Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 31.01.1990)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 31. Januar 1990 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte im Rahmen ihrer Leistungspflicht nach § 141n des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zur Zahlung von Säumniszuschlägen für Zeiten nach der Antragstellung durch die Einzugsstelle verpflichtet ist.

Am 5. Dezember 1984 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Entrichtung von rückständigen Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur gesetzlichen Rentenversicherung und von Beiträgen zur Bundesanstalt für Arbeit der Firma E. …, V. … GmbH & Co KG, über deren Vermögen am 30. September 1984 das Konkursverfahren eröffnet worden war. In der Gesamtforderung waren Beiträge für gezahlte Urlaubsabgeltungen in Höhe von 35.742,20 DM enthalten. Mit Bescheid vom 2. Juli 1985 lehnte die Beklagte es ab, diese Beiträge zu entrichten, da aufgrund der Neuregelung des § 168 Abs 1 Satz 2 AFG durch das Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz (AFKG) diese im Rahmen des § 141n AFG nicht mehr zu berücksichtigten seien.

Die Klägerin erhob hiergegen Klage zum Sozialgericht (SG) Braunschweig. Nachdem das SG das Verfahren zunächst wegen eines Parallelverfahrens ausgesetzt hatte, teilte die Klägerin am 2. Dezember 1986 mit, das Bundessozialgericht (BSG) habe mit dem Urteil vom 20. August 1986 – 10 RAr 1/85 – ihre Rechtsauffassung bestätigt. Auf die Aufforderung zur Anerkennung des geltend gemachten Anspruchs verwies die Beklagte in mehreren Schriftsätzen darauf, daß sie zunächst die Weisungen ihrer Hauptstelle abwarten müsse. Sie entsprach dem Antrag der Klägerin schließlich mit Bescheid vom 29. Dezember 1987 und überwies den streitigen Betrag am 27. Januar 1988.

Nunmehr macht die Klägerin Säumniszuschläge in Höhe von 4.288,80 DM (je 1 vH monatlich von 35.740,– DM für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1987) geltend. Sie trägt hierzu schriftsätzlich vor, sie habe im Rahmen des von ihr nach § 24 Abs 2 des Sozialgesetzbuches – Viertes Buch – - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) auszuübenden Ermessens berücksichtigt, daß der Beklagten für die zu erteilenden Weisungen einige Monate Zeit zu geben sei. Die Beklagte könne sich jedoch für die Bearbeitung des Antrages nicht unverhältnismäßig viel Zeit lassen. Das SG hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen (Urteil vom 11. Mai 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Säumniszuschläge in Höhe von 4.288,80 DM zu zahlen: Die Klägerin könne im Rahmen des § 141n AFG Säumniszuschläge durch schlichtes Verwaltungshandeln geltend machen. Sie habe dabei das ihr nach § 24 Abs 2 SGB IV eingeräumte Ermessen auszuüben. Die von der Klägerin getroffene Entscheidung, Säumniszuschläge zu erheben, lasse keine Ermessensfehler erkennen.

Die Beklagte macht zur Begründung ihrer – vom Senat zugelassenen – Revision geltend, Beitragsansprüche einschließlich Säumniszuschlägen könnten nach Maßgabe des § 141n Abs 2 AFG ausschließlich dann begründet sein, wenn und soweit sie gegenüber dem eigentlich Beitragspflichtigen gegeben seien. Außerdem habe das LSG verfahrensfehlerhaft die Beiladung der zuständigen Rentenversicherungsträger unterlassen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 31. Januar 1990 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig zurückzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet, weil das LSG die notwendige Beiladung der betroffenen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung unterlassen hat (§ 75 Abs 2 SGG). Damit leidet das Verfahren vor dem LSG an einem im Revisionsverfahren fortwirkenden Mangel, der in der Revisionsinstanz nicht beseitigt werden kann (§ 168 SGG).

Nach § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG ist die Beiladung notwendig, wenn Dritte an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Diese Voraussetzung ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG erfüllt, wenn die im Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich unmittelbar in die Rechtssphäre eines Dritten eingreift (vgl ua BSG SozR 1500 § 75 Nrn 81, 49 mwN). Die Entscheidung darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen die Klägerin Säumniszuschläge auch von der Beklagten fordern kann, betrifft ua auch Säumniszuschläge auf rückständige Beiträge zur Rentenversicherung, die die Klägerin, ebenso wie die Beiträge selbst, entsprechend dem Beitragsrückstand an den Rentenversicherungsträger abzuführen hat (vgl hierzu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S 196b).

Den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung ist als Einzugsstelle die Entscheidung über die Versicherungs- bzw Beitragspflicht und die Beitragshöhe hinsichtlich der Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung zugewiesen (§ 1399 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫, § 121 des Angestelltenversicherungsgesetzes ≪AVG≫, § 182 AFG – jeweils aF; vgl nunmehr die seit dem 1. Januar 1989 gültige Fassung des § 28h SGB IV durch das Gesetz zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers in der Kranken- und Rentenversicherung sowie im Arbeitsförderungsrecht und über den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in das Vierte Buch Sozialgesetzbuch, BGBl I 1988, 2330). Auch wenn die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber dem Beitragsschuldner im Rahmen der ihnen gesetzlich zugewiesenen Befugnisse verbindliche Entscheidungen treffen, so verfügen sie damit doch über die Beitragsforderungen der betroffenen Versicherungsträger (BSGE 15, 188, 122, 123 = SozR Nr 2 zu § 1399 RVO). Diese sind als Inhaber des ihnen zustehenden Teils der Beitragsforderung notwendig beizuladen (BSG SozR 1500 § 75 Nr 41). In gleicher Weise hat der erkennende Senat das unmittelbare Betroffensein der Rentenversicherungsträger bejaht, wenn die Zahlungspflicht der Beklagten nach § 141n AFG streitig ist und die Regelungsbefugnis über die Beitragsentrichtungspflicht nicht den Einzugsstellen, sondern der Bundesanstalt eingeräumt ist (BSG SozR 4100 § 141n Nrn 10 und 18).

Bezüglich der Entscheidung über die Entrichtung von Säumniszuschlägen für rückständige Beiträge gilt nichts anderes. Auch insoweit ist die Entscheidung grundsätzlich dem Versicherungsträger, der die Beiträge einzuziehen hat, zugewiesen (vgl § 1399 Abs 3 RVO, § 121 Abs 3 AVG jeweils aF iVm § 24 SGB IV). So wie die Entscheidung über die Beiträge selbst betrifft auch die Entscheidung über die Erhebung von Säumniszuschlägen, die an die zuständigen Versicherungsträger abzuführen sind, unmittelbar deren Rechtssphäre.

Nach erfolgter Beiladung wird das LSG somit erneut zu prüfen haben, ob und in welcher Weise die Klägerin gegenüber der Beklagten für die nach § 141n AFG zu entrichtenden Beiträge eine Befugnis zur Erhebung von Säumniszuschlägen zusteht. Hierbei ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, daß es der Zulässigkeit der Klage nicht entgegensteht, daß die Klägerin die Beklagte zunächst wegen der Entrichtung rückständiger Beiträge in Anspruch genommen und den Anspruch auf Säumniszuschläge erst im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens erhoben hat. Soweit hierin unter Berücksichtigung von § 99 Abs 3 SGG überhaupt eine Klagänderung zu sehen sein sollte, ist jedenfalls eine Einwilligung der Beklagten anzunehmen (§ 99 Abs 2 SGG).

Das LSG wird auch über die Erstattung der Kosten für das Revisionsverfahren zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

ZIP 1991, 1445

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