Entscheidungsstichwort (Thema)

Sterbegeld und betriebliche Altersversorgung

 

Leitsatz (amtlich)

Auf das tarifliche Sterbegeld, das nach § 22 Des Manteltarifvertrages für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens zu zahlen ist, dürfen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nicht angerechnet werden (im Anschluß an BAGE 50, 147 = AP Nr. 35 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie, mit Anm. von Beitzke).

 

Normenkette

BetrAVG § 1 Abs. 1 S. 1; Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 29. Februar 1988 § 22 (Zahlung im Sterbefall an Hinterbliebene)

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 02.11.1992; Aktenzeichen 19 Sa 809/92)

ArbG Herne (Urteil vom 03.04.1992; Aktenzeichen 4 Ca 577/92)

 

Tenor

  • Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 2. November 1992 – 19 Sa 809/92 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Zahlung eines tariflichen Sterbegeldes.

Die Klägerin ist die Witwe des am 26. Juni 1939 geborenen und am 6. September 1991 verstorbenen … Sch…. Dieser war seit dem 23. November 1977 bei der Beklagten beschäftigt. Er bezog zuletzt ein monatliches Arbeitsentgelt von über 3.100,-- DM. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens (MTV) Anwendung.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Arbeitsentgelt für die Monate September und Oktober 1991. Sie stützt den Anspruch auf § 22 MTV (i.d.F. v. 29. Februar 1988 = § 14 MTV a.F.). Die Vorschrift lautet:

“Zahlung im Sterbefall an Hinterbliebene

Hinterläßt der Arbeitnehmer/Auszubildende einen unterhaltsberechtigten Ehegatten oder unterhaltsberechtigte Kinder unter 18 Jahren, deren Berufsausbildung noch nicht abgeschlossen ist, so ist das regelmäßige Arbeitsentgelt/die regelmäßige Ausbildungsvergütung für den Sterbemonat und nach mehr als einjähriger Betriebszugehörigkeit bis zum Ende des folgenden Monats weiterzuzahlen.

Bei tödlichen Arbeitsunfällen ist unabhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit das Arbeitsentgelt/die Ausbildungsvergütung für den Sterbemonat und für zwei weitere Monate weiterzuzahlen.

Leistungen aus Unterstützungseinrichtungen, die der Arbeitgeber/Ausbildungsbetrieb allein finanziert, können angerechnet werden.”

Die Beklagte hatte für den Ehemann der Klägerin und andere Arbeitnehmer eine Gruppenlebensversicherung abgeschlossen. Es war ein Kapitalbetrag von 5.552,-- DM, fällig im Todesfall oder spätestens am 1. Dezember 1999, versichert. Die Prämien zahlte die Beklagte. Die Versicherungssumme wurde an die Klägerin ausgezahlt.

Die Klägerin ist berufstätig. Sie erzielte in den Monaten Juni bis September 1991 durchschnittliche monatliche Einkünfte von ca. 2.338,-- DM.

Die Klägerin hat geltend gemacht, sie sei ihrem Ehemann gegenüber unterhaltsberechtigt gewesen, zumal ihr Einkommen niedriger gewesen sei als das ihres verstorbenen Ehemannes. Die Leistung aus der Lebensversicherung sei nicht anrechenbar, da es sich hierbei um eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung gehandelt habe.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.200,-- DM brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Klägerin sei nicht unterhaltsberechtigt gewesen. Ferner sei die Leistung aus der Lebensversicherung eine Leistung zur Unterstützung der Hinterbliebenen im Todesfall gewesen; diese Leistung sei daher auf das tarifliche Sterbegeld anzurechnen. Die Zahlung aus der Lebensversicherung übersteige den Nettobetrag des tariflichen Sterbegeldes.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf das Arbeitsentgelt für den Sterbemonat und den folgenden Monat (Sterbegeld).

1. Nach § 22 Abs. 1 MTV kann die Klägerin von der Beklagten die Zahlung des regelmäßigen Arbeitsentgelts für den (vollen) Sterbemonat und den folgenden Monat verlangen. Der verstorbene Ehemann der Klägerin war länger als ein Jahr Arbeitnehmer der Beklagten. Die Klägerin war unterhaltsberechtigte Ehefrau des Verstorbenen:

Mit dem Merkmal “unterhaltsberechtigter Ehegatte” haben die Tarifvertragsparteien einen Rechtsbegriff des Familienrechts verwendet. Der Begriff ist daher in seiner allgemeinen rechtlichen Bedeutung zu verstehen (zu dem mit § 22 MTV n.F. wortgleichen § 14 MTV a.F. vgl. BAGE 50, 147 = AP Nr. 35 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie, mit Anm. von Beitzke). Maßgebend ist somit § 1360 BGB. Danach sind die (zusammenlebenden) Ehegatten einander verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. Die Unterhaltsberechtigung unter zusammenlebenden Ehegatten ist ein gegenseitiger Anspruch auf Beitrag zum Familienunterhalt und vom Einkommen der Ehegatten unabhängig. Auf die Bedürftigkeit eines Ehegatten kommt es nicht an (BAG, aaO, und Beitzke, in Anm. zu AP Nr. 35 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; ferner Palandt/Diederichsen, BGB, 52. Aufl., § 1360 Anm. 1b). Somit ist es unerheblich, ob die Klägerin sich selbst unterhalten konnte. Zudem hatte sie geringere Einkünfte als ihr verstorbener Ehemann.

2. Die Zahlung aus der Kapitallebensversicherung ist auf das tarifliche Sterbegeld nicht anzurechnen.

a) Gem. § 22 Abs. 3 MTV “können” Leistungen aus Unterstützungseinrichtungen, die der Arbeitgeber allein finanziert, angerechnet werden.

Was mit der Kann-Bestimmung gemeint ist, läßt sich nicht ohne weiteres erkennen. Möglicherweise ist daran gedacht, daß der Arbeitgeber berechtigt ist, eine betriebliche Anrechnungsregelung einzuführen (vgl. dazu Urteil des Senats vom 10. August 1993 – 3 AZR 69/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen) oder im Einzelfall eine Ermessensentscheidung zu treffen. Dann wäre gem. § 315 BGB zu prüfen, ob der Arbeitgeber im Streitfall eine Ermessensentscheidung getroffen hat und ob diese Entscheidung der Billigkeit entspricht. Im Rechtsstreit ist dazu nichts vorgetragen. Die Frage kann aber offen bleiben. Denn jedenfalls handelt es sich bei der Leistung aus der Kapitallebensversicherung nicht um eine anrechenbare Leistung aus einer arbeitgeberfinanzierten Unterstützungseinrichtung i.S.d. tariflichen Regelung.

b) Leistungen einer Lebensversicherung können Leistungen “aus Unterstützungseinrichtungen” sein. Der Begriff “Unterstützungseinrichtung” ist in einem weiten Sinne zu verstehen. Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff der Unterstützungseinrichtung nicht näher bestimmt, so daß hier – ebenso wie bei der “Unterhaltsberechtigung” – von dem in der Rechtssprache üblichen oder geläufigen Sprachgebrauch auszugehen ist. Im betrieblichen Sprachgebrauch werden vielfach rechtlich selbständige Versorgungsträger als Unterstützungseinrichtung bezeichnet, gleich ob es sich um eine Unterstützungskasse, eine Pensionskasse oder gar um einen Lebensversicherer handelt. Wer Unterstützungs- oder Versorgungsträger ist, kann daher nicht maßgebend sein.

c) Die Leistung der Lebensversicherung ist aber keine dem Sterbegeld vergleichbare Leistung. Nur eine dem Sterbegeld vergleichbare Leistung ist anrechenbar. Die in § 22 Abs. 3 MTV genannten Leistungen der Unterstützungseinrichtung müssen in einem sachlichen Zusammenhang stehen mit den in § 22 Abs. 1 und Abs. 2 MTV beschriebenen und der Höhe nach gestaffelten Leistungen.

In § 22 Abs. 1 und 2 MTV ist eine Lohnfortzahlung über den Todestag hinaus vorgesehen. So hat auch das Berufungsgericht die tarifliche Regelung verstanden. Ziepke (MTV, 3. Aufl., § 22 Anm. 2) spricht von “Gnadengeld”. Es handelt sich um eine Zahlung, die verhindern soll, daß der im Tarifvertrag begünstigte unterhaltsberechtigte Hinterbliebene kurzfristig ohne den vollen Unterhaltsbeitrag des Verstorbenen auskommen muß, obwohl gerade im Todesfall mit besonderen Aufwendungen zu rechnen ist. Die gestaffelte tarifliche Lohnfortzahlung läßt sich daher als “Sterbegeld” bezeichnen. Zweck der Leistung ist es, die momentan durch den Tod des Arbeitnehmers entstehenden finanziellen Belastungen aufzufangen oder zu verringern, also eine Überbrückungshilfe aus Anlaß des Todes des unterhaltspflichtigen Arbeitnehmers zur Verfügung zu stellen (ebenso Beitzke, aaO).

Daß die Höhe der Leistung auch von der Betriebszugehörigkeit (Abs. 1) und dem Anlaß des Todesfalls bei einem Arbeitsunfall (Abs. 2) abhängt, spricht nicht gegen die Annahme eines Sterbegeldes als Überbrückungshilfe. Die aus den genannten Anlässen vorgesehenen Erhöhungen nehmen nur Rücksicht auf allgemeine Vorstellungen der Billigkeit und Angemessenheit der Leistung.

Der Zweck der betrieblichen Altersversorgung zielt in eine andere Richtung als der Zweck des Sterbegeldes. Die betriebliche Altersversorgung soll – ungeachtet der Leistungsart – der Versorgung des Arbeitnehmers im Ruhestand oder der Hinterbliebenen nach dem Tod des Arbeitnehmers dienen. Leistungen der betrieblichen Altersversorgung müssen daher anrechnungsfrei bleiben (ebenso Ziepke, aaO, § 22 Anm. 16).

d) Durch die Versicherung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin war eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BetrAVG zugesagt: Es war eine Lebensversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber abgeschlossen worden, aus welcher der Arbeitnehmer – mit Vollendung des 60. Lebensjahres – oder im Todesfalle seine Hinterbliebenen bezugsberechtigt waren. Das wird bestätigt durch die weiteren Versicherungsbedingungen, die ein eingeschränkt unwiderufliches Bezugsrecht der Begünstigten begründeten und die Einschränkungen des Bezugsrechts nur für die Dauer der Verfallbarkeit der Versorgungsanwartschaft und im übrigen lediglich die Beleihbarkeit durch den Arbeitgeber vorsahen (BAG Urteile vom 26. Juni 1990 – 3 AZR 651/88 – und – 3 AZR 641/88 – BAGE 65, 208 und 65, 215 = AP Nr. 10 und 11 zu § 1 BetrAVG Lebensversicherung).

Daß im Falle des Todes die Versicherungsleistung sofort fällig wird und damit auch zur Bestreitung der damit verbundenen Kosten führen kann, führt hinsichtlich der Anrechenbarkeit auf die tarifliche Übergangshilfe nicht zu einer anderen Beurteilung. Das Berufungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, daß eine Altersversorgung in Gestalt eines Kapitalbetrages immer dem sofortigen Konsum zugänglich ist. Das ändert aber nichts daran, daß es sich um eine Altersversorgung i.S.d. Betriebsrentengesetzes handelt. Auch in diesem Falle dient die Versicherungsleistung der Versorgung, sie muß daher dem Versorgungszweck erhalten bleiben.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Griebeling, Dr. Wittek, Dr. Schmidt, Frehse

 

Fundstellen

Haufe-Index 848124

BB 1994, 76

NZA 1994, 515

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