Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermäßigung des Regelstundenmaßes – behinderte Lehrkraft

 

Normenkette

SchwbG §§ 1, 2 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 22.06.1999; Aktenzeichen 5 Sa 1154/98)

ArbG Chemnitz (Urteil vom 24.08.1998; Aktenzeichen 5 Ca 3515/98)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 22. Juni 1999 – 5 Sa 1154/98 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf die Ermäßigung der Zahl der Unterrichtsstunden hat, die er im Durchschnitt wöchentlich zu erteilen hat (Regelstundenmaß).

Der Kläger ist seit 1960 als angestellte Lehrkraft an einer Mittelschule tätig. Nach Gründung des Freistaats ist er von dem Beklagten übernommen worden. Beide Parteien sind kraft Organisationszugehörigkeit tarifgebunden. Seit dem 24. Januar 1995 ist der Kläger einem Schwerbehinderten nach § 2 Abs. 1 SchwbG gleichgestellt. In Nr. 3 der Anlage 2 I I zum BAT-O “Sonderregelungen für Angestellte als Lehrkräfte” (SR 2 I I BAT-O) sind die Arbeitszeitregelungen des BAT-O von der Anwendung ausgenommen: “Es gelten die Bestimmungen für die entsprechenden Beamten”. Die Sächsische Staatsregierung hat für die Arbeitszeit der Beamten im Freistaat Sachsen (Sächsische Arbeitszeitverordnung) am 12. Januar 1993 zuletzt geändert durch 3. ÄndVO am 3. Dezember 1996 (GVBl. S 495) verordnet:

“§ 1

Regelmäßige Arbeitszeit

(1) Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt im Durchschnitt wöchentlich 40 Stunden.

…”

Durch die “Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus zur Arbeitszeit an öffentlichen Schulen” vom 2. Juli 1992 in der Fassung vom 20. August 1993 (Amtsblatt des SMK Nr. 13 vom 20. September 1993, S 357) – fortan: Lehrerarbeitszeit-Verwaltungsvorschrift – ist ergänzend bestimmt:

“1. Arbeitszeit …

2. Regelstundenmaß

2.1 Das Regelstundenmaß ist die Zahl der Unterrichtsstunden, die vollbeschäftigte Lehrkräfte im Durchschnitt wöchentlich zu erteilen haben. …

2.2 Das Regelstundenmaß beträgt für Lehrkräfte an

1.

Grundschulen

2.

Mittelschulen

27 UStd.

3. Unterrichtsverpflichtung

3.1 Die jeweilige Unterrichtsverpflichtung einer Lehrkraft ergibt sich aus dem Regelstundenmaß, abzüglich zu gewährender Ermäßigung und Anrechnungen.

4. Ermäßigungen

4.2 Schwerbehinderten Lehrkräften ist vom zuständigen Oberschulamt auf Antrag eine Stundenermäßigung unter Berücksichtigung des Maßes der Behinderung zu gewähren. …”

Zur Ermäßigung des Regelstundenmaßes für schwerbehinderte Lehrkräfte sind in dem “Erlaß zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes im Geschäftsbereich des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus” (Az.: 14-0304.10/77) vom 3. März 1997 (Amtsblatt des SMK Nr. 3 vom 27. März 1997, S 56 f.) – folgende Hinweise gegeben: “…

1.1 Durch Verwaltungsvorschrift der Sächsischen Staatsregierung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes im öffentlichen Dienst im Freistaat Sachsen vom 26. November 1992 (SächsAbl. S. 1908) werden Regelungen zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getroffen.

2.1 Schwerbehinderte sind Personen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 50 (§ 1 SchwbG). Beträgt der Grad der Behinderung weniger als 50, aber mindestens 30, können die Betroffenen auf Antrag vom Arbeitsamt Schwerbehinderten gleichgestellt werden (§ 2 Abs. 1 SchwbG). Der Grad der Behinderung wird durch das Versorgungsamt festgestellt. Die Bestimmungen des Schwerbehindertengesetzes finden gemäß § 2 Abs. 2 SchwbG grundsätzlich auch auf Gleichgestellte Anwendung, ausgenommen der Regelung über Zusatzurlaub und der Regelungen über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr.

4.3 Auf Antrag erhalten schwerbehinderte Lehrkräfte durch das Oberschulamt eine Ermäßigung von 2 Stunden auf ihr Regelstundenmaß. Wird darüber hinausgehend eine Ermäßigung des Regelstundenmaßes von der schwerbehinderten Lehrkraft beantragt, holt das Oberschulamt vor der Entscheidung eine amtsärztliche Stellungnahme ein. Anträge nach Satz 1 und Satz 2 sind von den Oberschulämtern umgehend zu bearbeiten. Eine Reduzierung des Regelstundenmaßes kann bis höchstens 4 Stunden über die pauschal gewährten Stunden hinaus erfolgen. …”

Der Kläger beantragte am 11. April 1997 die Gewährung einer Ermäßigung von zwei Stunden. Das zuständige Oberschulamt lehnte den Antrag am 22. April 1997 mit der Begründung ab, eine Ermäßigung setze eine Schwerbehinderung voraus.

Nach erfolgloser Mahnung hat der Kläger am 28. Mai 1998 die Herabsetzung des Regelstundenmaßes um zwei Unterrichtsstunden gerichtlich geltend gemacht.

Er hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger eine Ermäßigung von 2 Stunden auf das wöchentliche Regelstundenmaß zu gewähren;

2. hilfsweise festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Ermäßigung von 2 Stunden auf das wöchentliche Regelstundenmaß zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger weiterhin sein erstinstanzliches Klageziel.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ermäßigung des Regelstundenmaßes um zwei Unterrichtsstunden.

1. Die Unterrichtsverpflichtung des Klägers als angestellte Lehrkraft ergibt sich aus der Lehrerarbeitszeit-Verwaltungsvorschrift vom 2. Juli 1992 in der Fassung vom 20. August 1993.

a) Aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit (§ 3 Abs. 1 TVG) bestimmt sich das Arbeitsverhältnis der Parteien nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag Ost vom 10. Dezember 1990 (BAT-O) und den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen.

Für die Arbeitszeit des Klägers als angestellte Lehrkraft einer Mittelschule gelten die Sonderregelungen für Angestellte als Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen und berufsbildenden Schulen (SR 2 I I BAT-O) unmittelbar und zwingend (§ 4 Abs. 1 TVG). Wegen der dort in Nr. 3 Satz 2 vereinbarten Verweisung sind anstelle der ansonsten für Angestellte geltenden Arbeitszeitregelungen die entsprechenden Bestimmungen für beamtete Lehrkräfte anzuwenden. Folglich ist die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers durch § 1 Abs. 1 der Sächsischen Arbeitszeitverordnung durchschnittlich auf 40 Stunden wöchentlich festgelegt. Die Sächsische Arbeitszeitverordnung regelt nicht abschließend die Arbeitszeit des Klägers als angestellte Lehrkraft. Wegen der Verweisung in Nr. 3 Satz 2 SR 2 I I BAT-O sind nicht nur die Inhalte der für Beamte geltenden Rechtsordnungen in das tarifliche Regelungswerk einbezogen, sondern auch die Inhalte der einschlägigen Verwaltungsvorschriften und Erlasse (vgl. BAG 15. November 1985 – 7 AZR 334/83 – AP BAT § 17 Nr. 14; 9. Juni 1982 – 4 AZR 274/81 – BAGE 39, 138, 142). Dazu gehören auch die für beamtete Lehrkräfte geltenden Bestimmungen über die Festsetzung des Regelstundenmaßes (vgl. BAG 15. November 1985 aaO; 9. Juni 1982 aaO). Somit ist das Regelstundenmaß des Klägers als angestellte Lehrkraft an einer Mittelschule nach 2.2.2 der Lehrerarbeitszeit-Verwaltungsvorschrift mit 27 Unterrichtsstunden anzusetzen. Dabei sind nach Nr. 4.1 der Lehrerarbeitszeit-Verwaltungsvorschrift die Möglichkeiten der Ermäßigung wegen Alters und nach Nr. 4.2 wegen einer Behinderung zu berücksichtigen.

b) Die Bedenken, die gegen die Anwendung der Verwaltungsbestimmungen über das Regelstundenmaß und dessen Ermäßigung vorgebracht worden sind, greifen nicht durch. Schon aus der Bezeichnung der Verwaltungsvorschrift vom 2. Juli 1992 “zur Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen” wird deutlich, daß Regelungsinhalt Arbeitszeitfragen sind.

Richtig ist, daß mit der Festlegung des Regelstundenmaßes keine Veränderung der regelmäßigen Arbeitszeit von durchschnittlich 40 Stunden wöchentlich verbunden ist. Die unterschiedliche Festsetzung des Regelstundenmaßes bezogen auf die einzelnen Schulformen enthält eine arbeitszeitrechtlich bedeutsame Konkretisierung der Leistungspflichten einer Lehrkraft. Bei unverändert bleibender Festlegung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden erhöht oder reduziert sich die Zeit, die für Vor- und Nachbereitung- sowie für Verwaltungsaufgaben zur Verfügung steht. Das Bundesarbeitsgericht hat daher in ständiger Rechtsprechung die Festlegung der maßgeblichen Pflichtstundenzahl der Unterrichtsstunden pro Woche als arbeitszeitrechtliche Regelung im Sinne der Sonderregelungen für angestellte Lehrkräfte angesehen (vgl. BAG 15. November 1985 aaO; 9. Juni 1982 aaO).

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ermäßigung des Regelstundenmaßes um zwei Stunden.

a) Weder die kraft Verweisung anwendbare Vorschrift Nr. 4.2 der Lehrerarbeitszeit-Verwaltungsvorschrift noch die unter 4.3 des Durchführungserlasses zum Schwerbehindertengesetz getroffene Anordnungen enthalten eine Rechtsgrundlage für das Verlangen des Klägers.

Nach 4.2 der Lehrerarbeitszeit-Verwaltungsvorschrift ist schwerbehinderten Lehrkräften eine Stundenermäßigung unter Berücksichtigung des Maßes ihrer Behinderung zu gewähren. Die Bestimmung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes stellt ebenfalls auf das Vorliegen einer Schwerbehinderung ab. Der Kläger hat einen Grad der Behinderung von weniger als 50. Schwerbehindert sind demgegenüber nur Personen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 50 (§ 1 SchwbG).

Zwar ist der Kläger seit dem 24. Januar 1995 nach § 2 Abs. 1 SchwbG einem Schwerbehinderten gleichgestellt. Die Sächsischen Verwaltungsvorschriften zur Ermäßigung des Regelstundenmaßes enthalten aber keinen Anhaltspunkt dafür, daß die für schwerbehinderte Lehrkräfte geltende Ermäßigungsregelung auch auf Gleichgestellte ausgedehnt werden soll. Der Beklagte hat den unterschiedlichen Inhalt der Begriffe “Schwerbehinderter” und “Gleichgestellter” im Durchführungserlaß vom 3. März 1997 unter Nr. 2.1 den unter 4.3 folgenden Durchführungsbestimmungen zur Ermäßigung des Regelstundenmaßes vorangestellt. Nach dem Wortlaut des Erlasses sollen nur schwerbehinderte Lehrkräfte die Ermäßigungsmöglichkeit in Anspruch nehmen können, die der Beklagte über seine im Schwerbehindertengesetz geregelten Fürsorgepflichten hinaus zur Verfügung stellt. Nach Nr. 2.1 Satz 4 des Durchführungserlasses sollen die Gleichgestellten nur die Leistungen in Anspruch nehmen können, zu deren Erbringung der Beklagte nach den “Bestimmungen des Schwerbehindertengesetzes … gemäß § 2 Abs. 2 SchwbG” verpflichtet ist.

b) Die von dem Beklagten vorgenommene Unterscheidung zwischen Schwerbehinderung und Gleichstellung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Sie orientiert sich am Grad der Behinderung. Das ist sachlich gerechtfertigt.

Nach § 3 Abs. 2 SchwbG werden die Funktionsbeeinträchtigungen eines behinderten Menschen nach Zehnergraden, abgestuft von 20 bis 100, festgesetzt. Entsprechend dieser Skala steigt das Maß der für die Eingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft erforderlichen Fürsorge. Für die Erbringung seiner zusätzlichen, im Schwerbehindertengesetz nicht vorgesehenen Fürsorgeleistung hat der Beklagte an die gesetzliche Unterscheidung zwischen Schwerbehinderung und Gleichstellung angeknüpft. Das ist zulässig. Denn mit der Gleichstellung nach § 2 Abs. 1 SchwbG ist nicht die vollständige Einräumung einer dem Schwerbehinderten gleichen Rechtsstellung verbunden. Das zeigt § 2 Abs. 2 SchwbG. Gleichgestellte haben keinen Anspruch auf Zusatzurlaub und unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr. Damit hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, daß der Schwellengrad 50 ein höheres Maß an Fürsorge rechtfertigt. Diese zulässige Unterscheidung hat sich der Beklagte zu eigen gemacht.

II. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Leinemann, Reinecke, Düwell, Kappes, Ott

 

Fundstellen

Haufe-Index 1523367

ZTR 2001, 320

ZTR 2001, 565

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