Entscheidungsstichwort (Thema)

Postdienstzeit eines Angestellten

 

Leitsatz (amtlich)

  • Soweit nach Nr. 1 Buchst. a der Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O Zeiten jeglicher Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit von der Berücksichtigung als Postdienstzeit ausgeschlossen sind, genügt es, daß der Angestellte für das Ministerium für Staatssicherheit tätig war; darauf, wie die Tätigkeit geartet war, insbesondere, ob sie “Unrechtsgehalt” aufwies, kommt es nicht an. Eine Tätigkeit als sogenannter inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit fällt unter die Tarifnorm.
  • Bestreitet der Angestellte den Inhalt eines Einzelberichts des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR nicht, in dem unter Vorlage einer schriftlichen “Einschätzung” des Ministeriums für Staatssicherheit Dauer und Inhalt der Mitarbeit als inoffizieller Mitarbeiter dargestellt sind, so bedarf es zur “Tätigkeit” im Sinne der Tarifnorm keines weiteren Vortrags des Arbeitgebers.
 

Normenkette

Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost (TV Ang) vom 21. März 1961 § 16; Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O Nr. 1 Buchst. a; ZPO §§ 561, 717

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 14.03.1995; Aktenzeichen 1 Sa 1308/94)

ArbG Bonn (Urteil vom 21.07.1994; Aktenzeichen 5 Ca 475/94)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Zeit, die der Kläger in einem Arbeitsverhältnis zur Deutschen Post zurückgelegt hat, asl Postdienstzeit anzurechnen ist.

Der Kläger war seit 1956 als Hauptingenieur für Projektierung von Funksendeanlagen bei der Deutschen Post der ehemaligen DDR beschäftigt. Er wurde von der Rechtsvorgängerin der Beklagten am 3. Oktober 1990 als Angestellter übernommen.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost im Beitrittsgebiet (TV Ang-O) Anwendung. Darin heißt es u. a. :

“§ 16

Postdienstzeit

  • Postdienstzeit ist die bei der Deutschen Bundespost/Deutschen Post und der Landespostdirektion Berlin in einem Ausbildungs-, Arbeits- oder Beamtenverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist; …

Übergangsvorschriften:

  • Für die Zeiten vor dem 1. Januar 1991

    Von der Berücksichtigung als Postdienstzeit sind ausgeschlossen

    • Zeiten jeglicher Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (einschließlich der Verpflichtung zu informeller/inoffizieller Mitarbeit),

Die Beklagte setzte mit Verfügung vom 26. Oktober 1992 (711-8 P 2) den Beginn der Postdienstzeit des Klägers zunächst auf den 20. August 1956 fest.

In einem Einzelbericht vom 30. März 1993 teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (fortan: der Bundesbeauftragte) der Beklagten mit, daß sich aus den überprüften Unterlagen Hinweise auf eine Zusammenarbeit des Klägers mit dem Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR ergeben hätten. Der Kläger sei als IMS (Inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit) unter dem Decknamen “Otto” geführt worden. Weiterhin heißt es in dem Einzelbericht, daß keine Angaben dazu gemacht werden könnten, in welchem Umfang und mit welcher Intensität der Kläger für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet habe. Dem Einzelbericht des Bundesbeauftragten war ein Auskunftsbericht des Staatssicherheitsdienstes beigefügt. Dort heißt es in der sog. Einschätzung der bisherigen Zusammenarbeit mit dem IMS “Otto” vom 18. September 1985 u.a.:

“Bereits von 1959 bis 1960 arbeitete “Otto” als GI für die BV Suhl, bis er aus dem Verantwortungsbereich dieser Diensteinheit ausschied.

Im Jahre 1969 wurde “Otto” von der HA XX/6 kontaktiert und 1970 als IMS geworben.

Der IM kam in der Vergangenheit vorrangig bei der Absicherung von Schwerpunktaufgaben und anderweitig bedeutsamen Aufgaben zum Einsatz sowie im Rahmen der “Wer ist wer?”-Aufklärung.

Er war ferner in die Bearbeitung einer OPK einbezogen, wo er wertvolle Informationen über die bearbeitete Person lieferte und wesentlich zur Klärung interessierender Zusammenhänge beigetragen hat.

Über Sachfragen informiert der IM ausführlich und objektiv. Bei der personenbezogenen Berichterstattung hatte er anfänglich Hemmungen und Vorbehalte, die er in dem Maße abgebaut hat, wie es ihm gelang, dem operativen Mitarbeiter Vertrauen entgegenzubringen.

Im Laufe der bisherigen Zusammenarbeit war “Otto” stets pünktlich und diszipliniert und hielt sich gewissenhaft an die Regeln der Konspiration. Anzeichen auf unehrliches Verhalten liegen nicht vor.

Die politische Einstellung des IMS “Otto” ist grundsätzlich positiv, obwohl er sich zu einigen Einzelerscheinungen der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR kritische Wertungen vorbehält bzw. Vorbehalte hat.

…”

Auf der Grundlage des Einzelberichts des Bundesbeauftragten setzte die Beklagte mit Schreiben vom 9. August 1993 den Beginn der Postdienstzeit des Klägers neu auf den 3. Oktober 1990 fest. Mit Schreiben vom 9. März 1994 teilte der Bundesbeauftragte der Beklagten ergänzend mit, weitere Akten über den Kläger seien nicht auffindbar; allerdings sei die Identität des Klägers als IMS “Otto” durch die gemeinsame Registriernummer auf der Klarnamenkartei, der Vorgangskartei sowie in dem Auskunftsbericht belegt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Zeit, die er bei der Deutschen Post der ehemaligen DDR zurückgelegt habe, sei nicht von der Berücksichtigung als Postdienstzeit nach den Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O ausgeschlossen. Er habe gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheits weder eine schriftliche noch eine mündliche Verpflichtungserklärung abgegeben. Er habe niemals eine Gegenleistung für seine Tätigkeit für dieses Ministerium erhalten. Aus dem Bericht des Bundesbeauftragten lasse sich schließen, daß er im Hinblick auf die Berichterstattung über Personen passiv gewesen sei. Der Bericht des Bundesbeauftragten entbinde die Beklagte nicht, konkreten Sachvortrag über seine angeblichen Aktivitäten für das Ministerium für Staatssicherheit zu erbringen.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß seine Dienst- bzw. Postdienstzeit bei der Beklagten gemäß der Verfügung 711-8 P 2 vom 26. Oktober 1992 festgesetzt bleibt.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Berücksichtigung der Zeit vor dem 3. Oktober 1990 sei nach Nr. 1 Buchst. a Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O ausgeschlossen. Der Kläger habe sich zu einer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit verpflichtet und sei als IM “Otto” tätig gewesen. Dies ergebe sich aus dem Bericht des Bundesbeauftragten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgageben. Die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte unter Beifügung einer ergänzenden Mitteilung des Bundesbeauftragten vom 30. Mai 1995 ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Außerdem beantragt sie, den Kläger zur Zahlung von 1.250,19 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 13. Juli 1995 zu verurteilen, weil sie dem Kläger in dieser Höhe Kosten erstattet hat, die das Arbeitsgericht mit Beschluß vom 12. Juni 1995 zugunsten des Klägers festgesetzt hatte. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision hat Erfolg, soweit die Beklagte mit ihr den Feststellungsanspruch des Klägers bekämpft. Dieser Anspruch besteht nicht.

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klage sei begründet, weil Nr. 1 Buchst. a Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O für den Ausschluß früherer Zeiten als Postdienstzeit bei inoffiziellen Mitarbeitern voraussetze, daß wenigstens in Umrissen die Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit und deren Unrechtsgehalt feststehe. Die Beklagte habe dagegen nicht substantiiert vorgetragen, welche mit Unrechtsgehalt verbundene Tätigkeit der Kläger als inoffizieller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit ausgeübt hat. Besondere Umstände, die es rechtfertigen könnten, auf den Vortrag von Einzelakten der Tätigkeit zu verzichten, seien weder aus dem eigenen Vorbringen der Beklagten noch aus dem Bericht des Bundesbeauftragten zu entnehmen. Auch die Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung, die vorliegend nicht feststellbar sei, stelle allein noch keine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit dar.

2. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Anrechnung der vor dem 3. Oktober 1990 zurückgelegten Zeiten als Postdienstzeit. Diese sind nach Nr. 1 Buchst. a Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O von der Berücksichtigung ausgeschlossen. Dies ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt, wobei die von der Beklagten in der Revisionsinstanz vorgetragenen neuen Tatsachen nicht zu berücksichtigen sind.

a) Aus der siebenseitigen “Einschätzung der bisherigen Zusammenarbeit mit dem IMS” vom 18. September 1985 der Hauptabteilung XX/A ergibt sich, daß der Kläger schon seit 1959 als inoffizieller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet und Informationen geliefert hat. Entgegen seiner Behauptung hat er nicht nur in Sachfragen informiert, sondern auch personenbezogen berichtet. Ihm wird in der “Einschätzung” ausdrücklich bescheinigt, daß er anfängliche Hemmungen und Vorbehalte, die insoweit bei ihm bestanden, abgebaut hat.

Der Kläger hat den Inhalt dieser “Einschätzung” in den Tatsacheninstanzen nicht bestritten. Er hat nur geltend gemacht, er habe gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit weder eine schriftliche noch eine mündliche Verpflichtungserklärung abgegeben. Er habe niemals eine Gegenleistung für die Tätigkeit für das Minsterium für Staatssicherheit erhalten. Der Bericht des Bundesbeauftragten entbinde die Beklagte nicht, konkreten Sachvortrag über seine angeblichen Tätigkeiten für das Ministerium für Staatssicherheit zu erbringen. Der Auffassung des Klägers kann nicht gefolgt werden.

Der Kläger hat nicht geleugnet, für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet zu haben. Weder aus der Klagebegründung noch aus dem Schriftsatz des Klägers vom 8. Juli 1994 noch aus seiner Berufungserwiderung vom 1. März 1995 lassen sich Hinweise dafür entnehmen, daß der Kläger seine Zusammenarbeit mit dem MfS bestreitet. Im Hinblick darauf, daß die Tarifnorm nur auf die Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit abstellt, kam es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, nicht darauf an, welchen Unrechtsgehalt die Tätigkeit des Klägers aufwies. Da der Kläger den Inhalt des Auskunftsberichts des Ministeriums für Staatssicherheit, der dem Einzelbericht des Bundesbeauftragten vom 30. März 1993 beigefügt war, nicht in Abrede gestellt hat, war die Beklagte nicht verpflichtet, weitere Tatsachen vorzutragen. Auf den Klammerzusatz der Tarifbestimmung, der die Verpflichtung zu informeller/inoffizieller Mitarbeit besonders erwähnt, kommt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht an, wenn, wie hier, eine Tätigkeit für das MfS feststeht.

b) Dieses Ergebnis entspricht Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Tarifvorschrift.

aa) Nach dem Wortlaut der Bestimmung Nr. 1 Buchst. a der Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O sind von der Berücksichtigung als Postdienstzeit Zeiten jeglicher Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit (MfS/AfNS) ausgeschlossen. Damit sind sowohl die hauptamtliche Tätigkeit als auch die Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter erfaßt. Darauf, wie die Tätigkeit geartet war, insbesondere, welchen “Unrechtsgehalt” sie aufwies, kommt es im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts nach dem Tarifwortlaut nicht an. Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts fordert als Voraussetzung für die außerordentliche Kündigung eines informellen Mitarbeiters nach Art. 20 Abs. 1, Anl. I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1, Abs. 5 Ziff. 2 Einigungsvertrag in ständiger Rechtsprechung eine “bewußte, finale Mitarbeit für das MfS/AfNS” (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 14. Dezember 1995 – 8 AZR 356/94 – AP Nr. 56 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX m.w.N.). Ob im Hinblick auf die auch in der Tarifnorm enthaltene Präposition “für” vorliegend gleiche Anforderungen gestellt werden müssen, bedarf keiner Entscheidung. Der Kläger hat nicht geltend gemacht, er habe Inhalt und Zweck der Tätigkeit nicht gekannt.

bb) Diese Auslegung läßt sich auch mit Sinn und Zweck der Tarifvorschrift belegen. Der Senat hat im Urteil vom 23. Juni 1994 (– 6 AZR 911/93 – AP Nr. 13 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) in den gleichlautenden Übergangsvorschriften zu § 9 TV Arb-O darauf hingewiesen, daß es sich bei dem Ministerium für Staatssicherheit ebenso wie bei den Grenztruppen um die Hauptrepressionsorgane der ehemaligen DDR gehandelt hat. Schon im Hinblick darauf kann im Gegensatz zur Auffassung des Klägers mehr als die von ihm nicht bestrittene Mitarbeit nach dem Inhalt der Tarifnorm für den Ausschluß von der Berücksichtigung als Postdienstzeit nicht verlangt werden.

c) Die Beschäftigungszeit des Klägers bei der Deutschen Post der ehemaligen DDR vor der Aufnahme seiner Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit (1956 bis 1959) ist von der Berücksichtigung als Postdienstzeit nach Nr. 1 letzter Satz Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O ausgeschlossen (vgl. dazu auch das zwischenzeitlich zu den gleichlautenden Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O ergangene Senatsurteil vom 30. Mai 1996 – 6 AZR 632/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).

II. Die weitergehende Revision bleibt erfolglos. Die auf Zahlung gerichtete Widerklage ist unzulässig.

Zwar ist die Beklagte mit diesem Anspruch nicht nach § 561 Abs. 1 ZPO im Revisionsverfahren ausgeschlossen (§ 717 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Für die Widerklage fehlt es jedoch am Rechtsschutzbedürfnis. Bei einer Leistungsklage ergibt sich das Rechtsschutzbedürfnis zwar regelmäßig schon aus der Nichterfüllung des behaupteten materiellen Anspruchs. Es fehlt aber dann, wenn der Kläger kein Urteil braucht, weil er sein Begehren ebenso sicher und umfassend auf schnellerem und billigerem Wege erreichen kann. So verhält es sich vorliegend. Da über die Höhe der festgesetzten und erstatteten Kosten zwischen den Parteien kein Streit besteht, geht das Kostenfestsetzungsverfahren und hier – nach Aufhebung der getroffenen Kostengrundentscheidung – die Rückfestsetzung der klageweisen Geltendmachung vor, da dies der einfachere und billigere Weg ist (Thomas/Putzo, ZPO, 19. Aufl., Vorbemerkung § 253 Rz 27, m.w.N.).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Freitag, Dr. Armbrüster, Steinhäuser, Schwarck

 

Fundstellen

Haufe-Index 873919

NZA 1997, 385

LKV 1996, 162

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