Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Streitig ist die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU).

Der 1933 geborene Kläger ist gelernter Kfz-Mechaniker. Nachdem er zunächst in seinem Beruf und als Betriebsschlosser tätig gewesen war, arbeitete er von 1979 bis Ende 1988 als Kraftfahrer im Güternahverkehr bei der Firma H. Sch. - Spedition, Güterfern- und Nahverkehr, Lagerung - in H. /S. Laut Bescheinigung dieses Arbeitgebers vom 30. Mai 1989 wurde der Kläger dort nach "Lohngruppe III" des Lohntarifvertrages (LTV) für die gewerblichen Arbeitnehmer des Speditions-, Lagerei- und Transportgewerbes des Landes Nordrhein-Westfalen bezahlt. In der Folgezeit war der Kläger arbeitslos oder arbeitsunfähig krank.

Den Rentenantrag des Klägers vom 18. März 1988 lehnte die Beklagte nach medizinischer Sachaufklärung mit Bescheid vom 13. Juni 1988 ab, weil er noch fähig sei, körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten mit gewissen Einschränkungen vollschichtig auszuüben. Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg (Urteile des Sozialgerichts ≪SG≫ Koblenz vom 10. Januar 1989 und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Rheinland-Pfalz vom 11. Oktober 1991). Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:

Durch seine Abwendung von dem erlernten Beruf eines Kfz-Mechanikers habe der Kläger den Berufsschutz als Facharbeiter verloren, denn von da an habe die angelernte Tätigkeit eines Kraftfahrers seinem Erwerbsleben das Gepräge gegeben. Die Anerkennung von Facharbeiterberufsschutz komme auch nicht etwa deshalb in Betracht, weil er nach Auskunft seines letzten Arbeitgebers nach einer höheren Lohnstufe des einschlägigen LTV entlohnt worden sei. Die neuere Entwicklung der Rechtsprechung zur Bedeutung der tariflichen Einstufung treffe nach Auffassung des Senats den hier zu entscheidenden Fall nicht. Denn der LTV weiche vom Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung ab. Es sei hier nicht zu übersehen, daß auf die besondere Bedeutung der für die Lohngruppeneinstufungen in sonstigen Tarifverträgen wesentlichen Merkmale der Ausbildung und der Qualität der einzelnen Tätigkeit hier gerade kein besonderes Gewicht gelegt werde. Obwohl bereits die Entlohnung des Klägers nur nach der zweitobersten Lohnstufe des LTV schon offenlasse, ob er tatsächlich eine Facharbeitertätigkeit ausgeübt habe, bedürfe es jedenfalls der Feststellung, wie nach den Bewertungsmaßstäben des § 1246 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit zu bewerten sei. Von einer präjudizierenden Wirkung des LTV könne jedenfalls nicht ausgegangen werden. Es sei somit festzustellen, daß dem Kläger allenfalls der Berufsschutz eines Angelernten unterer Stufe zugebilligt werden könne. Als ein solcher könne er aber außer auf andere Anlerntätgkeiten auch auf den allg Arbeitsmarkt verwiesen werden, soweit es sich nicht um ganz einfache Hilfstätigkeiten handele. Es bestünden auch keine Bedenken, daß der Kläger eine vollschichtige Tätigkeit des allg Arbeitsmarktes mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen zumutbar verrichten könne.

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 1246 Abs. 2 RVO und trägt zur Begründung vor:

Entgegen der Rechtsansicht des LSG sei der hier zu beachtende Tarifvertrag sehr wohl geeignet, den qualitativen Wert des Kraftfahrerberufs zu bestimmen und mit dessen Hilfe die Zuordnung in das Mehrstufenschema vorzunehmen. Der LTV unterscheide nach rechtlich relevanten Qualitätsmerkmalen wie Dauer der Ausbildung und besondere Anforderungen der Berufstätigkeit. Je höher die Anforderungen seien, die an eine Berufstätigkeit gestellt würden, um so höher sei der Rang, der in der Tarifvertragshierachie eingenommen werden könne. Nach dem LTV sei der Berufskraftfahrer dem Handwerker gleichgestellt. Diese Bewertung durch die Tarifvertragsparteien sei von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu beachten.

Im Zeitpunkt seines Ausscheidens aus der letzten Beschäftigung habe der LTV vom 28. April 1987 gegolten. Laut Arbeitgeberauskunft sei er nur nach Lohngruppe III vergütet worden. Dabei handele es sich um eine falsche Eingruppierung durch den Arbeitgeber, da nach Lohngruppe III LTV (1987/88) nur Fuhrleute, Möbelträger sowie ständige Lager- und Schuppenarbeiter entlohnt worden seien. Richtig wäre die Lohngruppe I gewesen, die eine Gleichstellung von Kraftfahrern und Handwerkern vornehme. Dazu müßten ggfs noch weitere tatsächliche Feststellungen getroffen werden.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil, das Urteil des SG vom 10. Januar 1989 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 1988 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. März 1988 Versichertenrente wegen BU zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 11. Oktober 1991 zurückzuweisen.

Sie hält die vom Kläger angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG, weil die bisherigen berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen eine abschließende Entscheidung des erkennenden Senats nicht zulassen. Insbesondere reichen sie nicht aus, um die Wertigkeit des bisherigen Berufs des Klägers bestimmen und darauf aufbauend eine zumutbare Verweisungstätigkeit benennen zu können.

Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen BU richtet sich noch nach § 1246 RVO, da der Rentenantrag bereits im Jahre 1988 - also bis zum 31. März 1992 - gestellt worden ist und sich auch auf Leistungen für die Zeit vor dem 1. Januar 1992 bezieht (vgl. § 300 Abs. 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Rentenversicherung - ≪SGB VI≫; dazu auch Ruland, NJW 1992, 1, 7). Berufsunfähig ist nach § 1246 Abs. 2 RVO ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist bei Prüfung der BU Ausgangspunkt der Beurteilung der "bisherige Beruf" des Versicherten (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 107). Dieser ist zuerst zu ermitteln und sodann zu prüfen, ob ihn der Versicherte ohne wesentliche Einschränkungen weiter ausüben kann. Ist der Versicherte nämlich in seinem Beruf noch ausreichend erwerbsfähig i.S. des § 1246 Abs. 2 Sätze 1 und 2 RVO, so ist er nicht berufsunfähig, ohne daß es auf seine Erwerbsfähigkeit in weiteren sog Verweisungstätigkeiten ankommt (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 126).

"Bisheriger Beruf" i.S. des § 1246 Abs. 2 RVO ist, wie das BSG in zahlreichen Entscheidungen ausgesprochen hat (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 130, 164), in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn diese zugleich die qualitativ höchste gewesen ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 53, 66). Bei anderen Fallgestaltungen hat das BSG darauf abgehoben, daß als Hauptberuf nicht unbedingt die letzte, sondern diejenige Berufstätigkeit zugrunde zu legen ist, die der Versicherte bei im wesentlichen ungeschwächter Arbeitskraft eine nennenswerte Zeit ausgeübt hat (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 130 m.w.N.). Insbesondere zu den Schwierigkeiten, die sich für die Feststellung des bisherigen Berufs bei einem Wechsel von einer qualitativ höherwertigen zu einer geringerwertigen Tätigkeit ergeben, hat das BSG in einer Reihe von Entscheidungen Stellung genommen (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 158 m.w.N.).

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die vom Kläger früher ausgeübten Tätigkeiten eines gelernten Kfz-Mechanikers oder eines Betriebsschlossers nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen überhaupt als "bisheriger Beruf" in Betracht kommen, denn jedenfalls hat er sich bis zu seinem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben von diesen Berufen wieder gelöst (vgl. z.B. BSGE 46, 121, 123 = SozR 2600 § 45 Nr. 22 m.w.N.). Eine solche Lösung ist immer dann zu bejahen, wenn der Berufswechsel freiwillig erfolgte (vgl. dazu BSG, Urteil vom 16. Februar 1962 - 4 RJ 183/62 -; Senatsurteil vom 8. Oktober 1992 - 13 RJ 41/91 -). Davon ist hier nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG auszugehen.

Ist demnach die vom Kläger zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Kraftfahrer im Güternahverkehr im Rechtssinne sein bisheriger Beruf gewesen, so fehlt es an Feststellungen des LSG, ob er diesen angesichts seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch ausüben kann. Insbesondere hat es das LSG unterlassen, die körperlichen, geistigen und seelischen Anforderungen dieses Berufes genau festzustellen und diese zu dem Restleistungsvermögen des Klägers in Beziehung zu setzen (vgl. dazu Senatsurteil vom 8. Oktober 1992 - 13/5 RJ 24/90 - SozR 3-2200 § 1246 Nr. 29).

Sollte der Kläger nicht mehr als Kraftfahrer tätig sein können, beurteilt sich die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit nach der Wertigkeit seines bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt, wobei der Stufenbildung im Ansatz die zur Erreichung einer bestimmten beruflichen Qualifikation normalerweise erforderliche Ausbildung zugrunde gelegt wurde. Dementsprechend werden die Gruppen von oben nach unten durch folgende Leitberufe charakterisiert: Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion/besonders hoch qualifizierter Facharbeiter, Facharbeiter (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), angelernter Arbeiter (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbidlungszeit von bis zu zwei Jahren) und ungelernter Arbeiter. Die Einordnung eines bestimmten Berufes in dieses Raster erfolgt aber nicht ausschließlich nach der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend sind vielmehr die Qualitätsanforderungen der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt also auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO am Ende genannten Merkmale umschrieben wird (vgl. z.B. Senatsurteil vom 8. Oktober 1992 - 13 RJ 41/91 -).

Da der Kläger - bezogen auf seine Tätigkeit als Kraftfahrer - keinen Ausbildungsabschluß als Facharbeiter besitzt, kann sein bisheriger Beruf nicht unmittelbar in das dargestellte Schema eingestuft werden. Zwar ist ein Versicherter der Gruppe der Facharbeiter auch dann zuzuordnen, wenn er, ohne die erforderliche Ausbildung durchlaufen zu haben, einen anerkannten Ausbildungsberuf wettbewerbsfähig ausgeübt hat und entsprechend entlohnt worden ist (vgl. dazu allgemein BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 53, 68, 129, 150, 168). Auch insoweit ergeben sich jedoch beim Kläger Einordnungsschwierigkeiten, weil die in der Ausbildungsordnung vorgeschriebene Ausbildung für den von ihm ausgeübten Beruf des Kraftfahrers nicht mehr als zwei Jahre beträgt (Verordnung über die Berufsausbildung zum Berufskraftfahrer vom 26. Oktober 1973, BGBl. I, 1519; siehe dazu z.B. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 140, 149; Senatsurteile vom 17. Dezember 1991 - 13/5 RJ 25/89 -, vom 23. April 1992 - 13/5 RJ 74/90 - und vom 8. Oktober 1992 - 13/5 RJ 24/90 - a.a.O.). Abgesehen davon kann dem Kläger auch im Hinblick auf andere Umstände, insbesondere die anderen in § 1246 Abs. 2 RVO genannten Merkmale, ein Berufsschutz als Facharbeiter zuzubilligen sein, wenn das Gesamtbild der Anforderungen der zuletzt ausgeübten Tätigkeit für die Tarifpartner Veranlassung war, diese Tätigkeit tarifvertraglich den Facharbeitertätigkeiten gleichzustellen.

Soweit die Tarifvertragsparteien eine bestimmte Berufsart im Tarifvertrag aufführen und einer Tarifgruppe zuordnen, kann in der Regel davon ausgegangen werden, daß die tarifvertragliche Einstufung der einzelnen in einer Tarifgruppe genannten Tätigkeiten auf deren Qualität beruht (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 46, 111, 116, 122, 123, 164). Denn die Tarifpartner als die unmittelbar am Arbeitsleben Beteiligten nehmen relativ zuverlässig eine Bewertung von Berufstätigkeiten vor, die den Anforderungen auch des Mehrstufenschemas und der Qualität des Berufs in Bezug auf die nach § 1246 Abs. 2 RVO maßgeblichen Merkmale entspricht. Demgemäß läßt die abstrakte (tarifvertragliche) Einordnung einer bestimmten Berufstätigkeit in eine Tarifgruppe, die hinsichtlich der Qualität der hier aufgeführten Arbeiten durch den Leitberuf des Facharbeiters geprägt ist, in der Regel den Schluß zu, daß diese Berufstätigkeit als Facharbeitertätigkeit zu qualifizieren ist (zusammenfassend Senatsurteil vom 28. Mai 1991 - 13/5 RJ 69/90 -= SozR 3-2200 § 1246 Nr. 14). Von dem Grundsatz, daß von der tariflichen Einstufung einer Berufsart auszugehen ist, werden in der Rechtsprechung des BSG Ausnahmen nur anerkannt, wenn die Einstufung durch qualitätsfremde Merkmale bestimmt ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 101 Seite 311, Nr. 123 Seite 389; SozR 3-2200 § 1246 Nr. 13 Seite 50f.).

Diesen Leitlinien hat das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen. Ein entscheidender Mangel liegt bereits darin, daß es nicht die Fassung des LTV herangezogen hat, die bei der Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung des Klägers als Kraftfahrer (oder bei einem davorliegenden Eintritt des Versicherungsfalles) gegolten hat. Dieser Zeitpunkt ist für die Beurteilung der Wertigkeit des bisherigen Berufes maßgebend (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 22). Wie der in den Entscheidungsgründen wiedergegebene Inhalt des LTV deutlich erkennen läßt, hat das LSG den Text des ihm vom Kläger vorgelegten LTV (Laufzeit 1. April 1991 bis 31. März 1992) verwendet. Dieser ist hier jedenfalls nicht einschlägig, da der Kläger nach den Feststellungen des LSG nur bis Ende 1988 als Kraftfahrer tätig gewesen ist. Die Heranziehung der richtigen Fassung des LTV ist hier insofern bedeutsam, als nach den vom Kläger im Revisionsverfahren eingereichten Fassungen des LTV im Jahre 1988 noch eine wesentlich andere Lohngruppeneinteilung gegolten hat, bei der die Lohngruppe I die höchste und die Lohngruppe IV die niedrigste war. Folglich können die bisherigen Feststellungen des LSG zur tarifvertraglichen Einstufung der letzten Tätigkeit des Klägers nicht als Grundlage für die erforderliche Bewertung dienen. Schon aus diesem Grunde ist eine Zurückverweisung der Sache an die Berufungsinstanz geboten.

Bei seiner weiteren Sachaufklärung wird das LSG folgende Gesichtspunkte zu beachten haben:

Nach der Rechtsprechung des BSG kann ein LTV bei der Einstufungsfrage schon dann Bedeutung erlangen, wenn er sich im Grundsatz an der qualitativen Wertigkeit der danach zu entlohnenden Tätigkeiten orientiert (vgl. Senatsurteil vom 8. Oktober 1992 - 13 RJ 41/91 - Umdruck S. 11f.). Insofern reicht es aus, daß nach dem erforderlichen Grad der Kenntnisse und Fähigkeiten abgestuft wird. Eine ausschließlich nach der Berufsausbildung vorgenommene Lohngruppeneinteilung ist hingegen nicht erforderlich. Vielmehr entspricht gerade die tarifvertragliche Gleichstellung von Arbeitern mit Ausbildungsabschluß und solchen, die ohne Prüfung entsprechende berufliche Tätigkeit vollwertig ausüben, der rentenversicherungsrechtlichen Rechtsprechung des BSG. Nichts anderes ergibt sich auch aus dem vom LSG zitierten Eingruppierungsgrundsatz Nr. 1 in § 2 Abschn I LTV (1991/92). Kommt hier eine Heranziehung des LTV vom 28. April 1987 oder vom 30. Juni 1988 in Betracht, so werden diese Fassungen nicht von vornherein als untauglich für eine Bewertung des bisherigen Berufes des Klägers angesehen werden können, da Lohngruppen nach den qualitativen Anforderungen der erfaßten Tätigkeiten, d.h. nach dem Ausmaß der jeweils erforderlichen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten, geordnet sind. Das reicht von qualifizierten Kraftfahrern und Handwerkern (Lohngruppe I) bis zu "allen sonstigen gewerblichen Arbeitern", z.B. Lader, Ablader, Beifahrer, Stallarbeiter (Lohngruppe IV).

Bei seinen Ermittlungen dazu, welche Tätigkeit genau der Kläger zuletzt verrichtet hat und in welche Lohngruppe des LTV diese nach ihrem Anforderungsprofil einzustufen ist, wird das LSG auch die Richtigkeit der Arbeitgeberbescheinigung vom 30. Mai 1989 zu überprüfen haben. Sollte der Kläger tatsächlich nur nach der Lohngruppe III des damals geltenden LTV entlohnt worden sein, so liegt offenbar eine zu niedrige Eingruppierung durch den Arbeitgeber vor. In der Lohngruppe III wurden seinerzeit nämlich nicht Kraftfahrer, sondern Fuhrleute, Möbelträger sowie ständige Lager- und Schuppenarbeiter erfaßt. Zwar setzt die Gleichstellung von Arbeitern ohne Berufsabschluß mit gelernten Facharbeitern grundsätzlich auch eine entsprechende Entlohnung voraus (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 168 S. 541 mwN; abweichend allerdings BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 103 S. 322, ähnlich auch BSG SozR 2600 § 46 Nr. 13). Die tarifliche Zuordnung des einzelnen Versicherten durch den Arbeitgeber ist immerhin ein Indiz dafür, daß die von dem Versicherten ausgübte Tätigkeit in ihren Merkmalen und ihrer Wertigkeit der Berufs- und Tarifgruppe entspricht, nach der er bezahlt wird (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 14 S. 55f. m.w.N.). Da es sich aber insoweit nur um ein Indiz handelt, daß widerlegbar ist, bleiben jedenfalls eindeutig unterwertige Eingruppierungen durch den letzten Arbeitgeber im Rahmen der rentenversicherungsrechtlichen Bewertung des bisherigen Berufes unberücksichtigt (vgl. dazu auch BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 150 S. 493). In solchen Fällen spricht viel dafür, ähnlich wie bei nicht tarifgebundener Entlohnung (vgl. dazu BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 18; Senatsurteil vom 23. April 1992 - 13/5 RJ 74/90 -) die zutreffende Eingruppierung nach dem einschlägigen Tarifvertrag zugunde zu legen.

Betrachtet man die Struktur der Lohngruppeneinteilung des LTV vom 28. April 1987 und 30. Juni 1988, so wird man aus der Zusammenfassung von Kraftfahrern und Handwerkern in den Lohngruppen I und II nicht den Schluß ziehen können, daß bereits die Lohngruppe II für Kraftfahrer einen Berufsschutz als Facharbeiter im Rahmen des § 1246 Abs. 2 RVO vermitteln kann. Wie die Ausdifferenzierung in Lohngruppe I Buchst a zeigt, wird der Begriff des Kraftfahrers im LTV sehr allgemein verwendet. Er umfaßt verschiedene Abstufungen beruflicher Qualifikation. Im Lichte der Regelung in Lohngruppe I stellt sich die Lohngruppe II nicht als echte, vollwertige Facharbeiterlohngruppe, sondern bezogen auf Handwerker mit Ausbildungsabschluß lediglich als Berufsanfängerlohngruppe dar (ähnl BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 151 S. 497). Denn gelernte Handwerker (ebenso wie Kraftfahrer mit Berufskraftfahrerausbildung) werden darin nur für die ersten zwei Jahre ihrer Berufspraxis eingruppiert. Bei derartigen Berufsanfängern gehen die Tarifvertragsparteien offenbar davon aus, daß sie erst nach einer gewissen Einarbeitungszeit mit entsprechender praktischer Erfahrung die jeweiligen Facharbeitertätigkeiten vollwertig ausüben können. Für Kraftfahrer ohne einschlägigen Ausbildungsabschluß bleibt die Lohngruppe II hingegen mindestens acht Jahre maßgebend, wobei eine Höhergruppierung auch nur dann in Frage kommt, wenn die betreffenden Kraftfahrer sich in dieser Zeit gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten angeeignet haben und entsprechend qualifizierte Arbeiten ausführen.

In diesem Zusammenhang wird sich das LSG auch mit der Bedeutung der in § 2 Ziff 2 LTV für gelernte Handwerker vorgesehenen Zulage befassen müssen (vgl. dazu allgemein BSG, Urteil vom 14. Oktober 1992 - 5 RJ 10/92 - SozR 3-2200 § 1246 Nr. 28). Insofern stellt sich insbesondere die Frage, ob die Zusammenfassung von qualifizierten Kraftfahrern und gelernten Handwerkern in Lohngruppe I durch diese Regelung so stark modifiziert wird, daß von einer Gleichstellung der Kraftfahrern mit Facharbeitern (Handwerkern) im LTV generell nicht mehr die Rede sein kann. Dies wird regelmäßig der Fall sein, wenn die Zulage gelernten Handwerkern ohne weiteres zusteht und den Umfang der Differenz zur nächsten Lohngruppe hat. Im übrigen wäre die Einstufung von Kraftfahrern im LTV dann nicht für den Berufsschutz des Klägers in der Rentenversicherung maßgebend, wenn sie auf qualitätsfremden Gründen beruht. Insofern ist es dem LSG unbenommen, bei auftretenden Zweifeln Ermittlungen dazu anzustellen, welche Gründe für eine anzunehmende tarifliche Gleichstellung von Kraftfahrern und Handwerkern im LTV bestimmend gewesen sind.

Sofern der Kläger nach alledem als Facharbeiter eingestuft werden könnte, wären ihm nur Tätigkeiten sozial zuzumuten, die zumindest angelernten Tätigkeiten tarifvertraglich gleichgestellt sind (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 17 S. 65f.). Selbst wenn sich eine derartige Bewertung des bisherigen Berufs des Klägers nicht rechtfertigen lassen sollte, bliebe zu prüfen, ob er aufgrund der tarifvertraglichen Eingruppierung seiner letzten Tätigkeit nicht einem Angelernten im oberen Bereich gleich zu achten ist. Auch dies hätte auf die Ermittlung und Benennung einer Verweisungstätigkeit Auswirkungen, denen das LSG Rechnung tragen müßte (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 143 S. 473).

Das LSG wird auch über die Kosten des Verfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Breith. 1994, 464

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