Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschäftigungszeit. besondere persönliche Systemnähe

 

Leitsatz (amtlich)

  • Eine Tätigkeit ist im Sinne Nr. 4c der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden, wenn diese ursächlich für die Übertragung der Tätigkeit war. Es ist nicht erforderlich, daß die besondere persönliche Systemnähe alleinige Ursache für die Übertragung der Tätigkeit war (im Anschluß an BAG Urteil vom 18. April 1996 – 6 AZR 565/95 – zur Veröffentlichung bestimmt).
  • Nr. 4c letzter Satz der Übergangsvorschriften, wonach Zeiten einer Tätigkeit von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ausgeschlossen sind, die vor einer Tätigkeit zurückgelegt worden sind, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden ist, verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
 

Normenkette

BAT-O § 19; BAT-O Übergangsvorschriften Nr. 4c; BAT-O Übergangsvorschriften Nr. 4c letzter Satz; GG Art. 3 Abs. 1; TVG § 1 Tarifverträge: DDR

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 27.04.1995; Aktenzeichen 10 Sa 599/94)

ArbG Dresden (Urteil vom 07.04.1994; Aktenzeichen 17 Ca 9794/93)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über anrechnungsfähige Beschäftigungszeiten der Klägerin nach § 19 BAT-O.

Die Klägerin studierte in den Jahren 1970 bis 1974 Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin und schloß dieses Studium als Diplom-Kulturwissenschaftlerin ab. Danach war sie im Veranstaltungsbetrieb Dresden tätig.

Am 1. Juni 1977 nahm die Klägerin eine Tätigkeit beim Rat des Bezirks Dresden in der Abteilung Kultur als Mitarbeiterin für Kulturpolitik, Literaturentwicklung und -verbreitung auf. Seit dem Jahre 1982 war sie ehrenamtliches Mitglied der Leitung der Abteilungsparteiorganisation (APO) Kultur der SED beim Rat des Bezirks. Die Grundorganisation beim Rat des Bezirks Dresden war in etwa 25 Abteilungsparteiorganisationen gegliedert. Ab 1. Januar 1985 war die Klägerin stellvertretende APO-Sekretärin.

In einer Leistungseinschätzung der Klägerin vom 29. März 1985 aufgrund eines Kadergesprächs am 28. Januar 1985 heißt es u.a.:

“…

Durch ihre sehr guten Leistungen auf fachlichem Gebeit, ergänzt durch ihre gute Arbeit als Parteileitungsmitglied, wird Genossin T… als Nachwuchskader für eine Leitungsfunktion vorgesehen. Nach dem BPS-Besuch 1985/86 übernimmt Genossin T… wieder ihr jetziges Aufgabengebiet Sie wird als Reservekader für den Bereichsleiter Kunst/Politik vorbereitet.

…”

In einer weiteren Leistungseinschätzung ist u.a. vermerkt

“…

Bei Diskussionen vertritt Genossin T… einen klaren politischen Standpunkt, muß sich aber nach um mehr Durchsetzungskraft ihrer eigenen Meinung bemühen. …

Genossin T… ist Mitglied der APO-Leitung und seit dem 1.1.1985 stellvertretender APO-Sekretär. Sie genießt die Achtung und Anerkennung des Kollektivs und ihre Hilfsbereitschaft wird von den Kollegen geschätzt.

Es kann eingeschätzt werden, daß Genossin T… in der Lage ist, ihr Fachgebiet selbständig und mit politischem Weitblick zu leiten. Bei noch mehr Durchschlagskraft und Vertrauen in die eigene Leistung ist sie geeignet, in der Perspektive eine Leitungsfunktion zu übernehmen.

Der vorgesehene Besuch der BPS wird ihr dazu das nötige Rüstzeug verleihen und positive Voraussetzungen für ihren weiteren Einsatz (Reservekader für die Leitung des Bereichs Kunstpolitik) in der Abteilung Kultur schaffen.”

Am 1. September 1985 nahm die Klägerin ein Direktstudium an der Bezirksparteischule der SED in Dresden auf. Ende 1985 wurde ihr als Sekretärin der APO deren Leitung übertragen. Am 30. Juni 1986 schloß die Klägerin ihr Studium an der Bezirksparteischule ab. Ihr wurde am 1. Juli 1986 die Leitung des Arbeitsbereichs geistig-kulturelles Leben beim Rat des Bezirks Dresden übertragen. Dabei unterstand sie dem Ratsmitglied für Kultur, dessen ständigem Stellvertreter und dem 2. Stellvertreter.

Die Klägerin war bis zum Jahre 1989 Sekretärin der APO-Kultur. Im April 1989 wurde sie im Rahmen eines Parteiverfahrens von der Stadtbezirksleitung Dresden wegen ungenügender Wahrnehmung ihrer politischen Verantwortung verwarnt. Seit dem 1. April 1990 war die Klägerin Referatsleiterin für Kultur, Bibliotheken, Medien, Film beim Rat des Bezirks Dresden bzw. bei der Bezirksverwaltungsbehörde.

Ab 1. Januar 1991 bestand ein Arbeitsvertrag mit dem Beklagten. Die Klägerin wurde zunächst mit der Abwicklung der Bezirksverwaltungsbehörde und ab 1. März 1991 als Angestellte im Referat Kultur- und Sportangelegenheiten beim Regierungspräsidium in Dresden beschäftigt.

Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 Anwendung. Die Anrechnung von Beschäftigungszeiten bestimmt sich nach § 19 BAT-O. Dort heißt es, soweit hier von Interesse:

“§ 19

Beschäftigungszeit

(1) Beschäftigungszeit ist die bei demselben Arbeitgeber nach Vollendung des 18. Lebensjahres in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist.

Ist der Angestellte aus seinem Verschulden oder auf eigenen Wunsch aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, so gilt die vor dem Ausscheiden liegende Zeit nicht als Beschäftigungszeit, es sei denn, daß er das Arbeitsverhältnis wegen eines mit Sicherheit erwarteten Personalabbaues oder wegen Unfähigkeit zur Fortsetzung der Arbeit infolge einer Körperbeschädigung oder einer in Ausübung oder infolge seiner Arbeit erlittenen Gesundheitsschädigung aufgelöst hat oder die Nichtanrechnung der Beschäftigungszeit aus sonstigen Gründen eine unbillige Härte darstellen würde.

Übergangsvorschriften für Zeiten vor dem 1. Januar 1991:

2. Ist infolge des Beitritts der DDR der frühere Arbeitgeber weggefallen, ohne daß eine Überführung nach Artikel 13 des Einigungsvertrages erfolgt ist, gelten als Beschäftigungszeit nach Maßgabe des Absatz 1

b) für Angestellte der Länder

Zeiten der Tätigkeit bei zentralen oder örtlichen Staatsorganen und ihren nachgeordneten Einrichtungen oder sonstigen Einrichtungen oder Betrieben, soweit das Land deren Aufgaben bzw. Aufgabenbereiche derselben ganz oder überwiegend übernommen hat,

4. Von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit sind ausgeschlossen

c) Zeiten einer Tätigkeit, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden war.

Die Übertragung der Tätigkeit aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe wird insbesondere vermutet, wenn der Angestellte

aa) vor oder bei Übertragung der Tätigkeit eine hauptamtliche oder hervorgehobene ehrenamtliche Funktion in der SED, dem FDGB, der FDJ oder einer vergleichbar systemunterstützenden Partei oder Organisation innehatte,

bb) als mittlere oder obere Führungskraft in zentralen Staatsorganen, als obere Führungskraft beim Rat eines Bezirkes, als Vorsitzender des Rates eines Kreises oder einer kreisfreien Stadt (Oberbürgermeister) oder in einer vergleichbaren Funktion tätig war,

Der Angestellte kann die Vermutung widerlegen.

Von einer Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ausgeschlossen sind auch die Zeiten, die vor einer Tätigkeit im Sinne der Buchstaben a) bis c) zurückgelegt worden sind.”

Die Zeit der Tätigkeit der Klägerin vom 1. Juni 1977 bis 31. Dezember 1990 wurde vom Beklagten nicht als Beschäftigungszeit anerkannt, mit der Begründung, der Klägerin sei die Tätigkeit als Leiterin des Arbeitsbereichs geistig-kulturelles Leben aufgrund besonderer persönlicher Systemnähe übertragen worden.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Zeit ihrer Tätigkeit beim Rat des Bezirks Dresden sei seit dem 1. Juni 1977 als Beschäftigungszeit anzuerkennen. Die Tätigkeit als Leiterin des Arbeitsbereichs geistig-kulturelles Leben sei ihr nicht aufgrund besonderer persönlicher Systemnähe übertragen worden. Der Vermutungstatbestand nach Nr. 4c Buchst. aa der Übergangsvorschriften sei nicht gegeben, da sie keine hervorgehobene ehrenamtliche Funktion in der SED innegehabt habe. Maßgebend für die Neubesetzung der Stelle, die am 1. Januar 1986 freigeworden sei, sei nicht der Besuch der Bezirksparteischule, sondern ihre fachliche Qualifikation gewesen. Im übrigen müsse zumindest die Zeit vom 1. Juni 1977 bis zum 30. Juni 1986 als Beschäftigungszeit anerkannt werden.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, die Zeit vom 1. Juni 1977 bis 31. Dezember 1990 als Beschäftigungszeit i.S.d. § 19 BAT-O anzuerkennen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, der Klägerin sei die Tätigkeit als Leiterin des Arbeitsbereichs geistig-kulturelles Leben wegen ihrer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden. Dies sei aufgrund ihrer hervorgehobenen ehrenamtlichen Funktion als APO-Sekretärin zu vermuten. Die Übertragung der Tätigkeit aufgrund besonderer persönlicher Systemnähe ergebe sich im übrigen aus den Leistungseinschätzungen und dem Besuch der Bezirksparteischule.

Der Ausschluß der Berücksichtigung der Beschäftigungszeiten vor dem 1. Juli 1986 beruhe auf der tariflichen Regelung in Nr. 4c letzter Satz der Übergangsvorschriften.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Zeit der Tätigkeit der Klägerin vom 1. Juni 1977 bis 31. Dezember 1990 ist nicht als Beschäftigungszeit i.S.v. § 19 BAT-O zu berücksichtigen, da die Klägerin seit dem 1. Juli 1986 als Leiterin des Arbeitsbereichs geistig-kulturelles Leben beim Rat des Bezirks Dresden eine Tätigkeit ausgeübt hat, die ihr aufgrund besonderer persönlicher Systemnähe übertragen worden war (Nr. 4c der Übergangsvorschriften) und deshalb auch die vor dieser Tätigkeit zurückgelegte Zeit von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ausgeschlossen ist (Nr. 4c letzter Satz der Übergangsvorschriften).

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die vor dem 1. Januar 1991 liegenden Zeiten der Tätigkeit der Klägerin beim Rat des Bezirks Dresden seien als Beschäftigungszeit i.S.v. § 19 BAT-O nach Nr. 4c der Übergangsvorschriften nicht zu berücksichtigen. Der Klägerin sei am 1. Juli 1986 die Leitung des Arbeitsbereichs geistig-kulturelles Leben in der Abteilung Kultur des Rats des Bezirks Dresden übertragen worden. Nach Nr. 4c Buchst. aa der Übergangsvorschriften sei zu vermuten, daß die Übertragung dieser Tätigkeit aufgrund der besonderen persönlichen Systemnähe der Klägerin erfolgt sei. Dies folge daraus, daß sie vor der Übertragung der Tätigkeit als Sekretärin der APO eine hervorgehobene ehrenamtliche Funktion in der SED innegehabt habe. Die Übertragung der Tätigkeit aufgrund besonderer persönlicher Systemnähe ergebe sich auch aus ihrer früheren Mitgliedschaft in der Leitung der APO, dem Besuch der Bezirksparteischule und den Leistungseinschätzungen.

II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Die Zeit der Tätigkeit der Klägerin beim Rat des Bezirks Dresden vom 1. Juni 1977 bis zum 31. Dezember 1990 ist nicht als Beschäftigungszeit i.S.v. § 19 BAT-O anzuerkennen.

1. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß eine Anrechnung als Beschäftigungszeit nur nach Ziff. 2b der Übergangsvorschriften in Betracht kommt. Da der Rat des Bezirks Dresden als früherer Arbeitgeber der Klägerin infolge des Beitritts der DDR weggefallen ist, ohne daß eine Überführung i.S.v. Art. 13 des Einigungsvertrages erfolgte, kann die Zeit der Tätigkeit der Klägerin beim Rat des Bezirks Dresden als einem örtlichen Staatsorgan als Beschäftigungszeit nur angerechnet werden, soweit das beklagte Land Aufgaben bzw. Aufgabenbereiche des Rats des Bezirks Dresden ganz oder überwiegend übernommen hat. Dies ist mit dem Landesarbeitsgericht zugunsten der Klägerin zu unterstellen. Trotzdem ist ihre Tätigkeit beim Rat des Bezirks Dresden nicht als Beschäftigungszeit zu berücksichtigen.

2. Eine Berücksichtigung der Zeit vom 1. Juli 1986 bis zum 31. Dezember 1990 als Beschäftigungszeit ist nach Nr. 4c der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O ausgeschlossen, da der Klägerin die Tätigkeit als Leiterin des Arbeitsbereichs geistig-kulturelles Leben ab 1. Juli 1986, die mit ihrer Tätigkeit als Referatsleiterin beim Rat des Bezirks bzw. der Bezirksverwaltungsbehörde ab 1. April 1990 fortgesetzt wurde, aufgrund ihrer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden ist. Deshalb kann dahinstehen, ob sie als Sekretärin der Abteilungsparteiorganisation (APO) Kultur, die eine von ca. 25 Abteilungsparteiorganisationen beim Rat des Bezirks Dresden war, vor Übertragung der Tätigkeit als Bereichsleiterin eine hervorgehobene ehrenamtliche Funktion in der SED ausgeübt hat und deshalb nach Nr. 4c Buchst. aa der Übergangsvorschriften die Übertragung der Tätigkeit aufgrund besonderer persönlicher Systemnähe zu vermuten wäre.

a) Eine Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ist nach Nr. 4c der Übergangsvorschriften ausgeschlossen für Zeiten einer Tätigkeit, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden ist. Dies ist nach der Rechtsprechung des Senats der Fall, wenn die besondere persönliche Systemnähe ursächlich für die Übertragung der Tätigkeit war. Die Tarifvertragsparteien fordern in Nr. 4c der Übergangsvorschriften mit dem Merkmal der besonderen persönlichen Systemnähe eine hervorgehobene persönliche Identifizierung mit dem Staatsapparat der ehemaligen DDR, die zur Übertragung der Tätigkeit führte (vgl. BAG Urteil vom 18. April 1996 – 6 AZR 565/95 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Dies erfordert die Feststellung von Tatsachen, die den Schluß auf eine besondere persönliche Systemnähe und deren Ursächlichkeit für die Übertragung der Tätigkeit zulassen. Derartige Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht getroffen.

b) Die Klägerin war seit dem Jahre 1982 ehrenamtliches Mitglied der Leitung der APO Kultur der SED beim Rat des Bezirks. Seit dem 1. Januar 1985 war sie stellvertretende Leiterin und ab Ende 1985 Sekretärin und damit Leiterin der APO. Die APO vertrat einerseits die in der Abteilung beschäftigten Parteimitglieder gegenüber dem übergeordneten Parteigremium und hatte andererseits die Aufgabe, die Ziele der Partei und deren Interessen gegenüber den Parteimitgliedern der Abteilung darzustellen und deren Einhaltung zu kontrollieren. Als Mitglied der Leitung der APO bzw. später als deren Leiterin nahm die Klägerin damit ehrenamtliche Funktionen in der Partei wahr, die den Schluß darauf zulassen, daß sie sich in hervorgehobener Weise persönlich mit den Aufgaben und Zielen der SED als staatstragender Partei in der ehemaligen DDR identifizierte.

Die besondere persönliche Systemnähe der Klägerin wird auch durch das Direktstudium an der Bezirksparteischule in der Zeit vom 1. September 1985 bis 30. Juni 1986 im Rahmen der marxistisch-leninistischen Ausbildung der Mitglieder und Kandidaten der SED bestätigt. Dementsprechend wurde in der Leistungseinschätzung vom 29. März 1985 auf ihre gute Arbeit als Parteileitungsmitglied verwiesen und in der sich anschließenden Leistungseinschätzung ihr klarer politischer Standpunkt und ihre Funktion in der APO-Leitung hervorgehoben.

Soweit sich die Klägerin darauf beruft, gegen ihre besondere persönliche Systemnähe spreche das gegen sie wegen ungenügender Wahrnehmung ihrer Aufgaben durchgeführte Parteiverfahren, kann sie damit keinen Erfolg haben. Das Parteiverfahren wurde erst im April 1989 und damit mehr als 2 1/2 Jahre nach der Übertragung der Tätigkeit durchgeführt.

Die besondere persönliche Systemnähe der Klägerin war auch ursächlich für die Übertragung der Tätigkeit als Leiterin des Arbeitsbereichs geistig-kulturelles Leben in der Abteilung Kultur beim Rat des Bezirks. Dabei kommt es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht darauf an, daß sie auch die fachlichen Voraussetzungen für diese Tätigkeit erfüllte. Eine Tätigkeit ist nicht nur dann aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe i.S.v. Nr. 4c der Übergangsvorschriften übertragen, wenn die besondere persönliche Systemnähe alleinige Ursache für die Übertragung der Tätigkeit gewesen ist. Weder dem Tarifwortlaut noch dem tariflichen Gesamtzusammenhang, die bei der Tarifauslegung maßgebend zu berücksichtigen sind, läßt sich entnehmen, daß die Tarifvertragsparteien nur die Fälle erfassen wollten, in denen die Übertragung der Tätigkeit im Hinblick auf eine besondere persönliche Systemnähe erfolgt ist, obwohl der Angestellte die fachlichen Voraussetzungen für die Ausübung der Tätigkeit nicht erfüllte. Eine Übertragung aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe ist vielmehr auch dann anzunehmen, wenn die besondere persönliche Systemnähe bei Vorliegen der fachlichen Voraussetzungen mitursächlich für die Übertragung der Tätigkeit war.

Dies war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts der Fall. Aus den Leistungseinschätzungen ergibt sich, daß die Klägerin durch ihre Tätigkeit in der APO-Leitung und den Besuch der Bezirksparteischule als Reservekader für den Bereichsleiter des Arbeitsbereichs geistig-kulturelles Leben vorbereitet wurde. Der Besuch der Bezirksparteischule, der der marxistisch-leninistischen Weiterbildung diente, sollte ihr das nötige Rüstzeug dazu verleihen und die Voraussetzungen für ihren entsprechenden Einsatz schaffen.

Dem entspricht auch, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt, der zeitliche Ablauf. Nachdem zum 1. Januar 1986 die Stelle des Bereichsleiters freigeworden war, wurde diese nicht zugleich neu besetzt, sondern abgewartet, bis die Klägerin mit Abschluß ihres Direktstudiums an der Bezirksparteischule die als erforderlich angesehenen Voraussetzungen erfüllte. Deshalb wurde ihr die Tätigkeit erst nach Abschluß des Besuchs der Bezirksparteischule am 30. Juni 1986 ab 1. Juli 1986 übertragen.

3. Die Zeit der Tätigkeit der Klägerin vom 1. Juni 1977 bis 30. Juni 1986 ist nach Nr. 4c letzter Satz der Übergangsvorschriften von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ausgeschlossen. Nach dieser tariflichen Bestimmung sind auch Zeiten, die vor einer Tätigkeit i.S.d. Buchst. a bis c zurückgelegt worden sind (fortan Vordienstzeiten), von einer Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ausgeschlossen.

a) Diese Voraussetzung ist hinsichtlich der Tätigkeit der Klägerin beim Rat des Bezirks vom 1. Juni 1977 bis zum 30. Juni 1986 gegeben, da ihr ab 1. Juli 1986 die Tätigkeit als Bereichsleiterin aufgrund ihrer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden war und deren Berücksichtigung als Beschäftigungszeit deshalb nach Nr. 4c der Übergangsvorschriften ausgeschlossen ist.

b) Die tarifliche Bestimmung der Nr. 4c letzter Satz der Übergangsvorschriften verstößt, soweit sie den Ausschluß von Vordienstzeiten in den Fällen der Übertragung einer Tätigkeit aufgrund besonderer persönlicher Systemnähe nach Nr. 4c der Übergangsvorschriften vorsieht, nicht gegen höherrangiges Recht. Die von ihr betroffenen Angestellten werden gegenüber den Angestellten, die nicht unter diese Tarifnorm fallen, nicht ungleich behandelt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind die Tarifvertragsparteien an die Grundrechte gebunden. Sie haben damit auch den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten. Dieser wird durch eine Tarifnorm verletzt, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen (BAGE 67, 264, 272 = AP Nr. 9 zu § 63 BAT, zu II 5a der Gründe). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Letzteres gilt insbesondere bei der Ungleichbehandlung von Personengruppen (BAG Urteil vom 23. Juni 1994 – 6 AZR 911/93 – AP Nr. 13 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Aufgabe der Gerichte ist es jedoch nicht zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien die sachgerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen haben. Die Gerichte haben jedoch zu kontrollieren, ob durch die tarifliche Regelung die Grenzen der Tarifautonomie überschritten werden (BAGE 70, 62, 69 = AP Nr. 1 zu § 4 BeschFG 1985, zu II 2b bb der Gründe).

c) Die Tarifvertragsparteien haben durch die Regelung in Nr. 4c letzter Satz der Übergangsvorschriften die Grenzen ihres normativen Gestaltungsspielraums nicht überschritten.

Durch den Ausschluß von Vordienstzeiten in den Fällen der Nr. 4c der Übergangsvorschriften haben die Tarifvertragsparteien Arbeitnehmer, bei denen Zeiten einer Tätigkeit als Beschäftigungszeit nach dieser Tarifnorm nicht zu berücksichtigen sind, mit den Arbeitnehmern gleichbehandelt, bei denen das Arbeitsverhältnis unterbrochen war (§ 14 Abs. 1u. 3 BAT-O). Eine Gleichbehandlung mit den Arbeitnehmern, bei denen mangels eines Ausschlußtatbestandes nach Nr. 4 der Übergangsvorschriften eine ununterbrochene Tätigkeit als Beschäftigungszeit zu berücksichtigen ist, ist nicht geboten. Insoweit ist eine Nichtberücksichtigung der Vordienstzeiten sachlich gerechtfertigt.

aa) Nach § 19 Abs. 1 Unterabs. 1 BAT-O ist Beschäftigungszeit die bei demselben Arbeitgeber zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist. Die Berücksichtigung von Zeiten der Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses erfolgt nach näherer tariflicher Maßgabe des § 19 Abs. 1 Unterabs. 3 BAT-O.

Gegen diese Regelung bestehen keine Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Tarifvertragsparteien sind danach nicht gehalten, die Anrechnung von Beschäftigungszeiten in gleicher Weise bei Arbeitnehmern zu regeln, deren Arbeitsverhältnisse eine ununterbrochene Beschäftigung aufweisen wie bei Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse unterbrochen waren. Die Differenzierung bei der Anrechnung von Beschäftigungszeiten, die vor Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses liegen, je nachdem, ob der Angestellte aus eigenem Verschulden oder auf eigenen Wunsch ausgeschieden ist oder die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus Gründen erfolgte, die in der Sphäre des Arbeitgebers lagen, ist sachlich gerechtfertigt.

Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt notwendigerweise dazu, daß die Zeit bis zur Wiederaufnahme einer Tätigkeit bei demselben Arbeitgeber als Beschäftigungszeit nicht berücksichtigt werden kann. Beruhte die Beendigung auf dem Verhalten des Arbeitnehmers oder auf seinem Wunsch, so hat er selbst die Ursache dafür geschaffen. Dies rechtfertigt es auch, die davorliegenden Zeiten, abgesehen von den in § 19 Abs. 1 Unterabs. 3 BAT-O ausdrücklich genannten Fällen (Personalabbau, Gesundheitsgründe, unbillige Härte), nicht als Beschäftigungszeit anzurechnen.

bb) In entsprechender Weise haben die Tarifvertragsparteien in den Übergangsvorschriften die Anrechnung von Beschäftigungszeiten vor dem 1. Januar 1991 geregelt. In den Fällen der Nr. 4 Buchst. a bis c haben sie aufgrund von Tatbeständen, die mit den in § 19 Abs. 1 Unterabs. 3 BAT-O genannten vergleichbar sind, Zeiten von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ausgeschlossen.

Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Es handelt sich dabei um Zeiten von Tätigkeiten, die den Anforderungen des öffentlichen Dienstes, wie er in einer demokratischen und rechtsstaatlichen Verwaltung verstanden wird, nicht gerecht wurden. Die gilt nicht nur für die Tätigkeit bei den Grenztruppen (Buchst. a), wie der Senat bereits im Urteil vom 23. Juni 1994 (– 6 AZR 911/93 – AP Nr. 13 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) entschieden hat, sondern auch für Zeiten einer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit (Buchst. b) und bei Tätigkeiten, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden sind (Buchst. c). In allen diesen Fällen haben die Tarifvertragsparteien in Nr. 4c letzter Satz der Übergangsvorschriften aber auch Zeiten von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ausgeschlossen, die vor einer Tätigkeit i.S.d. Buchst. a bis c zurückgelegt worden sind.

Der Ausschluß der Berücksichtigung dieser Vordienstzeiten ist – ebenso wie in der tariflichen Regelung in § 19 Abs. 1 BAT-O – in den Fällen sachlich gerechtfertigt, in denen die Nichtberücksichtigung als Beschäftigungszeit auf dem Verhalten des Arbeitnehmers beruht. Dies gilt sowohl bei Tätigkeiten für das Ministerium für Staatssicherheit als auch bei den Tätigkeiten, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden sind. Hinsichtlich von Tätigkeiten als Angehöriger der Grenztruppen hatte der Senat im Urteil vom 23. Juni 1994 über die Berücksichtigung von Vordienstzeiten nicht zu entscheiden. Insoweit könnte ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in den Fällen begründet sein, in denen die Tätigkeit bei den Grenztruppen auf einer Einberufung zum Grundwehrdienst beruhte, da demgegenüber die Ableistung des Grundwehrdienstes bei der Nationalen Volksarmee keine Auswirkungen auf die davorliegende Beschäftigungszeit hat (vgl. LAG Berlin Urteil vom 9. Februar 1995 – 10 Sa 111/94 –, AuA 1995, 353).

Diesem Gesichtspunkt ist allerdings bereits durch eine übertarifliche Regelung Rechnung getragen worden, wie sie im Rundschreiben des BMI vom 29. März 1994, der TdL vom 24. März 1994 und der VkA vom 29. März 1994 verlautbart ist. Danach werden keine Bedenken erhoben, wenn Zeiten, die vor einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen zurückgelegt worden sind, abweichend vom letzten Satz der Übergangsvorschrift Nr. 4 bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auf Antrag übertariflich dann als Beschäftigungszeit berücksichtigt werden, wenn der Angestellte den Grenztruppen nur als Grundwehrdienstleistender angehört oder nach dem Grundwehrdienst dort Reserveübungen abgeleistet hat. Zeiten vor einer Tätigkeit als Berufs- oder Zeitsoldat bei den Grenztruppen bleiben weiterhin von der Anrechnung ausgeschlossen (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, ATB-Ang, Stand November 1995, Band 1, § 19 BAT-O Erl. 6.4). Diese Regelung knüpft somit hinsichtlich der Berücksichtigung der Vordienstzeiten, wie in den Fällen der Buchst. b u. c der Übergangsvorschriften daran an, ob die Tätigkeit bei den Grenztruppen auf einem Verhalten des Arbeitnehmers, wie bei seiner Verpflichtung als Berufs- oder Zeitsoldat beruht oder auf seiner Einberufung zum Grundwehrdienst.

Soweit die Tarifvertragsparteien den Ausschluß von Vordienstzeiten bei Tätigkeiten vorsehen, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden sind, liegt demgegenüber die Ursache für die Nichtberücksichtigung der Tätigkeit als Beschäftigungszeit stets im Verhalten des Arbeitnehmers, nämlich seiner hervorgehobenen persönlichen Identifizierung mit dem Staatsapparat der DDR, die in solchen Fällen erfahrungsgemäß bereits längere Zeit vor der Übertragung der Tätigkeit begonnen haben dürfte. Dies rechtfertigt damit den Ausschluß der Vordienstzeiten. Ob Vordienstzeiten bei einer im Einzelfall unbilligen Härte entsprechend der Regelung in § 19 Abs. 1 Unterabs. 3 BAT-O als Beschäftigungszeit angerechnet werden können, war nicht zu entscheiden, da ein solcher Fall hier nicht vorliegt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Freitag, Reinecke, Gebert, Bruse

 

Fundstellen

Haufe-Index 884832

BAGE, 149

NZA 1997, 268

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