Vier Maßnahmen für die Digitalisierung Deutschlands

Bestenfalls Mittelfeld. Deutschland landet auf Platz 13 im jährlichen Bericht der EU-Kommission über die digitalen Fortschritte ihrer Mitgliedsstaaten. Bundesweit ist nur ein Bruchteil der bis Ende 2022 umzusetzenden Online-Dienste verfügbar.

E-Government-Gesetz, eIDAS 2.0, OZG, OZG-Booster, OZG 2.0 und recht neu die Digitalisierungsstrategie des Bundes, die das alles wieder aufwärmt, mal eben die Fristen verlängert und ansonsten unkonkret bleibt. Kommt bald das „OZG-Ultra“ oder darf es ein „Mega-Master-Endgegner-OZG“ sein?

Trotz zahlreicher gesetzlicher Grundlagen versagt Deutschland bei der Digitalisierung auf ganzer Linie. Dieser Beitrag macht vier konkrete Lösungsvorschläge.

1. Lost in Identifikation

Auch die neue Digitalisierungsstrategie des Bundes thematisiert die digitale ID. Wieder einmal. Schon wieder. Seit über 20 Jahren wird dieses Thema diskutiert und dennoch fehlt weiterhin die eine, eindeutige ID für die Online-Identifikation der Bürger. Elster, eID-Karte, Video-Ident, e-Tin, nPA, digitale ID. Sagt Ihnen das alles was? Wenn nicht, macht das nichts, da kommt bestimmt noch was Neues und zumindest Video-Ident ist auch schon wieder weg.

Dazu kommen noch - dank Föderalismus - eIDs der Länder. Die funktionieren partiell gar nicht schlecht. Dumm nur, wenn man bundeslandlandübergreifend einen Zweitwohnsitz hat oder mal umzieht. Das ist also keine Lösung! Umso erfreulicher, wenn das einzige (!) Digitalministerium von Bayern aus den Bund vor sich hertreibt und aktuell eine deutschlandweite Regelung fordert.

Denn die Lösung ist im Grunde bereits vorhanden: Mit der eTIN gibt es ein eindeutiges Identifikationsmerkmal für jeden Bürger, die man nicht einmal beantragen muss. Okay, unsere lebenslange Steuer-ID ist ein wenig sperrig, aber an IBAN haben wir uns ja auch gewöhnt. Und genau diese eTIN muss jetzt mit der digitalen ID gekoppelt werden. Und zwar bundesweit! Auf dem nPA integriert! Verpflichtend für alle! Nutzbar auf dem Smartphone!

2. Der nPA – von der selten genutzten zur wichtigsten „Karte"

Die zweite Lösung der Digitalisierungsmisere ist ebenfalls bereits vorhanden. Der nPA – der nicht mehr ganz so neue Personalausweis. Und die Idee ist super! Einen Personalausweis haben (fast) alle. Er gilt bundesweit und weit verbreitet im Ausland. Sich damit auch elektronisch auszuweisen, ist daher folgerichtig. Es gibt bereits Lesegeräte, eine App und vielleicht auch irgendwann ein Wallet.

Kennen Sie Ihren Pin für den nPA? Macht nichts, den können Sie sich – ganz modern mit einem Online-Service – neu besorgen. Dass dazu in der URL maximal digitalisierungsfern „Rücksetzungsbrief bestellen“ formuliert wurde, ist vermutlich kein Zufall. Dennoch haben seit Februar über 200.000 Menschen einen neuen Pin bekommen. Hört sich viel an, aber wie hoch ist die Zahl derer, die weiterhin einen nPA, aber keinen Pin (mehr) haben? Der „Rücksetzungsbrief“ ist eine Wiederholung des Fehlers bei Einführung des nPA: Wieder macht man Werbung für den Ausweis bzw. aktuell den Pin und nicht für dessen Nutzen. Das Problem ist, dass Sie auch Ihre neu beschaffte PIN ganz schnell wieder vergessen werden, weil sie diese kaum brauchen werden. Denn wozu ist der nPA aktuell gut? Eben!

Als man den nPA eingeführt hat, war die Verwaltung selbst noch nicht so weit, Online-Services anzubieten, bei denen die eID zum Einsatz kommen könnte. Der Wirtschaft hatte man es selbst überlassen, hier freiwillig einzusteigen. Oder eben nicht. Ohne Einsatzzwecke gibt es aber kaum Menschen, die die Funktion freigeschaltet haben. Die anfängliche Freiwilligkeit war ein schwerer Fehler. Ohne potenzielle Kunden machen wiederum die Unternehmen nicht mit. Ein klassisches Henne-Ei-Problem, das sich gerade wiederholt. Fehlerkultur ist anders.

Die Lösung kann nur sein, dass ab heute ALLE Online-Services - kommunal, beim Land und Bund - nur mit der eID des nPA genutzt werden können. Auch Bus, Bahn, Parken, Tickets - alles nur per nPA. Die nächsten 200.000 Nutzer, die ihren PIN freischalten lassen, bekommen zudem auf Wunsch das Kartenlesegerät geschenkt. Dann gibt es schnell genug Anwender, dass auch die Unternehmen einsteigen werden. Und dann haben wir alle tatsächlich mit dem nPA unsere wichtigste Karte – natürlich digital auf dem Handy.

3. Ohne Antrag mit Bürgerkonto

Wussten Sie, dass Sie Ihren Bauantrag jetzt online stellen können? Haben Sie sicher schon ausprobiert. So 3-5 Anträge hat doch jeder bereits gestellt. Eben nicht! Die aller meisten Menschen stellen nie so einen Antrag. Und wenn, dann machen das Architektenbüros. Ein weiterer Online-Service, der vollkommen an den Bedürfnissen der Menschen vorbei entwickelt wurde.

Der Bauantrag ist ein gutes Beispiel, wie Verwaltungsdigitalisierung aktuell abläuft: Punktuell werden irgendwelche Services digitalisiert. Natürlich von mehreren Kommunen parallel. Wenn überhaupt, wird sich erst viel später um Schnittstellen und Abhängigkeiten zu anderen Verwaltungsprozessen und Diensten gekümmert. Smart ist das alles nicht.

Statt sich zu verkopfen, welcher Verwaltungsgang als nächstes digitalisiert werden sollte, plädiere ich daher für ein Modell, in dem ein zu digitalisierender Prozess logisch auf dem anderen aufbaut: Bei Geburt wird bereits heute die e-Tin vergeben. Morgen wird dann zudem ein deutschlandweit einheitliches Bürgerkonto angelegt. Dafür braucht es keinen Antrag und da wird auch nicht gefragt!

Geburtsurkunde und Kindergeld sind die nächsten Online-Dienste, die digitalisiert werden. Gerade bei solchen Leistungen, die alle nutzen oder sogar nutzen müssen, wird der Antrag abgeschafft und proaktiv durch die Verwaltung gehandelt. Hier ist der Bund in der Pflicht, weil dafür die Gesetze geändert werden müssen. „Antragstellung“ muss raus und „digitale Identifikation“ und „Bürgerkonto“ muss rein. In der Digitalisierungsstrategie des Bundes lese ich dazu „Generalklausel“ und habe Hoffnung.

Die entsprechenden Bescheide und Urkunden werden natürlich ausschließlich im Bürgerkonto abgelegt. Die Menschen werden dann sehr bald Elternzeit, Elterngeld, Änderungsanzeige und Teilzeit mit dem Arbeitgeber klären und sich später in Kita und Schule anmelden. Die dafür notwendigen Unterlagen bekommen Behören, Unternehmen und Organisationen ausschließlich digital aus dem Bürgerkonto und müssen sich daher zwangsweise anschließen. (Kinder)Reisepass, nPA, Führerschein, unter Umständen tatsächlich auch einmal eine Baugenehmigung bis hin zum Rentenantrag: Wir realisieren die Verwaltungsleistungen als Online-Service in der Reihenfolge, wie sie im Leben üblicherweise beantragt werden. Die Menschen wachsen so digital auf und werden schnell nichts anderes mehr kennen.

4. Marketing statt Dashboards

Häufig höre ich die Klage, dass zu wenig Menschen die vorhandenen Online-Service nutzen. Für mich ein spannender Umstand, der mich seit Jahren beschäftigt. Meine Erkenntnis:

  1. Die Menschen wissen nichts von den Online-Diensten und wenn, finden sie diese nicht.
  2. Antragsteller bekommen im Amt meist direkt den Bescheid, die Parkerlaubnis oder den Nachweis. Online dauert es Wochen, bis diese im Postkasten liegen.
  3. Schaut man sich die meisten Anträge an, bedarf es vertiefter Kenntnisse der Rechtsmaterie und der einschlägigen Begrifflichkeiten, um die Felder auszufüllen. Das gilt analog, wie auch digital. Im Amt allerdings sitzen Fachexperten, die die Anforderungen so übersetzen, dass jeder sie versteht. Zu Hause helfen meist auch Erklärungen und Hilfe-Videos nicht, da diese dieselben Begriffe verwenden. Die Menschen schrecken daher vor Online-Services ab. Ich selbst kenne auch nur einen, der wirklich Spaß macht.

Visualisierte Digitalisierungsstrategien, Digitalisierungsberichte, Digitalisierungsradare und unzählige Digitalisierungs-Dashboards. Wen interessiert das alles? Bestenfalls ein paar Eingeweihte und Politiker. Für den weit überwiegenden Teil der Bevölkerung geht das vollkommen an der Lebensrealität vorbei. Die suchen konkret den einen Online-Service der Verwaltung, den sie gerade jetzt brauchen, und schauen vor lauter Langeweile nicht mal eben nach, was in ihrer Kommune potenziell digital möglich wäre. Ich fordere daher ein radikales Umdenken in der Digitalisierungskommunikation:

Es muss endlich klassisches Marketing und SEO betrieben werden. Dann ist auch kein Platz mehr für das juristisch richtige „Haltverbot“, wenn alle Menschen „Halteverbot“ googeln. Nehmen Sie diesen Beitrag hier. Der strotz von Fachbegriffen und Abkürzungen. Die müssen genauso erklärt werden, wie der Einsatz von Cloud, KI und Blockchain in der Verwaltung. Nur dann gewinnen die Menschen Vertrauen und lassen sich auf digitale Prozesse ein.

Dass Online-Services schneller sein müssen, als der Besuch im Amt ist ein Quick-Win. Ab morgen eine Sperrfrist von 14 Tagen für alle Termine einführen, wenn es dafür bereits ein Online-Service gibt!