Flexibilität weiter denken

Die Zeiten sind schnelllebig. Es gilt flexibel zu sein. Diese Anforderung wird an Mitarbeiter, Personalabteilungen und Organisationen gleichermaßen gerichtet. Das jeweilige Verständnis von Flexibilität im Arbeitsleben geht aber weit auseinander. Dabei wäre es wichtig, sich auf eine Basis zu verständigen, um die Vorteile der Flexibilität gemeinsam zu nutzen und Konflikte zu vermeiden.

Flexibilität - erwartet und gleichzeitig verboten

Flexibilität wird von Führungskräften und Arbeitgebern gerne übersetzt mit maximalem Einsatz. Also wird notfalls abends, am Wochenende und im Urlaub gearbeitet. Ständige Erreichbarkeit ist nicht selten unausgesprochene Anforderung an die herausgehobene Position. Auch ist es beinahe zur Selbstverständlichkeit geworden, kurzfristig trotz freiem Tag den Dienst anzutreten, wenn wieder jemand ausfällt. Diese Flexibilität des Arbeitnehmers wird vorausgesetzt, denn der Laden muss laufen und schließlich will man ja Karriere machen.
Anderseits zeigen sich Arbeitgeber und Führungskräfte sehr unflexibel, wenn es darum geht, wie und wo Mitarbeiter ihre Arbeitszeit einbringen. So werden die Menschen aktuell massenhaft zurück ins Büro gerufen und auch der flexiblen Verteilung der Arbeitsleistung über den Tag hinweg wird mit Pausenregelungen und Kernarbeitszeiten ein Riegel vorgeschoben. Flexibilität ja, aber bitte nur so, wie Arbeitgeber sie verstehen.

Flexibilität als Attraktivitätsfaktor

Der Überblick über die bisherige, durchaus umfangreiche Studienlage ist eindeutig: Homeoffice und das Arbeiten im Büro haben jeweils positive Effekte. Beides hat auch Nachteile und im Grunde heben sich diese gegeneinander auf. Dort, wo der Austausch an der Kaffeemaschine zu schnellen Lösungen und Innovationen führt, bremst das ewige Gequatsche und die dauerhaften Unterbrechungen die Produktivität. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist die Begrenzung der Flexibilität also nicht zu begründen. Es geht stattdessen um Kontrolle wegen fehlendem Vertrauen. Anwesenheit zählt also doch mehr als Leistung, obwohl das natürlich alle Führungskräfte weit von sich schieben.
Dabei wird verkannt, dass die Menschen die letztlich durch den Coronavirus gewonnene Flexibilität bei Arbeitszeit und -ort schätzen gelernt haben. Studien belegen übereinstimmend, dass weitgehende Optionen für Homeoffice Grund für eine Bewerbung sind. Explizite Werbung für Teilzeitmöglichkeiten macht Organisationen attraktiv. Die Möglichkeit zum flexiblen Wechsel zwischen Teil- und Vollzeit – jeweils unbefristet und ganz ohne lange Antragsfristen – sind ein echter Gamechanger für den Erfolg beim Recruiting von gesuchten Fachexperten. Ist der Arbeitgeber hier sparsam, ist dies ein Wechselgrund. Nicht umsonst sind aktuelle Rufe „Zurück ins Büro!“ nur bedingt verschleierte Personalabbauprogramme. Dass viele Organisationen diesen Weg einschlagen, mutet angesichts der stark rückläufigen Entwicklung des Erwerbspersonenpotentials in unserem Land als krasse strategische Fehlentscheidung an.

Win-Win

Führungskräfte wollen Mitarbeiter, die nicht nach Stechuhr ihren Kopf (und das Telefon) abschalten und stattdessen Verantwortung für ihren Job übernehmen. Die Menschen sind zu der damit verbundenen Flexibilität bereit, wenn sie spüren, dass man ihnen vertraut, ihre Aufgaben eigenverantwortlich zu erledigen. Dazu gehört, Arztbesuche wahrzunehmen, ohne jedes Mal einen Krankenschein einreichen zu müssen oder den Handwerker bestellen zu können, ohne Urlaubstage zu verschwenden. Gelegentlich 3 Stunden, statt 30 Minuten Mittag zu machen, ist unerheblich, solange die Leistung stimmt. Heute nach dem Frühsport erst gegen 10 Uhr zu arbeiten und morgen bereits um 13 Uhr „auszustempeln“, um den Schließnachmittag der Kita aufzufangen, ist Lebensrealität und so lange in Ordnung, wie die Leistung in Summe stimmt.
Nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch und gerade die Arbeitgeber haben Vorteile davon: Trotz Arzttermin wird stundenweise gearbeitet. Die Alternative wäre der Krankenschein und damit 0 Produktivität im Sinne des Unternehmens. Erkennt die Organisation die Pendelzeit im Zug als Arbeitszeit an, braucht der Elternteil unter Umständen keine Teilzeit, um die Kinderbetreuung aufzufangen. Erlaubt man Homeoffice, statt auf Anwesenheit zu bestehen, muss man nicht alle paar Monate die Position neu besetzen. Flexibilität funktioniert. Aber nur in beide Richtungen.

Arbeit als Teil des Lebens

Dachte man früher, dass man mit Personalentwicklungsmaßnahmen Arbeit und Leben in einen Einklang bringen muss, geht heute das hier skizzierte Verständnis von Flexibilität darüber hinaus. Arbeit ist Teil des Lebens wie auch die Kinderbetreuung, Sport, Hobbies, Arzttermine, der Gang zum Amt, die Reparatur der Waschmaschine oder „Me-Time“ für das persönliche Wohlergehen. Das Leben wird nicht mehr um die Arbeit herum geplant, sondern Leben und Arbeit werden gemeinsam flexibel gemanaged. Willkommen in „New Work“.
Arbeitgeber, die das erkennen und Arbeit entsprechend organisieren, werden langfristig bei Personalgewinnung und -erhalt erfolgreich sein. Vieles scheitert bisher aber am dafür notwendigen Vertrauen. Dabei wäre es effektiver, sich auf die Messung von Leistung, Innovationskraft und Erfolg zu konzentrieren, statt auf Arbeitszeiterfassung und die wirklich gründliche Kontrolle von Pausen, Fristen und korrekten Krankmeldungen. Man hätte denken können, dass wir da nach den positiven Erfahrungen von Corona weiter sind. Schade.

Tipps für mehr Flexibilität

Mein Tipp an Organisationen ist erstens, Flexibilität nicht allen gleich, sondern den Leistungsträgern zuerst und im Besonderen zu ermöglichen. Zweitens gilt es, jede Einschränkung von Homeoffice und fixen Kernarbeitszeiten in Frage zu stellen. Bringt das etwas und wenn ja, wem und wie viel? Auch sollten die Nachteile offen diskutiert werden. Im Zweifel sind starre Vorgaben weitgehend abzuschaffen. Solange die Performance passt, gibt es keinen Grund, Flexibilität einzuschränken. Drittens gilt es über weitere Flexibilisierungsangebote nachzudenken: Tauschtage, Schichtmodelle, Workation, Sabbaticals, Teilzeit jederzeit und in jeder Länge sind nur einige Ideen. Natürlich müssen dafür die Grundlagen in den schon seit Jahrzehnten der Lebensrealität entkoppelten Arbeitsschutzgesetzen geschaffen werden.
Gerade im Behördenumfeld begegnen mir zwei Gegenargumente: Nicht alle können flexibel arbeiten und es gibt Öffnungszeiten, z.B. im Bürgerbüro. Ja, der Friedhofsmitarbeiter oder die Busfahrerin können schlecht Homeoffice machen. Aber Mitarbeiter können umschulen, wenn sie es anders möchten. Niemand wird zu seinem Beruf gezwungen. Diese vermeintliche Gerechtigkeitsdebatte ist vorgeschoben und geht an der Sache vorbei. An Präsenzpflichten wegen Öffnungszeiten kann die Behörde etwas ändern. Warum öffnen, wenn die Kunden selber arbeiten müssen? Das Angebot der Flexibilität für die Kollegen durch weniger Öffnungstage auf der einen, bedeutet auf der anderen Seite dann ggf. jeden zweiten Samstagvormittag zu arbeiten. Für viele ein kleiner Preis, den sie zu zahlen bereit sind. Letztlich können per Video-Chat und dank E-Akte Beratungen in Echtzeit und per Kamera auch aus dem Homeoffice gemacht werden. Was die Bank längst praktiziert, sollte der öffentliche Dienst hinkriegen.



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