Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsrenten und Anwartschaften im Konkurs

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ansprüche und Anwartschaften der Arbeitnehmer auf Leistung der betrieblichen Altersversorgung, die im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers einen Anspruch gegen den Träger der Insolvenzsicherung begründen, gehen auf den Pensions-Sicherungs-Verein als Träger der Insolvenzsicherung über (§ 9 Abs 2 BetrAVG).

2. Der Pensions-Sicherungs-Verein kann die auf ihn übergangenen Ansprüche im Konkurs des Arbeitgebers als Konkursforderungen geltend machen.

3. Diese Konkursforderungen sind unbestimmte Forderungen im Sinne des § 69 KO, die mit ihrem Schätzwert geltend zu machen sind (Bestätigung BAG vom 16.3.1972 - 3 AZR 191/71 = BAGE 24, 204 = AP Nr 9 zu § 61 KO).

4. Bei der Schätzung sind biometrische Erfahrungswerte und der Vorteil der sofortigen Fälligkeit zu berücksichtigen. Der Vorteil der sofortigen Fälligkeit ist durch Abzinsung des Kapitalbetrages auszugleichen.

5. Ein Abzinsungssatz von 5,5% ist nicht zu beanstanden. § 6a Abs 3 EStG, der eine Abzinsung für Pensionsrückstellungen von 6% vorschreibt, ist nicht entsprechend anwendbar.

 

Normenkette

KO §§ 70, 69; BGB § 246; HGB § 352; EStG § 4d; KO § 65 Abs. 2; EStG § 6a Abs. 3; BetrAVG § 8 Abs. 2, § 3 Abs. 2; KO § 61 Abs. 1 Nr. 6; BetrAVG § 9 Abs. 2 S. 1, § 14 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 15.10.1986; Aktenzeichen 2 Sa 25/86)

ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 10.12.1985; Aktenzeichen 1 Ca 350/85)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, wie Forderungen auf laufende Renten und Anwartschaften im Konkurs des Arbeitgebers zu berechnen sind.

Der Kläger ist der Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung (§ 14 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG). Der Beklagte ist Konkursverwalter über das Vermögen der M GmbH & Co.KG. Das Unternehmen gewährte seinen Mitarbeitern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, teils über eine Unterstützungskasse, teils aufgrund unmittelbarer Versorgungszusagen. Bei Konkurseröffnung bezogen 87 ehemalige Mitarbeiter laufende Renten; für 113 Arbeitnehmer bestanden unverfallbare Versorgungsanwartschaften. Die daraus folgenden Ansprüche und Anwartschaften der Arbeitnehmer sind gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG auf den Kläger übergegangen. Er hat sie mit einem Gesamtbetrag von 1.249.643,97 DM als Konkursforderung nach § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO zur Konkurstabelle angemeldet. Bei der Ermittlung des Betrags hat er sich auf ein Gutachten des Versicherungsmathematikers Dr. K H gestützt (Richttafeln 1982), in dem ein Rechnungszinsfuß von 5,5 % zugrundegelegt ist. Der Beklagte hält diese Kapitalberechnung für falsch. Er hat sich auf ein Gutachten des Dipl.-Mathematikers C B berufen, der für seine Berechnungen die Richttafeln von Heubeck/Fischer aus dem Jahre 1948 angewendet hat und von einem Rechnungszinsfuß von 6 % ausgegangen ist. Dieser Sachverständige ist zu einem Barwert von 1.077.801,97 DM gelangt. Die Differenz von 171.842,-- DM ist unter den Parteien streitig.

Der Kläger hat vorgetragen: Die wegen der sofortigen Fälligstellung gebotene Abzinsung werde mit einem Zinsfuß von 5,5 % angemessen erfaßt. Dieser Zinssatz werde allgemein und schon so lange angewendet, daß er als Gewohnheitsrecht gelte. Die Anhebung des Rechnungszinsfußes für Pensionsrückstellungen bei Direktzusagen auf 6 % durch § 6 a Abs. 3 EStG in der Fassung des Zweiten Haushaltsstrukturgesetzes vom 22. Dezember 1981 (BGBl I, 1523) sei im Konkursverfahren unbeachtlich. Zu erwägen sei allenfalls eine noch geringere Abzinsung mit dem gesetzlichen Zinsfuß (4 %) oder mit dem Rechnungszinsfuß für Rückstellungen von Deckungskapital bei den gewerblichen Lebensversicherern (3 %).

Der Kläger hat beantragt, zur Konkurstabelle eine Forderung des Klägers gegen die Gemeinschuldnerin, die Fa. M GmbH & Co. KG, aus nach § 9 Abs. 2 BetrAVG auf den Kläger übergegangener Forderungen der Begünstigten aus betrieblicher Altersversorgung in Höhe von 1.249.643,97 DM festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, der Rechnungszinsfuß von 5,5 % sei zu niedrig. § 6 a Abs. 3 EStG sei entsprechend anzuwenden. Nachdem das Zweite Haushaltsstrukturgesetz den Zinsfuß für Pensionsrückstellungen auf 6 % angehoben habe, müsse auch der Barwert von Versorgungsanwartschaften und laufenden Renten mit dem erhöhten Zinssatz abgezinst werden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat zu Recht auf der Grundlage eines Rechnungszinsfußes von 5,5 % eine Konkursforderung in Höhe von insgesamt 1.249.643,97 DM festgestellt.

I. Die Parteien streiten nur um die Höhe der Konkursforderung.

Die Konkursforderung ist dem Grunde nach nicht bestritten. Gegenstand der Forderung sind die vom Kläger gesicherten Ansprüche auf laufende Renten und aus aufrecht erhaltenen Anwartschaften, die kraft Gesetzes auf ihn übergegangen sind (§ 9 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG).

Die Forderungen des Klägers sind Forderungen, deren Geldbetrag unbestimmt ist (§ 69 KO). Soweit es um Versorgungsanwartschaften geht, sind Anfangs- und Endtermin der Bezüge ungewiß. Bei den laufenden Renten ist nur der Endtermin ungewiß. Solche unbestimmten Forderungen verwandeln sich im Konkurs in einen sofort fälligen Zahlungsanspruch, dessen Wert nach § 69 KO zu schätzen ist (BAGE 24, 204, 211 = AP Nr. 9 zu § 61 KO, zu I 5 der Gründe; BAG Urteil vom 8. Dezember 1977 - 3 AZR 324/76 - AP Nr. 10 zu § 61 KO, zu 1 c der Gründe; BAG Urteil vom 12. April 1983 - 3 AZR 73/82 - AP Nr. 3 zu § 240 ZPO, zu I 1 b der Gründe; Kuhn/Uhlenbruck, KO, 10. Aufl., § 69 Rz 3 c). Auch hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit. Der Streit betrifft allein die Frage, wie der Schätzwert zu ermitteln ist. Hierbei sind biometrische Erfahrungswerte und der Vorteil der sofortigen Fälligkeit zu unterscheiden. Es geht einmal um die Frage, wie man die ungewisse Laufzeit der Renten erfaßt und in mathematischen Formeln ausdrückt, und zum anderen darum, wie man den Vorteil der Fälligstellung im Konkurs mit einem angemessenen Abzinsungssatz ausgleicht.

II. Die Schätzung des Klägers auf der Grundlage der Richttafeln von Heubeck aus dem Jahre 1982 mit einem Rechnungszinsfuß von 5,5 % ist nicht zu beanstanden.

1. Der Kläger konnte der Schätzung seiner Forderung die versicherungsmathematischen Richttafeln von 1982 zugrunde legen (Blätter der Deutschen Gesellschaft für Versicherungsmathematik 1982, 493 ff.). Der Beklagte hat seine ursprünglich gegen die biometrischen Annahmen des Sachverständigen erhobenen Einwendungen nicht mehr aufrechterhalten. Der Senat sieht keine Veranlassung, die auf umfangreichen Erhebungen beruhenden Aussagen des Sachverständigen anzuzweifeln. Sie berücksichtigen die Änderungen der Bevölkerungsstruktur in den letzten 40 Jahren und bilden eine geeignete Grundlage für die vom Gläubiger vorzunehmende Schätzung und Umrechnung (Kuhn/Uhlenbruck, aa0, § 69 Rz 5; Kilger, KO, 15. Aufl., § 69 Anm. 6).

2. Der Kläger brauchte den so ermittelten Kapitalbetrag nur um 5,5 % abzuzinsen.

a) Durch die vorzeitige Fälligstellung im Konkurs des Versorgungsschuldners erhält der Gläubiger Mittel, auf die er ganz (Anwartschaften) oder teilweise (laufende Renten) nach Maßgabe der Versorgungsordnung erst in Zukunft Anspruch hat. Das ist ein geldwerter Vorteil; mit dem sofort zur Verfügung stehenden Kapital lassen sich Erträge erzielen. Der Vorteil der vorzeitigen Fälligstellung muß in die Schätzung eingehen. Der Barwert muß so bemessen sein, daß sich der Gläubiger die Leistung, die er wegen des Konkurses vom Versorgungsschuldner nicht erhält, anderweit beschaffen kann. Nichts anderes ist gemeint, wenn im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, maßgebend sei der gemeine Wert (Kuhn/Uhlenbruck, aa0, § 69 Rz 5 m.w.N.).

b) Mit einem Abzinsungssatz von 5,5 % wird der Vorteil der vorzeitigen Fälligstellung im Konkurs des Versorgungsschuldners angemessen erfaßt. Dieser Zinsfuß wird seit 1960 unangefochten angewendet, nachdem das Steueränderungsgesetz 1960 den Rechnungszinsfuß für Pensionsrückstellungen von 3,5 % auf 5,5 % erhöht hatte. Zwar handelt es sich hierbei letztlich um einen im Anschluß an die steuerliche Rechtslage "gegriffenen" Wert. Er hat sich aber in jahrzehntelanger Anwendung bewährt und führt erfahrungsgemäß zu Ergebnissen, die den Vorteil des Gläubigers näherungsweise zuverlässig erfassen. Der Beklagte hat nicht dartun können, daß seither durch Änderungen der gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse erkennbar fehlerhafte Ergebnisse einträten.

c) Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben geprüft, ob nach den Renditemöglichkeiten auf dem Kapitalmarkt für langfristige Geldanlagen ein höherer Zinsfuß angesetzt werden kann. In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen ist dies nach der gutachtlichen Stellungnahme der Deutschen Bundesbank vom 17. September 1985 zu verneinen. Diese hat ausgeführt, angesichts der unterschiedlichen Fälligkeitstermine lasse sich auch auf dem Kapitalmarkt allenfalls eine Näherungslösung ermitteln. Außerdem sei zweifelhaft, ob für weit in die Zukunft reichende Versorgungsverbindlichkeiten genügend lange Anlagemöglichkeiten und ausreichend günstige Wiederanlagemöglichkeiten gefunden werden könnten. Schon zwischen der Entstehung des Anspruchs und seiner Feststellung könnten sich erhebliche Änderungen des Zinsniveaus ergeben. Hieraus ist zu schließen, daß sich der vom Kläger gewählte Zinssatz von 5,5 % nicht deshalb als fehlerhaft erweist, weil sich auf dem Kapitalmarkt auf kürzere Sicht möglicherweise höhere Renditen erzielen lassen. Auf ungewisse oder gar spekulative Kapitalanlagen braucht sich der Gläubiger nicht einzulassen.

3. Die Einwendungen des Beklagten überzeugen nicht.

a) Der Auffassung, der Abzinsungssatz müsse dem gesetzlichen Zinsfuß in § 6 a Abs. 3 EStG folgen, kann sich der Senat nicht anschließen. Die steuerrechtliche Behandlung von Pensionsrückstellungen für Direktzusagen läßt keine unmittelbaren Schlüsse darauf zu, welchen Vorteil der Gläubiger durch die Vorfälligkeit von Versorgungsrechten erhält. Die Gesetzesmaterialien zeigen, daß der Gesetzgeber mit der Erhöhung des Rechnungszinsfußes von 5,5 % auf 6 % durch das Zweite Haushaltsstrukturgesetz fiskalische Zwecke verfolgt und sich dabei an der erwarteten wirtschaftlichen Ertragskraft der Unternehmen orientiert hat (vgl. BT-Drucks. 9/795 S. 41, 66). Auf die Einwendungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (BT-Drucks. 9/985 S. 13) nahm er keine Rücksicht. Den Abzinsungssatz für Aufwendungen an Unterstützungskassen ließ er unverändert bei 5,5 % (Anlage zu § 4 d EStG).

b) Die Anwendbarkeit des § 6 a Abs. 3 EStG folgt auch nicht aus dem Betriebsrentengesetz. Zwar kann der Träger der Insolvenzsicherung gemäß § 8 Abs. 2 BetrAVG in entsprechender Anwendung des § 3 Abs. 2 BetrAVG in begrenztem Umfang Versorgungsanwartschaften abfinden; für die Berechnung des Abfindungsbetrags ist u.a. der bei der jeweiligen Form der betrieblichen Altersversorgung vorgeschriebene Rechnungszinsfuß maßgebend. Jedoch geht es bei der Barwertermittlung im Konkurs des Versorgungsschuldners nicht um die Abfindung einer in der Vergangenheit erdienten Versorgungsanwartschaft, sondern um eine Sicherstellung des Wiederbeschaffungswerts, die zum Teil weit in die Zukunft reichen muß. Die Anwendung der für die steuerliche Behandlung geltenden Zinssätze (§ 6 a Abs. 3 und § 4 d EStG) würde dem Zweck der Vorteilsausgleichung der vorzeitigen Fälligstellung nicht gerecht. Zutreffend weisen Höfer/Abt (BetrAVG, Bd. I, 2. Aufl., § 3 Rz 49) darauf hin, daß es ohnehin problematisch erscheint, die Bemessung der Leistungen im Arbeitsverhältnis von steuerrechtlichen Vorschriften abhängig zu machen. Wesentlich näher läge es, von dem gesetzlichen Zinsfuß in Höhe von 4 % oder 5 % auszugehen (§§ 246 BGB, 352 HGB), der gemäß den §§ 65 Abs. 2 und 70 KO für betagte Forderungen und wiederkehrende Hebungen auch im Konkursverfahren gilt. Zwar treffen diese Vorschriften nicht unmittelbar auf Rentenansprüche zu, da deren Laufzeit ungewiß ist. Doch könnte diesen Vorschriften ein auch auf § 69 KO anzuwendender allgemeiner Grundsatz zugrunde liegen. Der gesetzliche Zinssatz könnte auch in den Fällen als Abzinsungssatz maßgebend sein, in denen die unbestimmte Forderung und mit ihr der Vorteil der vorzeitigen Fälligkeit zu schätzen sind. Die Frage kann im Streitfall offenbleiben, da der Kläger nur einen Abzinsungssatz von 5,5 % geltend macht. Seine auf dieser Grundlage beruhende Schätzung erscheint jedenfalls nicht fehlerhaft.

Dr. Heither Schaub Griebeling

Kunze Dr. Reinfeld

 

Fundstellen

Haufe-Index 438488

BAGE 60, 32-38 (LT1-5)

BAGE, 32

BB 1989, 849-850 (LT1-5)

DB 1989, 731-732 (LT1-5)

ASP 1989, 133 (K)

KTS 1989, 423-426 (LT1-5)

NZA 1989, 303-305 (LT1-5)

RdA 1989, 129

ZAP, EN-Nr 23/89 (S)

ZIP 1989, 319

ZIP 1989, 319-321 (LT1-5)

AP § 69 KO (LT1-5), Nr 2

AR-Blattei, Betriebliche Altersversorgung VI Entsch 56 (LT1-5)

AR-Blattei, ES 460.6 Nr 56 (LT1-5)

EzA § 69 KO, Nr 1 (LT1-5)

VersR 1989, 532-533 (LT1-5)

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