Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsunfähigkeit. Verweisungstätigkeit. berufskundliches Gutachten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Verwertbarkeit berufskundlicher Gutachten, die in anderen Verfahren erstattet worden sind.

2. Die Klärung der Fähigkeit eines Versicherten, einen bestimmten Beruf auszuüben, erfordert es, die typischen Arbeitsabläufe und Belastungssituationen des Berufes festzustellen (Weiterentwicklung ua von BSG vom 28.11.1978 - 5 RKn 10/77 = SozR 2200 § 1246 Nr 36 und vom 9.12.1981 - 1 RJ 124/80 = SozR 2200 § 1246 Nr 86 und vom 8.9.1982 - 5b RJ 48/82 = SozR 2200 § 1246 Nr 98 und vom 28.8.1991 - 13/5 RJ 47/90 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 und vom 8.10.1992 - 13/5 RJ 24/90 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 29).

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs. 2 S. 2; SGG § 103

 

Verfahrensgang

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 27.06.1988; Aktenzeichen S 14 J 50/86)

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 10.06.1991; Aktenzeichen L 4 J 172/88)

 

Tatbestand

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit (BU/EU).

Der 1939 geborene Kläger erlernte in dreijähriger Lehrzeit den Beruf des Stahlbauschlossers. Mit einer Unterbrechung zwischen 1976 und 1981, in der er nach Ablegung einer Prüfung als Hufbeschlagsschmied diese Tätigkeit selbständig ausübte, war er überwiegend versicherungspflichtig beschäftigt, und zwar ua als Stahlbauschlosser und Vorzeichner, Betriebsschlosser und zuletzt von 1981 bis Ende 1985 als Reparaturschlosser. Vor dem Ausscheiden aus seiner letzten Tätigkeit wurde er nach Lohngruppe 5 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Kalk- und Dolomitindustrie entlohnt. Anschließend meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt als Arbeitsuchender.

Eine im Juli 1984 erlittene Sportverletzung führte zu bleibenden Schäden am linken Bein. Seit Februar 1986 ist der Kläger als Schwerbehinderter mit erheblicher Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen "G") anerkannt.

Den im Oktober 1985 gestellten Rentenantrag des Klägers lehnte die Beklagte nach ärztlicher Begutachtung durch Bescheid vom 22. Januar 1986 mit der Begründung ab, auch unter Berücksichtigung der bei ihm festgestellten Gesundheitsstörungen könne er auf vollschichtige Tätigkeiten in einem Anlernberuf oder auf gehobene Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zumutbar verwiesen werden. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteile des Sozialgerichts ≪SG≫ Düsseldorf vom 27. Juni 1988 und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 1991). Das LSG hatte weitere medizinische Gutachten eingeholt und ein berufskundliches Gutachten des Dipl.-Ing. A. über die Tätigkeiten eines Maßprüfers sowie des Zusammenbaus von kleinen Aggregaten (zB Pumpen) beigezogen, das 1988 in einem anderen Verfahren erstattet worden war. Seine Entscheidung stützte es auf folgende Erwägungen:

Zwar könne der Kläger nach Einschätzung aller medizinischen Sachverständigen seinen bisherigen Beruf als Reparaturschlosser nicht mehr ausüben, sei aber unter Beachtung der von diesen genannten Einschränkungen auf die Tätigkeit eines Aggregatebauers (zB Pumpen) verweisbar. Diese Tätigkeit sei dem Kläger, der als gelernter Schlosser sowie aufgrund seiner tarifvertraglichen Eingruppierung Berufsschutz als Facharbeiter genieße, auch sozial zumutbar, da sie nach der Stellungnahme des berufskundlichen Sachverständigen A. als Facharbeitertätigkeit einzustufen sei, die lediglich eine Einarbeitungszeit von drei Monaten voraussetze und für die eine realistische Einstellungsmöglichkeit vorhanden sei. Aus den Beweisfragen dieser Stellungnahme ergebe sich, daß für solche Tätigkeiten ein Leistungsvermögen ausreiche, das dem des Klägers vollkommen entspreche. Daher habe der Senat keine Veranlassung gesehen, dem hilfsweise gestellten Antrag des Klägers auf Einholung eines weiteren berufskundlichen Gutachtens nachzugehen. Da der Kläger somit noch nicht einmal die Voraussetzungen einer Rente wegen BU erfülle, sei er auch nicht erwerbsunfähig.

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend: Das Urteil des LSG leide an einem Verfahrensmangel, weil das Gericht seinem hilfsweise gestellten Beweisantrag auf Einholung eines berufskundlichen Gutachtens nicht entsprochen habe. Das LSG sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, daß die Beurteilungsgrundlagen des dem Gutachten des Sachverständigen A. zugrundeliegenden Berufungsrechtsstreits mit der Beurteilung des individuellen Leistungsvermögens und den Einstellungschancen des Klägers im Jahr 1991 übereinstimmten. Stelle man auf aktuelle, individuelle Umstände ab, so unterliege es keinem Zweifel, daß ihm, dem Kläger, der Arbeitsmarkt in den vom LSG angesprochenen Verweisungsbereichen verschlossen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG vom 27. Juni 1988 sowie das Urteil des LSG vom 10. Juni 1991 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Januar 1986 zu verurteilen, ihm ab 1. November 1985 Rente wegen EU, hilfsweise wegen BU, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie nimmt zu dem Vorbringen des Klägers im Revisionsverfahren nicht Stellung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG, weil die bisherigen berufungsgerichtlichen Feststellungen eine abschließende Entscheidung noch nicht zulassen. Insbesondere reichen sie nicht aus, um dem Kläger eine zumutbare Verweisungstätigkeit zu benennen.

Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen BU oder EU richtet sich noch nach §§ 1246, 1247 der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der Rentenantrag bereits im Jahr 1985 - also bis zum 31. März 1992 - gestellt worden ist und er sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 bezieht (§ 300 Abs 2 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch ≪SGB VI≫; Ruland, NJW 1992, 1, 7).

Nach § 1246 Abs 2 RVO ist ein Versicherter berufsunfähig, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. EU liegt hingegen vor, wenn der Versicherte aufgrund entsprechender gesundheitlicher Beeinträchtigungen auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben kann oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann (vgl § 1247 Abs 2 RVO). Der erkennende Senat vermag die Beurteilung der Vorinstanzen und der Beklagten, der Kläger könne noch nicht einmal Rente wegen BU beanspruchen, nicht zu bestätigen. Denn die Tatsachenfeststellungen im Berufungsurteil sind teilweise verfahrensfehlerhaft zustande gekommen.

Allerdings ist das LSG bei der Prüfung der BU zutreffend vom bisherigen Beruf des Klägers ausgegangen und hat dazu festgestellt, daß er die zuletzt ausgeübte, körperlich schwere Tätigkeit eines Reparaturschlossers aufgrund der bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen (insbesondere den Verletzungsfolgen am linken Kniegelenk) nicht mehr verrichten könne. Daran ist der erkennende Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden, weil insoweit keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben worden sind.

Die nunmehr erforderliche Suche nach einer sozial und gesundheitlich zumutbaren Verweisungstätigkeit hat bei der Wertigkeit des bisherigen Berufes anzusetzen. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt, wobei der Stufenbildung im Ansatz die zur Erreichung einer bestimmten beruflichen Qualifikation normalerweise erforderliche Ausbildung zugrunde gelegt wurde. Dementsprechend werden die Gruppen von oben nach unten durch folgende Leitberufe charakterisiert: Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion/besonders hochqualifizierter Facharbeiter, Facharbeiter (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), angelernter Arbeiter (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und ungelernter Arbeiter. Die Einordnung eines bestimmten Berufes in dieses Raster erfolgt aber nicht ausschließlich nach der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend sind vielmehr die Qualitätsanforderungen der verrichteten Arbeit, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt also auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO am Ende genannten Merkmale umschrieben wird (vgl zB Senatsurteil vom 8. Oktober 1992 - 13 RJ 41/91 -).

Gemessen an diesen Kriterien ist die bisherige Tätigkeit des Klägers in Übereinstimmung mit dem LSG jedenfalls dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen. Dafür spricht nicht nur der Ausbildungsabschluß in einem verwandten Schlosserberuf, sondern auch die Einstufung, die das LSG anhand der allgemeinen Tätigkeitsmerkmale des hier einschlägigen Tarifvertrages der Kalk- und Dolomitindustrie unter Berücksichtigung einer Auskunft des letzten Arbeitgebers vorgenommen hat. Die weitergehende Frage, ob der Kläger sogar als besonders hoch qualifizierter Facharbeiter anzusehen ist, darf nur dann unbeantwortet bleiben, wenn sich eine Verweisungstätigkeit auf der Ebene der Facharbeiter finden läßt. Ein tieferer sozialer Abstieg wäre Angehörigen der Spitzengruppe nämlich nicht zumutbar. Ob der Kläger ein derart hohes berufliches Niveau erreicht hatte, läßt sich den bisherigen Feststellungen des LSG nicht entnehmen. Dazu müßten die genauen Anforderungen seines letzten Arbeitsplatzes bekannt sein. Gegen eine solche Einstufung spricht allerdings die Eingruppierung durch den Arbeitgeber. Von dieser wird man jedoch zugunsten des Klägers jedenfalls bei klaren Fehleingruppierungen abweichen können (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 103 S 322; SozR 2600 § 46 Nr 13 S 31; s dazu auch Senatsurteil vom 17. Juni 1993 - 13 RJ 23/92 - zur Veröffentlichung bestimmt).

Die Annahme des LSG, der Kläger sei auf die Tätigkeit des Zusammenbaus von kleinen Aggregaten (zB Pumpen) verweisbar, kann nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens auch dann nicht aufrechterhalten werden, wenn es sich dabei um eine Facharbeitertätigkeit handeln sollte. Insofern greift nämlich die Verfahrensrüge des Klägers durch, das LSG habe die Amtsermittlungspflicht verletzt, indem es das beantragte berufskundliche Gutachten nicht eingeholt habe.

Das LSG hat sich für die Benennung der Verweisungstätigkeit auf die berufskundliche Stellungnahme des Dipl.-Ing. A. bezogen, die dieser unter dem 6. April 1988 als Sachverständiger in einem andere Beteiligte betreffenden Verfahren vor dem LSG schriftlich erstattet hatte. Diese ist den Beteiligten zusammen mit dem ihr zugrundeliegenden Beweisbeschluß des LSG lange vor der abschließenden mündlichen Verhandlung zur Kenntnis gebracht worden. Grundsätzlich ist dieses Verfahren nicht zu beanstanden. Das Ausmaß der von Amts wegen vorzunehmenden Sachverhaltsaufklärung und die Wahl der Beweismittel steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, wobei von der Rechtsprechung des BSG die Beiziehung von Gutachten aus früheren Verfahren, insbesondere bei der Ermittlung von berufskundlichen Tatsachen, als zulässiges Beweismittel anerkannt ist (vgl zur Verwertung der "Berufsdokumentation" des LSG Nordrhein-Westfalen: BSG, Urteil vom 14. Mai 1981 - 4 RJ 125/79 -; Urteil vom 30. Juni 1981 - 4 RJ 131/80 -; allgemein BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 4, S 8; Senatsurteil vom 8. Oktober 1992 - 13/5 RJ 24/90 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 29). Insofern begegnet es keinen Bedenken, wenn nicht in jedem Einzelfall eine individuelle Aufklärung über die Anforderungen einer Verweisungstätigkeit erfolgt, sondern in anderen Verfahren gewonnene Erkenntnisse im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, nachdem diese den Parteien zuvor zur Kenntnis und Stellungnahme zugeleitet worden sind (§ 128 Abs 2 SGG). Ob das gewonnene Ergebnis dann ausreicht, einen weitergehenden Beweisantrag unberücksichtigt lassen zu können, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Hier hätte sich das LSG, wie der Kläger zutreffend rügt, zu weiteren berufskundlichen Ermittlungen gedrängt fühlen müssen.

Das LSG hat von der Einholung einer individuellen gutachterlichen Stellungnahme mit der Begründung abgesehen, daß der Sachverständige in dem früheren Verfahren "... ein körperliches Leistungsvermögen zugrunde zu legen hatte, das dem des Klägers vollinhaltlich entspricht. Denn auch insofern war der Sachverständige nach Auskunft über eine Tätigkeit gebeten worden, die ein Arbeitnehmer verrichten kann, der wie der Kläger lediglich körperlich leichte Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen in geschlossenen Räumen, ohne häufiges Bücken oder Knien, ohne Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten sowie ohne Kälte- und Nässeeinwirkung vollschichtig verrichten kann. Dabei hatte der Sachverständige A. das Leistungsvermögen eines 54jährigen Arbeitnehmers zugrunde zu legen, wobei der Kläger zum jetzigen Zeitpunkt erst das 52. Lebensjahr vollendet hat. Aufgrund dieser weitestgehenden Übereinstimmung hatte der Senat keine Bedenken, die Darlegungen des Dipl.-Ing. A. auch in diesem Verfahren im Wege des Urkundsbeweises zu verwerten und sie insoweit zur Grundlage seines Urteils zu machen."

Die vom LSG angenommene Übereinstimmung des Restleistungsvermögens des Klägers mit der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit des seinerzeit zu beurteilenden Versicherten beruht indes auf unzureichenden und zum Teil widersprüchlichen Feststellungen. Sie bildet daher bei der Beurteilung der Verweisbarkeit des Klägers keine ausreichende Grundlage für eine Verwertung des fremden berufskundlichen Gutachtens im Wege des Urkundenbeweises. Vor allem fehlt es an berufskundlichen Feststellungen zu einer vergleichbaren beruflichen Ausgangssituation des Klägers und des anderen Versicherten. Daher ist unklar, ob die Tätigkeit des Zusammenbaus kleiner Aggregate auch dem fachlichen Können des Klägers entspricht. Da der berufliche Werdegang des damals zu beurteilenden Versicherten aus den zum Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits gemachten Unterlagen nicht erkennbar ist, bleibt ebenfalls offen, ob die Aussage des Dipl.-Ing A. , der Versicherte könne die Arbeit eines Aggregatebauers nach einer Einarbeitungszeit von drei Monaten vollwertig verrichten, auch auf den Kläger zutrifft. Von einer Klärung der geistigen sowie fachlichen Anforderungen und Voraussetzungen war nicht etwa deshalb abzusehen, weil der Kläger nach den Feststellungen des LSG als Facharbeiter die abstrakten Tätigkeitsmerkmale der Lohngruppe 7 des Lohnrahmenabkommens (LRA) für die Arbeiter der Metallindustrie Nordrhein-Westfalen (§ 3) erfüllt, in die nach der berufskundlichen Auskunft ein Aggregatebauer einzugruppieren ist. In § 2 Ziff 1 des LRA wird ausdrücklich bestimmt, daß die Arbeitnehmer entsprechend ihren ausgeführten und übertragenen Arbeiten und nicht entsprechend ihrer Berufsbezeichnung in eine Lohngruppe einzugruppieren sind.

Ferner lassen auch die Feststellungen zum körperlichen Leistungsvermögen nicht den vom LSG gezogenen Schluß zu, das von Dipl.-Ing. A. zugrunde gelegte Leistungsvermögen habe dem des Klägers vollkommen entsprochen. Nach dem im Urteil aufgeführten Ergebnis der medizinischen Beweiserhebung kann der Kläger nur noch leichteste bis leichte Arbeiten wechselweise im Sitzen, Gehen und Stehen vollschichtig verrichten (S 14 des Berufungsurteils), während im Rahmen der seinerzeit durchgeführten berufskundlichen Ermittlungen, wie auch aus den Beweisfragen an den Gutachter erkennbar ist, ein Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen zugrunde gelegt worden ist (S 15 des Berufungsurteils). Die oben zitierten Ausführungen des LSG zur Vergleichbarkeit des Leistungsvermögens, wonach der Sachverständige um Auskunft über eine Tätigkeit gebeten worden sei, die im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen verrichtet werden kann (S 16 des Berufungsurteils), stehen hierzu in sachlich erheblichem Widerspruch. Denn dem Umstand, ob Tätigkeiten wahlweise im Sitzen, Gehen und Stehen oder nur im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen möglich sind, kommt im Hinblick auf die beim Kläger festgestellte Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit eine wesentliche Bedeutung zu. Auch insoweit ist die Stellungnahme des Dipl.-Ing. A. im vorliegenden Fall nicht ohne weiteres zu verwerten.

Schließlich hätte auch der dürftige Inhalt der beigezogenen berufskundlichen Äußerung dem LSG Anlaß geben müssen, dem Beweisantrag des Klägers nachzukommen. Zum Umfang der erforderlichen Sachverhaltsaufklärung im Hinblick auf das Gebot der konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit hat das BSG in der Vergangenheit mehrfach Stellung genommen und hierbei wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß wenigstens für eine Tätigkeit konkret geprüft und festgestellt werden muß, welche Anforderungen an sie gestellt werden und ob der Versicherte diesen Anforderungen nach seinem körperlichen und geistigen Leistungsvermögen und seinem beruflichen Können und Wissen gewachsen ist (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 36, S 111; Nr 86, S 269; Nr 98, S 302 jeweils mwN). Diese Rechtsprechung ist in jüngerer Zeit fortentwickelt worden, indem im Hinblick auf die vielfältigen Belastungen und Anforderungen einer beruflichen Tätigkeit regelmäßig eine typisierende Arbeitsplatzbeschreibung über den tatsächlichen Umfang der Anforderungen sowie den Arbeitsablauf und typische Belastungssituationen einzuholen ist (vgl BSG Urteile vom 30. Oktober 1985 - 4a RJ 69/84 -, vom 27. April 1989 - 5 RJ 29/88 -, vom 28. August 1991 - 13/5 RJ 47/90 - in SozR 3-2200 § 1247 Nr 8, S 20, vom 8. Oktober 1992 - 13/5 RJ 24/90 - in SozR 3-2200 § 1246 Nr 29). Diesen Erfordernissen trägt die Stellungnahme von Dipl.-Ing. A. nicht Rechnung. Insbesondere enthält sie keine Angaben zu den fachlichen und körperlichen Anforderungen der aufgeführten Tätigkeiten. Eine derart pauschale Beurteilung mag hingenommen werden können, wenn der Kläger seine Einsetzbarkeit für die in Betracht gezogenen Tätigkeiten einräumt, reicht aber jedenfalls dann nicht aus, wenn er dies unter Beweisantritt bestreitet.

Aufgrund der unzureichenden berufskundlichen Ermittlungen sind auch die zahlreichen medizinischen Gutachten nur begrenzt verwertbar, weil die medizinischen Sachverständigen nicht zu den Leistungsanforderungen in Betracht kommender Verweisungsberufe Stellung nehmen konnten. Dieser Fall zeigt mit besonderer Deutlichkeit, daß der berufskundlichen Ermittlung gleichrangige Bedeutung neben der medizinischen Sachaufklärung einzuräumen ist. Bei dem hier anzutreffenden Mißverhältnis zwischen umfangreicher medizinischer Begutachtung und dürftigen berufskundlichen Grundlagen entstehen nämlich erhebliche Kosten, ohne daß die wirklich entscheidungserheblichen Tatsachen ermittelt werden.

Die vom LSG noch zu treffenden Feststellungen werden sich deshalb nicht auf die allgemeinen beruflichen Anforderungen eines ins Auge gefaßten Verweisungsberufes beschränken können. Vielmehr ergeben sich aus dem vom LSG zugrunde gelegten medizinischen Befund Einschränkungen, die Ermittlungen zu den genauen körperlichen und geistigen Anforderungen der Verweisungstätigkeit erforderlich machen. Denn das Restleistungsvermögen des Klägers ist durch die festgestellte Gehbehinderung nicht unerheblich gemindert. Diesem Gesichtspunkt hat das LSG bisher zu wenig Beachtung geschenkt. Unter Umständen ist hierzu eine ergänzende medizinische Stellungnahme erforderlich, wenn aufgrund einer ausführlichen Tätigkeitsbeschreibung genaue Angaben über die Anforderungen der ins Auge gefaßten Tätigkeiten vorliegen. Es kann aber auch angebracht sein, umgekehrt zunächst detailliertere medizinische Angaben über die Leistungsfähigkeit des Klägers einzuholen und diese dann von einem berufskundlichen Sachverständigen zu dem Berufsbild einer Verweisungstätigkeit in Beziehung setzen zu lassen (so bereits der erkennende Senat im Urteil vom 8. Oktober 1992 - 13/5 RJ 24/90 - aaO). Dabei ist auch den nach Feststellung des LSG vorliegenden weiteren Einschränkungen, wie Vermeidung von Arbeiten verbunden mit Zwangshaltungen, Zeitdruck und in Wechselschicht, durch geeignete berufskundliche Sachaufklärung Rechnung zu tragen.

Schließlich wird auch der vom Kläger aufgeworfenen Frage, ob für die in Betracht zu ziehenden Tätigkeiten Arbeitsplätze in ausreichender Zahl vorhanden sind, nachzugehen sein, da hinsichtlich der bisher ins Auge gefaßten Verweisungstätigkeiten, die nicht ausdrücklich in den herangezogenen Tarifverträgen genannt sind, in Anbetracht des nunmehr verstrichenen Zeitraums die seinerzeit erteilte Auskunft des berufskundlichen Sachverständigen aktualisierungsbedürftig erscheint.

Sollte das LSG nach erneuter Prüfung eine BU des Klägers bejahen, wird es auch das Vorliegen von EU eingehender prüfen müssen. Insoweit reicht der verfahrensfehlerfrei ermittelte Sachverhalt nicht aus, um die Anspruchsvoraussetzungen verneinen zu können. Insbesondere läßt sich ohne weitere Feststellungen nicht beurteilen, ob der Arbeitsmarkt für den Kläger verschlossen ist (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 117, 136; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8). Sollte die Art seiner Leistungsbeeinträchtigung Zweifel aufkommen lassen, ob er noch unter üblichen Arbeitsbedingungen einsetzbar ist, müßte ihm zumindest eine geeignete Verweisungstätigkeit benannt werden. Mit diesen Fragen hat sich das LSG, von seinem Standpunkt aus zu Recht, noch nicht befaßt. Dies wäre ggfs nachzuholen.

Über die Kosten des Verfahrens wird das LSG zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Breith. 1994, 136

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