des erkennenden Senats vom 4. April 1984 - 4 RJ 111/83 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Mit Rücksicht hierauf hat die Rechtsprechung des BSG seit jeher herausgestellt, daß der Versicherte, der innerhalb der Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten deren oberen Bereich - z.B. Regelausbildung bis zu 2 Jahren - angehört, nicht mehr auf alle Tätigkeiten der untersten Gruppe mit dem Leitberuf des Ungelernten verwiesen werden darf. Für eine Verweisung solcher relativ hoch angesiedelter Versicherter scheiden mithin ungelernte Tätigkeiten nur ganz geringen qualitativen Werts als nicht mehr zumutbar aus (vgl. SozR Nr. 32 zu § 1246 RVO; SozR Nr. 16 zu § 46 RKG; BSGE 43, 243, 246 f = SozR 2200 § 1246 Nr. 16; a.a.O. Nr. 109). Vielmehr müssen sich die zumutbaren Verweisungstätigkeiten durch Qualitätsmerkmale, z.B. durch das Erfordernis einer Einweisung und Einarbeitung, oder die Notwendigkeit beruflicher oder betrieblicher Vorkenntnisse auszeichnen. Aus der so eingeschränkten Verweisbarkeit folgt, daß mindestens eine in Betracht kommende Verweisungstätigkeit konkret bezeichnet worden muß. Denn diese Benennung fordert die Rechtsprechung für Facharbeiter stets und selbst für Ungelernte dann, wenn erhebliche Leistungseinschränkungen bestehen.

Die Rechtsprechung des BSG über die nur beschränkte Verweisbarkeit der dem oberen Bereich der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten angehörenden Versicherten stützt im vorliegenden Fall den Anspruch des Klägers. Nach den von der Beklagten nicht angegriffenen, den erkennenden Senat daher nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindenden tatsächlichen Feststellungen kann der Kläger infolge einer präinvolutiven Reaktionslage und einem dadurch eingeschränkten Konzentrationsvermögen, verlangsamte Reaktion und Schwerfälligkeit keine Tätigkeiten mehr verrichten, die sich aus dem Kreise der ungelernten Tätigkeiten durch anspruchsvollere Anforderungen herausheben. Das LSG hat andererseits festgestellt, daß der Kläger mangels einer speziellen Berufsausbildung keine verwertbaren Berufskenntnisse höherer Qualität außerhalb seines bisherigen Berufsbereichs erworben habe. Auch die Einvernahme eines Bundesbahn-Beamten als Sachverständigen durch das LSG hat keine für den Kläger geeigneten Verweisungstätigkeiten ergeben. Das LSG hat die Einsatzfähigkeit des Klägers umfassend sogar in bezug auf Tätigkeiten geprüft, die - wie die eines Filmvorführers - nur ganz geringe fachliche Anforderungen stellen. Insgesamt ist der Kläger nach diesen den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 163 SGG) nur noch in der Lage, ganz einfache ungelernte Tätigkeiten auszuüben.

Da er hierauf nicht verwiesen werden darf, ist er bu i.S. von § 1246 Abs. 2 RVO.

Da der Kläger im übrigen die versicherungstechnischen Voraussetzungen nach § 1246 Abs. 1 RVO in der bis zum 31. Dezember 1983 geltenden Fassung unstreitig erfüllt, hat das LSG dem Kläger zu Recht Versichertenrente zugesprochen. Die Revision der Beklagten gegen die Entscheidung des LSG war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.4a RJ 51/84

Bundessozialgericht

 

Fundstellen

BSGE, 201

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