Teilzeitkrankschreibung – ein Gewinn für Arbeitnehmer und Arbeitgeber?

Krankenstatus: Kostenfaktor und Grund für Misstrauen
Die Krankheitszahlen sind aktuell hoch. Sehr hoch. Für die Arbeitgeberseite zu hoch, was schnell die Einsatzbereitschaft der Menschen in Frage stellt. „Land der Blaumacher“, heißt es regelmäßig, wenn die grippalen Effekte zuschlagen. Arbeitgeber verlangen als Reaktion das Ende der telefonischen Krankschreibung, ein Attest ab Tag eins oder schicken Privatdetektive los.
Das Mindset dahinter: Maximales Misstrauen, Kontrolle und die Absicht, die Hürden einer Krankmeldung deutlich zu erhöhen. Die Folge: Volle Praxen, Superspreader im Büro und längere Krankschreibungen. Aus den 2 Tagen Hals- und Kopfschmerzen wird nach dem Arztbesuch 1 Woche Attest. Kontraproduktiv, auch wenn die Sicht der Arbeitgeber grundsätzlich nachvollziehbar ist. Denn dank Krankheitsfortzahlung sind hohe Krankheitsraten teuer. Geht das nicht anders?
Krankmeldung: Notwendigkeit und Reaktion auf Misstrauen
Natürlich maße ich mir nicht die Beurteilung der Notwendigkeit einer Krankschreibung an. Das entscheiden Ärzte und das ist gut so. Aber oft könnte man trotz Krankheitssymptomen denken, lesen, schreiben. Und auch wenn das Kind erkrankt ist und aus der Betreuung fällt, müssen Eltern den Krankenschein ziehen. Es gibt einfach oft keine Alternative. In vielen Fällen gibt es also Situationen und Berufe, in denen man trotz Halsweh und Schnupfnase oder in dem Moment, wenn das kranke Kind sich tagsüber ausruht, arbeiten könnte.
Gehen würde das bereits heute, denn niemand verbietet es, während der Krankschreibung nicht auch ein paar Stunden zu arbeiten. Es fehlt aber an der dafür notwendigen Kultur. Man traut sich nicht, Teilzeit-Arbeitsfähigkeit zu zeigen, wenn man eigentlich krankgeschrieben ist. Wenn jemand trotz Krankenschein arbeitet, führt das oben geschilderte Mindset der Arbeitgeber sofort zu kritischen Nachfragen: Wird da simuliert? Viele engagierte Menschen begegnen diesem Misstrauen mit der kompletten Einstellung der Arbeit, auch wenn es trotz Krankmeldung möglich wäre.
Alternative Teilzeitkrankschreibung
Teilzeitkrankschreibung ist keine neue Erfindung. Schweden praktiziert dies schon seit Jahren. In weiteren skandinavischen Ländern und der Schweiz wird Teilzeitkrank diskutiert und findet teilweise Anwendung. Auch die Bundeswehr kennt den „10-Kilo-Schein“, der Soldaten zwar Diensttauglichkeit attestiert, aber ohne Heben und Tragen schwerer Lasten. In Deutschland flammt die Diskussion in regelmäßigen Abständen immer wieder auf – gerade bei hohen Krankheitsraten.
Die Idee hinter Teilzeitkrank: Eine Krankschreibung, die gleichzeitig ein gewisses Maß an Arbeit zulässt. In erster Linie stundenweise. Manche Symptome lassen es eben zu, statt 8 immerhin 3 oder 4 Stunden zu arbeiten. Andere Berufe erfordern keine zeitliche Reduzierung, sondern Einschränkungen der Tätigkeit: Kein Führen von Fahrzeugen oder keine körperlich belastende Arbeit, was dennoch das Nachholen von Online-Schulungen oder das Abschließen der Statistik im Homeoffice ermöglicht.
Weniger Druck und Kosten
Arbeitgeber profitieren durch Teilzeitkrank von der Produktivität der Mitarbeitenden. Jede Stunde, die gearbeitet und jede Aufgabe, die im Krankenstand erledigt wird, ist besser, als wenn der Mitarbeiter komplett fehlt, sich Projekte verzögern oder der Laden stillsteht. Sind beispielsweise längst fällige Schulungs- und Berichtspflichten im Teilzeitkrankenstand nachgeholt, können die Mitarbeiter nach Genesung wieder voll angreifen.
Dank Teilzeitkrank müssen Arbeitnehmer nicht mehr Angst haben vor den mehreren hundert E-Mails im Posteingang, bleiben durch die Online-Teilnahme an Besprechungen auf dem Laufenden und können ihr Projekt zumindest in Teilen voranbringen. In der Diskussion über Flexibilität bei Arbeitszeit und -ort wird oft vergessen, dass sehr viele Menschen arbeiten und Leistung bringen wollen! Der Druck vieler Arbeitnehmer, der sie heute trotz Krankheits-Symptomen in die Arbeit treibt, sinkt. Auch hier gewinnen Arbeitgeber, weil die Ansteckungsgefahr verringert wird.
Vertrauen als notwendige Bedingung
Teilzeitkrank kann also eine Win-Win-Situation sein, wenn ein paar Regeln eingehalten werden:
- Der Arzt entscheidet. Maßgabe ist immer die schnelle und vollständige Genesung. Steht diese in Frage, gibt es kein Teilzeit-, sondern Vollzeitkrank. Wer absehbar länger als 6 Wochen krank ist, wird unter Garantie auch nicht Teilzeit arbeiten können.
- Freiwilligkeit. Anders als bei der Bundeswehr muss es den Erkrankten überlassen werden, ob sie eine Teilzeitkrankschreibung wünschen. Es darf kein Druck aufgebaut werden.
- Gegenseitiges Vertrauen. Ohne geht es nicht. Der Arbeitnehmer muss darauf vertrauen können, dass er gesund werden kann und nicht unter Druck gesetzt wird. Arbeitgeber sind gut beraten, die Genesung und die Gesunderhaltung der Beschäftigten an erste Stelle zu stellen.
- Schlanke Prozesse. Wenn man der aktuellen Debatte der Teilzeitkrankheit folgt, erlebt man vor allem Ablehnung aus Gründen einer befürchteten, ausufernden Bürokratie. Es gilt, den Prozess für alle Beteiligten, Ärzte, Gehaltsabrechner und Mitarbeitende maximal gering zu halten.
Auftrag an Tarifvertragsparteien
Ich bin überzeugt, dass Teilzeitkrank helfen kann, die Einbußen der Produktivität in unserem Land durch Krankheitswellen zu reduzieren. Auch wird so mittelfristig das gegenseitige Misstrauen abgebaut und Arbeitgeber und Arbeitnehmer kommen zu einem besseren Miteinander. Die Tarifvertragsparteien sollten sich dringend dieses Themas annehmen und gemeinsam mit Ärzten eine Regelung finden.
Eine solche Regelung für Teilzeitkrank ist der einfachere Part. Das Haupt-Problem liegt tiefer: Im Grunde bräuchte es – zumindest in „Bürojobs“ – keine solche Regelung, weil es theoretisch auch ohne gehen würde. Wenn zum einen die Konzepte für Arbeitsort und -zeit in den Unternehmen und Behörden flexibler wären und zum anderen Leistung und nicht Anwesenheit gemessen würde, bräuchte es keine Teilzeitkrankheit. Dann könnten die Menschen bei schwachen Krankheitssymptomen der Kinder oder bei der eigenen Schnupfennase einfach punktuell weniger arbeiten.
Leider geht unser Land gerade in die komplett andere Richtung. Das Misstrauen ist hoch. Und darum wird der aktuell branchenübergreifende Rückruf ins Büro und die Abschaffung des Homeoffice garantiert zu noch mehr Krankmeldung führen. War man früher bereit, von zuhause weiterzuarbeiten, holt man sich bei Anwesenheitspflicht im Büro und damit verbundenen Pendelwegen lieber ein Attest. Eine gefährliche Entwicklung.
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