DW-Zukunftspreis: Testlabor für das Wohnen im digitalen Umfeld

Auf umfassende Digitalisierung setzt die GSW Sigmaringen bei ihrem Projekt Future Living Berlin. Sie versteht es als Testlabor, in dem sie unter anderem herausfinden will, welche technischen Lösungen von den Mietern akzeptiert werden. Dafür wurde sie mit dem DW-Zukunftspreis 2021 ausgezeichnet.

Dass ein deutscher Wohnungswirtschaftler bis nach Japan fliegt, um sein Herzensprojekt zu realisieren, dürfte eine absolute Ausnahme sein. Aber Roy Lilienthal hat genau das gemacht: Der Geschäftsführer der GSW Gesellschaft für Siedlungs- und Wohnungsbau Baden-Württemberg mbH (GSW Sigmaringen) besuchte zur Vorbereitung des Projekts Future Living Berlin nicht nur zweimal die Consumer Electronic Show in Las Vegas, sondern besichtigte auch die vom Technologiekonzern Panasonic entwickelte Wohnsiedlung Fujisawa in Japan. Der Aufwand hat sich gelohnt: Das Neubauprojekt im Berliner Stadtteil Adlershof hat den DW-Zukunftspreis der Immobilienwirtschaft 2021 erhalten.

DW Zukunftspreis - Preisverleihung GSW Sigmaringen

Damit zeichnet die Jury ein Projekt aus, das einen ganzheitlichen Smarthome-Ansatz verfolgt. Energieerzeugung, Mobilität, Ambient-Assisted-Living-Lösungen, Sharing-Angebote – all das kombiniert die GSW Sigmaringen in diesem Wohnensemble, wobei sie mit mehreren Technologiepartnern zusammenarbeitet. Dabei verfolgt das Unternehmen, dessen Gesellschafter der Sozialverband VdK Baden-Württemberg e.V. ist, das Ziel, Erkenntnisse für die gesamte Wohnungswirtschaft zu gewinnen. „Viele Unternehmen befassen sich derzeit mit Smarthome-Anwendungen, jedoch jedes für sich alleine“, sagt Roy Lilienthal. „Unser Ziel ist es, über unser Projekt einen Erfahrungsaustausch in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft anzuregen. Wir sind hierfür auch bereit, alle unsere Erfahrungen, positive wie negative, mit allen Interessierten zu teilen.“

Steuerung mit Tablet und Smart TV

Als Standort für das Modellprojekt wählte die GSW Sigmaringen den Technologie- und Wissenschaftspark Adlershof, der sich in den vergangenen Jahren auch zu einem großen Wohngebiet entwickelt hat. Entstanden ist ein aus acht Gebäuden bestehendes Quartier mit insgesamt 87 Wohneinheiten, die zwischen einem und vier Zimmern beziehungsweise 28 bis 139 Quadratmeter Wohnfläche aufweisen. Hinzu kommen 19 Gewerbeeinheiten auf insgesamt gut 2.300 Quadratmeter sowie eine Tiefgarage. Nicht realisiert wurde die ursprünglich geplante Ausstellungs- und Veranstaltungsfläche. Auch auf die eigentlich vorgesehenen 20 möblierten Apartments für kürzere Aufenthalte verzichtete der Bauherr, da laut Lilienthal deren Zahl für eine erfolgreiche Bewirtschaftung zu klein gewesen wäre.

Für die Mieter zeigt sich die umfassende Digitalisierung des Gebäudes unter anderem darin, dass sie keinen Schlüssel brauchen, um Haus- und Wohnungstür zu öffnen – das erfolgt über Chipkarte oder Smart­phone. Zur Wohnungsausstattung gehören ein in das Smarthome-Konzept integriertes Smart TV und ein Tablet – der sogenannte Wohnungsmanager – neben der Wohnungstür. „Über dieses Tablet können die Mieter die Haustechnik steuern“, erläutert Lilienthal. So ist es ihnen zum Beispiel möglich, verschiedene Wohnszenarien auszulösen – beim Szenario „Fernsehen“ etwa werden automatisch das Licht gedimmt und der Fernseher eingeschaltet. Ebenfalls über das Tablet oder auch über einen separaten Schalter können die Bewohner zudem signalisieren, dass sie die Wohnung verlassen. „Dann werden alle Geräte, die nicht dauernd mit Strom versorgt werden müssen, ausgeschaltet“, sagt Lilienthal. Geplant ist zudem, dass die Mieter auf dem Tablet ihren Energieverbrauch verfolgen können.

Tablet Wohnungsmanager - GSW Sigmaringen

A propos Energie: Das entsprechende Konzept setzt auf die Nutzung erneuerbarer Energien. Photo­voltaikanlagen mit einer Leistung von 195 kW, Luft-Wärme-Pumpen, Sole-Wärme-Pumpen für die Nutzung der Raumabluftwärme und ein 156-kW-Batteriespeicher sind Säulen dieses Konzepts. Über das Energieunternehmen Polarstern wird der Strom als Mieterstrom angeboten, wobei nur drei der 87 Mieterhaushalte dieses Angebot ausgeschlagen haben. Genutzt wird der Strom zudem für die Ladesäulen von fünf Elektro-Smarts, die den Mietern im Carsharing-Prinzip zur Verfügung stehen.

Lange Planungsphase

Bis das Projekt im Juni 2020 fertiggestellt wurde, war ein langer Weg zurückzulegen. Denn schon 2013 hatte die GSW Sigmaringen in Zusammenarbeit mit der Berliner Unternehmensgruppe Krebs die Planung für das Projekt begonnen. Die lange Entwicklungsphase stellte laut Roy Lilienthal eine besondere Herausforderung dar. „Es war eine Herkulesaufgabe, während dieser Zeit ständig die technische Weiterentwicklung zu berücksichtigen“, blickt er zurück. „Außerdem machten wir die Erfahrung, dass manche Handwerksfirmen technisch nicht auf dem neuesten Stand waren und zunächst überzeugt werden mussten, mit unserem Vernetzungspartner Digitalstrom zusammenzuarbeiten.“

Eine weitere Herausforderung bestand darin, die Kosten im Griff zu behalten und so zu erreichen, dass die Wohnungen für breite Schichten der Bevölkerung bezahlbar sind. Fördermittel erhielt die GSW Sigmaringen für das Projekt nicht, da sich weder auf Landes- noch auf Bundesebene ein passendes Förderprogramm fand. Die Baukosten beziffert Lilienthal auf knapp über 4.000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche, wovon zirka 1.000 Euro pro Quadratmeter auf die über den normalen Standard hinausgehende technische Ausstattung entfallen. Die durchschnittliche Kaltmiete beträgt 12,50 Euro pro Quadratmeter; hinzu kommen Nebenkosten in Höhe von 3 Euro pro Quadratmeter (inklusive Internet).

Bewirtschaftung als Herausforderung

Anders als zwischenzeitlich angedacht entschied sich das Wohnungsunternehmen gegen eine All-inclusive-Miete; es rechnet die Heiz- und Warmwasserkosten also nach Verbrauch ab. Dafür gaben laut Lilienthal zwei Gründe den Ausschlag: „Mit einer All-inclusive-Miete würden wir uns in einer rechtlichen Grauzone bewegen, und wir können die Nebenkosten nicht genau vorhersagen.“

Ohnehin ist es nach Ansicht des GSW-Geschäftsführers eine spannende Frage, wie sich das technisch ausgeklügelte Konzept in der Praxis bewährt. „Wenn in Gebäuden immer mehr Technik verbaut wird, wird die Bewirtschaftung anspruchsvoller“, gibt er zu bedenken. Das Wohnungsunternehmen verfolgt deshalb aufmerksam, wie hoch der technische Unterstützungsbedarf für die Mieter ist. „Davon hängt ab, ob wir weiterhin einen Mitarbeiter vor Ort haben oder die Mieter aus der Ferne unterstützen können, was sich natürlich auf unsere Kosten auswirken würde“, sagt der GSW-Chef.

Da die Wohnungen erst seit knapp einem Jahr bewohnt werden, ist es laut Lilienthal noch zu früh, um zu beurteilen, welche technischen Lösungen die Mieter bevorzugt anwenden. Es zeichne sich aber ab, dass die Möglichkeit, über das Tablet verschiedene Szenarien zu schaffen, „nur begrenzt“ genutzt werde. Deutlich geworden ist zudem, dass sich vor allem jüngere Menschen vom Future Living Berlin angesprochen fühlen: Rund 60 Prozent der Mieter sind jünger als 35 Jahre. „Für manchen älteren Interessenten“, stellt Lilienthal fest, „erwies sich die in den Wohnungen verbaute Technik als Hindernis.“

Weitere Informationen: www.future-living-berlin.com und www.gsw-sigmaringen.de


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