Wohngemeinnützigkeit in Deutschland: Von der Schweiz lernen?

Die Bundesregierung will die Wohngemeinnützigkeit wieder einführen. Während das Bauministerium Eckpunkte vorgelegt hat, ist in der Schweiz eine Debatte darüber entbrannt, ob die Gemeinnützigkeit von Wohnungsbaugenossenschaften die erhofften Ergebnisse bringt.

Es sind heftige Vorwürfe, die der Think-Tank Avenir Suisse (französisch für Zukunft Schweiz) in einem Positionspapier an die Adresse der Schweizer Wohnungsbaugenossenschaften richtet: Sie würden sich wirtschaftlich nicht selbst tragen, seien nicht nachhaltiger als die privaten Wohnungsunternehmen und gingen wenig haushälterisch mit der Ressource Boden um, heißt es in dem Ende August veröffentlichten Papier mit dem Titel "Mieten und Mythen".

Die Reaktion der Wohnbaugenossenschaften, wie der Begriff in der Schweiz lautet, folgte postwendend. Avenir Suisse – nach eigenen Angaben ein unabhängiger Think-Tank, der sich marktwirtschaftlichen, liberalen Ideen verpflichtet fühlt – publiziere "gezielte Falschaussagen", wetterte der Verband der gemeinnützigen Wohnbauträger (Wohnbaugenossenschaften Schweiz).

"Die Kritik an den hohen Renditen im Wohnungsmarkt und der Ruf nach mehr gemeinnützigem Wohnungsbau machen der Immobilienwirtschaft offenbar Sorgen", sagt Verbandspräsidentin Eva Herzog. Dabei seien die gemeinnützigen Wohnbauträger Garanten für preisgünstige Wohnungen. "Es braucht nun", fordert Herzog, "rasch Maßnahmen, um den Anteil der gemeinnützigen Wohnungen zu erhöhen."

Deutschland: Debatte um neue Wohngemeinnützigkeit

Genau diese Aussage macht die schweizerische Kontroverse aus deutscher Sicht relevant. Denn auch hierzulande stellt sich die Frage, ob die Wohngemeinnützigkeit das richtige Instrument ist, um dauerhaft niedrige Mieten zu garantieren. "Wir werden zeitnah eine Neue Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen auf den Weg bringen", heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Und im Oktober 2022 beschloss das Bündnis bezahlbarer Wohnraum in seinem Maßnahmenpaket, einen Dialogprozess zur Erarbeitung eines Konzepts für eine Wohngemeinnützigkeit aufzusetzen.

Hintergrund ist, dass 1989 in der Bundesrepublik die Wohngemeinnützigkeit abgeschafft wurde. Das schweizerische Wohnraumförderungsgesetz kennt dieses Instrument hingegen nach wie vor. Zu den gemeinnützigen Wohnbauträgern gehören neben Genossenschaften auch Stiftungen und Aktiengesellschaften. Als gemeinnützig gelten sie laut Gesetz dann, wenn sie keinen Gewinn anstreben und den Zweck verfolgen, den Bedarf an preisgünstigem Wohnraum zu decken.

Schweiz: Wohngemeinnützigkeit heißt Verzicht auf Gewinn

Bei den Wohnungsbaugenossenschaften führt das dazu, dass sie lediglich eine Kostenmiete verlangen. Diese umfasst die Ausgaben für Instandhaltung und Verwaltung, die Kosten für das Fremdkapital und gegebenenfalls die Erbbaurechtszinsen. Einen Gewinn – also eine Verzinsung des Eigenkapitals – streben sie hingegen nicht an. Entsprechend niedrig sind die Mieten: Nach Angaben von Avenir Suisse liegen die Quadratmetermieten bei Genossenschaften im Kanton Zürich elf Prozent unter dem Durchschnitt; in der Stadt Zürich, in der die Wohnungsbaugenossenschaften mit rund 26 Prozent einen sehr hohen Marktanteil haben, beträgt der Mietabschlag 30 Prozent.

"Genossenschaftswohnungen, vor allem in den Zentren, sind also tatsächlich günstiger", räumen die Autoren des Papiers ein. Zu verdanken sei das jedoch Subventionen in Form von Bürgschaften des Bundes, Unterstützung durch die kantonale Wohnbauförderung und vergünstigten Zinsen bei der Vergabe von Erbbaurechten. Tiefere Mieten könnten vor allem dann angeboten werden, "wenn die Gemeinden den Boden unter Wert abgeben – dies ist jedoch de facto nichts anderes als eine Subventionierung von Wohnbaugenossenschaften".

Gezielte Attacke auf das gemeinnützige Segment?

Dem widerspricht der Verband der Wohnbaugenossenschaften Schweiz mit Sitz in Zürich. 85 Prozent der gemeinnützigen Wohnungen beanspruchten keinerlei Förderung, wird hier geschätzt. Der Verband sieht im Positionspapier des wirtschaftsnahen Think-Tank deshalb eine gezielte Attacke auf das gemeinnützige Segment.

Auch die Sozialdemokratische Partei (SP) der Schweiz verweist darauf, dass zu den Unterstützern von Avenir Suisse große Immobilienunternehmen wie Mobimo, Swiss Prime Site und Allreal Holding gehören. Genau solche Immobilienkonzerne seien schuld an den "extremen Preisanstiegen sowohl der Immobilienpreise als auch der Mieten", sagt Jacqueline Badran, die für die SP im Nationalrat, dem schweizerischen Parlament, sitzt. "Wir müssen diese illegalen Mietzinserhöhungen bekämpfen und die Expansion von kollektivem, selbstbewohntem Eigentum (also Wohngenossenschaften) vorantreiben."

Neue Wohngemeinnützigkeit: Es fehlt die Finanzierungsgrundlage

Ähnliches schwebt den Verfechtern der Neuen Wohngemeinnützigkeit (NWG) in Deutschland vor. Wie das Instrument gestaltet sein könnte, skizziert ein im Juni 2023 vorgelegtes Eckpunktepapier des Bundesbauministeriums – das nennt drei Optionen.

Allerdings macht das Eckpunktepapier auch deutlich, dass mit einer zeitnahen Einführung der NWG nicht zu rechnen ist. Eine entsprechende Finanzierung sei weder im aktuellen Bundeshaushalt noch in der Finanzplanung vorgesehen, hält das Bauministerium fest.

Das dürfte Vertretern der deutschen Wohnungswirtschaft entgegenkommen, die eine erneute Einführung der Wohngemeinnützigkeit strikt ablehnen.

Parallelen zur Schweiz auch beim Vorkaufsrecht

Insofern wirft die aktuelle Kontroverse in der Schweiz ein Schlaglicht auf die Verteilungskämpfe, die hierzulande bei der Wiedereinführung einer Wohngemeinnützigkeit zu erwarten wären. Das ist übrigens nicht die einzige Parallele zwischen Deutschland und dem kleinen Nachbarn im Süden: Auch das kommunale Vorkaufsrecht ist in beiden Ländern ein Politikum.

In Deutschland schob das Bundesverwaltungsgericht im November 2021 der zuvor üblichen Anwendung dieses Instruments einen Riegel vor – sodass die Parteien links der Mitte eine gesetzliche Neuregelung des Vorkaufsrechts fordern.

Populär ist die Forderung nach einem kommunalen Vorkaufsrecht auch in der Schweiz: Laut einer Befragung, die das Bundesamt für Wohnungswesen in Auftrag gab, sehen 80 Prozent der Städte und Gemeinden im Vorkaufsrecht eine mögliche Lösung für den Mangel an Bauland. Im Kanton Zürich sind die entsprechenden Bemühungen bereits konkret geworden – dort fordert eine Volksinitiative mit dem Titel "Mehr bezahlbare Wohnungen im Kanton Zürich" ein Vorkaufsrecht zur Förderung des gemeinnützigen und preisgünstigen Wohnens.

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Schlagworte zum Thema:  Wohnungspolitik, Wohnungsgenossenschaft