Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen

Zeiten der Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit (einschließlich Verpflichtung zu informeller/inoffizieller Mitarbeit) von der Berücksichtigung als Postdienstzeit ausgeschlossen sind.

 

Normenkette

TV Ang-O § 16 Nr. 1 a der Übergangsvorschriften zu

 

Verfahrensgang

ArbG Bonn (Urteil vom 21.07.1994; Aktenzeichen 5 Ca 475/94)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 29.02.1996; Aktenzeichen 6 AZR 381/95)

 

Tenor

1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 21.07.1994 – 5 Ca 475/94 – wird zurückgewiesen.

2) Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

3) Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Dauer der Dienstzeit des Klägers.

Der 60-jährige Kläger war als Hauptingenieur für Projektierung von Funksendeanlagen bei der Deutschen Post der ehemaligen DDR beschäftigt. Er wurde von der Beklagten am 03.10.1990 übernommen und erhält derzeit eine monatliche Vergütung in Höhe von DM 7.800,– brutto nach Vergütungsgruppe I b TV Ang.

Mit Verfügung vom 26.10.1992 setzte die Beklagte den Beginn der Dienstzeit des Klägers auf den 20.08.1956 fest.

Unter dem 30.03.1993 teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik – im folgenden: der Bundesbeauftragte – in einem sog. Einzelbericht der Beklagten mit, daß sich aus den überprüften Unterlagen Hinweise auf eine Zusammenarbeit des Klägers mit dem Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR ergeben hätten. Der Kläger sei als IMS (Inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit) unter dem Decknamen „C.” geführt worden. Weiterhin heißt es in dem Einzelbericht, daß keine Angaben dazu gemacht werden könnten, in welchem Umfang und mit welcher Intensität der Kläger für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet habe. In dem sog. Auskunftsbericht des Staatssicherheitsdienstes, der dem Einzelbericht des Bundesbeauftragten beigefügt war, heißt es in der sog. Einschätzung vom 18.09.1985 (Bl. 136, 137 d.A.) u.a.:

„Im Jahre 1969 wurde „O.” von der HA kontaktiert und 1970 als IMS geworben …

Der IM kam in der Vergangenheit vorrangig bei der Absicherung von Schwerpunktaufgaben und anderweitig bedeutsamen Aufgaben zum Einsatz sowie im Rahmen der „Wer ist wer? „-Aufklärung. Er war ferner in die Bearbeitung einer OPK einbezogen, wo er wertvolle Informationen über die bearbeitete Person lieferte und wesentlich zur Klärung interessierender Zusammenhänge beigetragen hat.

Über Sachfragen informiert der IM ausführlich und objektiv. Bei der personenbezogenen Berichterstattung hatte er anfänglich Hemmungen und Vorbehalte, die er in dem Maße abgebaut hat, wie es ihm gelang, dem operativen Mitarbeiter Vertrauen entgegenzubringen …

Die politische Einstellung des IMS „O.” ist grundsätzlich positiv, obwohl er sich zu einigen Einzelerscheinungen der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR kritische Wertungen vorbehält bzw. Vorbehalte hat.”

Den Bericht des Bundesbeauftragten machte die Beklagte zur Grundlage für ihre Verfügung vom 09.08.1993, in der sie den Beginn der Dienstzeit des Klägers nunmehr auf den 03.10.1993 festsetzte. Zur Begründung der Dienstzeitverkürzung berief sie sich auf Nr. 1 a der Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O. Die Nr. 1 dieser Übergangsvorschriften hat folgenden Wortlaut:

„Übergangsvorschriften

1. für die Zeiten vor dem 1. Januar 1991 Von der Berücksichtigung als Postdienstzeit sind ausgeschlossen

  1. Zeiten jeglicher Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (einschließlich der Verpflichtung zu informeller/inoffizieller Mitarbeit),
  2. Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR,
  3. Zeiten einer Tätigkeit, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden war.

Die Übertragung der Tätigkeit aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe wird insbesondere vermutet, wenn der Angestellte

aa) vor oder bei Übertragung der Tätigkeit eine hauptamtliche oder hervorgehobene ehrenamtliche Funktion in der SED, dem FDGB, der FDJ oder einer vergleichbar systemunterstützenden Partei oder Organisation innehatte,

bb) als mittlere oder obere Führungskraft in zentralen Staatsorganen, als obere Führungskraft beim Rat eines Bezirkes, als Vorsitzender des Rates eines Kreises oder einer kreisfreien Stadt (Oberbürgermeister) oder in einer vergleichbaren Funktion tätig war (z.B. Minister, Staatssekretär, Hauptabteilungsleiter, Abteilungs- und Sektorenleiter im MPF, Geschäftsbereichsleiter und Fachbereichsleiter bei den Generaldirektionen der Deutschen Post, Leiter einer Bezirksdirektion und deren Stellvertreter, sowie die Leiter der Zentralen Ämter, der Institute und Bildungseinrichtungen der Deutschen Post, die dem MPF direkt unterstellt waren),

cc) hauptamtliche Lehrender an den Bildungseinrichtungen der staatstragenden Parteien oder einer Massen- oder gesellschaftlichen Organisation war oder

dd) Absolvent der Akademie für Staat und Recht oder der Akademie/Institut für Gesells...

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