Interview: Wie kommt ein ESG-Rating zustande?

Wer eine nachhaltige Unternehmensstrategie verfolgt und zukunftsfähige Geschäftsmodelle entwickelt, könnte für den B.A.U.M. Fair Future Fonds in Frage kommen. Im Interview spricht Benedikt Gieseler, Senior Analyst bei Green Growth Futura, über den nachhaltigen Fonds, ESG-Ratings und Herausforderungen für KMU.

Herr Gieseler, kleine und mittelständische Unternehmen veröffentlichen im Gegensatz zu großen Firmen oder Konzernen noch vergleichsweise wenig Informationen in Bezug auf ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten. Ihr Unternehmen hat sich auf die Bewertung solcher KMU spezialisiert. Was ist das Besondere an Ihrem Rating?

In den vergangenen Jahren waren tatsächlich nur wenige Informationen für diese Zielgruppe vorhanden, deshalb haben wir ein eigenes Bewertungstool aufgebaut. Das Tool haben wir in Anlehnung an den Deutschen Nachhaltigkeitskodex entwickelt, der bekanntlich insbesondere auch von KMU gut angewendet werden kann. Für unsere Bewertungen haben wir einen hohen Qualitätsanspruch. Wir beschäftigen uns intensiv mit Unternehmen und ihren Nachhaltigkeitsaktivitäten. Dabei analysieren wir sie im Sinne der doppelten Wesentlichkeit: Welchen Einfluss hat die Umwelt auf das Unternehmen und wie wirkt sich die Geschäftstätigkeit des Unternehmens auf die Umwelt aus? Letzteres, die Inside-Out-Perspektive, ist von großer Bedeutung, um den Nutzen der Unternehmen auf die nachhaltige Transformation der Wirtschaft abzuschätzen.

Die roten Linien der Nachhaltigkeitsbewertung

Verfolgen Sie den Best-In-Class-Ansatz? 

Nein. Wir arbeiten nicht mit Best-In-Class, weil wir der Meinung sind, dass auch ein nachhaltiges Rüstungsunternehmen ein Rüstungsunternehmen ist. Wir haben rote Linien, die wir nicht überschreiten. Für unsere Fondskonzept ist der Best-In-Class-Ansatz daher ungeeignet.

Best-In-Class: Nach dieser Anlagestrategie werden anhand von ESG-Kriterien das beste oder die besten Unternehmen in einer Branche, Kategorie oder Anlageklasse ermittelt. Am Ende investieren Anleger:innen in die „Klassenbesten“, also die Unternehmen, die im Vergleich am nachhaltigsten wirtschaften.

Es gibt auch Kritik am Ansatz, weil er keine absolute Bewertung der Nachhaltigkeit vorsieht. Stattdessen wird nur innerhalb des Wettbewerbs verglichen, keine Branche und kein Geschäftsmodell wird allgemein ausgeschlossen. Am Ende zählt, wer am besten abschneidet und nicht, wie empfehlenswert das Wirtschaften ist.

Nach welchen Kriterien bewerten Sie?

Im Gegensatz zu anderen Anbietern von Unternehmensbewertungen und Rating-Agenturen ergänzen wir quantitative Faktoren mit einem konsequent qualitativen Ansatz. Wir tauchen tief in Unternehmen ein, analysieren frei verfügbare Informationen wie Nachhaltigkeitsberichte, Policies und Geschäftsberichte; wir ziehen aber auch Informationen von NGOs, also von unabhängiger Seite, hinzu. Einige Aspekte lassen wir auch von externen Datenanbietern überprüfen, zum Beispiel, ob nicht doch eventuell Umsatzanteile in Zweigen erwirtschaftet werden, die wir nicht für nachhaltig erachten. Außerdem überprüfen wir, ob Unternehmen in Kontroversen oder in negative Tätigkeiten verstrickt sind, beispielsweise, ob Gerichtsverfahren anhängig sind. Auch für solche Fragen beziehen wir Informationen von externen Dienstleistern, die dazu kontinuierlich das Internet monitoren. Darüber hinaus führen wir bei Bedarf persönliche Gespräche mit Unternehmen. Grundlage für unsere Bewertung ist letztlich ein Katalog mit rund 70 Fragen, der von uns beantwortet wird und zu einem Scoring von 0 bis 100 Prozent führt. Ist ein Unternehmen mit dem Konzept unseres Fonds nicht vereinbar, werden wir es dem Nachhaltigkeitsbeirat nicht empfehlen.

Wie läuft so eine Nachhaltigkeitsbewertung genau ab?

Insgesamt arbeiten wir für eine Bewertung vier Hauptkategorien ab. In ‚Strategie‘ untersuchen wir, wie Nachhaltigkeit in dem betreffenden Unternehmen strategisch angesiedelt ist und ob es sich mit wesentlichen nachhaltigen Themen beschäftigt. In ‚Prozessmanagement‘ wird erfasst, wie das Thema Nachhaltigkeit operativ in der Firma verankert ist, ob es zum Beispiel entsprechende Gremien gibt, ob Kennzahlen regelmäßig erhoben und idealerweise auch an den Vorstand weitergegeben werden. Die Kategorien drei und vier sind ‚Umwelt‘ und ‚Soziales‘. Hier geht es um Ressourcenverbräuche, CO2-Emissionen oder auch den Anteil erneuerbarer Energien. Bei den sozialen Gesichtspunkten interessiert uns unter anderem der Umgang mit den Mitarbeitenden und ob die Firma auch Sorgfaltspflichten in Bezug auf die Menschenrechte erfüllt. Wenn wir ein Unternehmen identifiziert haben, das unseren nachhaltigen Fondskriterien entspricht, empfehlen wir es dem Nachhaltigkeitsbeirat. Dieser Beirat ist unabhängig, mit namhaften Nachhaltigkeitsexpert:innen besetzt und dazu legimitiert, Unternehmen in den Nachhaltigkeitsfonds aufzunehmen. Dort wird über jedes einzelne Unternehmen diskutiert und demokratisch abgestimmt. Erst dann wird das Unternehmen an GLS Investments weitergeben, die im Nachgang die ökonomische Bewertung vornehmen und gegebenenfalls das Investment realisieren.

Was nachhaltige Unternehmen ausmacht. Und was nicht.

An welchen Kriterien scheitern Unternehmen besonders oft?

Das lässt sich nicht pauschalisieren. Es gibt beispielsweise Unternehmen, die intern bereits eine sehr fortschrittliche Nachhaltigkeitsentwicklung durchlaufen haben. Steigt man tiefer in die Analyse ein, kommt es vor, dass solche Unternehmen durch Tochterfirmen in Geschäftsfeldern involviert sind, die nicht mit unseren Anlagekriterien vereinbar oder regelmäßig in schwerwiegende Kontroversen verwickelt sind. Andere Unternehmen, die Entwicklungspotenzial beispielweise im sozialen Bereich haben, dafür aber durch ihre Produkte einen signifikanten Mehrwert schaffen, können in das Anlageuniversum aufgenommen werden. Die finale Abwägung obliegt unserem Beirat.

Was ist das größte Missverständnis von Unternehmen in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit?

Es gibt Unternehmen, die glauben, sie seien nachhaltig, nur weil sie ihre CO2-Emissionen veröffentlichen. Das greift aber viel zu kurz. Nachhaltigkeit ist aus unserer Sicht etwas Ganzheitliches.  

Was bedeutet das konkret?

Nachhaltig agierende Unternehmen macht aus, dass sie sich überlegen, was vor und nach ihrer geschäftlichen Tätigkeit passiert. Und sie sollten ihre Nachhaltigkeitsbestrebungen auch quantifizieren. Nur wer misst, kann auch managen. Eine große Glaubwürdigkeit haben aus unserer Sicht Unternehmen, die ihre Nachhaltigkeitsbestrebungen langfristig nachweisen, die sich für die nächsten Jahre Nachhaltigkeitsziele vorgeben und diese Ziele auch beharrlich abarbeiten. Das Veröffentlichen der CO2-Emissionen ist hier nur ein kleiner Puzzlestein.

In welchen Bereichen haben viele KMU noch Nachholbedarf?

Momentan fällt auf, dass das Thema Biodiversität von vielen Unternehmen nicht besetzt ist oder dass es nur wenige Informationen dazu gibt. Unternehmen müssen sich jedoch klar machen, dass es neben der Klimakrise und der CO2-Reduktion auch essenziell ist, die eigene Lieferkette zu betrachten und sich zu fragen, woher die Ressourcen für die angebotenen Produkte und Dienstleistungen stammen. Zu diesem Punkt schärfen wir unsere Bewertungsmatrix aktuell nach. Allerdings haben wir Verständnis dafür, dass viele Unternehmen mit den Regularien schlicht überfordert sind und weder Know-How noch die personelle Decke haben, um auch Biodiversität umfassend zu berücksichtigen. Darum geben wir hier Hilfestellung und gehen aktiv auf Unternehmen des B.A.U.M. Fair Future Fonds zu, besprechen mit ihnen die Bewertung und geben ihnen Input. Wir wollen Unternehmen nicht nur von oben herab bewerten, sondern unsere Ergebnisse mit ihnen diskutieren und dazu beitragen, dass sich Finanzwirtschaft und Realwirtschaft stärker verzahnen. Nur so lässt sich die nachhaltige Transformation weiter voranbringen. 

Sie suchen also aktiv das persönliche Gespräch?

Ja, das ist für uns sehr wichtig. In solchen Gesprächen stellen wir oft fest, dass Unternehmen operative Probleme haben oder dass es beispielsweise an Ressourcen mangelt, um Informationen aufzubereiten. Oder eine Software konnte nicht eingesetzt werden, wodurch sich der Berichtzyklus verlangsamte oder Kennzahlen nicht erfasst wurden. Solche Gespräche geben uns wertvolle, tiefere Einblicke. Sie sind mit einem Zeitaufwand verbunden, aber immer auch mit einem Mehrwert – für beide Seiten. Das Feedback der Unternehmen auf diese Gespräche ist sehr positiv. 

Vergleichbarkeit und Transparenz: Die Zukunft der ESG-Ratings?

Von vielen Unternehmen wird beklagt, dass ESG-Ratings schwer vergleichbar sind, da jede Rating-Agentur eigene Kriterien anlegt. Wie sinnvoll wäre ein einziger Standard für Nachhaltigkeit?

Die schlechte Vergleichbarkeit der Ratings ist in der Tat eines der größten Probleme der Rating-Agenturen. Ein Grund dürfte sein, dass es kein einheitliches Verständnis für Nachhaltigkeit gibt. Privatpersonen haben andere Kriterien im Blick als professionelle Investoren. Während Privatpersonen wahrscheinlich eher auf den Klimawandel und die Reduzierung der CO2-Emmissionen schauen, interessieren sich Investoren stärker für die Zukunftsfähigkeit ihrer Investments – sowohl in Bezug auf klimatische als auch damit zusammenhängende politische Risiken. Es ist daher nicht zu erwarten, dass es einen Rating-Standard für alle geben wird. Allerdings sollte für Unternehmen transparent sein, wie Rating-Agenturen arbeiten, und wie sie zu ihren Ergebnissen kommen. Auf EU-Ebene wird bereits intensiv daran gearbeitet, dass ESG-Rating-Anbieter ihre Methoden künftig stärker offenlegen müssen. Ein solcher Schritt für mehr Transparenz würde allen Marktbeteiligten zugutekommen.

Unternehmen entwickeln sich ständig weiter. Wie werden Sie dieser Dynamik gerecht?

Eine unserer großen Aufgaben ist, zu überwachen, dass die geprüften Unternehmen ihre Qualität behalten. Wir führen daher in regelmäßigen Abständen – etwa alle zwei Jahre – eine komplette Neubewertung für bereits geprüfte Unternehmen durch. Verschlechtert sich die Bewertung, kann ein Unternehmen auch wieder ausgeschlossen werden. Je größer das Anlageuniversum des Fonds wird, desto intensiver wird unsere Arbeit.

Welche Fähigkeiten müssen ihre Teammitglieder mitbringen, um Nachhaltigkeit so ganzheitlich zu beurteilen?

Wir sind ein kleines Team von zehn Mitarbeitenden. Interdisziplinarität, von Politik- bis Wirtschaftswissenschaften, wird bei uns ebenso großgeschrieben wie eine intrinsische Motivation für das Thema Nachhaltigkeit. Und auch eine Portion Idealismus gehört für uns dazu. Gleichzeitig versuchen wir, Abläufe zu automatisieren. Entsprechend ist es auch denkbar, dass wir künftig verstärkt IT- und Datenspezialisten ins Team holen.

Ist Künstliche Intelligenz auch ein Thema für Ihr Unternehmen?

Wir beobachten die Entwicklung sehr genau und diskutieren Einsatzmöglichkeiten, zum Beispiel bei der Recherche nach passenden Unternehmen. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es allerdings noch zu viele Unsicherheiten. Eventuell könnte eine KI künftig Teilaspekte einer Bewertung übernehmen. Hier muss man aber die weitere technische Entwicklung abwarten.


Über den B.A.U.M. Fair Future Fonds

Der globale Aktienfonds bündelt Wertpapiere kleiner und mittelständischer Unternehmen, die eine konsequent nachhaltige Unternehmensstrategie verfolgen und deren Geschäftsmodelle zukunftsfähig sind. Während GLS Investments für das Fondsadvisory und den ökonomischen Part verantwortlich ist, prüft das Research- und Beratungsunternehmen Green Growth Futura die sozial-ökologischen Aspekte und erstellt die Nachhaltigkeitsbewertungen der Unternehmen. Die finale Entscheidung über das Anlageuniversum trifft ein Nachhaltigkeitsbeirat. Momentan sind rund 140 Unternehmen im Anlageuniversum des Fonds vertreten.