
Kies dient der Produktion von Beton und ist für den Wohnungsbau sehr wichtig. Doch der Rohstoff ist knapp und der Abbau ökologisch umstritten. Das Oberverwaltungsgericht in Nordrhein-Westfalen hat die Ausweitung der Kiesförderung nun gestoppt. Kritiker sehen den Bau bezahlbaren Wohnraums in Gefahr.
Die nordrhein-westfälische Regierung hat eine Niederlage vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster erlitten: Das Gericht erklärte am 3. Mai die im Jahr 2019 im Landesentwicklungsplan (LEP) festgeschriebene Verlängerung der Versorgungszeiträume mit Kies und Sand von 20 auf 25 Jahre für unwirksam. Es fehle schon an Ermittlungen, ob die im LEP vorgesehene Verlängerung für die Rohstoffversorgung der Bevölkerung notwendig sei und welcher Flächenbedarf dafür anfalle, sagte der Vorsitzende Richter Benno Willms.
Geklagt hatten die Niederrhein-Kreise Wesel und Viersen sowie die Kommunen Kamp-Lintfort, Alpen, Neukirchen-Vluyn und Rheinberg. Sie argumentieren, dass ein längerer Planungszeitraum wesentlich mehr Abbaustellen und Flächenverbrauch mit sich brächten. Dies sei mit den Belangen des Umweltschutzes und der Landwirtschaft nicht ausreichend abgestimmt worden.
Ohne Kies kein bezahlbarer Wohnungsbau
Der längere Versorgungszeitraum bringe mehr Planungssicherheit, argumentierte eine Vertreterin des Landes vor Gericht. Dem folgte das Gericht nicht. Eine Revision wurde nicht zugelassen. Wer bezahlbaren Wohnraum schaffen wolle, dürfe den heimischen Kiesabbau nicht blockieren, sagte Sascha Kruchen, Geschäftsführer der Kiesindustrie-Initiative "Zukunft Niederrhein".
Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), warnte bereits vor einigen Monaten davor, dass es bei Kies Schwierigkeiten mit der Lieferung gebe. Der VNW-Chef berief sich dabei auf eine Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Er sieht einen Grund für die Kiesknappheit in langwierigen Genehmigungsverfahren, die eine rechtzeitige Neueröffnung von Kiesgruben verhindern. Hinzu komme, dass ein Großteil der Kiesvorkommen verplant sei.
Auch das Baugewerbe sieht eine mögliche Gegenmaßnahme gegen die Materialverknappung in der lokalen Produktion. "Es kann nicht sein, dass wir von importierten Baustoffen abhängig sind, wenn wir über große Mengen mineralischer Baustoffe im eigenen Land verfügen", ergänzte ZDB-Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa. Er forderte, wie die Wohnungswirtschaft, in Deutschland selbst wieder mehr Kies, Sand und Gips abzubauen. Bei Baustoffen, die stark regional produziert würden, gebe es keine großen Schwankungen.
Krieg in der Ukraine verschärft Mangel an Baumaterial
Der russische Einmarsch in die Ukraine hat die Rahmenbedingungen für die Baubranche mittlerweile noch einmal gravierend verändert. In Umfragen des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie im März und April 2022 wurden von den Firmen überwiegend negative Auswirkungen erwartet. Im Februar 2022 beklagten noch 21 Prozent der Unternehmen eine Behinderung der Produktion, im April stieg der Wert auf 50 Prozent.
Die Preise haben eklatant zugelegt: Von Januar 2021 bis März 2022 stiegen die Erzeugerpreisindizes für Betonstahlmatten um 85 Prozent, für Bitumen (Abdichtung) um 69 Prozent, für Bauholz um 57 Prozent und für Flachglas, Kupfer, Dämmplatten und Plastikrohre zwischen 28 und 46 Prozent. Die Baupreise stiegen im November 2021 (letzter derzeit verfügbarer Wert) in verschiedenen Hochbaukategorien gegenüber dem Wert von November 2020 ohne Mehrwertsteuer durchschnittlich um rund zwölf Prozent.
Keine Wende im Wohnungsbau ohne Gips?
Damit die Bundesregierung das äußerst ambitionierte Ziel von jährlich 400.000 Wohnungen, davon 100.000 öffentlich geförderte, erreichen kann, fehlen laut Deutschem Mieterbund (DMB) derzeit zirka eineinhalb Millionen Wohnungen, die ressourcenschonend und flexibel gebaut werden sollen. Hier könnten Gips als Rohstoff sowie Gipsprodukte als Baustoffe einen Beitrag leisten, erklärte der Bundesverband der Gipsindustrie vor Kurzem bei einem "Parlamentarischen Frühstück" im Bundestag.
Die Potenziale sollten vor allem im Bestand genutzt werden. Die Aufstockung von Bestandsbauten mit leichten Systemen vermeidet dem Verband zufolge etwa bei Aufstockungen zusätzlichen Bodenverbrauch, nutzt die vorhandene Infrastruktur, schafft schnelle Lösungen und Grundstückskosten fallen nicht an. Lösungen für den Neubau sowie modulare Bauweisen und Systeme seien vorhanden. Laut einer Studie des DIW im Auftrag des Bundesverbandes Baustoffe – Stein und Erden (bbs) bleibt der Bedarf an Gipsbaustoffen bis 2040 konstant hoch bei zirka Millionen Tonnen pro Jahr. Der in ein paar Jahren durch das Kohleausstiegsgesetz wegfallende sogenannte REA-Gips deckt dabei momentan noch 40 Prozent des Rohstoffbedarfs.
Die deutsche Gipsindustrie forderte die Parlamentarier auf, im Rahmen des Wohnungsbauprogramms den heimischen Naturgipsabbau verstärkt zu fördern. Gips trage zudem zur Energiewende bei durch einen geringen ökologischen Fußabdruck.
NRW-Wirtschaftsministerium: Urteil und Konsequenzen für den Bau "intensiv" prüfen
Nach dem NRW-Urteil befürchtet die Kiesindustrie jahrelange Verzögerungen bei den Genehmigungsverfahren und in der Folge Preissteigerungen für Baustoffe. Die Unsicherheit zu künftigen Abbaugenehmigungen führe dazu, dass die Unternehmen das Abbautempo eher drosseln, sagte "Zukunft Niederrhein"-Geschäftsführer Kruchen am Tag nach dem Richterspruch, dem 4. Mai. Das könne zu Verknappungen von Kies und Sand und damit zu weiteren Preissteigerungen führen. Der Regionalplan des Regionalverbandes Ruhr (RVR), der die wichtigsten Abbaugebiete in NRW enthält, müsse komplett überarbeitet werden.
Der RVR werde die Begründung des OVG-Urteils und die Reaktion der Landesregierung abwarten, hieß es in einer Stellungnahme der Behörde. "Wir bleiben in enger Abstimmung mit der Landesplanungsbehörde. Diese muss zunächst entscheiden, wie mit dem OVG-Urteil verfahren wird." Auch das NRW-Wirtschaftsministerium kündigte an, das Urteil und seine Konsequenzen intensiv zu prüfen. Für das Wirtschaftsministerium sei die Rohstoffsicherung von großer Bedeutung. "Die Gesellschaft braucht ausreichend Baustoffe wie Sand und Kies für den Hausbau sowie den Ausbau der Infrastruktur", heißt es in der Erklärung.
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