Kapitel
BIA – Das operative Herzstück der B Corps

Das B Impact Assessment ist ein Instrument, mit dem Unternehmen die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf Mensch und Umwelt messen können. Es ist Teil der Zertifizierung als „B Corp“, kann aber auch genutzt werden, um einen Organisationsentwicklungsprozess anzustoßen. 

Wie bereits im ersten Artikel der Serie erwähnt, dreht sich im BIA alles um die Impactmessung. Zur Erinnerung, BIA steht für B Impact Assessment. Das Assessment ist online frei zugänglich. Um sich als B Corp zertifizieren zu lassen, müssen 80 Punkte im BIA erreicht werden. Im Mittelpunkt stehen Fragen und Antworten zu unterschiedlichen Stakeholdern. Planet inklusive. Im ersten Schritt nehmen die Unternehmen eine Selbsteinschätzung vor. Diese Einschätzungen müssen möglichst detailliert und schlüssig mit Unterlagen belegt werden. Sind alle Fragen beantwortet und erscheint die Punktezahl ausreichend, um die Grenze von 80 zu überschreiten, erfolgt die Anmeldung zur Zertifizierung. Jetzt ist die Zeit der B-Corp-Analysten gekommen. Sie prüfen die Selbsteinschätzung auf Herz und Nieren. Wenn nachher noch mehr als 80 Punkte überbleiben, heißt es: herzlich willkommen im weltweiten Club der B-Corp-zertifizierten Unternehmen.  

Die Zertifizierung ist kein Muss. Das BIA-Portal steht jedem Unternehmen unabhängig vom Zertifizierungsprozess kostenlos zur Verfügung.  Meine Empfehlung lautet daher: Nutzen Sie die Ressource, um sich selbst zu messen. 

Prinzip Trojanisches Pferd 

Kommen wir zur dahinterliegenden Funktionsweise des BIA. Die Idee erscheint im ersten Moment banal und ist bestens bekannt in der Wirtschaftswelt: Wir messen, was wir in weiterer Folge beeinflussen wollen. 

Allerdings bezieht sich dieses Prinzip meist auf die interne Welt der Unternehmen. Die eigenen Kennzahlen sollen verbessert werden. Ein Vergleich zu Mitbewerbern fällt gerade kleineren und mittleren Unternehmen aufgrund von fehlenden Daten oft schwer. Größeren Unternehmen stehen oftmals Aussagen zu Marktanteilen zur Verfügung und im Konzernbereich bieten Wirtschaftsprüfer Marktvergleiche. Mit dem BIA liefert B Corp den kleinen und mittleren Unternehmen eine Möglichkeit, um in die Vergleichbarkeit mit anderen zu kommen. Hier setzt der Effekt ein, den ich das „Trojanische Pferd“ nenne. Durch das BIA entsteht ein neues Erfolgs-Bezugssystem, abseits von den klassischen Wirtschaftskennzahlen. Der Trick ist, dass dieses neue Bezugssystem möglichst alle Stakeholder mit in Betracht zieht. Das, gepaart mit dem durch den Kapitalismus antrainierten wettbewerbsorientierten Verhalten in unseren Firmen, führt zu einem willkommenen Verhaltensmuster: Die Unternehmen wollen besser werden. Nach dem Motto: zuerst 80 Punkte, zwei Jahre später 90 Punkte und spätestens in vier Jahren wollen sie am Thron des Branchenkrösus rütteln. Mit der Zeit manövrieren sich Organisationen also in eine positive Wettbewerbsspirale. 

Der Rahmen für Vergleichbarkeit 

Wir wissen, dass Vergleichbarkeit in einer komplexen Wirtschaftswelt nur schwer bis gar nicht herzustellen ist. Allerdings können wir versuchen uns dieser anzunähern. So würde ich den Anspruch des BIA auch einordnen. Im Vergleich zu anderen Werkzeugen zur Impactmessung, wie etwa der Gemeinwohlökonomie, versucht B Corp das BIA bzw. den Fragenkatalog im Hintergrund, auf den Kontext des jeweiligen Unternehmens anzupassen. Das bedeutet konkret, dass es einen Unterschied macht, in welcher Branche das Unternehmen aktiv ist. Wie groß das Unternehmen ist und wo sich der Firmensitz befindet. Wer sich damit näher auseinandersetzen will, kann dies selbst auf der Plattform durch die Eingabe von unterschiedlichen Beispielunternehmen durchspielen.  

Die Unterschiede in der Eingabe wirken sich auf den Fragenkatalog aus. So haben kleine Unternehmen weniger Fragen als große. Oder Firmen aus Südamerika andere Fragen als europäische. B Corp geht damit auf unterschiedliche Rahmenbedingungen ein, in denen die Organisationen agieren. Inhaltlich ist das eine tolle Sache, denn alle über einen Kamm zu scheren funktioniert einfach nicht. Der Nachteil ist offensichtlich, dass die Vergleichbarkeit darunter leidet. 

Wichtig erscheint mir zudem der Hinweis, dass ab einer bestimmten Komplexität im Firmenkonstrukt bereits bei der Anlage des Unternehmens Unterstützung notwendig ist. Wenn Ihr Unternehmen z.B. Niederlassungen auf verschiedenen Kontinenten hat und im produzierenden Umfeld zu Hause ist, versuchen Sie erst gar nicht, die Erstellung im BIA ohne B Corp Unterstützung (B Leader oder direkt B Corp) durchzuführen. Vor allem, weil Sie dann möglicherweise von Beginn an auf dem falschen Fundament aufbauen und Fragen später doppelt beantworten müssen.  

Selbstbewertung und Zertifizierung 

Das derzeitige BIA besteht aus sechs Impact Areas: Governance, Workers, Community, Environment, Customers, Disclose Questionnaire. In jeder Area sind je nach Einstufung des Unternehmens unterschiedliche Fragen zu beantworten und Nachweise zu hinterlegen. Das Ausfüllen des BIA findet dabei im ersten Schritt in einer Selbstbewertung statt. Viele Unternehmen greifen dabei auf die Unterstützung durch sogenannte B Leader zurück. Diese haben ein Training im Kontext des BIA durchlaufen und können bei Unklarheiten gut unterstützen. Sie wissen auch, welche weiteren Ressourcen im B-Corp-Universum zur Verfügung stehen und sind in der Regel in der Community gut vernetzt. So kann entsprechendes Erfahrungswissen angezapft werden. Handelt es sich um einen internationalen Player, welcher die Zertifizierung anstrebt, würde sich eher eine Unterstützung direkt von B Corp eignen.  

Sind alle Fragen beantwortet, kann die Einreichung zur Zertifizierung übermittelt werden. Der ganze Prozess findet über die Plattform statt. Bis hierher war es kostenlos, für die Zertifizierung fallen Kosten an. Diese sind auf der B-Corp-Website transparent einsehbar und richten sich nach dem Umsatzvolumen. 

Ist das BIA übermittelt und die Gebühren bezahlt, geht es ab in die Warteschleife. Jetzt ist damit zu rechnen, dass es einige Wochen bis ein paar Monate dauert, bis die Analysten auf einen zurückkommen. Die Kontaktaufnahme erfolgt dabei direkt über das BIA-Portal anhand von konkreten Rückfragen zu den Angaben. In der Regel findet die Kommunikation schriftlich auf diesem Wege statt. In komplizierteren Fällen kann ein Zoom-Call notwendig werden. Sind alle Unklarheiten mit dem B-Corp-Analysten geklärt, steht einer Bestätigung der finalen Punkte nichts mehr im Wege. Wer über 80 Punkte schafft, darf sich ab sofort „Certified B Corp“ nennen. Das Assessment und die Kommunikation mit den Analysten findet in der Regel auf Englisch statt. Eine deutsche BIA-Version ist im Entstehen. Neben der einmaligen Verifizierungsgebühr fallen außerdem jährliche Zertifizierungsgebühren an, aus denen sich die B-Corp-Organisation finanziert. 


B Impact Assessment

Patagonia & Co. – gehöre zu den Besten 

Viele B Corps haben einen höheren Anspruch an sich selbst, als einfach nur zertifiziert zu sein. Sie streben nach möglichst hohen Bewertungen im BIA, um sich damit in Sachen Verantwortung immer weiter zu verbessern. Eines der bekanntesten Beispiele ist Patagonia. Der Hersteller von Sportbekleidung erreicht derzeit eine Bewertung von 166 Punkten nach 151,4 (2020), 151,5 (2016), 113,9 (2014) und 107,3 im ersten Assessment 2011. Zum Vergleich die aktuellen Werte deutscher Unternehmen: Wildling Schuhe liegt bei 85,7 Punkten, der nachhaltige Suchmaschinenanbieter Ecosia bei 113,4 Punkten. Eine Übersicht aller B-Corp-Unternehmen mit den erreichten Punktzahlen finden Sie hier

B Impact Score Patagonia

Fazit 

Vor allem für kleine und mittlere Unternehmen, die (noch) nicht in die CSRD-Berichtspflicht fallen, bietet das BIA einen Rahmen, um sich zielgerichtet mit dem Thema Impactmessung auseinanderzusetzen. Unabhängig von idealistischen Zukunftsbildern ist eine strategische Ausrichtung hin zu mehr Nachhaltigkeit für jedes Unternehmen in den nächsten Jahren und Jahrzenten unabdingbar. Der BIA-Fragenkatalog kann dazu die Basis liefern für einen entsprechenden Organisationsentwicklungs-Prozess.