Ein Tarifvertrag hat zum einen die Aufgabe, die Arbeitsbedingungen kollektivrechtlich zu ordnen (Ordnungsfunktion), und zum anderen, zwischen den Arbeitnehmern und Arbeitgebern Frieden zu schaffen (Friedensfunktion). Im Rahmen dieser Friedensfunktion ist es notwendig, dass während der Laufzeit eines Tarifvertrags Arbeitskämpfe hinsichtlich bereits in einem Tarifvertrag enthaltener Regelungsbereiche ausgeschlossen sind. So darf während der Laufzeit eines Vergütungstarifvertrags kein Streik ausgerufen werden mit dem Ziel, eine höhere Vergütung entgegen der tariflichen Regelung durchzusetzen. Diese Verpflichtung, in dieser Zeit keine Arbeitskämpfe auszurufen, wird als relative Friedenspflicht bezeichnet[1], sie bedarf keiner besonderen tarifvertraglichen Vereinbarung.[2]

Ruft eine Gewerkschaft zum Streik auf, obwohl noch die Friedenspflicht besteht, kann der Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberverband vor dem Arbeitsgericht beantragen, der Gewerkschaft im Wege einer einstweiligen Verfügung den Streikaufruf zu untersagen und sie zum Widerruf verpflichten. So wurde dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stattgegeben, als der Marburger Bund ohne vorherige Kündigung des BAT zu einem Streik aufgerufen hat, um Verhandlungen über einen spezifischen Ärzte-Tarifvertrag durchzusetzen.[3]

 

Wichtig

Einen solchen Unterlassungsanspruch auf Unterlassen rechtswidriger Arbeitskampfmaßnahmen hat nicht nur der bestreikte Arbeitgeber, sondern auch der betroffene Arbeitgeberverband.[4]

Ein Verstoß gegen die relative Friedenspflicht liegt auch dann vor, wenn kommunale Beschäftigte ohne vorherige Kündigung der Arbeitszeitregelung des TVöD aus Solidarität mit Landesbediensteten streiken, die für den Erhalt der 38,5-Stunden-Woche und die Einführung des TVöD kämpfen. Hierbei ist allerdings die neuere Rechtsprechung zum Unterstützungsstreik zu beachten (s. Ziffer 2.12.2).

Es verstößt nicht gegen die relative Friedenspflicht, wenn eine Gewerkschaft den Abschluss eines Firmentarifvertrags mit einem verbandsgebundenen Arbeitgeber verlangt, sofern die begehrte tarifvertragliche Regelung nicht Gegenstand des Verbandstarifvertrags ist. Damit war die Forderung nach tariflichen Regelungen hinsichtlich der Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen für betriebsbedingt gekündigte Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein tariflich zulässiges Ziel, das auch gegenüber einem verbandsgebundenen Arbeitgeber im Wege eines Arbeitskampfs durchgesetzt werden konnte.[5]

Das BAG hat zur Frage, ob Gewerkschaften zur Durchsetzung eines Firmentarifvertrags auch Arbeitgeber bestreiken dürfen, die Mitglied eines Arbeitgeberverbands sind, in einem obiter dictum Stellung genommen und einen solchen Streik offenbar für zulässig angesehen.[6] Zulässig kann dies aber nur sein, wenn im Firmentarifvertrag etwas geregelt werden soll, das bislang nicht Gegenstand des Verbandstarifvertrags ist.

Das BAG spricht von einer "erweiterten Friedenspflicht", wenn die Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag bestimmt haben, dass die aufgeführten Regelungen für die vorgesehene Laufzeit abschließend seien und Sachverhalte außerhalb der in der Vereinbarung behandelten Regelungsinhalte von der Friedenspflicht der Vereinbarung erfasst sein sollen. Ein Streik wäre rechtswidrig.[7]

Im Gegensatz zur relativen Friedenspflicht untersagt die absolute Friedenspflicht jegliche Arbeitskämpfe während der Laufzeit eines Tarifvertrags, auch wenn sich die angestrebte Regelung auf nicht tariflich geregelte Punkte bezieht. Voraussetzung ist jedoch nach herrschender Meinung, dass eine solche absolute Friedenspflicht zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbart wurde.[8]

Im öffentlichen Dienst gibt es für den Bereich des Bundes, der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) Schlichtungsvereinbarungen. Die VKA und der Bund haben mit ver.di bzw. dem dbb beamtenbund und tarifunion die Vereinbarung über ein Schlichtungsverfahren vom 25.10.2011 geschlossen.[9] Die Friedenspflicht endet, wenn eine Einigungsempfehlung nicht fristgemäß zugestellt wird bzw. die wieder aufgenommenen Tarifverhandlungen von mindestens einer Tarifvertragspartei förmlich für gescheitert erklärt werden (Näheres in "Schlichtungsverfahren").

Alle Arbeitskampfmaßnahmen (auch sog. Warnstreiks und spontane Arbeitsniederlegungen) während des Laufs einer Friedenspflicht sind rechtswidrig. Arbeitnehmer, die gegen eine bestehende Friedenspflicht verstoßen, können abgemahnt werden und sind unter Umständen zum Schadensersatz verpflichtet (s. u. "Illegale Arbeitskämpfe"). Allerdings verbietet es die Friedenspflicht nicht, während ihrer Dauer Forderungen zu formulieren, die in einem zukünftigen Arbeitskampf durchgesetzt werden sollen.[10]

Verletzt eine Gewerkschaft mit einem bereits begonnenen Streik aufgrund unzulässiger Streikziele die Friedenspflicht, kann dies nicht durch eine Modifizierung der Streikziele während der laufenden Arbeitskampfmaßnahmen geheilt werden.[11]

Nach Abla...

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