Online-Dienste, die keiner nutzt
Die Digitalisierung soll Früchte tragen
Man erhofft sich durch das flächendeckende Angebot der Online-Dienste der öffentlichen Verwaltung eine digitale Dividende. Gerade im Hinblick auf den Fachkräftemangel in den Behörden und angesichts klammer Kassen soll die Verwaltungsdigitalisierung beim Sparen helfen. Die Überlegung: Wenn mehr Verwaltung digital abgewickelt wird, spart man beim Personal für Bürgerbüros und Zulassungsstellen.
Die Forderung an Deutschlands Kommunen ist daher: Nutzt die vorhandenen Dienste nach! Das EfA-Modell (Einer für Alle), in dem eine Behörde den Online-Dienst entwickelt, den alle anderen Behörden nachnutzen können, soll jetzt endlich ausgerollt werden. Auch will man ein Ende der berechtigten Kritik der Bürger, dass man in Kommune A einen Online-Dienst nutzen kann, den Kommune B nicht anbietet.
Die zwei Perspektiven der Flächendeckung
Flächendeckung der digitalen Verwaltung hat neben der Verfügbarkeit der Dienste in den Kommunen aber noch eine zweite Perspektive: Neben dem Angebot bedarf es auch der flächendeckenden Nutzung durch die Menschen. Nur wenn die Bürger massenhaft den digitalen Dienst dem Gang zum Amt vorziehen, lässt sich eine digitale Dividende realisieren.
Dieser Punkt wird in der aktuellen Diskussion aber weitgehend ausgeblendet. Dabei liegt hier einer der Hemmschuhe der Digitalisierung: Nutzen nur wenige Menschen digitale Verfahren, macht es keinen Sinn, diese teuer zu entwickeln und flächendeckend auszurollen. Ein Henne-Ei-Problem. Antworten auf die Frage, wie man die Menschen zur Nutzung der Online-Dienste bewegen kann, sind also erfolgskritisch.
1. Zwang
Natürlich könnte man Öffnungszeiten der Bürgerbüros maximal reduzieren, analoge Verfahren ganz abschaffen und die Menschen so zwingen, den Online-Dienst zu nutzen. Passiert ist das schon, z.B. bei der Überbrückungshilfe für Studierende in pandemiebedingten Notlagen, deren Beantragung online erfolgen musste.
Menschen lassen sich ungern zu etwas zwingen und unter Garantie wird deren Zufriedenheit mit der Verwaltung nicht gesteigert. Es ergeben sich zudem unter Umständen Hürden für Ältere, Menschen mit Behinderungen oder mit Sprachbarriere. Das plötzliche, komplette Abschaffen einer persönlichen Betreuung und Beratung vor Ort wird das Vertrauen in den Staat kaum wiederbeleben.
Daher ist ein langsames Ausschleusen der analogen Verwaltung einem sofortigen Zwang zur digitalen Nutzung vorzuziehen. Viel wichtiger ist, dass die Menschen die Nutzung einer (einheitlichen) elektronischen Identifikation und eines Bürgerkontos „erlernen“. Zum Beispiel könnte die Ausstellung der Steuer-ID bei Geburt mit Anlegen eines Bürgerkontos verbunden werden. Die dort abgelegte Geburtsurkunde können Eltern (nach Authentifizierung) nur dort abrufen und Behörden wie Arbeitgeber sind verpflichtet, das digitale Dokument zu akzeptieren.
2. Nutzerorientierung
Schaut man auf die Gründe, warum Menschen die Online-Dienste nicht nutzen, so sind diese mannigfaltig. Sie wussten oft nichts vom Angebot oder haben den richtigen Dienst nicht gefunden. Auch brechen sie den Online-Dienst ab, weil sie benötigte Unterlagen nicht parat haben, Eingabefelder schlicht nicht verstehen oder sich nicht authentifizieren können. Damit Behörden mehr und konkreter erfahren, wo der Dienst Optimierungspotential hat, sind Feedback, Nutzerstatistiken und Web Analytics notwendig.
Neben der Verbesserung der Auffindbarkeit und klassischem Marketing für die Online-Verwaltung bedarf es der Steigerung der Usability. Nutzerorientierung muss an erster Stelle stehen. Jedes Eingabefeld muss so gestaltet sein, dass wirklich jeder weiß, welche Information verlangt wird. Hilfsfelder an den Diensten kennt auch der öffentliche Dienst. Oft findet man dort aber lange Ausführungen im besten Behördendeutsch, die nur Insidern helfen. Zum Beispiel fehlt bei der Steuersoftware Elster in diesen umfangreichen Ausführungen schlicht der Hinweis, ob man Brutto- oder Netto-Beträge eingeben soll. Bei der Nutzerorientierung besteht in der deutschen Online-Verwaltung erhebliches Verbesserungspotential. Warum nicht Hilfsvideos, ChatBots und auch Chats mit den Fachexperten in den Ämtern installieren?
Zur Nutzerorientierung gehört, dass Daten nur einmal eingeben werden, was die Verknüpfung von Registern notwendig macht. Auch ist die Usability ergänzend von Seite der Sachbearbeiter in den Behörden zu bewerten. Macht das Bearbeiten des digitalen Antrags in den Behörden mehr Arbeit als der analoge Weg, ist eine Flächendeckung nicht zu erreichen.
3. Ende zu Ende und Push-Government
Nur, wenn die Online-Dienste durchgängig sind, ergibt sich eine Erleichterung für Behördenmitarbeitende und Bürger. Ende zu Ende bedeutet in diesem Sinne, dass von der Auffindbarkeit des Dienstes über die Nutzung des Online-Dienstes, der Authentifikation und dem ePayment bis hin zum Fachverfahren und dessen an den Bürger zu kommunizierenden Ergebnis der komplette Prozess digital abgewickelt werden kann. Folgerichtig wäre daher, dass auch der Steuerbescheid zukünftig (verpflichtend) per E-Mail kommt.
Noch besser: Es braucht gar keinen Antrag. Bei Eintritt eines Lebensereignisses wird die Verwaltung von sich aus tätig. Auch hier ist die Steuerverwaltung Vorreiter mit vorausgefüllten Einkommenssteuererklärungen. Auch das Kindergeld könnte zeitgleich mit Steuer-ID und Geburtsurkunde automatisch überwiesen werden. Ganz ohne Antrag.
Ein Problem beim Push-Government ist das Selbstverständnis der öffentlichen Verwaltung. Warten auf den richtigen und vollständigen Antrag oder proaktives Handeln? Informationen liefern oder die Menschen suchen lassen? Beraten oder Fordern? Hintergrund dieser Diskussion ist die Angst, dass noch mehr Anträge gestellt werden, wenn die Verwaltung über Anspruchsberechtigung informiert und Angebote bewirbt. Ein Zeichen, dass es neben Technik immer noch am richtigen Mindset im öffentlichen Dienst mangelt.
4. Anreize schaffen
Statt Zwang empfiehlt es sich, über den Geldbeutel der Menschen zu gehen. Wer Online-Dienste nutzt, bekommt das Verfahren billiger. Lösungen gibt es auch für den Umstand, dass Zulassung oder Bescheinigungen beim Termin vor Ort sofort mitgenommen werden, während per Online-Dienst die Zustellung bis zu 2 Wochen dauert. Die Zeitersparnis des Behördenwegs kann durch Terminbuchung für entsprechende Dienste nicht innerhalb der nächsten 14 Tage gelöst werden. Taucht doch jemand ohne Termin im Amt auf, stehen Terminals bereit, um den Antrag trotzdem digital zu stellen.
Warum bei der Online-Nutzung komplexerer Prüfverfahren nicht sofort einen Abschlag zahlen, während analog erst alle Nachweise vorliegen müssen? Für geeignete Verfahren ist das sicherlich umsetzbar. Letztlich könnte man über eine längere Gültigkeit von Dokumenten und Bescheiden nachdenken, um die Flächendeckung bei Nutzung von Online-Diensten zu steigern.
Fazit
Es gibt viele Möglichkeiten, die flächendeckende Nutzung der digitalen Verwaltung zu fördern. Nur in Kombination mit einem flächendeckenden Angebot lässt sich die digitale Dividende heben. Hier bedarf es dringend eines erweiterten Blickes der handelnden Akteure.
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