Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. Juni 1983 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der 1928 geborene Kläger schloß eine 1943 begonnene Maschinenschlosserlehre wegen Einberufung zum Arbeitsdienst nicht ab. Nach Kriegsgefangenschaft, Arbeitslosigkeit und mehrmonatiger Tätigkeit im Bergbau kam er im Frühjahr 1948 zur Deutschen Bundesbahn. Hier war er bis Ende 1952 Betriebsarbeiter und bis Frühjahr 1955 Bahnunterhaltungsarbeiter in der Lohngruppe VI des Lohntarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn. Ab Mai 1955 arbeitete er bis zum Frühjahr 1957 als Rangierarbeiter in der Lohngruppe V, legte im Februar 1956 die Prüfung als Rangierleiter ab und übte diese Tätigkeit ab Mai 1957 nach der Lohngruppe IV aus. Nach weiterer Ausbildung zum Betriebsaufseher wurde er ab Dezember 1960 in dieser Eigenschaft als Beamtenanwärter beschäftigt und ab 1. Januar 1963 von der Versicherungspflicht befreit. Später wurde er zum Beamten im einfachen Dienst (Besoldungsgruppe A 2) ernannt und mit dem Ablauf des Monats Mai 1980 als Betriebshauptaufseher vorzeitig in den Ruhestand versetzt.

Den im Januar 1980 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 20. März 1980 mit der Begründung ab, der Kläger könne nach dem Ergebnis der ärztlichen Untersuchung noch leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig verrichten. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 1981).

Die Klage hat das Sozialgericht (SG) Speyer durch Urteil vom 6. September 1982 abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 10. Juni 1983 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, der Rangierleiter in der Lohngruppe IV könne nicht den Berufsschutz als Facharbeiter beanspruchen. Die seit Oktober 1949 in die Lohngruppen I bis IV eingestuften Tätigkeiten im Eisenbahndienst seien zwar grundsätzlich wegen ihrer Qualität denen eines Facharbeiters gleichgestellt. In der Mischlohngruppe IV gebe es aber deswegen Ausnahmen, weil sie nicht nur für qualitative Facharbeiter gelte. Deshalb sei für die Bestimmung des Leitberufs entscheidend, ob die jeweilige Tätigkeit qualitativ den Facharbeiterberufen gleichstehe und die tarifliche Einstufung in die Lohngruppe IV somit der objektiven Qualität der Beschäftigung entspreche. Dies sei beim Rangierleiter nicht der Fall. Die an eine mindestens 3 1/2 Monate dauernde Beschäftigung als Rangierarbeiter anschließende Verwendungsausbildung zum Rangierleiter mit Prüfung dauere insgesamt nur sieben Wochen. Sie bleibe damit erheblich hinter der mindestens zweijährigen Facharbeiterausbildung zurück und vermittle auch nicht theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten in dem Umfang, den ein Facharbeiter bei regulärer Ausbildung erreiche.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzungen der §§ 1246 und 1247 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und der §§ 128 und 136 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und

beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 10. Juni 1983 und des SG Speyer vom 6. September 1982 sowie des Bescheides der Beklagten vom 20. März 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom g, Februar 1981 zu verurteilen, ihm ab 1. Juni 1980 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem 5 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

II.

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz begründet. Das LSG hat rechtsirrig den Kläger nicht einem Facharbeiter gleichgestellt und deshalb – von seinem Standpunkt aus zu Recht – keine Feststellungen darüber getroffen, ab es im Bereich der Tätigkeiten mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters für den Kläger nach dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen zumutbare Verweisungstätigkeiten gibt.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die „bisherige Berufstätigkeit” und damit „bisheriger Beruf” i.S. von § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO die letzte versicherungspflichtige Tätigkeit ist, wenn sie nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübt wurde und zugleich die höchstentlohnte war (BSG in SozR 2600 § 45 Nr. 34 mwN; a.a.O. § 46 Nr. 6). Dies gilt selbst dann, wenn die Tätigkeit nur kurzfristig ausgeübt wurde und wegen des Übertritts in eine versicherungsfreie Beschäftigung endete. Wie den Feststellungen des LSG zu entnehmen ist, durchlief der Kläger vor seiner Befreiung von der Versicherungspflicht ab 1. Januar 1961 im Herbst 1960 die Ausbildung zum Betriebsaufseher und wurde ab Dezember 1960 in dieser Eigenschaft – als Beamtenanwärter – beschäftigt. Feststellungen, nach welcher Lohngruppe er in dieser – wenn auch kurzen – Zeit versicherungspflichtiger Beschäftigung entlohnt worden ist, hat das LSG nicht getroffen. Dies wird nachzuholen sein, zumal nach dem ab 1. November 1960 geltenden Lohntarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn in Nr. 15 der Lohngruppe III Vorarbeiter von Arbeitern aufgeführt sind, die in ihrer Gesamtheit entweder der Lohngruppe V oder einer Lohngruppe mit Aufstiegsmöglichkeiten bis zur Lohngruppe V angehören und die Rangierarbeiter in Nr. 29 der Lohngruppe V genannt sind.

Selbst wenn beim Kläger nicht die oben erwähnte Tätigkeit als Betriebsaufseher, sondern die des Rangierleiters nach Lohngruppe IV maßgebend sein sollte, reichen die Feststellungen des LSG zur abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits nicht aus.

Entgegen der Auffassung des LSG kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Tätigkeit als Rangierleiter den Facharbeiterberufen deshalb gleichsteht, weil sie theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten in einem Umfang voraussetzt, die von einem Facharbeiter in regulärer Ausbildung und längerer Berufstätigkeit erworben werden. Zuverlässiges Indiz für die Qualität einer Tätigkeit ist vielmehr nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. BSGE 54, 37, 39 = SozR 2200 § 1246 Nr. 95; SozR a.a.O. Nr. 98 m.w.N.) die tarifliche Einstufung. Darin finden in der Regel alle Merkmale des § 1246 Abs. 2 Satz 2 2. Halbs RVO Ausdruck (vgl. BSGE 38, 153, 154 = SozR a.a.O. Nr. 4 m.w.N.). Der Gesetzgeber hat in der genannten Vorschrift auf die abstrakt betrachtete Berufstätigkeit abgestellt und gefordert, die Qualität des Berufs zu ermitteln. Diese kommt in den Wertvorstellungen der Tarifpartner bei Gestaltung der hier relevanten Arbeitswelt deutlich zum Ausdruck. Denn die Arbeitnehmer werden von den Tarifpartnern nach dem generellen Wert und der Qualität der ausgeübten Tätigkeit eingestuft (BSGE 41, 129, 133 = SozR a.a.O. Nr. 11).

Die tarifliche Einstufung zeigt am zuverlässigsten, welcher qualitative Wert einer bestimmten Berufstätigkeit beizumessen ist. Etwas anderes kann nur gelten, wenn eine – relativ hohe – tarifliche Einstufung im wesentlichen nicht auf die Qualität der Berufstätigkeit, sondern auf die mit ihrer Verrichtung verbundenen Nachteile und Erschwernisse zurückzuführen ist, wie etwa bei Akkord-, Nacht-, und Schmutzarbeit (vgl. BSGE 43, 243, 245 = SozR a.a.O. Nr. 16). Sofern es sieh nicht. um eine solche Ausnahme handelt, gehören deshalb zur Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters nicht nur die Facharbeiterberufe selbst, sondern auch die tariflich etwa wie diese eingestuften sonstigen Arbeiterberufe. Die grundsätzliche Gleichstellung mehrerer in einer Lohngruppe nach qualitätsorientierten Merkmalen zusammengefaßten Tätigkeiten folgt aus der auf die Qualität der Berufstätigkeit abgestellten Betrachtungsweise (§ 1246 Abs. 2 RVO). Es gibt durchaus qualitativ hochwertige Tätigkeiten, für die eine bestimmte Ausbildungsdauer weder vorgeschrieben noch üblich ist und die deshalb im Rahmen der Berufsunfähigkeit nicht geringer als Facharbeitertätigkeiten behandelt werden können (vgl. Urteile des Senats vom 28. November 1980 – 5 RJ 78/79 – sowie vom 15. Juli 1982 – 5b RJ 86/81 – und – 5b RJ 90/81 –).

Kommt es aber auf die Qualität des Berufes an und ist dabei die Ausbildung nicht entscheidend, so ist unerheblich, wie der erforderliche Standard an Kenntnissen und Fähigkeiten erreicht worden ist, wenn nur der Versicherte in der Lage war, den Beruf vollwertig auszuüben. Die tarifliche Einstufung ist deshalb nicht nur verläßliches Indiz für die Qualität der Tätigkeit bei Berufen, die nach einer ordnungsgemäßen Ausbildung, ausgeübt werden; sie ist vielmehr auch dann als verläßliche Bewertung durch die Tarifpartner zu akzeptieren, wenn den anerkannten Ausbildungsberufen andere Tätigkeiten – insbesondere wegen ihrer Bedeutung für den Betrieb – qualitativ gleichstehen. Dieser Gedanke gilt nicht nur für den „bisherigen Beruf”, sondern auch für die Beurteilung der „Verweisungstätigkeit”. Der Anspruch eines vom bisherigen Beruf her als Facharbeiter einzustufenden Versicherten auf Rente wegen Berufsunfähigkeit scheitert deshalb ggf. daran, daß die Verweisungstätigkeit zwar nicht zu den anerkannten sonstigen Ausbildungsberufen gehört, tariflich aber von einer Lohngruppe erfaßt wird, in der auch sonstige Ausbildungsberufe enthalten sind, sofern diese Einstufung nicht erkennbar auf qualitätsfremden Gründen beruht (vgl. zu alledem das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 1. Dezember 1983 – 5b RJ 114/82 – m.w.N.). Für die bisherige Berufstätigkeit und die Verweisungstätigkeit gilt demnach der gleiche Maßstab.

Der Vorarbeiter, als der der Rangierleiter gegenüber den ihm unterstellten Rangierarbeitern anzusehen ist, ist in Nr. 19 der Lohngruppe IV des hier maßgeblichen bereits erwähnten Tarifvertrages eingestuft, wenn er der Vorarbeiter von Arbeitern ist, die in ihrer Gesamtheit der Lohngruppe VI oder der Lohngruppe VII mit Aufstiegsmöglichkeiten bis zur Lohngruppe VI angehören. In der Lohngruppe IV sind in Nr. 6 Handwerker ausdrücklich genannt; auch die Nrn. 11 Buchst a und 18 beziehen sieh auf Personen, die eine ordnungsgemäße Lehre – als Köche bzw. als Verkäufer – durchlaufen und abgeschlossen haben. Es ist zwar richtig, daß auch die Lohngruppen II und III Handwerkertätigkeiten erfassen; die Verteilung auf drei Lohngruppen kann aber nur im Sinne einer qualitativen Unterscheidung der Handwerkertätigkeiten in diesen Gruppen verstanden werden, nicht aber als eine Abqualifizierung gewisser Handwerkertätigkeiten in eine Nichthandwerkergruppe. Wenn der lohnmäßig am geringsten bewerteten Handwerkergruppe bestimmte Vorarbeitertätigkeiten gleichgestellt werden, was z.B. für einen angelernten Koch, der mindestens zwei Beiköche leitet, in Nr. 11 dieser Lohngruppe deutlich wird, so wird daraus die qualitative Gleichwertigkeit dieser Tätigkeiten mit den lohnmäßig am geringsten eingestuften Handwerkertätigkeiten erkennbar. Auch die auf besondere Prüfungen gestützten Tätigkeiten in den Nrn. 6b, 9b, 15 und 77a dieser Lohngruppe sowie die in den Nrn. 14 und 21 bezeichneten Tätigkeiten, bei denen es auf Bewährung und dreijährige Beschäftigung in dieser Tätigkeit ankommt, zeigen hinreichend deutlich, daß nach der Auffassung der Tarifvertragspartner eine qualitativ der am geringsten bewerteten Handwerkertätigkeit gleichwertige Tätigkeit auch auf andere Weise. als durch handwerkliche Ausbildung erreicht werden kann.

Der Gesichtspunkt, daß es sich bei der Tätigkeit des Rangierleiters um eine Tätigkeit handelt, die auch von Beamten des einfachen Dienstes (Besoldungsgruppe A 23) ausgeübt wird, ist nicht geeignet, die Qualität dieser Tätigkeit herabzumindern. Denn auch die Vergütung von Beamtenpositionen ist nach qualitativen Gesichtspunkten geordnet. Selbst wenn also der Kläger deshalb in die Lohngruppe IV eingruppiert war, weil die gleiche Tätigkeit auch von Beamten der Besoldungsgruppe A 2 ausgeübt wird, ist dies – anders als in dem vom 1. Senat mit Urteil vom 3. November 1982 (1 R3 32/82) entschiedenen Fall – nicht aus sozialen, sondern aus Gründen der gleichwertigen Arbeitsqualität geschehen. Deshalb muß die Tätigkeit des Klägers als Rangierleiter der Tätigkeitsgruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters zugeordnet werden.

Das hat zur Folge, daß der Kläger nur auf solche Tätigkeiten verwiesen werden darf, die zur Gruppe der Tätigkeiten mit dem Leitberuf des sonstigen Ausbildungsberufs zählen. Das sind nicht nur die staatlich anerkannten Ausbildungsberufe mit einer Regelausbildungszeit von weniger als zwei Jahren, sondern auch die Berufe, die eine echte betriebliche Ausbildung voraussetzen, welche eindeutig über eine bloße Einweisung und Einarbeitung hinausgeht. Hinzu kommen allerdings auch aus der Gruppe der ungelernten Tätigkeiten diejenigen, die wegen ihrer Qualität tariflich etwa gleichhoch eingestuft sind, wie die sonstigen Ausbildungsberufe. Ob es solche Tätigkeiten für den Kläger gibt, wird das LSG durch Vergleich der dem Kläger verbliebenen Leistungsfähigkeit mit den Anforderungen solcher Tätigkeiten zu ermitteln und festzustellen haben. Erst dies wird eine verläßliche Grundlage für die Entscheidung über den Rentenanspruch des Klägers bilden.

Auf die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen kommt es für die Entscheidung des Senats unter diesen Umständen nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung ist mit dem den Rechtsstreit abschließenden Urteil vorzubehalten.

 

Fundstellen

Breith. 1984, 874

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