Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindung. Verringerung wegen gesetzlicher Rente

 

Leitsatz (redaktionell)

Verringerung des Abfindungsanspruchs auf Null wegen Entstehung eines Anspruchs auf gesetzliche Altersrente für langjährig Versicherte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses; hier ohne die Problematik der Rentenberechtigung nach dem Rentenüberleitungsgesetz (vgl. dazu Urteil des Senats vom 30. Januar 1997 – 6 AZR 695/95 – für die Fachpresse bestimmt).

 

Normenkette

SGB VI §§ 34-36, 115; SGB IV § 19

 

Verfahrensgang

Thüringer LAG (Urteil vom 04.05.1995; Aktenzeichen 1 Sa 749/94)

ArbG Suhl (Urteil vom 25.03.1994; Aktenzeichen 7 Ca 785/93)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 4. Mai 1995 – 1 Sa 749/94 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt eine Abfindung wegen Beendigung seines Arbeitsverhältnisses.

Der am 24. April 1929 geborene Kläger war bei dem Beklagten und dessen Rechtsvorgänger seit dem 1. Januar 1950 als Lehrer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der tarifgebundenen Parteien fand der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 Anwendung. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis wegen mangelnden Bedarfs zum 31. Dezember 1992. Seit dem 1. Januar 1993 hat der Kläger Altersübergangsgeld nach § 249 e AFG bezogen. Einen Antrag auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung hat er nicht gestellt.

Der Kläger verlangte von dem Beklagten die Zahlung einer Abfindung nach dem Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 (TV soziale Absicherung). Der Beklagte lehnte dies mit dem Hinweis ab, daß der Kläger nach Beendigung der Arbeitsverhältnisse Altersrente beziehen könne und der Anspruch auf Abfindung somit ausgeschlossen sei. Im TV soziale Absicherung heißt es:

㤠2

Abfindung

(1) Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis gekündigt wird, weil

  1. er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist oder

erhält eine Abfindung. Das gleiche gilt, wenn ein Arbeitnehmer bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Kündigung nach Satz 1 aufgrund eines Auflösungsvertrages ausscheidet.

(2) Die Abfindung beträgt für jedes volle Jahr der Beschäftigungszeit (§ 19 BAT-O ohne die nach der Übergangsvorschrift Nr. 3 hierzu berücksichtigten Zeiten bzw. die vergleichbaren, für die Arbeiter geltenden Bestimmungen) ein Viertel der letzten Monatsvergütung (§ 26 BAT-O zuzüglich der allgemeinen Zulage) bzw. des letzten Monatstabellenlohnes (§ 21 Abs. 3 MTArb-O, § 20 Abs. 2 BMT-G-O ggf. zuzüglich des Sozialzuschlags), mindestens aber die Hälfte und höchstens das Fünffache dieser Vergütung bzw. dieses Lohnes. Sie darf den Betrag von 10.000,– DM nicht übersteigen; …

(3) Der Anspruch auf Abfindung entsteht am Tag nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. …

(6) Tritt der Arbeitnehmer in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber im Sinne des § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT ein und ist die Zahl der zwischen der Beendigung des alten und der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses liegenden Kalendermonate geringer als die der Abfindung zugrunde liegende Anzahl von Bruchteilen der Monatsvergütung/des Monatslohnes (Absatz 2), verringert sich die Abfindung entsprechend. Überzahlte Beträge sind zurückzuzahlen.

(7) Absatz 6 gilt entsprechend, wenn innerhalb des gleichen Zeitraums ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht.”

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, sein Anspruch auf Abfindung werde dadurch, daß er Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen könne, nicht ausgeschlossen. Ein Anspruch auf Rente entstehe i.S. von § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung erst, wenn er einen Rentenantrag stelle.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 10.000,– DM zu zahlen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und darauf verwiesen, daß der Kläger bereits an seinem 63. Geburtstag, dem 28. April 1992, und damit schon vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erworben habe. Nicht entscheidend sei, daß der Kläger den Rentenantrag nicht gestellt habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung nach dem TV soziale Absicherung.

I. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a TV soziale Absicherung, der für den Kläger als unter den BAT-O fallenden Arbeitnehmer gilt (§ 1 TV soziale Absicherung), erhält ein Arbeitnehmer eine Abfindung, dessen Arbeitsverhältnis gekündigt wird, weil er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß diese Voraussetzungen bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1992 vorlagen. Der Anspruch hat sich aber nach § 2 Abs. 7 i.V.m. Abs. 6 TV soziale Absicherung auf Null verringert, weil unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch des Klägers auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entstanden ist.

1. Nach § 2 Abs. 6 TV soziale Absicherung verringert sich der Anspruch auf Abfindung, wenn der wegen mangelnden Bedarfs ausgeschiedene Arbeitnehmer wieder in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber i.S. des § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT eintritt und die Zahl der zwischen Beendigung des alten und Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses liegenden Kalendermonate geringer als die der Abfindung zugrundeliegende Zahl von Bruchteilen der Monatsvergütung (Abs. 2) ist. Die in diesem Fall eintretende entsprechende Verringerung der Abfindung bewirkt den völligen Wegfall des Abfindungsanspruchs, wenn das neue Arbeitsverhältnis unmittelbar an das alte anschließt.

Nach § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung gilt Abs. 6 entsprechend, „wenn innerhalb des gleichen Zeitraums” ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht. Mit dem „gleichen Zeitraum” im Sinne dieser Bestimmung ist, wie im Falle des Absatzes 6, ein mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses beginnender Zeitraum gemeint, der die tarifliche Rechtsfolge der Verringerung der Abfindung dann auslöst, wenn die Zahl der ihn umfassenden Kalendermonate die der Abfindung zugrundeliegende Anzahl von Bruchteilen der Monatsvergütung unterschreitet. An die Stelle der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses (Abs. 6) tritt in Abs. 7 die Entstehung des Anspruchs auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Der in § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung bezeichnete Zeitraum liegt also, ebenso wie der in Abs. 6 bezeichnete, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. Urteil des Senats vom 1. Juni 1995 – 6 AZR 926/94BAGE 80, 158 = AP Nr. 24 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; Urteil des Senats vom 30. Januar 1997 – 6 AZR 695/95 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

2. Der Anspruch des Klägers auf Altersrente ist unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden und hat daher den völligen Wegfall des Abfindungsanspruchs zur Folge.

a) Nach § 36 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 63. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben. Diese nach § 34 Abs. 1 SGB VI erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen waren bei dem Kläger am 1. Januar 1993 gegeben. Er hatte zu diesem Zeitpunkt das 63. Lebensjahr vollendet. Nach § 51 Abs. 3 SGB VI werden auf die Wartezeit von 35 Jahren grundsätzlich alle Kalendermonate mit rentenrechtlichen Zeiten angerechnet. Da der Kläger nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts 42 Jahre lang ununterbrochen im Arbeitsverhältnis zu dem Beklagten und dessen Rechtsvorgänger gestanden hat, ist die nach § 36 SGB VI erforderliche Wartezeit von 35 Jahren erfüllt.

Die von der Revision insoweit erhobene Rüge der Verletzung des § 286 ZPO ist unbegründet. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, betrifft die Entscheidung, ob eine nicht bestrittene Beschäftigungszeit des Klägers von 42 Jahren die Wartezeit nach § 36 SGB VI erfüllt, die dem Gericht obliegende rechtliche Beurteilung, und nicht die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen.

b) Der Rentenanspruch ist am 1. Januar 1993 entstanden, obwohl der Kläger die Rente nicht beantragt hat.

Zwar wird die Altersrente nach § 36 SGB VI auf Antrag geleistet (vgl. § 19 SGB IV, § 115 Abs. 1 SGB VI). Unabhängig vom Antrag entsteht jedoch das Stammrecht auf die Rente schon in dem Zeitpunkt, in dem alle materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Berechtigung vorliegen. Allein auf diesen Zeitpunkt kommt es für die Rechtsfolge des § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung an. Der erkennende Senat verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine Ausführungen im Urteil vom 1. Juni 1995 (BAGE 80, 158, 161 = AP, a.a.O., zu I 1 der Gründe).

c) Der Rentenanspruch des Klägers ist nicht vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden, was die Verringerung der Abfindung nach § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung ausschließen könnte (vgl. dazu in einem eine Berufsunfähigkeitsrente betreffenden Fall: Urteil des Senats vom 1. Juni 1995, a.a.O. und Senatsurteil vom 30. Januar 1997 – 6 AZR 695/95 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

In der Zeit zwischen der Vollendung des 63. Lebensjahres am 28. April 1992 und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 1992 konnte der Rentenanspruch nach § 36 SGB VI nicht entstehen, weil der Kläger weiterhin voll berufstätig war und somit die den Rentenanspruch ausschließende gesetzliche Hinzuverdienstgrenze überschritt. Nach § 34 Abs. 2 SGB VI besteht ein Anspruch auf Rente wegen Alters vor Vollendung des 65. Lebensjahres nur, wenn die Hinzuverdienstgrenze nach § 34 Abs. 3 SGB VI nicht überschritten wird. Die Einhaltung dieser Grenze ist negative Anspruchsvoraussetzung (vgl. KassKomm-Niesel, Stand Februar 1997, § 34 SGB VI Rz 5). Obwohl der Kläger bereits am 28. April 1992 das 63. Lebensjahr vollendet hatte, konnte er, weil er weiterhin in seinem bisherigen Arbeitsverhältnis voll berufstätig war, bis zu dessen Beendigung am 31. Dezember 1992 den Rentenanspruch nach § 36 SGB VI nicht erwerben.

d) Entgegen der Ansicht des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, daß unter Rente i.S. der Tarifbestimmung nicht nur die Regelaltersrente nach § 35 SGB VI, sondern auch die Altersrente für langjährig Versicherte nach § 36 SGB VI zu verstehen ist. Für eine anderslautende Auslegung der Tarifbestimmung findet sich in deren Wortlaut kein Anhaltspunkt.

3. Der Kläger hat auch entgegen der Ansicht der Revision keinen Anspruch auf Abfindung in Höhe von mindestens einem halben Monatsgehalt. Die Höhe der nach § 2 Abs. 2 TV soziale Absicherung zu zahlenden Abfindung steht unter dem Vorbehalt der Verringerung auf Null nach § 2 Abs. 6 und 7 TV soziale Absicherung. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Tarifbestimmung. § 2 Abs. 6 und 7 TV soziale Absicherung sind als nachfolgende Absätze derselben Tarifbestimmung Ausnahmetatbestände gegenüber dem Grundtatbestand nach Abs. 2.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Peifer Dr. Freitag Dr. Armbrüster Ehrenamtlicher Richter Soltau ist aus dem Richteramt ausgeschieden und daher an der Unterzeichnung gehindert.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Steinhäuser

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093115

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