Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorruhestandsgeld im Konkurs. Beginn des Vorruhestandes nach Konkurseröffnung

 

Leitsatz (amtlich)

Beginnt der Vorruhestand eines Bauarbeitnehmers auf dessen Antrag gemäß § 4 VRTV-Bau i.d.F. vom 12. November 1986 nach Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers, so hat sein Anspruch auf Vorruhestandsgeld nicht den Rang einer Masseschuld, sondern nur einer einfachen Konkursforderung.

Für die Begründung des tariflichen Vorruhestandes im Baugewerbe bedarf es keiner vertraglichen Vereinbarung des Arbeitnehmers mit dem Arbeitgeber (Aufgabe der Rechtsprechung des Zweiten Senats, BAG Urteil vom 2. April 1987 – 2 AZR 227/86 – AP Nr. 1 zu § 612a BGB und Dritten Senats, BAG Urteil vom 3. April 1990 – 3 AZR 273/88 – BAGE 64, 276, 282 = AP Nr. 5 zu § 1 TVG Vorruhestand; Anschluß an BAG Urteil vom 11. Oktober 1988 – 3 AZR 804/87 – BAGE 60, 38,41 = AP Nr. 2 zu § 5 VRG; BAG Urteil vom 28. Juli 1992 – 9 AZR 509/90 –).

 

Normenkette

KO § 59 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 61 Abs. 1 Nr. 6; VRG §§ 2, 9; Tarifvertrag über den Vorruhestand im Baugewerbe vom 26. September 1984 (VRTV-Bau) i.d.F. des Änderungstarifvertrages vom 12. November 1986 §§ 2-4

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 30.08.1991; Aktenzeichen 15 Sa 216/91)

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 02.06.1989; Aktenzeichen 6 Ca 7612/88)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 30. August 1991 – 15 Sa 216/91 – aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 2. Juni 1989 – 6 Ca 7612/88 – wird insoweit zurückgewiesen, als die Leistungen an den Vorruheständler H… betroffen sind.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den konkursrechtlichen Rang der Ansprüche eines Vorruheständlers im Baugewerbe, dessen Vorruhestand erst nach Eröffnung des Konkursverfahrens begonnen hat.

Der Beklagte ist Konkursverwalter über das Vermögen der S… & K… KG. Die Gemeinschuldnerin ist ein baugewerbliches Unternehmen, für das der allgemeinverbindliche Tarifvertrag über den Vorruhestand im Baugewerbe vom 26. September 1984 i.d.F. vom 17. Dezember 1985 und 12. November 1986 (VRTV-Bau) gilt. Der Kläger ist eine in der Rechtsform eines Vereins betriebene gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes, der u.a. nach § 10 VRTV-Bau die Aufgabe hat, baugewerblichen Arbeitgebern Vorruhestandsleistung zu 90 % zu erstatten, wenn der Vorruhestand des Arbeitnehmers nach dem 31. Dezember 1985 beginnt. Nach § 11 Abs. 1 VRTV-Bau hat er bei Insolvenz des Arbeitgebers den Vorruheständlern weiterhin Vorruhestandsleistungen wie ein Arbeitgeber zu gewähren. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Vorruhestandsgeld gegen den Arbeitgeber geht in diesem Fall nach § 11 Abs. 2 VRTV-Bau auf den Kläger über.

Das Konkursverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin wurde am 15. August 1987 eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich bereits mehrere ehemalige Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin im Vorruhestand, für die der Kläger Vorruhestandsleistungen wie ein Arbeitgeber gewährte. An den weiteren ehemaligen Arbeitnehmer Albert H… zahlte der Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1988 bis zu dessen Tod im September 1988 ebenfalls Vorruhestandsgeld.

Mit seiner am 5. Dezember 1988 erhobenen Klage hat der Kläger aus übergegangenem Recht 6.527,37 DM als vom Arbeitgeber zu tragenden Eigenanteil des von ihm im Rahmen der Insolvenzsicherung an die betrieblichen Vorruheständler gewährten Vorruhestandsgeldes geltend gemacht und eine bevorzugte Berichtigung aus der Konkursmasse als Masseschulden verlangt. Das Landesarbeitsgericht hat später mit Beschluß vom 15. Februar 1991 die Ansprüche bezüglich des Vorruheständlers Albert H… in Höhe von 2.438,04 DM zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt.

Der Kläger hat vorgebracht, das Arbeitsverhältnis des ehemaligen Arbeitnehmers H… habe bis zum 31. Dezember 1987 fortbestanden. Der Vorruhestand für den seit dem 7. Juli 1949 beschäftigten und am 13. Juni 1929 geborenen Arbeitnehmer H… habe auf dessen eigenen Antrag vom 1. Juli 1987 am 1. Januar 1988 begonnen. Der Kläger habe auf den Anerkennungsantrag des Konkursverwalters vom 6. Oktober 1987 zum 1. Januar 1988 die Zahlung des Vorruhestandsgeldes übernommen.

In dem abgetrennten Verfahrensteil hat der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 2.438,04 DM zu bezahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgebracht, die vom Kläger geltend gemachte Forderung sei weder Masseschuld nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 noch nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 KO. Der Arbeitnehmer H… sei seit dem 24. Februar 1987 ununterbrochen krank gewesen. Als Schwerbehindertem habe ihm erst nach Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zum 31. Januar 1988 gekündigt werden können. Das Arbeitsverhältnis sei vergleichsweise zum 31. März 1988 beendet worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht in dem abgetrennten Verfahrensteil der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt der Beklagte die Zurückweisung der Berufung. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Revision ist begründet. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts sind die Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten nicht als Masseschulden vorweg zu berichtigen.

1. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist davon auszugehen, daß der ehemalige Arbeitnehmer Albert H… in der Zeit vom 1. Januar 1988 bis zu seinem Tod im September 1988 in einem Vorruhestandsverhältnis zum Beklagten gestanden, die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen des § 2 VRTV-Bau erfüllt hat und der Kläger im Rahmen der Insolvenzsicherung entsprechend § 11 Abs. 1 VRTV-Bau i.V.m. § 9 Abs. 1 VRG verpflichtet war, Vorruhestandsgeld wie ein Arbeitgeber zu gewähren. Dem Kläger steht daher, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat, gemäß § 11 Abs. 2 VRTV-Bau der Erstattungsanspruch des ausgeschiedenen Arbeitnehmers auf die infolge der Insolvenz schuldig gebliebenen Vorruhestandsleistungen gegen den Konkursverwalter zu. Davon ist – wie geschehen – die gemäß § 10 Abs. 1 VRTV-Bau von dem Kläger zu erbringende 90 %ige Erstattungsleistung in Abzug zu bringen.

2. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts handelt es sich bei diesem Erstattungsanspruch jedoch nicht um eine Masseschuld im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO.

a) Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Forderung des Klägers sei Masseschuld im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO, weil sie aus einem Geschäft des Konkursverwalters entstanden sei. Wenn es wegen der besonderen Ausgestaltung des VRTV-Bau keiner besonderen Vereinbarung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit für den Beginn des Vorruhestands bedürfe, so bestimme doch § 3 VRTV-Bau im Wege der Fiktion die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Offensichtlicher Sachgrund für diese Fiktion sei die gesetzliche Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 3 VRG, nach der das Arbeitsverhältnis bei Beginn des Vorruhestandes aufgrund einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beendet sein müsse. Mit der tariflichen Fiktion sei dieser gesetzlichen Vorschrift Rechnung getragen worden. Der Konkursverwalter müsse sich daher eine rechtsgeschäftliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Begründung des Vorruhestandes zurechnen lassen.

Dieser Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann nicht gefolgt werden.

Nach den Bestimmungen des VRTV-Bau sind der Beginn des Vorruhestandsverhältnisses (§ 4) und der Anspruch auf Vorruhestandsgeld (§ 5) allein davon abhängig, daß die tariflichen Voraussetzungen (§ 2) erfüllt sind und der Arbeitnehmer die Zahlung von Vorruhestandsgeld schriftlich beim Arbeitgeber beantragt (§ 4 Abs. 2). Der Abschluß einer Vorruhestandsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist danach nicht erforderlich (so bereits Senatsurteil vom 28. Juli 1992 – 9 AZR 509/90 – zu IV 3 der Gründe). Die tarifliche Regelung begründet damit nicht lediglich einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Abschluß einer Vorruhestandsvereinbarung mit dem Arbeitgeber, sondern räumt dem Arbeitnehmer das Recht ein, durch einseitigen Antrag in den Vorruhestand zu treten und Vorruhestandsleistungen beanspruchen zu können.

Aus der Bestimmung des § 3 VRTV-Bau: “Mit dem Beginn des Vorruhestands gilt das Arbeitsverhältnis als aufgrund einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beendet” ergibt sich nichts anderes. Diese Regelung wäre entbehrlich, wenn nach dem VRTV-Bau eine Vorruhestandsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorausgesetzt würde. Denn eine derartige Vereinbarung enthielte neben der Vereinbarung über die Gewährung von Vorruhestandsleistungen auch notwendig die Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses (zu diesem Inhalt einer einzelvertraglichen Vorruhestandsvereinbarung vgl. BAG Urteil vom 17. Mai 1988 – 3 AZR 419/87 – AP Nr. 3 zu § 2 VRG, zu I der Gründe; Grüner/Dalichau, VRG – AltersteilzeitG, Einführung, Anm. I 2, II 2, III).

Der erkennende Senat weicht mit dieser Auffassung von Entscheidungen anderer Senate ab. Zwar ist der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts in den tragenden Gründen seiner Entscheidung vom 11. Oktober 1988 – 3 AZR 804/87 – (BAGE 60, 38, 41 = AP Nr. 2 zu § 5 VRG, zu II der Gründe) ebenfalls davon ausgegangen, daß ein Anspruch auf Vorruhestandsgeld nur einen schriftlichen Antrag des Arbeitnehmers und die in § 2 VRTV-Bau festgelegten Bedingungen voraussetzt, aber in seiner Entscheidung vom 3. April 1990 – 3 AZR 273/88 – (BAGE 64, 276, 282 = AP Nr. 5 zu § 1 TVG Vorruhestand, zu II 2 der Gründe) hat der Dritte Senat in den insoweit nicht die Entscheidung tragenden Gründen ausgeführt, der Arbeitgeber müsse mit seinem Arbeitnehmer einen Vorruhestandsvertrag abschließen. Der erkennende Senat weicht gleichfalls von der Auffassung des Zweiten Senats in dessen Entscheidung vom 2. April 1987 (– 2 AZR 227/86 – AP Nr. 1 zu § 612a BGB, zu II 2b der Gründe) ab, nach der § 2 VRTV-Bau dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Abschluß eines Aufhebungsvertrages geben soll.

Nach der Geschäftsverteilung des Bundesarbeitsgerichts ist der erkennende Senat für Fragen des Vorruhestandes allein zuständig. Für die Aufgabe der Rechtsprechung war daher keine Vorlage an den Großen Senat erforderlich.

b) Das Landesarbeitsgericht hat weiterhin verkannt, daß § 3 VRTV-Bau nur eine Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses fingiert, nicht aber eine Vereinbarung über die Gewährung von Vorruhestandsleistungen. Allein diese Vereinbarung wäre jedoch für die konkursrechtliche Zuordnung zu § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO von Bedeutung.

Das VRG hat Fragen der Vereinbarung über den Vorruhestand im wesentlichen ungeregelt gelassen. Es setzt lediglich einen Mindestrahmen im Zusammenhang mit frei zu vereinbarenden tariflichen oder einzelvertraglichen Regelungen und geht dabei von dem Regelfall aus, daß dem Vorruhestandsverhältnis eine Vorruhestandsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zugrundeliegt. Diese umfaßt ihrem Inhalt nach zwei Rechtsgeschäfte, nämlich die Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Vereinbarung über die Gewährung von Vorruhestandsleistungen (vgl. BAG Urteil vom 17. Mai 1988 – 3 AZR 419/87 – AP Nr. 3 zu § 2 VRG, zu I der Gründe; Grüner/Dalichau, VRG – AltersteilzeitG, Einführung, Anm. I 2, II 3, III). Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 VRG ist u.a. Voraussetzung für die Gewährung eines Zuschusses durch die Bundesanstalt für Arbeit, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beendet ist.

Nach der vom VRG abweichenden Regelung des VRTV-Bau hängt der Anspruch des Arbeitnehmers auf Vorruhestandsleistungen und der Beginn des Vorruhestandes dagegen nur davon ab, daß die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Eine Vereinbarung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld als Rechtsgrund des Entstehens des Anspruchs wird vom VRTV-Bau weder vorausgesetzt noch durch § 3 VRTV-Bau fingiert. Nach seinem Wortlaut enthält § 3 VRTV-Bau keine rechtliche Qualifizierung des Beginns des Vorruhestandes als Vereinbarung über die Gewährung von Vorruhestandsleistungen. Die Vorschrift beschränkt sich darauf, den Beginn des Vorruhestandes hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gleichzustellen. Für den Beginn des Vorruhestandes ist die gleiche Rechtsfolge wie für eine Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses angeordnet. § 3 VRTV-Bau enthält nach seinem Wortlaut aber nicht die Anordnung, daß der Beginn des Vorruhestandes hinsichtlich seiner Rechtsfolgen einer Vereinbarung über die Gewährung von Vorruhestandsleistungen gleichsteht. Die Berücksichtigung der weiteren Bestimmungen des VRTV-Bau geben ebenfalls keinen Anhaltspunkt für den Willen der Tarifvertragsparteien, eine Vereinbarung über die Gewährung von Vorruhestandsleistungen zu fingieren.

c) Eine Qualifizierung des geltend gemachten Anspruchs als Masseschuld nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO scheidet auch dann aus, wenn der angefochtenen Entscheidung unterstellt wird, § 3 VRTV-Bau fingiere eine Vereinbarung über die Gewährung von Vorruhestandsleistungen.

§ 59 Abs. 1 Nr. 1 KO soll die Handlungsfreiheit des Konkursverwalters im geschäftlichen Verkehr mit Dritten sichern und ihm ermöglichen, hierzu die erforderlichen Rechtsgeschäfte abzuschließen (vgl. Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 59 Rz 1c). Die Vorschrift bezieht sich auf Handlungen, bei denen der Konkursverwalter im Rahmen der ihm durch die Konkurseröffnung zufallenden Aufgaben handelt, das Vermögen des Gemeinschuldners zu erfassen, zu verwalten und zu verwerten (§ 117 Abs. 1 KO). Unter diese Vorschrift fallen jedoch nicht die Handlungen des Konkursverwalters, durch die er nur Verpflichtungen abwickelt, die in der auf ihn übergegangenen Arbeitgeberstellung begründet sind und die an sich – gäbe es nicht den Konkurs – der Arbeitgeber selbst hätte erledigen müssen (vgl. BAG GS Beschluß vom 13. Dezember 1978 – GS 1/77 – BAGE 31, 176, 196 f. = AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, Teil III B 2). § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO beruht auf dem maßgeblichen Grundgedanken, daß die konkursrechtliche Privilegierung als Masseschuld dann nicht eintreten soll, wenn es sich um die Abwicklung bereits bestehender Rechtsbeziehungen des Gemeinschuldners mit seinen Gläubigern handelt. § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO ist daher auf die Handlungen bezogen, bei denen der Konkursverwalter als nach eigenem Ermessen handelnder Unternehmer auftritt (vgl. BAG GS, aaO; Bötticher, BB 1975, 977, 981; Zeuner, JZ 1976, 1, 7).

Nach der Regelung des VRTV-Bau ist der Beginn des Vorruhestandes und der Anspruch auf Vorruhestandsleistungen nur von der Erfüllung der tariflichen Voraussetzungen und einem entsprechenden Antrag des Arbeitnehmers abhängig. Eine unternehmerische Entscheidungs- und Handlungsfreiheit hat der Konkursverwalter hierbei nicht. Es steht nicht in seinem Ermessen, über die Entstehung und Höhe der Verbindlichkeit zu entscheiden. Die in § 4 Abs. 4 VRTV-Bau eröffnete Möglichkeit, den Beginn des Vorruhestandes längstens um drei Monate hinauszuschieben, begründet die für die Anwendung des § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO erforderliche Ermessens- und Handlungsfreiheit des Konkursverwalters nicht. Sie ermöglicht nur eine zeitlich geringe Verzögerung, nicht aber eine Entscheidung über das Entstehen der Ansprüche an sich. Fehlt somit eine Entscheidungsfreiheit des Konkursverwalters, ist der Beginn des Vorruhestandes und das Entstehen des Anspruchs auf Vorruhestandsleistungen als bloße Abwicklung einer bereits im Arbeitsverhältnis vor Konkurseröffnung begründeten Verpflichtung durch den Konkursverwalter zu bewerten. Der Konkursverwalter wird im Zusammenhang mit einer Verpflichtung tätig, die in der auf ihn übergegangenen Arbeitgeberstellung wurzelt und die an sich – gäbe es nicht den Konkurs – der Arbeitgeber selbst hätte erledigen müssen. Konkursrechtlich sind nach § 3 Abs. 1 KO schon alle diejenigen Ansprüche vor Konkurseröffnung begründet, bei denen zur Zeit der Konkurseröffnung der Rechtsgrund ihrer Entstehung gelegt ist. Nur das Schuldverhältnis selbst, das die Grundlage des Anspruchs bildet, nicht schon die Forderung muß bestehen (vgl. Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 3 Rz 11, 28; Beuthien, RdA 1976, 147, 157; Bötticher, BB 1975, 977, 981 f.).

Betrifft § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO nur neue vom Konkursverwalter begründete Rechtsbeziehungen und nicht das Handeln des Konkursverwalters bei der Abwicklung alter Rechtsbeziehungen, kann ein Tarifvertrag nicht Geschäfte oder Handlungen des Konkursverwalters im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO fingieren. § 59 KO ist zwingendes Recht, das nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien steht. Ihnen ist es daher verwehrt, eine Forderung, die nicht unter § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO fällt, durch die Fiktion eines Geschäfts oder einer Handlung des Konkursverwalters in den Rang einer Masseschuld zu erheben.

d) Die Bewertung des streitigen Anspruchs als Masseschuld nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO würde zudem zu unausgewogenen Ergebnissen führen. Da sie nach der Rangordnung des § 60 Abs. 1 KO vorrangig vor den Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 3a KO befriedigt werden, könnten bei nicht ausreichender Masse Ansprüche auf rückständigen Lohn wegen des Vorrangs der Vorruhestandsleistungen ganz oder teilweise ausfallen. Ansprüche auf Vorruhestandsleistungen aus einem nach Konkurseröffnung beginnenden Vorruhestandsverhältnis erhielten dann einen besseren Schutz als rückständige Ansprüche auf Arbeitsentgelt. Hinzu kommt, daß nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 KO Masseschulden im Sinne von § 59 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 KO gleichgestellt sind. Dies hat zur Folge, daß eine quotenmäßige Verteilung zu erfolgen hätte, wenn die Masse nicht ausreicht. Es könnte dann dazu kommen, daß die laufenden Lohnbezüge aus Arbeitsverhältnissen, die vom Konkursverwalter fortgeführt werden, quotenmäßig gekürzt werden müßten. Dies erscheint gegenüber den weiter tätigen Arbeitnehmern, die auf den Lohn angewiesen sind, unangemessen (vgl. zu einer entsprechenden Bewertung hinsichtlich der Ansprüche aus einem Sozialplan BAG GS, aaO).

3. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch hat auch nicht den Rang einer Masseschuld im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 2 KO; denn es besteht kein Anspruch aus einem zweiseitigen Vertrag, dessen Erfüllung zur Konkursmasse verlangt wird (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 1. Alternative KO) oder dessen Erfüllung für die Zeit nach Eröffnung des Verfahrens erfolgen muß (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 2. Alternative KO).

a) Die Erstattungsforderung des Klägers ist schon deshalb keine Masseschuld im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 2 1. Alternative KO, da der Konkursverwalter gegenüber dem früheren Arbeitnehmer H… keine Erfüllung verlangt hat.

b) Eine Qualifizierung als Masseschuld im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 2 2. Alternative KO scheidet aus, da der Vorruheständler weder eine Leistung zur Masse erbringt, für die er entsprechende Gegenleistung beanspruchen kann, noch wird regelmäßig das Vorruhestandsgeld nach Konkursveröffnung “erdient”.

Nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 2. Alternative KO sind nur die Ansprüche als Masseschuld zu erfüllen, die für die Zeit nach Konkurseröffnung als Gegenleistung aus dem Arbeitsverhältnis geschuldet werden (vgl. Heilmann/Klopp in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 57 Rz 14). Das Vorruhestandsverhältnis ist kein zweiseitiger Vertrag im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 2 2. Alternative KO, da die daraus bestehenden Ansprüche nicht auf einem unmittelbaren Gegenseitigkeitsverhältnis beruhen, also nicht in einer Austauschbeziehung zur Gläubigerleistung stehen (zu dieser Voraussetzung des § 59 Abs. 1 Nr. 2 KO vgl. Richardi, DB 1976, Beilage 6, S. 8 f.). Leistungspflichten zur Erbringung der Vorruhestandsleistungen bestehen alleine für den Arbeitgeber. Eine Gegenleistung des früheren Arbeitnehmers steht dem nicht gegenüber. Den Vorruheständler treffen lediglich begleitende Nebenpflichten, wie die Mitwirkungs- und Erstattungspflicht nach § 9 VRTV-Bau.

Eine Zuordnung zu § 59 Abs. 1 Nr. 2 2. Alternative KO läßt sich auch nicht damit begründen, der Anspruch des ehemaligen Arbeitnehmers auf Vorruhestandsleistungen habe trotz der rechtlichen Beendigung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses seinen Rechtsgrund in diesem Arbeitsverhältnis. Zwar sind für die Zeit vor Konkurseröffnung rückständige Vorruhestandsleistungen Bezüge aus dem (beendeten) Arbeitsverhältnis im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 3a KO. Das Vorruhestandsgeld soll den bisher gezahlten Lohn ersetzen und hat als Sonderleistung des Arbeitgebers Entgeltcharakter (vgl. BAG Urteil vom 15. Januar 1991 – 3 AZR 186/90 – AP Nr. 31 zu § 59 KO, zu II 2c der Gründe). Mit dieser Qualifizierung rückständiger Vorruhestandsleistungen ist aber nicht verbunden, daß Ansprüche auf Vorruhestandsleistungen aus einem nach Konkurseröffnung beginnenden Vorruhestandsverhältnis von § 59 Abs. 1 Nr. 2 2. Alternative KO erfaßt werden. Die Bevorrechtigung von Ansprüchen aus einem Arbeitsverhältnis für die Zeit nach Konkurseröffnung als Masseschuld ist ein Ausgleich dafür, daß das Arbeitsverhältnis nach § 22 KO kraft Gesetzes weiterläuft, wenn es nicht gekündigt oder auf andere Weise beendet wird. Soweit der Arbeitnehmer nach Konkurseröffnung weiter seine Arbeitsleistung erbringt, soll er nach dem Willen des Gesetzgebers auch sein Anrecht auf die volle Gegenleistung behalten (vgl. für einen mietvertraglichen Anspruch BGH Urteil vom 6. November 1978 – VIII ZR 179/77 – BGHZ 72, 263, 265). Zweck des § 59 Abs. 1 Nr. 2 2. Alternative KO ist, daß derjenige, der seine vollwertige Leistung weiterhin zur Masse gewähren muß, die dafür zu entrichtende volle Gegenleistung erhalten und nicht nur auf eine Konkursforderung beschränkt sein soll (BGH, aaO). Insoweit verdrängt die konkursrechtliche Qualifizierung als Masseschuld die konkurrierende Qualifizierung als Konkursforderung (vgl. Weber, Anm. zu AP Nr. 3 zu § 59 KO). Für die nach Konkurseröffnung erbrachte Arbeitsleistung soll die volle Vergütung vom Konkursverwalter entrichtet werden.

Der konkursmäßige Rang des § 59 Abs. 1 Nr. 2 KO soll nur die nach Konkurseröffnung zeitanteilig entstehenden Gegenansprüche des Gläubigers für die aus dem Schuldverhältnis geschuldeten Leistungen privilegieren. Ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis unterfällt daher nur dann dieser Vorschrift, wenn er als Entgeltanspruch für die im nachkonkurslichen Zeitraum erbrachte Arbeitsleistung zu bewerten ist (vgl. BAG GS, aaO, Teil III C 2; Richardi, DB 1976, Beilage 6, S. 8). Dementsprechend richtet sich die konkursrechtliche Einordnung einer betrieblichen Sonderzahlung, mit der eine zusätzliche Vergütung geleisteter Dienste bezweckt ist, nach dem Zeitraum, in dem die mit der Jahresleistung vergüteten Dienste geleistet wurden. Sie ist Masseschuld nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 2. Alternative KO, wenn die Arbeitsleistungen, die mit dem Bezug vergütet werden sollen, in dem Zeitraum nach Konkurseröffnung erbracht worden sind (vgl. BAG Urteil vom 21. Mai 1980 – 5 AZR 441/78 – AP Nr. 10 zu § 59 KO, zu B II 2 der Gründe). Ebenso hat der Fünfte Senat für eine vertraglich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbarte Zahlung einer Abfindung entschieden (BAG Urteil vom 25. Februar 1981 – 5 AZR 922/78 – AP Nr. 11 zu § 61 KO, zu III 2 der Gründe), daß auch dann keine Masseschuld nach § 59 Abs. 1 KO begründet wird, wenn das Arbeitsverhältnis erst nach Konkurseröffnung beendet wird; denn die Abfindung steht in keiner unmittelbaren Beziehung zu der im nachkonkurslichen Zeitraum erbrachten Arbeitsleistung.

Die Einstufung der nach Konkurseröffnung entstandenen Ansprüche auf Vorruhestandsgeld entspricht auch der konkursrechtlichen Behandlung der Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung aus einem vor Konkurseröffnung liegenden Ruhegehaltsversprechen für die Zeit nach Konkurseröffnung. Sie sind einfache zu kapitalisierende Konkursforderungen (vgl. BAG Urteil vom 11. Oktober 1988 – 3 AZR 295/87 – BAGE 60, 32, 35 = AP Nr. 2 zu § 69 KO, zu I der Gründe; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 59 Rz 14). Im Zeitpunkt der Konkurseröffnung unverfallbare Versorgungsanwartschaften können nur als aufschiebend bedingte Forderungen gemäß §§ 67, 3 KO geltend gemacht werden (vgl. BAG Urteil vom 16. März 1972 – 3 AZR 191/71 – BAGE 24, 204, 211 = AP Nr. 9 zu § 61 KO, zu I 5 der Gründe). Dauert das Arbeitsverhältnis fort und erwächst erst im Laufe des Konkursverfahrens eine verfallbare Anwartschaft zur unverfallbaren Anwartschaft, ist der sich ergebende Anspruch entsprechend den Zeiträumen, in denen der Rechtsgrund für die Entstehung des Anspruchs gelegt worden ist, aufzuteilen. Der auf die Zeit vor Konkurseröffnung entfallende Teil ist Konkursforderung, der auf die Zeit nach Konkurseröffnung entfallende Teil ist Masseschuld nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 KO (BAG Urteil vom 15. Dezember 1987 – 3 AZR 420/87 – BAGE 57, 152, 157 = AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG, zu III 2 der Gründe). Ruhegeldansprüche sind demnach Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 KO nur, soweit sie in einem nach Konkurseröffnung fortbestehenden Arbeitsverhältnis erdient worden sind.

4. Da der Kläger als Inhaber einer einfachen Konkursforderung kein Recht zur Vorwegbefriedigung im Sinne des § 57 KO hat, war das klageabweisende arbeitsgerichtliche Urteil wieder herzustellen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Leinemann, Dörner, Düwell, Volpp, Dr. Kappes

 

Fundstellen

Haufe-Index 848153

BAGE, 246

NZA 1994, 29

ZIP 1993, 1561

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