Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorruhestandsgeld im Konkurs. befristete Arbeitsverhältnisse im Anschluß an ein gekündigtes Dauerarbeitsverhältnis

 

Leitsatz (amtlich)

Die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Vorruhestandsleistungen nach den Bestimmungen des Tarifvertrags für den Vorruhestand im Baugewerbe (VRTV-Bau) sind aus einem Geschäft des Konkursverwalters entstanden und daher Masseschulden, wenn der Konkursverwalter das Arbeitsverhältnis zunächst ordnungsgemäß gekündigt und im Anschluß daran mit dem Arbeitnehmer befristete Arbeitsverträge bis zum Beginn des Vorruhestandes abgeschlossen hat.

 

Normenkette

KO § 59 Abs. 1 Nr. 1, § 61 Abs. 1 Nr. 6, § 190 Abs. 1, § 191 Abs. 1 S. 2, § 192; BGB § 232 Abs. 1, §§ 233, 1257, 1204 ff.; ZPO § 268 Nr. 3; Tarifvertrag über den Vorruhestand im Baugewerbe vom 26. Februar 1984 (VRTV-Bau) i.d.F. der Änderungstarifverträge vom 12. November 1986, 27. Oktober 1988, 22. Dezember 1989 und 30. April 1990, § 2 Abs. 1, § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 08.03.1994; Aktenzeichen 5/14 Sa 663/92)

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 03.12.1991; Aktenzeichen 8 Ca 976/91)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 8. März 1994 – 5/14 Sa 663/92 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verurteilt wird, den beim Amtsgericht Celle – Hinterlegungsstelle – unter dem Aktenzeichen 32 HL 18/95 hinterlegten Betrag von 15.616,15 DM zugunsten des Klägers freizugeben.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Erstattung von Vorruhestandsleistungen nach abgeschlossenem Konkurs.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes, der den Arbeitgebern deren Vorruhestandsleistungen an frühere Arbeitnehmer zu 90 % erstattet, wenn der Vorruhestand nach dem 31. Dezember 1985 begonnen hat. Bei Insolvenz des Arbeitgebers hat er den Vorruheständlern Vorruhestandsleistungen wie ein Arbeitgeber zu gewähren. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Vorruhestandsgeld gegen den Arbeitgeber geht dann auf den Kläger über.

Die Beklagte unterhält ein baugewerbliches Unternehmen, über dessen Vermögen am 30. April 1987 das Konkursverfahren eröffnet wurde. Dieses wurde im Mai 1995 aufgehoben, nachdem ein Zwangsvergleich vom Februar 1995 am selben Tag durch rechtskräftigen Beschluß des Konkursgerichts bestätigt wurde.

Der Konkursverwalter der Beklagten hatte mit der Konkurseröffnung am 30. April 1987 das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers T… zum 30. September 1987 gekündigt. Dieser stellte am 24. September 1987 einen Antrag auf Vorruhestand für die Zeit vom 1. Februar 1988 an. Zu dieser Zeit lagen die tariflichen Voraussetzungen für den Eintritt in den Vorruhestand nicht vor. Der Arbeitnehmer T… erreichte das erforderliche Mindestalter erst im Januar 1988. Für die Zeit vom 1. Oktober 1987 bis 31. Januar 1988 schloß der Konkursverwalter mit dem Arbeitnehmer T… zwei befristete Arbeitsverhältnisse. Er beschäftigte den Arbeitnehmer als Platzmeister im Rahmen der Beendigung von laufenden Baumaßnahmen.

Der Kläger gewährte dem ehemaligen Arbeitnehmer T… in der Zeit vom 1. Februar 1988 bis 31. Juli 1992 Vorruhestandsleistungen.

Mit der seinerzeit gegen den damaligen Konkursverwalter gerichteten Klage hat der Kläger den vom Arbeitgeber zu tragenden Eigenanteil an den Vorruhestandsleistungen als Masseforderung verlangt.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 15.616,15 DM zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der Revision verlangt die Beklagte, die den Rechtstreit anstelle des Konkursverwalters fortführt, die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt, die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die jetzige Beklagte verurteilt wird, den beim Amtsgericht – Hinterlegungsstelle – Celle unter dem Aktenzeichen – 32 HL 18/95 – hinterlegten Betrag von 15.616,15 DM zugunsten des Klägers freizugeben.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist unbegründet. Der Anspruch des Klägers gegenüber dem baugewerblichen Unternehmen auf Erstattung des Eigenanteils der Vorruhestandsleistungen ist im Streitfall eine Masseforderung nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO und nicht nur eine Konkursforderung nach § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO. Nach Aufhebung des Konkurses hat der Kläger einen Anspruch auf Freigabe des hinterlegten Betrages, § 190 Abs. 1, § 191 Abs. 1 Satz 2, § 192 KO, §§ 232 Abs. 1, 233, 1257, 1204 ff. BGB.

I. Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und ordnungsgemäß und rechtzeitig begründete Revision ist auch nach den im Laufe des Revisionsverfahrens eingetretenen Änderungen der Sach- und Rechtslage zulässig.

1. Nach der Aufhebung des Konkursverfahrens gemäß § 190 Abs. 1 KO hat der bisherige Beklagte, der Konkursverwalter, sein Verwaltungs- und Verfügungsrecht und damit seine Prozeßführungsbefugnis verloren (BGHZ 83, 102). Der frühere Gemeinschuldner erhält sein Prozeßführungsrecht zurück. Er tritt in den Prozeß ein und muß die bisherige Prozeßführung gegen sich gelten lassen (BGH, aaO), wobei jedenfalls vorliegend keine Unterbrechung nach § 239 ZPO analog in Betracht kam, weil der Konkursverwalter durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten und eine Aussetzung des Rechtsstreits nicht beantragt war, § 246 Abs. 1 ZPO.

2. Der neue Antrag auf Abgabe einer Freigabeerklärung hinsichtlich des zugunsten beider Parteien hinterlegten Betrages, an dem die Berechtigten ein Pfandrecht erlangt haben, ist keine in der Revisionsinstanz unzulässige Klageänderung. Die Änderung ist nach § 263 Nr. 3 ZPO statthaft. Der neue Sachantrag bezieht sich auf den in der Berufungsinstanz festgestellten Sachverhalt und beruht auf dem übereinstimmenden Revisionsvortrag beider Parteien (BAG Urteil vom 17. Oktober 1972 – 1 AZR 86/72 – AP Nr. 8 zu § 630 BGB). Eine unstatthafte Bewertung neuer Tatsachen durch das Revisionsgericht kommt deshalb nicht in Betracht.

II. Die Revision ist unbegründet.

1. Der Kläger hat den Anspruch des ausgeschiedenen Arbeitnehmers T… gegen die Beklagte auf Vorruhestandsleistungen aufgrund tarifvertraglichen Forderungsübergangs erworben, nachdem er vom Februar 1988 bis Juli 1992 die Vorruhestandsleistungen wegen der Insolvenz des Arbeitgeber nach § 11 Abs. 1 des Tarifvertrags über den Vorruhestand im Baugewerbe vom 26. Februar 1984 in der jeweils gültigen Fassung (VRTV-Bau) erbracht hatte, § 11 Abs. 2 VRTV-Bau. Davon ist die gemäß § 10 Abs. 1 VRTV-Bau vom Kläger zu erbringende Erstattung in Höhe von 90 v.H. in Abzug zu bringen.

2. Bei der so reduzierten Forderung des Klägers handelt es sich um eine Masseschuld im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO. Danach sind Masseschulden die Ansprüche, welche aus Geschäften oder Handlungen des Konkursverwalters entstehen.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats begründet der Übergang des baugewerblichen Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis in das Vorruhestandsverhältnis nach den Bestimmungen der §§ 3 bis 5 VRTV-Bau keine Masseschulden (Senatsurteile vom 15. Juni 1993 – 9 AZR 18/92 – BAGE 73, 246 = AP Nr. 35 zu § 59 KO und – 9 AZR 102/92 – ZIP 1993, 1480). Der Senat geht davon aus, daß das Vorruhestandsverhältnis im Baugewerbe beginnt, wenn die tariflichen Voraussetzungen erfüllt sind und der Arbeitnehmer die Zahlung von Vorruhestandsgeld schriftlich beim Arbeitgeber beantragt. Ein Abschluß einer Vorruhestandsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist nicht erforderlich. Deshalb fehlt es an einem Geschäft oder einer Handlung des Konkursverwalters, wenn das Vorruhestandsverhältnis im unmittelbaren Anschluß an das im Konkursverfahren fortbestehende Arbeitsverhältnis beginnt. Der Senat hält Vorruhestandsleistungen des Klägers aber auch dann nicht für Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO, wenn tarifrechtlich von einer fingierten Vereinbarung über die Gewährung von Vorruhestandsleistungen auszugehen wäre. § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO soll die Handlungsfreiheit des Konkursverwalters im geschäftlichen Verkehr mit Dritten sichern und ihm ermöglichen, hierzu die erforderlichen Rechtsgeschäfte abzuschließen. Die Bestimmung bezieht sich auf Handlungen, bei denen der Konkursverwalter im Rahmen der ihm durch die Konkurseröffnung zufallenden Aufgaben handelt, das Vermögen des Gemeinschuldners zu erfassen, zu verwalten und zu verwerten. Unter diese Vorschrift fallen daher nicht die Handlungen des Konkursverwalters, durch die er nur Verpflichtungen abwikkelt, die in der auf ihn übergegangenen Arbeitgeberstellung begründet sind und die an sich – gäbe es nicht den Konkurs – der Arbeitgeber hätte selbst erledigen müssen (BAG, aaO, m.w.N.). § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO beruht auf dem maßgeblichen Grundgedanken, daß die konkursrechtliche Privilegierung einer Verpflichtung als Masseschuld dann nicht eintreten soll, wenn es sich um die Abwicklung bereits bestehender Rechtsbeziehungen des Gemeinschuldners mit seinen Gläubigern handelt. § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO ist daher auf die Handlungen bezogen, bei denen der Konkursverwalter als nach eigenem Ermessen handelnder Unternehmer auftritt. Der Konkursverwalter hat keine unternehmerische Entscheidungs- und Handlungsfreiheit darüber, ob ein Arbeitsverhältniss in ein Vorruhestandsverhältnis übergeleitet wird oder nicht. Der Beginn des Vorruhestandes und das Entstehen des Anspruchs auf Vorruhestandsleistungen ist nicht von der Zustimmung des Konkursverwalters abhängig. Seine Anträge an den Kläger z.B. hinsichtlich der Anerkennung von Vorruhestandsleistungen an Arbeitnehmer sind nur Abwicklungsmaßnahmen für eine bereits im Arbeitsverhältnis vor Konkurseröffnung begründete Verpflichtung.

b) Die Rechtslage ist aber dann anders zu beurteilen, wenn der Konkursverwalter nicht nur bestehende Verpflichtungen abwickelt, sondern ein neues Schuldverhältnis begründet, das erst Grundlage für den späteren Anspruch bildet. So verhält es sich im Streitfall.

aa) Das bei der Konkurseröffnung bestehende Schuldverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer T… und der Beklagten hat der Konkursverwalter zum 30. September 1987 gekündigt. Der Arbeitnehmer T… hat diese Kündigung akzeptiert und zu keiner Zeit Gegenvorstellungen oder Klage erhoben. Wäre es bei diesem Sachstand geblieben, hätte der Arbeitnehmer T… mit der Erfüllung des tarifvertraglich vorgeschriebenen Mindestalters im Januar 1988 nicht in den Vorruhestand gehen können. Denn dann hätte zwar die Altersvoraussetzung des § 2 Abs. 1a VRTV-Bau vorgelegen, nicht aber die Voraussetzung des § 2 Abs. 1d VRTV-Bau, wonach der Arbeitnehmer dem Betrieb unmittelbar vor Beginn des Vorruhestandes ununterbrochen mindestens 12 Monate als vom Geltungsbereich des Tarifvertrages erfaßter Arbeitnehmer angehört haben muß.

bb) Mit der Vereinbarung zwischen Konkursverwalter und Arbeitnehmer T…, das Arbeitsverhältnis zweimal befristet fortzusetzen und den Arbeitnehmer nunmehr als Platzwart zu beschäftigen, wurden durch rechtsgeschäftliche Handlungen des Konkursverwalters neue Schuldverhältnisse begründet, die den Übergang in das Vorruhestandsverhältnis und den Anspruch auf Vorruhestandsleistungen seitens des Klägers überhaupt erst ermöglichten. Damit ist die Voraussetzung für die konkursrechtliche Folge, Tätigkeiten des Konkursverwalters dann nicht als Masseschulden begründende Handlungen anzusehen, wenn es sich nur um die Abwicklung bereits bestehender Rechtsbeziehungen des Gemeinschuldners zu seinen Gläubigern handelt, nicht mehr gegeben. Denn wenn auch die Handlung nicht unmittelbar den Anspruch begründete, so ist sie doch das die Leistungspflicht des Klägers und seinen Erfüllungsanspruch auslösende neue Geschäft, das in seinem eigenen Ermessen als Unternehmer gestanden hat. Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht nur durch eine einvernehmliche Verlängerung der Kündigungsfrist zum Zwecke der Abwicklung von Restarbeiten herbeigeführt worden ist, sondern durch die Begründung neuer, befristeter Arbeitsverhältnisse im Anschluß an ein beendetes Dauerarbeitsverhältnis.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dörner, Düwell, Friedrich, Hammer, Schwarz

 

Fundstellen

Haufe-Index 872295

BAGE, 249

NZA 1996, 828

ZIP 1996, 554

AP, 0

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge