Entscheidungsstichwort (Thema)

Alterssicherung der Landwirte. Versicherungspflicht. Vorliegen eines landwirtschaftlichen Unternehmens bei Bodenbewirtschaftung. Abhängigkeit von Wirtschaftswert. Flächenwert und Arbeitsbedarf. Bemessung des Arbeitsbedarfs auch anhand der Flächengröße

 

Orientierungssatz

1. Die Versicherungspflicht in der Alterssicherung der Landwirte hängt nicht davon ab, wie groß der bewirtschaftete Anteil im Verhältnis zu den vorhandenen Gesamtflächen ist. Nach § 1 Abs 2 ALG ist versicherungspflichtiger Landwirt iS des § 1 Abs 1 ALG derjenige, der als Unternehmer ein auf Bodenbewirtschaftung - auch gärtnerischer Bearbeitung - beruhendes Unternehmen betreibt, das die Mindestgröße erreicht. Wird mithin Bodenbewirtschaftung betrieben, kommt es für die Versicherungspflicht auf den Wirtschaftswert, Flächenwert oder Arbeitsbedarf des Unternehmens an, der sich jeweils auch an der Größe der bewirtschafteten Flächen orientiert (vgl BSG vom 27.5.2004 - B 10 LW 16/02 R = SozR 4-5868 § 1 Nr 4).

2. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 22.5.2006 - 1 BvR 1006/06).

 

Normenkette

ALG § 1 Abs. 1, 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 24.02.2005; Aktenzeichen L 10 LW 4826/04)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 20.09.2004; Aktenzeichen S 6 LW 1704/04)

 

Gründe

Die Klägerin hat sich wiederholt gegen ihre Versicherungs- und Beitragspflicht in der Alterssicherung der Landwirte (AdL) gewendet. Damit ist sie auch in dem anhängigen Rechtsstreit, der Beiträge für den Zeitraum vom 1. Mai 2003 bis 31. Januar 2004 sowie Säumniszuschläge bis 16. Januar 2004 (insgesamt 1853,- Euro) betrifft (Bescheid der Beklagten vom 3. Februar 2004; Widerspruchsbescheid vom 3. März 2004), erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. September 2004; Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ≪LSG≫ vom 24. Februar 2005). Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorgenannten Urteil hat die Klägerin Beschwerde eingelegt und als Zulassungsgründe Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) und grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) angegeben.

Die Beschwerde ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil ein Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 SGG nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 59, 65).

Diesen Anforderungen entspricht das Vorbringen der Klägerin nicht. Zwar kann ihrer Beschwerdebegründung durch Auslegung die Rechtsfrage entnommen werden, ob die Versicherungspflicht der Ehefrau eines Gartenbauunternehmers in der AdL mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar ist. Die Klägerin legt die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage indessen nicht ausreichend dar.

Die Frage, ob eine der Entscheidung zu Grunde liegende Gesetzesnorm - wie hier die Versicherungspflichtbestimmung des § 1 Abs 3 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) - verfassungswidrig ist, hat zwar regelmäßig grundsätzliche Bedeutung. Aber auch dies ist schlüssig darzulegen. "Darlegen" bedeutet ua "näher auf etwas eingehen" (Bundesverwaltungsgericht vom 9. März 1993, Buchholz 310 § 133 ≪nF≫ Nr 11 mwN). Hierzu gehört nicht nur, dass herausgestellt wird, aus welchen Gründen die beanstandete Norm verfassungswidrig sein könnte, sondern auch, dass und warum über die verfassungsrechtliche Frage noch nicht abschließend entschieden worden ist (vgl dazu BSGE 40, 158, 159; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34; allg dazu auch BVerfGE 91, 93, 106 ff). Pauschale Bezugnahmen auf Verfassungsrecht oder Ausführungen zur sozialpolitischen und verfassungsrechtlichen Problematik der "Zwangsversicherung" in der Literatur, ohne nähere inhaltliche Darstellung und Folgerungen für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage, reichen dafür nicht aus (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 23). Darüber hinaus genügt nicht die schlichte Behauptung, dass eine gesetzliche Regelung Grundrechte verletze (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11, 47). Dies ist vielmehr im Einzelnen unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung darzulegen (vgl Senatsbeschlüsse vom 28. März 2001 - B 10 KR 3/00 B -; 1. Februar 1999 - B 10 LW 17/98 B -; 8. Oktober 1998 - B 10 LW 2/98 B -; 2. April 1998 - B 10 LW 12/97 B -; 4. Februar 1997 - 10/4 BK 9/96 -; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, Köln 1990, RdNr 146 mwN; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl, IX Rz 182 mwN).

In ihrer Beschwerdebegründung lässt die Klägerin zunächst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu § 1 Abs 3 ALG gänzlich unberücksichtigt (vgl BVerfGE 109, 96 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2; BVerfG SozR 4-5868 § 85 Nr 3). Soweit sie behauptet, die vorliegende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kläre nicht die Vereinbarkeit der Versicherungspflicht mit den Grundrechten aus Art 14 und Art 2 Abs 1 GG, leidet die Begründung an dem Mangel, dass sie die dazu vorliegende Rechtsprechung des BSG nur unvollständig auswertet. Sie benennt zwar das Senatsurteil vom 25. November 1998 (BSGE 83, 145 = SozR 3-5868 § 1 Nr 2), nicht jedoch auch das Grundsatzurteil vom 12. Februar 1998 (BSGE 81, 294 = SozR 3-5868 § 1 Nr 1). Zudem setzt sich die Klägerin mit den von ihr genannten Entscheidungen nicht in der gebotenen Weise auseinander; dies gilt namentlich im Hinblick auf die Prüfung des Senats anhand der verfassungsrechtlichen Maßstäbe in Art 14 Abs 1 Satz 1 und Art 2 Abs 1 GG (vgl nur BSGE 81, 294, 296 ff). Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang ausführt, eine Zwangsmitgliedschaft in der AdL sei deswegen nicht mehr zu rechtfertigen, weil dieses System sich nicht mehr hinreichend selbst finanzieren könne, setzt sie sich nicht damit auseinander, dass der Senat gerade die Beitragsbelastung - und nur diese könnte als Eingriff in das geschützte Eigentum sowie die wirtschaftlich geschützte Handlungsfähigkeit angesehen werden - als verhältnismäßig bewertet hat (vgl BSGE 81, 294, 297 ff).

Soweit die Klägerin die Rechtsfrage stellt, wann ein auf Bodenbewirtschaftung beruhendes Unternehmen der Landwirtschaft iS des § 1 Abs 2 ALG vorliege, genügt sie den Darlegungsanforderungen schon deshalb nicht, weil sie es dabei belässt zu behaupten, diese Rechtsfrage sei durch die Rechtsprechung des BSG in dem Urteil vom 14. Dezember 1994 - 4 RLw 4/93 (BSGE 75, 241 = SozR 3-5850 § 1 Nr 1) nicht abschließend geklärt. Sie setzt sich nicht mit den Entscheidungsgründen des BSG auseinander und legt nicht dar, warum die vorliegende Rechtsfrage nicht anhand der dortigen Ausführungen zu beantworten ist. Im Übrigen ist die Klärungsfähigkeit der Frage im vorliegenden Verfahren zweifelhaft. Die Klägerin weist selbst darauf hin, dass ihr Ehemann einen Teil seiner landwirtschaftlichen Flächen gärtnerisch bearbeite. Im Hinblick darauf hätte sie sich mit dem Tatbestandsmerkmal der Mindestgröße befassen müssen (§ 1 Abs 2 iVm Abs 5 ALG). Nach der gesetzgeberischen Intention hängt die Versicherungspflicht in der AdL nämlich nicht davon ab, wie groß der bewirtschaftete Anteil im Verhältnis zu den vorhandenen Gesamtflächen ist. Nach § 1 Abs 2 ALG ist versicherungspflichtiger Landwirt iS des § 1 Abs 1 ALG derjenige, der als Unternehmer ein auf Bodenbewirtschaftung - auch gärtnerischer Bearbeitung - beruhendes Unternehmen betreibt, das die Mindestgröße erreicht. Wird mithin Bodenbewirtschaftung betrieben, kommt es für die Versicherungspflicht auf den Wirtschaftswert, Flächenwert oder Arbeitsbedarf des Unternehmens an, der sich jeweils auch an der Größe der bewirtschafteten Flächen orientiert (vgl dazu BSG SozR 4-5868 § 1 Nr 4).

Werden - wie von der Klägerin - Verstöße gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist und der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG aufrechterhalten worden ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, auf Grund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis der behaupteten Ergebnisse der unterlassenen Beweisaufnahmen von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35, 45 und § 160a Nr 24, 34). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin hat bereits keinen Beweisantrag bezeichnet, den das LSG übergangen haben könnte. Soweit sie rügt, das LSG hätte auf die von ihr in der mündlichen Verhandlung eingereichten Unterlagen weitere Ermittlungen von Amts wegen vornehmen müssen, mangelt es an der Darlegung, dass sie in der mündlichen Verhandlung zugleich auch weitere Ermittlungen - konkretisiert - beantragt habe oder daran gehindert worden sei, einen derartigen Antrag prozessordnungsgemäß korrekt anzubringen. Ein solches Vorbringen wäre hier jedoch erforderlich gewesen. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG obliegt es zumindest einem rechtskundig vertretenen Beteiligten (vgl hierzu Senatsbeschlüsse vom 21. April 2004 - B 9 VG 22/03 B sowie 18. September 2003 - B 9 SB 11/03 B, JURIS; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 35; SozR 3-1500 § 160 Nr 29 S 49 mwN), in der mündlichen Verhandlung alle diejenigen Anträge zur Niederschrift des Gerichts zu stellen, über die dieses entscheiden soll (vgl BSG, Beschlüsse vom 3. März 1997 - 2 U 19/97; 23. September 1997 - 2 U 31/97; 1. September 1999, SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 3, 5; 18. Dezember 2000 - B 2 U 336/00 B, JURIS; 8. März 2001 - B 9 SB 63/00 B - mwN; 11. September 2001 - B 9 SB 24/01 B; 23. Dezember 2003 - B 9 V 31/02 B; 21. April 2004 - B 9 VG 22/03 B). Sinn dessen ist es, zum Schluss der mündlichen Verhandlung klarzustellen, welche Anträge nach dem Ergebnis des Sach- und Streitstandes und der Auffassung eines Beteiligten vom Gericht noch zu behandeln sind. Mit diesen muss es sich im Urteil befassen, wenn es ihnen nicht folgt. Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag kommt insoweit eine "Warnfunktion" zu (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 67; SozR 3-1500 § 160 Nr 9, 20, 29; SozR 1500 § 160a Nr 56; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Komm, 8. Aufl 2005, § 160 RdNr 18a).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1755892

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