Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung einer Mitarbeiterin in kirchlicher Einrichtung - Anhörung der Mitarbeitervertretung

 

Orientierungssatz

1. § 30 Abs 1 BischMAVO BE ist dahin auszulegen, daß allein der Vorsitzende bzw bei dessen Verhinderung sein Stellvertreter dafür zuständig ist, die schriftliche Mitteilung über die Kündigungsabsicht entgegenzunehmen. Die Entgegennahme der Mitteilung des Dienstgebers durch ein hierzu nicht ermächtigtes Mitglied leitet das Verfahren nicht ein.

2. Eine nur mündliche Information der Mitarbeitervertretung stellt daher keine ordnungsgemäße Mitteilung iSd § 30 Abs 1 MAVO dar.

3. Eine Willenserklärung muß grundsätzlich in der Form zugehen, welche für ihre Abgabe vorgeschrieben ist (BGH Urteil vom 30. Mai 1962 - VIII ZR 173/61 = NJW 1962, 1388).

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Entscheidung vom 11.02.1991; Aktenzeichen 2 Sa 23/90)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 09.07.1990; Aktenzeichen 29 Ca 79/90)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Die 1953 geborene Klägerin war seit dem 5. Juli 1973 als Stationshilfe in den von dem beklagten Verein unterhaltenen Krankenheimen beschäftigt. Gem. § 2 des unter dem 9. Juli 1973 abgeschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrages galten für das Arbeitsverhältnis die "Arbeitsvertragsrichtlinien für Krankenanstalten, die dem Caritas-Verband für Berlin angeschlossen sind" in der jeweils gültigen Fassung. Die Parteien schlossen unter dem 21. September 1989 eine Änderungsvereinbarung, wonach die Klägerin ab 1. Oktober 1989 in die VergGr. H II, Ziff. 15, Stufe 9, eingruppiert wurde.

Bei dem Beklagten handelt es sich um eine kirchliche Einrichtung. Es besteht eine Mitarbeitervertretung nach Maßgabe der nach übereinstimmendem Vortrag beider Parteien auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findenden Mitarbeitervertretungsordnung Berlin, erlassen vom Bischof von Berlin am 6. Februar 1987 (MAVO). Deren Vorsitzende ist die Arbeitnehmerin B , stellvertretende Vorsitzende die Arbeitnehmerin L . Weiteres Mitglied ist neben anderen die Zeugin R .

Die Klägerin war in der Vergangenheit häufig arbeitsunfähig erkrankt. Sie fehlte im Jahre 1987 an 55 Kalendertagen, 1988 an 129 Kalendertagen, 1989 an 136 Kalendertagen und im Jahr 1990 vom 8. Januar bis zum 4. März. Weiter wies sie folgende Fehlzeiten auf: im Jahre 1986 34 Kalendertage, 1985 49 Kalendertage, 1984 112 Kalendertage, 1983 41 Kalendertage, 1982 46 Kalendertage und 1981 10 Kalendertage.

Mit Schreiben vom 15. März 1990 wandte sich der Beklagte an die Mitarbeitervertretung wegen einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin. Das Schreiben war gerichtet: "An die Mitarbeitervertretung im Hause z. H. Frau R ". Die Vorsitzende der Mitarbeitervertretung, Frau B , befand sich in der Zeit vom 19. Februar bis 19. April 1990 in Urlaub. Die stellvertretende Vorsitzende, Frau L , befand sich im Dienst; sie ist allerdings im Nachtdienst eingesetzt.

Als Kündigungsgrund benannte der Beklagte hohe Krankheitszeiten der Klägerin, wobei er die Ausfalltage für die Jahre 1987 bis 1990 auflistete. Am 23. März 1990 teilte Frau R dem Verwaltungsleiter des Beklagten mit, es bestünden keine Einwendungen der Mitarbeitervertretung gegen die Kündigung.

Mit Schreiben vom 26. März 1990, der Klägerin zugegangen am 29. März, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1990.

Mit ihrer am 18. April 1990 erhobenen Klage hat die Klägerin die Rechtsunwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung geltend gemacht. Sie hat die ordnungsgemäße Anhörung der Mitarbeitervertretung bestritten. Die Kündigung sei auch sozial ungerechtfertigt. Ihre Krankheiten beruhten wesentlich darauf, daß sie Patienten habe anheben müssen und sich dabei Rückenbeschwerden zugezogen habe. Diese Tätigkeit gehöre nicht zu den Aufgaben einer Stationshilfe. Nachdem sie seit der Kündigung keine Patienten mehr heben müsse, habe sich ihr Gesundheitszustand gebessert. Auch habe sie das Rauchen stark eingeschränkt, was sich gleichfalls positiv auf die gesundheitliche Entwicklung auswirke. Die Fehlzeiten für die Jahre 1981 bis 1986 könnten schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil sie der Mitarbeitervertretung nicht mitgeteilt worden seien. Die Klägerin hat weiter die Auffassung vertreten, der Beklagte habe die Kündigungsfrist nicht eingehalten.

Der Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, die Mitarbeitervertretung sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Den Bestimmungen der MAVO könne nicht entnommen werden, daß die Anhörung zur beabsichtigten Kündigung gegenüber der Vorsitzenden oder stellvertretenden Vorsitzenden erfolgen müsse. Im übrigen habe die Arbeitnehmerin R nur als Botin fungiert. Das Schreiben sei auch nicht an sie persönlich, sondern an die Mitarbeitervertretung gerichtet gewesen. Auch sei bereits vor dem Urlaub der Vorsitzenden der Mitarbeitervertretung ein Gespräch über die beabsichtigte Kündigung der Klägerin geführt worden. Die Vorsitzende habe der Absicht positiv gegenüber gestanden. Das Anhörungsschreiben sei Frau R als Schriftführerin der Mitarbeitervertretung übergeben worden, weil die stellvertretende Vorsitzende nur im Nachtdienst arbeite. Frau R habe am gleichen Tage mit den anderen Mitarbeitervertreterinnen telefonischen Kontakt aufgenommen und deren Stellungnahme abgefragt.

Der Beklagte hat weiter die Auffassung vertreten, die Kündigung sei aufgrund der ständigen und erheblichen Fehlzeiten sozial gerechtfertigt. Es müsse mit weiteren Ausfällen gerechnet werden und dadurch bedingten erheblichen Störungen. Die Kündigungsfrist sei eingehalten.

Nachdem die Klägerin während des laufenden Kündigungsverfahrens behauptet hatte, es solle in der Vergangenheit ein Patient beim Füttern erstickt sein, hat der Beklagte die Auflösung des Arbeitsverhältnisses beantragt. Er hat vorgetragen, die Behauptung der Klägerin habe zu Nachforschungen geführt. Diese hätten im Hause eine erhebliche Empörung zur Folge gehabt. Für den Fall, daß die Klägerin wieder auf ihren Arbeitsplatz zurückkehren sollte, sei eine Störung des Betriebsklimas zu erwarten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und den Auflösungsantrag des Beklagten zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und auf den zweitinstanzlich gestellten Auflösungsantrag der Klägerin das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst. Die Re vision des Beklagten richtet sich nur gegen die Entscheidung über die Unwirksamkeit der Kündigung.

 

Entscheidungsgründe

Die in zulässiger Weise auf die Kündigungsschutzklage beschränkte Revision der Beklagten ist unbegründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung schon wegen nicht ordnungsgemäßer Beteiligung der Mitarbeitervertretung für unwirksam befunden. Das nach § 30 Abs. 1 MAVO einzuhaltende Verfahren - schriftliche Mitteilung der Kündigungsabsicht und der Gründe hierfür - sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Mit der Zuleitung des Anhörungsschreibens an Frau R sei das Anhörungsverfahren nicht ordnungsgemäß eingeleitet worden. Berechtigt zur Entgegennahme von Mitteilungen zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers sei allein die Vorsitzende der Mitarbeitervertretung oder im Falle ihrer Verhinderung ihre Stellvertreterin. Auch ohne ausdrückliche Regelung in der MAVO ergebe sich aus der allgemeinen Stellung als Vorsitzender die Befugnis, für die Mitarbeitervertretung nach außen zu handeln, wobei der Vorsitzende nicht Vertreter im Willen, sondern nur Vertreter in der Erklärung oder in der Empfangnahme einer Erklärung sei. Die Funktion des Vorsitzenden wäre sonst im Grunde bedeutungslos. Mit der Wahl des Vorsitzenden solle auch klargestellt werden, an wen sich der Dienstgeber im einzelnen zu richten habe. Danach sei aber die Anhörung des Vorsitzenden bzw. im Falle seiner Verhinderung des Stellvertreters erforderlich. Da die stellvertretende Vorsitzende der Mitarbeitervertretung im Dienst erreichbar gewesen sei, hätte der Beklagte ihr das Anhörungsschreiben zuleiten müssen. Frau R

habe als einfaches Mitglied der Mitarbeitervertretung nur eine Botenfunktion haben können. Eine ordnungsgemäße Anhörung wäre in diesem Falle erst dann gegeben gewesen, wenn das Schreiben an die stellvertretende Vorsitzende gelangt wäre. Dies sei aber nicht erfolgt, wie die durchgeführte Beweisaufnahme ergeben habe. Frau L als stellvertretende Vorsitzende sei nur mündlich unterrichtet worden. Eine mündliche Unterrichtung genüge aber nicht den Anforderungen der MAVO, welche ausdrücklich Schriftform festlege. Es handele sich auch nicht um einen dem Dienstgeber nicht zurechenbaren internen Mangel des Verfahrens der Mitarbeitervertretung. Der Mangel habe schon in der von dem Beklagten verursachten fehlerhaften Einleitung des Verfahrens gelegen. Die Kündigung sei daher unwirksam, ohne daß es eines Eingehens auf die soziale Rechtfertigung bedürfe.

II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Unwirksamkeit der Kündigung halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die Revision rügt zu Unrecht Verletzung materiellen Rechts.

1. Die Arbeitsgerichte sind gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aus dem Arbeitsverhältnis zuständig. Soweit sich die Kirchen der Privatautonomie zur Begründung von Arbeitsverhältnissen bedienen, findet das staatliche Arbeitsrecht Anwendung. Macht dabei ein Arbeitnehmer geltend, daß eine Kündigung des kirchlichen Arbeitgebers unwirksam sei, weil er die kirchliche Mitarbeitervertretung nicht ordnungsgemäß beteiligt habe, so hat das Arbeitsgericht auch dies zu überprüfen (Urteil des Senats vom 4. Juli 1991 - 2 AZR 16/91 -, zu I der Gründe, n.v.).

2. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, daß es sich bei dem Beklagten um eine kirchliche Einrichtung handelt im Sinne der Mitarbeitervertretungsordnung Berlin, erlassen vom Bischof von Berlin am 6. Februar 1987 (Amtsblatt des bischöflichen Ordinariats Berlin 1987 Nr. 26 - MAVO). Der Beklagte wendet die Bestimmungen der MAVO gegenüber seinen Mitarbeitern an.

Insoweit erhebt die Revision auch keine Einwendungen. III. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die wirksame Anhörung der Mitarbeitervertretung verneint, weil es bereits an einer ordnungsgemäßen Einleitung des Anhörungsverfahrens fehlt. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision sind nicht begründet.

1. Nach § 30 Abs. 1 MAVO sind der Mitarbeitervertretung vor jeder ordentlichen Kündigung nach Ablauf der Probezeit durch den Dienstgeber schriftlich die Absicht der Kündigung und die Gründe hierfür mitzuteilen. Will die Mitarbeitervertretung gegen die Kündigung Einwendungen geltend machen, so hat sie diese unter Angabe der Gründe dem Dienstgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen; anderenfalls gilt die Kündigung als nicht beanstandet, § 30 Abs. 2 MAVO. Die ohne Einhaltung dieses Verfahrens ausgesprochene Kündigung ist gem. § 30 Abs. 5 MAVO unwirksam. § 30 MAVO enthält keine ausdrückliche Regelung, wem gegenüber die schriftliche Erklärung der Kündigungsabsicht zu erfolgen hat; es ist lediglich von "der Mitarbeitervertretung" die Rede. Wenn diese aus mehreren Personen besteht, bleibt offen, ob die Erklärung dem Vorsitzenden oder allen Mitgliedern zugehen muß, oder ob der Zugang bei nur einem beliebigen Mitglied ausreicht. Eine solche Klarstellung ergibt sich auch nicht eindeutig aus anderen Vorschriften der MAVO, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht feststellt.

§ 14 MAVO regelt die Tätigkeit der Mitarbeitervertretung und verlangt in diesem Zusammenhang auch die Wahl eines Vorsitzenden und eines stellvertretenden Vorsitzenden. Es sind in § 14 Abs. 3 und Abs. 6 MAVO auch einzelne Befugnisse geregelt (Einberufung der Mitarbeitervertretung, Leitung der Sitzung, Unterzeichnung der Sitzungsniederschrift). § 14 MAVO enthält aber keine etwa § 26 Abs. 3 Satz 2 BetrVG entsprechende Regelung dahin, daß zur Entgegennahme von Erklärungen, die der Mitarbeitervertretung gegenüber abzugeben sind, der Vorsitzende oder im Falle seiner Verhinderung der Stellvertreter berechtigt ist.

2. Die Regelung des § 30 Abs. 1 MAVO ist also insoweit unklar und damit auslegungsbedürftig. Da es sich bei der MAVO als kirchlicher Rechtsnorm um ein Gesetz i. S. des Art. 2 EGBGB, § 134 BGB, handelt (Bleistein/Thiel, Kommentar zur Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretung (MAVO), § 40 Rz 7), sind die für die Auslegung von Gesetzen maßgeblichen Grundsätze heranzuziehen. Entscheidende Kriterien sind dabei der Wortlaut, der systematische Bedeutungszusammenhang, der erkennbar werdende Zweck der Norm und ihre Entstehungsgeschichte; maßgeblich für das Auslegungsergebnis ist grundsätzlich die teleologische Auslegung als Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes.

a) Schon der systematische Zusammenhang der Absätze 1 bis 5 des § 30 MAVO wie auch mit den in § 14 MAVO getroffenen Bestimmungen über die Wahl eines Vorsitzenden stützt die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung. Wie das Landesarbeitsgericht zu Recht annimmt, entspricht es der allgemeinen Stellung des Vorsitzenden eines Gremiums, Vertreter mindestens in der Abgabe und in der Entgegennahme von Erklärungen für das Gremium zu sein. Wenn die MAVO ausdrücklich die Position eines Vorsitzenden und eines stellvertretenden Vorsitzenden vorsieht, deutet das auf die Zuweisung auch der üblichen Funktionen eines Vorsitzenden hin. Wollte man dies anders sehen, wären die Aufgaben des Vorsitzenden beschränkt auf die in § 14 MAVO ausdrücklich erörterte Einleitung und Leitung der Sitzung der Mitarbeitervertretung sowie die Unterzeichnung der Niederschrift über diese Sitzung. Die Funktion wäre dann in der Tat praktisch bedeutungslos, wie das Landesarbeitsgericht hervorhebt. Es wäre auch wenig verständlich, warum nach § 14 Abs. 2 MAVO die Abwahl eines Vorsitzenden mit derart beschränkter Kompetenz an eine 2/3 Mehrheit geknüpft wird.

b) Für die Stellung des Vorsitzenden als Vertreter für die Entgegennahme und Abgabe von Erklärungen spricht weiter die vergleichbare Stellung des Betriebsratsvorsitzenden gem. § 26 Abs. 3 BetrVG. Die Revision weist zwar zu Recht darauf hin, die MAVO habe eine entsprechende Regelung nicht getroffen. Hieraus läßt sich aber nicht folgern, diese Aufgabe des Vorsitzenden solle gerade ausscheiden oder es liege eine bewußte Regelungslücke vor. Die MAVO hat das Betriebsverfassungsgesetz eben nicht wörtlich übernommen. Aus dem Fehlen einer dem § 26 Abs. 3 BetrVG entsprechenden Bestimmung kann daher nicht geschlossen werden, die dort genannten Befugnisse sollten dem Vorsitzenden der Mitarbeitervertretung nicht zustehen. Die MAVO lehnt sich in der organisatorischen Gestaltung der Mitarbeitervertretung andererseits zumindest in den hier zu beurteilenden Bereichen erkennbar an das Betriebsverfassungsrecht an. Auch ohne ausdrückliche Erwähnung dieser Aufgaben spricht also der Umstand, daß man die Position eines Vorsitzenden der Mitarbeitervertretung überhaupt vorsieht, dafür, daß sie auch mit den vergleichbaren Funktionen eines Betriebsratsvorsitzenden ausgestattet sein soll (Bleistein/Thiel, aaO: § 14 Rz 15 sehen den Vorsitzenden als den Sprecher der Mitarbeitervertretung; sie nehmen in § 30 Rz 58 ohne weiteres an, daß zur Abgabe einer Erklärung i. S. des § 30 Abs. 2 MAVO der Vorsitzende bzw. im Verhinderungsfall sein Stellvertreter berechtigt sei).

c) Dies wird bestätigt durch die Regelung des § 30 MAVO selbst. Auch diese Regelung entspricht zwar nicht in vollem Umfang der des § 102 BetrVG. Sie ist ihr aber insoweit nachgebildet, daß es gerechtfertigt ist, die dort maßgeblichen Grundsätze für die Auslegung heranzuziehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß der Verfahrensablauf insoweit gleich geregelt ist, als die Mitarbeitervertretung innerhalb Wochenfrist Einwendungen schriftlich mitzuteilen hat, andernfalls die beabsichtigte Kündigung als nicht beanstandet gilt. Dies gleicht der Regelung des § 102 Abs. 2 BetrVG. Es würde aber für beide Seiten zu erheblichen Unsicherheiten bei der Berechnung und Wahrung dieser Frist führen, falls auf der Seite der Mitarbeitervertretung kein fester Ansprechpartner vorhanden wäre, sondern der Dienstgeber sich etwa wahlweise an jedes Mitglied der Mitarbeitervertretung richten könnte bzw. Erklärungen von jedem Mitglied abgegeben werden könnten. Auch das spricht für eine zweckgemäße Auslegung dahin, den - ausdrücklich in der MAVO vorgesehenen - Vorsitzenden bzw. dessen Stellvertreter als maßgeblichen Erklärungsgegner anzusehen, wie das auch für das Verfahren nach § 102 BetrVG i. V. mit § 26 Abs. 3 BetrVG gilt.

d) Das Landesarbeitsgericht hat also zu Recht die Bestimmungen der §§ 14, 30 MAVO dahin ausgelegt, zur Entgegennahme der schriftlichen Mitteilung über die Absicht der Kündigung sei allein der Vorsitzende der Mitarbeitervertretung bzw. bei dessen Verhinderung sein Stellvertreter zuständig (so auch ausdrücklich Frey/Schmitz-Elsen/Coutelle, Kommentar zur Rahmen-Mitarbeitervertreterordnung, 3. Aufl., § 30 Rz 6; als selbstverständlich offenbar angesehen von Bleistein/Thiel, aaO, § 30 Rz 58, wenn dort festgestellt wird, daß zur Abgabe der Erklärung nach § 30 Abs. 2 MAVO der Vorsitzende bzw. dessen Stellvertreter berechtigt ist).

3. Entgegen der Auffassung der Revision stellt diese Auslegung keinen unzulässigen Eingriff in innerkirchliche Angelegenheiten dar. Wie unter II 1 der Gründe dargelegt, sind die Arbeitsgerichte in Fällen der vorliegenden Art berechtigt und verpflichtet, kirchliches Recht anzuwenden. Dazu gehört dann aber auch die erforderliche Auslegung kirchlichen Rechts. Den Besonderheiten der dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht vorbehaltenen geistig-religiösen Festlegung ist dabei Rechnung zu tragen (vgl. Dütz, Essener Gespräche, Bd. 18, S. 106, 107). Die Auslegung der MAVO dahin, Erklärungen für die Mitarbeitervertretung seien gegenüber deren Vorsitzenden abzugeben, läßt aber keine spezifische kirchliche Betroffenheit erkennen.

4. Ist davon auszugehen, daß der Vorsitzende der Mitarbeitervertretung bzw. sein Stellvertreter richtiger und alleiniger Erklärungsgegner i.S. des § 30 Abs. 1 MAVO ist, hat das Landesarbeitsgericht zu Recht die Anhörung für unwirksam erachtet. Insoweit kann auf die Grundsätze der Senatsrechtsprechung zur Anhörung des Betriebsrates zurückgegriffen werden. Danach werden Mitteilungen gegenüber dem Betriebsrat nur und erst dann für diesen wirksam, wenn sie vom unzuständigen Mitglied als Erklärungsbote des Arbeitgebers an den Vorsitzenden oder ein zum Empfang ermächtigtes Mitglied des Betriebsrates oder eines zuständigen Ausschusses weitergeleitet werden (vgl. nur BAGE 49, 136, 144 f. = AP Nr. 37 zu § 102 BetrVG 1972, zu II 1 c bb der Gründe; KR-Etzel, 3. Aufl., § 102 BetrVG Rz 85, 85 a; Kraft, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 102 Rz 40; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 16. Aufl., § 102 Rz 14). Übertragen auf die Anhörung der Mitarbeitervertretung bedeutet dies, daß die Entgegennahme der Mitteilung des Dienstgebers durch ein hierzu nicht ermächtigtes Mitglied das Verfahren nicht einleitet. Dieses ist allenfalls als Erklärungsbote anzusehen. Die Wirksamkeit der Mitteilung tritt erst ein, wenn sie dem Vorsitzenden bzw. dem Vertreter zugeht (so ausdrücklich auch Frey/Schmitz-Elsen/Coutelle, aaO, § 30 Rz 6).

a) Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Das Schreiben war gerichtet an die Mitarbeitervertretung "zu Händen Frau R ". Frau R war einfaches Mitglied der Mitarbeitervertretung. Es lag auch kein Fall der Verhinderung vor, der es dem Beklagten unmöglich gemacht hätte, das Verfahren ordnungsgemäß einzuleiten. Zwar war die Vorsitzende der Mitarbeitervertretung in Urlaub. Die stellvertretende Vorsitzende L war aber im Dienst und hätte die Mitteilung ohne weiteres entgegennehmen können, wie das Landesarbeitsgericht bindend festgestellt hat. Der Umstand allein, daß sie Nachtdienst hatte, stand nicht entgegen.

b) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht auch die mündliche Information der stellvertretenden Vorsitzenden durch Frau R

nicht als ausreichend angesehen, um von einer wirksamen Unterrichtung auszugehen. § 30 Abs. 1 MAVO verlangt die schriftliche Unterrichtung der Mitarbeitervertretung. Die Schriftform ist als Wirksamkeitserfordernis anzusehen. Das angefochtene Urteil verweist zutreffend auf § 31 Abs. 1 MAVO, wonach bei außerordentlicher Kündigung die Mitteilung der Kündigungsabsicht keiner Form bedarf. Diese Gegenüberstellung zeigt, daß die Schriftform hier bewußt gewählt wurde. Die Mitarbeitervertretung soll auf diese Weise sichere Kenntnis der Kündigungsgründe erlangen, welche Grundlage einer eventuellen Einwendung nach § 30 Abs. 2 und Abs. 3 MAVO sein können. In gleicher Weise ordnet § 30 Abs. 2 MAVO übrigens Schriftform auch an für die von der Mitarbeitervertretung gegen die Kündigung geltend gemachten Einwendungen.

c) Eine nur mündliche Information der Mitarbeitervertretung stellt daher keine ordnungsgemäße Mitteilung i. S. des § 30 Abs. 1 MAVO dar (Bleistein/Thiel, aaO, § 30 Rz 15, 16, 17 unter Bezugnahme auf § 126, 125 BGB; Frey/Schmitz-Elsen/Coutelle, aaO, § 30 Rz 7; vgl. zur Unbeachtlichkeit eines nur mündlichen Widerspruchs nach § 102 Abs. 2 BetrVG: Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 102 Rz 81; KR-Etzel, aaO, § 102 BetrVG Rz 133).

d) Damit ist die Mitteilung des Beklagten der Mitarbeitervertretung nicht in der gehörigen Form zugegangen. Eine Willenserklärung muß grundsätzlich in der Form zugehen, welche für ihre Abgabe vorgeschrieben ist (BGH Urteil vom 30. Mai 1962 - VIII ZR 173/61 - NJW 1962, 1388; MünchKomm-Förschler, BGB, 2. Aufl., § 130 Rz 23; Palandt/Heinrichs, BGB, 50. Aufl., § 130 Rz 10). Voraussetzung für eine wirksame Einleitung des Anhörungsverfahrens wäre also die Weitergabe des Schreibens des Beklagten an Frau L gewesen, die seinerzeit allein empfangsberechtigt war. Dies ist nicht geschehen, wie die mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ergeben. Frau R hat Frau L nur telefonisch informiert und ihr das Schreiben vorgelesen. Die Revision rügt zu Unrecht, die Mitarbeitervertretung habe innerhalb Wochenfrist keine Einwendungen gegen die Kündigung erhoben, die Kündigung gelte jedenfalls deshalb als nicht beanstandet. Voraussetzung für eine derartige Annahme wäre die ordnungsgemäße Einleitung des Anhörungsverfahrens. Da dies nicht der Fall war - weil eben der zu diesem Zeitpunkt allein empfangsberechtigten stellvertretenden Vorsitzenden keine schriftliche Mitteilung zuging -, konnte die Wochenfrist gar nicht anlaufen. Daß die Vorsitzende der Mitarbeitervertretung nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub Kenntnis erhielt und keine Einwendungen erhob, ist unerheblich. Zu diesem Zeitpunkt war die Kündigung längst ausgesprochen.

5. a) Das Landesarbeitsgericht hat schließlich zu Recht auch angenommen, der Beklagte könne sich nicht damit exkulpieren, Frau R habe das Schreiben nicht weitergeleitet und damit die ordnungsgemäße Einleitung verhindert. Der Beklagte hatte das Schreiben an die Mitarbeitervertretung zu Händen Frau R gerichtet. Der Mangel der Anhörung war also von ihm selbst verursacht. Kommt es bei der Anhörung der Mitarbeitervertretung zu Mängeln, ist grundsätzlich danach zu entscheiden, in wessen Verantwortungsbereich sie fallen. Liegt der Mangel noch im Verantwortungsbereich des Dienstgebers, betrifft er also insbesondere die Einleitung des Verfahrens, hat er die Unwirksamkeit der Anhörung zu Folge. Liegt der Mangel nach ordnungsgemäßer Einleitung des Anhörungsverfahrens im Bereich der Mitarbeitervertretung - etwa im Fehlen eines ordnungsgemäßen Beschlusses -, bleibt er auf die ordnungsgemäße Anhörung und damit die Wirksamkeit der Kündigung ohne Einfluß (vgl. Bleistein/Thiel, aaO, § 30 Rz 60 ff.). Insoweit gelten die Grundsätze zur Anhörung des Betriebsrats wiederum entsprechend (vgl. dazu BAGE 27, 209; Senatsurteil vom 2. April 1976 - 2 AZR 13/75 - und BAGE 31, 83 = AP Nr. 4, 9 und 19 zu § 102 BetrVG 1972; Fitting/Auffarth/Kaiser/ Heither, aaO, § 102 Rz 22, 25; Kraft, aaO, § 102 Rz 54 ff.; KR-Etzel, aaO, § 102 BetrVG Rz 102, 105 ff. und 115 ff.).

b) Hier lag der Mangel im Verantwortungsbereich des Dienstgebers. Es fehlte an einer ordnungsgemäßen Einleitung des Anhörungsverfahrens, da der Beklagte die Mitteilung an eine Person richtete, die nicht zur Entgegennahme mit Wirkung für die Mitarbeitervertretung berechtigt war. Das Risiko einer formgerechten Weiterleitung der Mitteilung lag bei dieser Sachlage bei dem Beklagten (KR-Etzel, aaO, § 102 BetrVG Rz 85).

c) Der Fehler ist auch nicht dadurch "geheilt" worden, daß Frau Rossius dem Verwaltungsleiter des Beklagten mitteilte, die Mitarbeitervertretung habe keine Einwendungen gegen die Kündigungen. Es bedarf keiner Entscheidung, ob dies anzunehmen wäre, wenn die Mitarbeitervertretung trotz mangelhafter Einleitung des Anhörungsverfahrens der Kündigung ausdrücklich und vorbehaltslos zugestimmt hätte (für § 102 BetrVG verneinend KR-Etzel, aaO, § 102 BetrVG Rz 112, m.w.N.; offen gelassen in der Senatsentscheidung vom 28. September 1978 BAGE 31, 83 = AP Nr. 19 zu § 102 BetrVG 1972). Eine solche ausdrückliche und vorbehaltlose Zustimmung lag nicht vor. Ein ordnungsgemäßer Beschluß der Mitarbeitervertretung war nicht zustandegekommen. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat keine Beschlußfassung gem. § 14 Abs. 5 MAVO stattgefunden. Vielmehr hat Frau R

mit Frau L nur telefoniert, womit für Frau L die Angelegenheit erledigt war. Ein weiteres Mitglied der Mitarbeitervertretung (Frau T ) wurde gar nicht unterrichtet.

d) Wenn man aber überhaupt einen vom Arbeitgeber zu vertretenden Mangel der Anhörung schon bei der Verfahrenseinleitung ausnahmsweise durch eine nachträgliche Zustimmung der Mitarbeitervertretung heilen lassen will, kann diese Wirkung allenfalls einem einwandfrei zustandegekommenen Beschluß zukommen, nicht aber einem seinerseits mangelhaften Beschluß. Insoweit besteht auch kein schutzwürdiges Vertrauen des Arbeitgebers darauf, ihm Fehler in der Sphäre der Mitarbeitervertretung nicht anzulasten. Ein solches Vertrauen wäre nur dann berechtigt, wenn das Anhörungsverfahren ordnungsgemäß und fehlerfrei eingeleitet worden wäre.

6. Die Revision bemüht erfolglos auch den Grundsatz von Treu und Glauben. Die Einhaltung des Verfahrens nach § 30 MAVO ist zwingend. Eine generelle Pflicht der Mitarbeitervertretung, den Dienstgeber auf Fehler bei der Verfahrenseinleitung hinzuweisen - welche von der Mitarbeitervertretung möglicherweise selbst nicht erkannt werden - besteht nicht (vgl. KR-Etzel, aaO, § 102 BetrVG Rz 85; s. auch Senatsentscheidung vom 27. Juni 1985 - 2 AZR 412/84 - AP Nr. 37 zu § 102 BetrVG 1972, zu II 1 c bb der Gründe). Es bedarf keiner Entscheidung, ob bei widerspruchsloser Hinnahme einer Mitteilung durch die Mitarbeitervertretung nach Treu und Glauben in einem späteren Fall diese sich nicht darauf berufen kann, das Mitglied sei zur Entgegennahme der Erklärung nicht berechtigt (vgl. Dietz/Richardi, aaO, § 102 Rz 64; kritisch dazu KR-Etzel, aaO, § 102 BetrVG Rz 85 a, der allenfalls bei wiederholter widerspruchsloser Hinnahme eine Duldungsvollmacht bejahen will). Der vorliegende Sachverhalt gibt keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Mitarbeitervertretung habe in der Vergangenheit den Zugang einer schriftlichen Benachrichtigung nach § 30 Abs. 1 MAVO an Frau R - einmalig oder mehrfach - widerspruchslos hingenommen.

Es bleibt danach bei der dem Verantwortungsbereich des Beklagten zuzurechnenden fehlerhaften Einleitung des Anhörungsverfahrens. Die streitbefangene Kündigung ist ohne Einhaltung des Verfahrens nach § 30 Abs. 1 MAVO ausgesprochen worden und deshalb gem. § 30 Abs. 5 MAVO unwirksam.

Hillebrecht Triebfürst Dr. Rost

Thieß Nipperdey

 

Fundstellen

RzK, III 3 Nr 7 (ST1-3)

EzA § 102 BetrVG 1972, Nr 83 (ST1-2)

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