DW-Zukunftspreis: Ausweg aus dem Vermieter-­Mieter-Dilemma

Über Digitalisierung wird viel gesprochen. Die Frequenz eG hat in Kooperation mit drei Wohnungsunternehmen gehandelt: Sie entwickelte ein System, das die Heizkosten ohne Komfort­verlust verringert und es den Vermietern erlaubt, über die Verbrauchsdaten der Mieter zu verfügen.

Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Da gibt es eine Lösung, die den Energieverbrauch von Wohngebäuden vermindert, den CO2-Ausstoß reduziert und die Mieter finanziell entlastet. Gleichzeitig kann der Vermieter seine Kosten voll auf die Miete umlegen. Darüber hinaus profitiert er auch noch davon, dass er die Kontrolle über die Verbrauchsablesung und damit über die Daten gewinnt. Mit anderen Worten: Mieter, Vermieter und Umwelt – sie alle profitieren von dieser Lösung.

Dieses Modell entwickelt und in der Praxis getestet hat die in Potsdam ansässige Frequenz eG, ein Zusammenschluss von IT-Dienstleistern, der zusammen mit drei Wohnungsunternehmen in Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt sowie einem Gewerbecampus in Berlin das Projekt „WohnZukunft: Digital gestützte energieeffiziente Prozesse im wohnungswirtschaftlichen Quartier“ durchgeführt hat. Für dieses Modellprojekt der Digitalisierung mit gering­investiven Maßnahmen sind die Beteiligten mit dem DW-Zukunftspreis der Immobilienwirtschaft 2021 ausgezeichnet worden.

Übergabe 18. DW-Zukunftspreis_Aareon Live 2021

Wie die Mieter profitieren

Beteiligt am Projekt waren die Arbeiter-Baugenossenschaft Paradies eG. (ABG Paradies) in Berlin, die Genossenschaftliche Wohngemeinschaft Lübben eG (GWG Lübben), die Wohnungsbaugesellschaft der Lutherstadt Eisleben mbH und die Campus Berlin-Buch GmbH. Umgesetzt wurde es vom eigens für das Projekt gegründeten Verein Green with IT e.V., dem rund 20 Unternehmen angehören und der nach eigenen Angaben „die Implementierung disruptiver Lösungen zur nachhaltigen Verbesserung der Energieeffizienz“ anstrebt.

Was aber bedeutete das Projekt für die Mieter der insgesamt 330 beteiligten Wohnungen, die den zwischen 1955 und 1980 errichteten Gebäudebestand repräsentieren? Für sie war es mit äußerst geringem Aufwand verbunden, wie Jörg Lorenz, Vorstandsvorsitzender der Frequenz eG, sagt. „Die Mieter haben von unserem Projekt zunächst nur so viel gemerkt, dass ein Techniker fünf Minuten lang in ihrer Wohnung war und Sensoren installierte“, erklärt er. Die Folge war allerdings erfreulich: Die Wärmeverbrauchswerte und damit die Heizkosten sanken für die meisten Nutzer in erheblichem Umfang.

Sensor+intelligenter Thermostat

Zu verdanken ist dies Künstlicher Intelligenz. Denn die Sensoren merken, wann sich der Mieter in der Wohnung aufhält und wann nicht. Auf Basis dieser Angaben legen selbstlernende Algorithmen für jeden einzelnen Tag ein Bewegungsprofil an. „Bei regelmäßiger Abwesenheit senkt das System die Raumtemperatur um vier Grad Celsius, wobei es von der vom Mieter selbst eingestellten Wohlfühltemperatur ausgeht“, erklärt Lorenz. Wenn sich der Nutzer der Wohnung also für eine Grundtemperatur von 21 Grad Celsius entschieden hat, reduziert sich die Temperatur während der Abwesenheit auf 17 Grad Celsius.

Dabei sinkt sie nie unter 15 ºC. Das Ergebnis ist beachtlich: Laut Frequenz eG verringern sich dadurch der Wärmeverbrauch und die Heizkosten um 20 bis 30 Prozent. Voraussetzung dafür ist allerdings ein regelmäßiger Tagesrhythmus der Bewohner. Konzipiert worden ist das System von der Frequenz eG selbst. „Wichtige Parameter waren am Markt nicht verfügbar“, berichtet Lorenz. „Wir wollten eine Lösung ohne Kabel und Batterien, bei der der Mieter nichts programmieren muss und weiter ganz normal das Heizkörperthermostat betätigen kann.“

Keine Kosten für Vermieter

Der besondere Charme für den Vermieter liegt darin, dass er die Kosten für die Technik mit den gesetzlich zulässigen acht Prozent jährlich auf die Miete umlegen kann. „Aber auch für den Mieter rechnet sich das System sehr schnell“, sagt Lorenz. Das verdeutlicht er an folgender Kalkulation: Die Installationskosten betragen nach seinen Angaben zehn Euro pro Quadratmeter, was bei einer 60 Quadratmeter großen Wohnung 600 Euro bedeutet. Die Umlage (acht Prozent) macht somit jährlich 48 Euro aus. „Gleichzeitig spart der Mieter aber mindestens 20 Prozent der Heizkosten, was bei jährlichen Heizkosten von 400 Euro bereits 80 Euro ausmacht.“ Für Lorenz steht deshalb fest: „Mit unserer Lösung weisen wir einen Weg aus dem Vermieter-Mieter-Dilemma.“

Unterjährige Erhebung des Wärmeverbrauchs

Die Steuerung der Heizung in der Wohnung über Algorithmen ist aber nur einer von mehreren Bausteinen des preisgekrönten Projekts, das bereits 2019 mit einem dritten Platz bei den Zukunfts-Awards des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) ausgezeichnet worden war. Ein weiterer Baustein ist laut Lorenz der Aufbau einer digitalen Infrastruktur, die mit den Standards des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) konform ist.

Diese Infrastruktur ermöglicht es, die Brenner von Heizungsanlagen so einzustellen, dass ein weiteres erhebliches Einsparpotenzial gehoben werden kann. „Das den Anforderungen des IT-Grundschutzes des BSI entsprechende Gateway ermöglicht die unterjährige Erhebung des Wärmeverbrauchs“, erläutert Lorenz. „Algorithmen binden weitere Informationen, wie zum Beispiel die Wetterprognose, ein und stellen die Heizlast entsprechend ein.“ Auf diese Weise lässt sich den Angaben zufolge eine Einsparung des Wärmeenergieverbrauchs von fünf bis 15 Prozent erreichen.

Das BSI-konforme Gateway hat einen weiteren Vorteil, den Lorenz nur beiläufig erwähnt, der aber in der Konsequenz eine ganze Branche in Bedrängnis bringen und umgekehrt der Wohnungswirtschaft ein neues Geschäftsmodell erschließen könnte: die digitale Autarkie der Wohnungsunternehmen. „Der Vermieter kann Erfassung und Abrechnung des Wärmeverbrauchs in die eigenen Hände nehmen“, erläutert Lorenz. „Damit kommen die Messdienstleister in Erklärungsnot, was ihre hohen Kosten betrifft.“

Visualisierung auf dem Smartphone

So richtig wirkungsvoll wird die unterjährige Verbrauchserhebung aber erst, wenn der Mieter seinen Verbrauch zeitnah erfährt und gegebenenfalls sein Verhalten verändern kann. Ein weiterer Teil des Projekts war es deshalb, die Daten des Submeterings individuell auf den Smartphones der Mieter zu visualisieren. Dies erfolgt über eine App. „Es ist uns gelungen, die Visualisierung so präzise vorzunehmen, dass es keine Abweichung von der späteren Nebenkostenabrechnung gegeben hat“, freut sich Lorenz. In diese App lassen sich zudem weitere Dienstleistungen wie zum Beispiel Lieferdienste integrieren, womit das Modell eine Alternative zu im Ausland ansässigen Anbietern schafft.

Finanziell gefördert wurde das 2016 gestartete Projekt „WohnZukunft“ von der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft mit Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW). Im Jahr 2020 wurde es abgeschlossen. Damit ist es aber nicht etwa ausgelaufen – ganz im Gegenteil: „Jetzt“, betont Jörg Lorenz, „wird es als Geschäftsmodell weitergeführt und steht jedem Wohnungsunternehmen offen.“

Die beteiligten Wohnungsunternehmen

Die 1902 gegründete Arbeiter-Baugenossenschaft Paradies e.G. aus Berlin hat ein Portfolio von 772 Wohneinheiten; davon befinden sich 723 in der Gartenstadt Berlin-Bohnsdorf im Südosten der Hauptstadt.

18. DW-Zukunftspreis Wohblocks ABG Paradies

Die Genossenschaftliche Wohngemeinschaft Lübben eG (GWG Lübben) wurde 1954 als AWG Neues Leben gegründet und besitzt heute rund 1.300 Wohneinheiten, die zum großen Teil in Plattenbauweise errichtet wurden.

Die 1994 gegründete Wohnungsbaugesellschaft der Lutherstadt Eisleben mbH (Wobau) ist mit rund 1.400 Wohneinheiten der größte Wohnungsanbieter in der sachsen-anhaltinischen Stadt Lutherstadt Eisleben.

Weitere Informationen:
www.frequenz-eg.de und www.green-with-it.de


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Schlagworte zum Thema:  DW Zukunftspreis, Energiemanagement