
Fachkräftemangel ist ein alter Hut, doch das Problem verschärft sich zusehends. Die Branche ist laut Immobilienökonom Günter Vornholz von strukturellen Effekten betroffen. Die Babyboomer-Generation scheidet nach und nach aus, immer weniger qualifizierte junge Menschen rücken nach.
Der demografische Wandel ist laut Dr. Günter Vornholz, Professor für Immobilienökonomie an der EBZ Business School in Bochum, die Hauptursache für den Fachkräftemangel, der es für Unternehmen immer schwieriger machen wird, ausreichend qualifiziertes Personal zu finden.
Fachkräftemangel: Geht es jetzt erst richtig los?
Hatte der Anteil der potenziell erwerbstätigen Personen im Alter zwischen 20 und 67 Jahren im Jahr 2021 noch einen Anteil von rund 63 Prozent an der Bevölkerung, werde dieser Anteil wird bis 2060 auf rund 52 Prozent zurückgehen. Insbesondere die sogenannte Babyboomer-Generation (Jahrgänge von Mitte der 1950er bis ca. Ende der 1960er Jahre) wird in den nächsten Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheiden.
Gleichzeitig sinkt die Zahl der Menschen im Ausbildungsalter, also der 15- bis 24-jährigen, nach amtlichen Prognosen bis 2040 von derzeit 8,3 auf 7,3 Millionen. "Damit werden stetig weniger Menschen auf den Arbeitsmarkt gelangen", schreibt Vornholz.
Ein weiteres Indiz für den erst beginnenden Fachkräftemangel sei auch die Zahl der Studienanfänger in Deutschland: Seit 2018/19 ist die Zahl Vornholz zufolge um knapp zehn Prozent gesunken. Die Vakanzzeit, die den Zeitraum zwischen dem gewünschten Besetzungstermin und der tatsächlichen Besetzung einer freien Stelle angibt, steigt seit Jahren kontinuierlich an, vor allem im Bau- und Ausbaugewerbe.
Die Bauwirtschaft sieht den Fachkräftemangel als das größte Risiko für ihren wirtschaftlichen Erfolg, auch Wohnungsunternehmen und Immobilienverwalter suchen händeringend Mitarbeiter, insbesondere für den technischen Bereich, wie auch eine EBZ-Studie zur Personalentwicklung zeigt.
EBZ-"HR Monitor 2022": Die Suche nach Personal wird schwieriger
Mehr als die Hälfte (55 Prozent) der Unternehmen der Immobilien- und Wohnungswirtschaft beklagen den zunehmenden Fachkräftemangel als Investitionshemmnis – und die Lage spitzt sich vor dem Hintergrund der Herausforderungen, wie Klimawende, Nachhaltigkeit und Digitalisierung, zu. Das ist das Kernergebnis der EBZ-Personalentwicklungsstudie unter dem Titel "Human Resources Monitor" (HR-Monitor).
Dabei gibt die Mehrheit (88 Prozent) der Befragten an, dass die Rekrutierung von technischen Fachkräften immer schwieriger wird. Ähnlich sieht es mit 84 Prozent bei den technischen Führungskräften aus. Auch im kaufmännischen Bereich hat sich die Lage weiter verschärft.
"Die Lage auf dem Arbeitsmarkt wird sich Demografie-bedingt kontinuierlich bis 2030 verschlechtern", so EBZ-Vorstand Klaus Leuchtmann. "Der Handlungsdruck ist hoch."
Personalmanagement und Recruiting: Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit
Die Belegschaften verjüngen sich zwar, weil die Verrentungswelle der Babyboomer-Generation massiv eingesetzt hat, zugleich planen viele Unternehmen den Ausbau des Personalstamms. Das stellt die Ausbildungsträger und Unternehmen vor die große Aufgabe, gegen die wachsende Konkurrenz um ein schwindendes Potenzial an Kräften mehr Nachwuchs zu gewinnen und diesen zugleich intensiver und gezielter auf die komplexeren Anforderungen hin auszubilden.
Karrieremöglichkeiten müssen den Studienautoren zufolge angepasst und Hierarchien in Unternehmen abgebaut werden, damit die Branche attraktiv für Fach- und Führungskräfte bleibt und den wachsenden Herausforderungen mit geeigneten Team- und Projektstrukturen begegnen kann.
"Aktives Personalmanagement und Recruiting wird zum Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen in der Branche", heißt es im HR-Monitor 2022. Die Professionalisierung muss voranschreiten. Fast alle (82 Prozent) Unternehmen sind der Meinung, dass der Weiterbildungsbedarf weiter steigen wird.
Budget für Weiterbildung geringer als in anderen Branchen
Das Interesse an Aus-, Fort- und Weiterbildung innerhalb der Branche ist deutlich gestiegen. Die Hälfte der Unternehmen, die Unterstützung brauchen, wenn sie die Klimaschutzziele erreichen wollen, sind an speziellen Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen für Fach- und Führungskräfte zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit interessiert. Auch Kompetenzen im Veränderungsmanagement und bei der Agilität im Unternehmen stehen auf der Liste der gewünschten Qualitäten von Fach- und Führungskräften.
Allein durch Neueinstellungen wird der Fachkräftebedarf nicht zu decken sein. Die Weiterbildungsbudgets sind der Studie zufolge zwar gestiegen, liegen aber noch immer hinter denen vergleichbarer Branchen. Auch zeigt sich, dass bestimmte Kompetenzen – gerade in Bezug auf Nachhaltigkeit und Digitalisierung – zu Querschnittsthemen werden und geeignete Weiterbildungsangebote in diesen Feldern aller Abteilungen und Bereiche wichtig werden.
"Unternehmen und Bildungsträger müssen auf diese Anforderungen durch die Flexibilisierung und teilweise Digitalisierung von Bildungsangeboten reagieren", schreiben die Autoren der Studie.
Immobilienbranche im Transformationsprozess
Die Arbeitswelten werden sich mit hohem Tempo verändern, Arbeitsmodelle zunehmend flexibilisieren und hybridisieren, lautet ein Fazit der Studie. Mitarbeiter dürften auf die Ausgestaltung der Arbeitswelt zunehmend Einfluss nehmen. Projektstrukturen, flache Hierarchien, die Übernahme einfacher Prozessschritte durch künstliche Intelligenz (KI) und die Interaktionskompetenz von Menschen und Maschinen gewinnen an Bedeutung. Hier ergeben sich weitere Aus- und Weiterbildungsbedarfe.
Leuchtmann fasst es so zusammen: "Die Branche befindet sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess mit hoher Veränderungsgeschwindigkeit und stetiger Zunahme von Komplexität. Nahezu alle Rollen im Unternehmen benötigen ein Upscaling ihrer Kompetenzprofile."
Diversität als Erfolgsfaktor im Unternehmen
Der Immobilienbranche ist es laut Studie bisher außerdem nicht gelungen, Frauen in Führungsebenen gleichermaßen einzubeziehen. Zwar sei der Frauenanteil insgesamt gewachsen, doch in den meisten Unternehmen fehle es an speziellen Führungskräfteprogrammen, so die Studienautoren. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten – 55 Prozent – in den befragten Unternehmen sind Frauen; doch nur knapp mehr als ein Drittel (35 Prozent) aller Führungspositionen sind mit Frauen besetzt.
Diversität (Vielfalt) lässt sich nach inneren Faktoren wie Geschlecht, Alter, Bildung oder Herkunft und äußeren Faktoren wie Einkommen, Familienstand, Berufserfahrung oder Freizeitverhalte analysieren. Ein professionelles Diversity Management gilt als wichtiger Einflussfaktor für den Erfolg von Projekten, so der Rat der Experten. Angesichts des gewaltigen Personalbedarfs und der wachsenden Konkurrenz um gut ausgebildete Fach- und Führungskräfte könne es sich keine Branche leisten, dauerhaft auf 50 Prozent dieses Fach- und Führungskräftepotenzials zu verzichten.
"Human Resources Monitor – Immobilienwirtschaft 2022"
Der "Human Resources Monitor – Immobilienwirtschaft 2022" (HR-Monitor) ist die achte Ausgabe einer Studienreihe zur Personalsituation, insbesondere der Aus-, Fort- und Weiterbildung, die das EBZ seit 2007 beim Institut InWIS in Auftrag gibt. Die Befragung fand im September und Oktober 2021 unter mehr als 300 Unternehmen statt.
Das könnte Sie auch interessieren:
Das neue Recruiting: Die Findeformel der Zukunft