Bauen im Bestand: Der neue Standard der Immobilienbranche

Immer mehr Unternehmen setzen auf die Sanierung bestehender Immobilien und betreten oft Neuland – technisch, rechtlich und organisatorisch. Der Verband Bauen im Bestand hilft dabei. Die Vorsitzende Sarah Dungs erklärt, worauf es ankommt.

Frau Dungs, Sie haben jetzt beim "Verband für Bauen im Bestand" (BiB) mehr als 180 Mitglieder. Tendenz steigend?

Sarah Dungs: Ja, auf jeden Fall. Und das freut uns sehr. Wir haben damals den Verband gegründet nicht unbedingt mit dem Ziel, der größte Branchenverband werden zu wollen, sondern der, der den meisten Impact bringt.

Kommt das Wachstum von selbst?

Wir sind in der Branche sehr aktiv unterwegs, sowohl auf Events, aber auch auf LinkedIn. Hier haben wir etwa nach kurzer Zeit 4.000 Follower auf unserer Seite. Und so kriegen wir natürlich Riesentraffic. Außerdem machen wir Workshops mit konkreten Ergebnissen, auf denen niemand seine Zeit verschwenden muss. Ich glaube, es treibt die Menschen an, wenn sie mit ihrer Zeit etwas Wertvolles gestalten können.

"Das Nachhaltigste, was wir in der Immobilienbranche tun können"

Warum wird Bauen im Bestand gerade bei Investoren wichtiger?

Wir machen das bei Greyfield schon seit 13 Jahren. Niemals hat jemand darüber geredet. Aber in den vergangenen fünf, sechs Jahren ist der Wandel sichtbar geworden. Ich bin überzeugt davon: Bauen im Bestand wird der neue Standard der Branche.

Aus ökologischen Gründen?

Unter anderem. Es liegt am Flächenverbrauch, an den Ressourcen der Städte, der Erde. Timm Sassen, Gründer der Greyfield und Initiator des Verbands, sagt, Deutschland sei fertig bebaut. Deswegen müssen wir in den Bestand gehen. Bauen im Bestand ist das Nachhaltigste, was wir in der Immobilienbranche tun können. Aber es ist auch das Wirtschaftlichste, weil die Grundstücke vorhanden sind und wir weniger Baukosten haben. Es passt deshalb in die Zeit.

Und Sie meinen, der Trend wird bleiben?

Ja. Man sieht es auch an den Zahlen. Wir haben den Greyfield-Index entworfen. Der belegt, dass die Aktivität im Neubau tatsächlich runtergeht. Aber im Bestand bleiben die Aktivitäten fast gleich. Das Verhältnis wird ein anderes.

Noch funktioniert der Neubau.

In Zukunft wird es in der Form nicht mehr so sein. Wir müssen verstehen, dass die Geschäftsmodelle vor dem Wandel stehen und wir diese für uns wirtschaftlich und risikoarm aufbauen müssen.

L'Immo Podcast mit Sarah Dungs

                                                                                                                        

Kann man mit Bauen im Bestand die derzeitige Wohnungsnot lösen?

Ja. Natürlich steht der Bestand oft an der falschen Stelle, um den Wohnraumbedarf da zu decken, wo er gedeckt werden muss. Aber Neubau ist komplett konträr zu den ökologischen Zielen, die sich die Bundesregierung gesetzt hat. Wenn wir klimaneutral werden wollen, geht das nicht mehr mit Neubau.

Aber sind nicht die Risiken beim Bauen im Bestand größer als beim Neubau?

Nein. Es sind nur andere Risiken. Wir kennen alle Risiken im Neubau. Warum gibt es Lean Management, Bodenuntersuchungen? Alles Erfahrungswerte, die wir in den vergangenen 30 Jahren gesammelt haben. Und jetzt bewegen wir uns hinein in ein komplett neues Feld. Wir brauchen beim Bauen im Bestand andere Tools und andere Herangehensweisen, etwa ein anderes Mindset auf der Baustelle. Das müssen wir verstehen lernen.

Was sind denn die besonderen Herausforderungen beim Bauen im Bestand?

Beim Neubau war es immer einfach: Der Investor hat sich zum Beispiel eine optimale Büroimmobilie mit fünf Geschossen gewünscht, und die wurde gebaut. Aber beim Bauen im Bestand gibt es schon ein Produkt: Die Immobilie. Hier ist die Herausforderung besonders groß. Der Investor kann sich noch so viel wünschen, es muss auch funktionieren. Hier ist spezielles Know-how gefragt. Was brauchen der Markt und der Mensch an diesem konkreten Standort? Wenn wir das lösen, ist der Investor ja auch wieder glücklich.

Warum ist der Bürosektor der größte, wenn es um das Bauen im Bestand geht?

Das Büro hat sehr viel Umnutzungspotenzial, weil die Flächen meistens sehr geräumig sind. Außerdem gibt es sehr viele Büroflächen und es ist ein Fakt, dass seit fünf Jahren viele Büros leer stehen. Dass ein Wohnkomplex komplett leergezogen wird, passiert eher seltener. Wenn die Bundesregierung den Umbau von Büro- zu Wohnimmobilien intensiv fördern würde, wären wir übrigens zehnmal schneller als wenn wir nur den Neubau fördern würden.

"Halten an 25 Jahre alten Planungsgrundlagen fest"

Aber Büroimmobilien liegen oft nicht in Wohngebieten.

Das ist eines meiner Lieblings-"Ja-abers". Wir halten uns an Planungsgrundlagen fest, die vor 25 Jahren erstellt worden sind. Ich lebe im Ruhrgebiet, da ist sowieso Büro, Wohnen und Industrie alles eins. Wenn wir es da nicht hinkriegen, Bebauungspläne und Flächennutzungspläne zu überdenken und zu überlegen, ob nicht vielleicht auch Wohnen an Bürostandorten möglich ist, schaffen wir es nirgends.

Was tut der BiB genau für seine Mitglieder?

Wir sind aktuell dabei, mit unseren Mitgliedern einen digitalen Chatbot zu erstellen, der Baugenehmigungen und Bauordnungen der unterschiedlichen Bundesländer auswertet, um überall Bauen im Bestand leichter realisieren zu können. Ein anderes Thema, bei dem wir Lösungen erarbeiten, ist, dass Bauen im Bestand von den Banken nach wie vor kritisch gesehen und schwer finanziert wird. Wir veranstalten Workshops, zu denen wir auch Bankenvertreter einladen. Und wir haben ja auch Banken unter unseren Mitgliedern.

Stimmt mein Eindruck, dass beim Verband für Bauen im Bestand das Mitmachen mehr dazugehört als bei anderen Verbänden?

Ja. Wir wollen Menschen im Verband haben, die die Transformation der Immobilienbranche tatsächlich gestalten wollen. Wirtschaftlich, sozial, ökologisch. Wir wollen voneinander lernen, miteinander lernen, Wissen teilen, eben machen und nicht nur reden.

Sind Sie optimistisch für die Zukunft?

Bedingt. Im Moment lösen wir viel zu oft keine Probleme. Wir warten lieber, dass die ganze Welt sagt: Okay, dann machen wir wieder Neubau. Aber da geht ein Riesenpotenzial verloren. Wir müssen dafür kämpfen, dass wir unsere Wirtschaftlichkeit mit neuen Geschäftsmodellen erhalten.

Dieses Interview stammt aus der aktuellen Ausgabe 03/25 der "Immobilienwirtschaft" mit dem Schwerpunkt "Bestandssanierung".