Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Revision gegen ein zweites Versäumnisurteil

 

Leitsatz (amtlich)

§ 72 Abs. 1 ArbGG regelt abschließend, unter welchen Voraussetzungen gegen ein landesarbeitsgerichtsliches Endurteil Revision eingelegt werden kann. Auch gegen ein zweites Versäumnisurteil eines Landesarbeitsgerichts ist deshalb keine zulassungsfreie Revision entsprechend §§ 566, 513 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft (im Anschluß an BAG Urteil vom 10. Dezember 1986 – 4 AZR 384/86 – BAGE 53, 396 = AP Nr. 3 zu § 566 ZPO).

 

Normenkette

ArbGG § 72 Abs. 1, § 64 Abs. 2; ZPO § 513 Abs. 2, §§ 566, 547

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 21.02.1994; Aktenzeichen 8 Sa 953/93)

ArbG Mainz (Urteil vom 14.05.1993; Aktenzeichen 2 Ca 478/93)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. Februar 1994 – 8 Sa 953/93 – wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

 

Tatbestand

I. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Arbeitgeberkündigung.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. In dem von ihr angestrengten Berufungsverfahren war die Klägerin zunächst anwaltlich vertreten. Mit Schriftsatz vom 23. November 1993 teilte ihr Anwalt mit, er habe das Mandat niedergelegt. Im Termin vom 29. November 1993 war die Klägerin nicht vertreten und lediglich selbst anwesend. Mit Versäumnisurteil vom selben Tag wies das Landesarbeitsgericht die Berufung zurück. Gegen das Versäumnisurteil legte die Klägerin am 6. Dezember 1993 persönlich Einspruch zu Protokoll der Geschäftsstelle ein. Da die Klägerin keinen neuen Prozeßbevollmächtigten benannt hatte, wurde die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 21. Februar 1994 über den Einspruch und die Hauptsache ihrem bisherigen Prozeßbevollmächtigten zugestellt. Im Termin erschien für die Klägerin niemand. Daraufhin verwarf das Landesarbeitsgericht antragsgemäß den Einspruch der Klägerin durch zweites Versäumnisurteil vom 21. Februar 1994 (im Urteil aufgrund eines offensichtlichen Schreibversehens mit 21. Februar 1993 bezeichnet). Die Revision hat das Landesarbeitsgericht in dem am 4. März 1994 zugestellten Urteil nicht zugelassen.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 23. März 1994, eingegangen beim Bundesarbeitsgericht am 24. März 1994, hat die Klägerin gegen das zweite Versäumnisurteil Revision eingelegt und zugleich begründet. Sie macht geltend, sie habe die Ladung zum Termin vom 21. Februar 1994 nicht erhalten und sei von ihrem früheren Anwalt auch nicht anderweitig über den anstehenden Termin unterrichtet worden. Ein Fall der Säumnis habe am 21. Februar 1994 deshalb nicht vorgelegen.

Die Klägerin beantragt die Aufhebung des zweiten Versäumnisurteils und Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht zur anderweitigen Entscheidung. Das beklagte Land beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist nicht statthaft, weil sie weder in dem angegriffenen Urteil noch durch einen Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 ArbGG zugelassen worden ist.

§ 72 Abs. 1 ArbGG regelt insoweit abschließend, unter welchen Voraussetzungen gegen ein landesarbeitsgerichtliches Urteil Revision eingelegt werden kann (vgl. BAG Urteil vom 10. Dezember 1986 – 4 AZR 384/86 – BAGE 53, 396 = AP Nr. 3 zu § 566 ZPO, m.w.N.; ferner Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 72 Rz 4; Michels-Holl in Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes S. 357, 358). Das ergibt sich bereits aus dem klaren Wortlaut dieser Gesetzesnorm. § 72 Abs. 1 ArbGG unterscheidet weder zwischen streitigen und sonstigen Endurteilen, noch zwischen einer “gewöhnlichen” Revision und einer Revision “sui generis” gegen zweite Versäumnisurteile.

Die für das Verfahren vor den ordentlichen Gerichten erst durch das Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren vom 3. Dezember 1976 (BGBl. I, 3281) eröffnete Möglichkeit, gegen ein zweites Versäumnisurteil gemäß §§ 513 Abs. 2 Satz 2, 566 ZPO mit der Einschränkung des § 513 Abs. 2 Satz 1 ZPO, im übrigen aber unter erleichterten Voraussetzungen Rechtsmittel einzulegen, wurde vom Gesetzgeber auf das arbeitsgerichtliche Verfahren nicht übertragen. Im Interesse einer beschleunigten Herstellung von Rechtsfrieden in arbeitsrechtlichen Streitfällen sind die Möglichkeiten zur Einlegung von Rechtsmitteln im arbeitsgerichtlichen Verfahren gegenüber dem Zivilprozeß vor den ordentlichen Gerichten eingeschränkt. So ist etwa auch gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig – anders als nach § 547 ZPO – kein Rechtsmittel statthaft (vgl. BAG, aaO, m.w.N.). Wie bereits der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts (Beschluß vom 4. April 1989 – 5 AZB 9/88 – BAGE 61, 237 = AP Nr. 13 zu § 64 ArbGG 1979) für die gleichartige Problematik im Berufungsverfahren und in Auseinandersetzung mit den gegenteiligen Auffassungen im arbeitsrechtlichen Schrifttum – einschließlich der von der Klägerin zitierten Anmerkung von Walchshöfer zum Urteil des BAG in AP Nr. 3 zu § 566 ZPO – dargelegt hat, spricht der Verlauf der Gesetzgebung dafür, daß der Gesetzgeber von einer Übernahme der mit § 513 Abs. 2 Satz 2 ZPO angestrebten Erleichterung einer Rechtsmitteleinlegung in das Arbeitsgerichtsgesetz bewußt abgesehen hat. Auch weitere Änderungen des Arbeitsgerichtsgesetzes nach der genannten Entscheidung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts, etwa mit dem Rechtspflegevereinfachungsgesetz vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I, 2847), hat der Gesetzgeber nicht zum Anlaß genommen, Berufung und Revision gegen zweite Versäumnisurteile von den Zulässigkeitsvoraussetzungen in §§ 64 Abs. 2, 72 Abs. 1 ArbGG auszunehmen. Der Ansicht von Grunsky (EWiR 1989, 741, 742), der Gesetzgeber habe das Problem gar nicht gesehen, vermag der Senat deshalb nicht zu folgen. Eine einschränkende Auslegung von § 72 Abs. 1 ArbGG und entsprechende Anwendung von §§ 566, 513 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist angesichts des beredten Schweigens des Gesetzgebers ebenfalls nun nicht mehr gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Bitter, Bröhl, Dr. Fischermeier

 

Fundstellen

Haufe-Index 856709

BB 1994, 1644

JR 1995, 220

NZA 1994, 1151

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