1 Grundlagen der Systemkoordinierung

Bereits im Jahr 1951 begann die Koordinierung der europäischen Sozialsysteme. Schon im Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl[1] wurde vereinbart, dass die auf der Staatsangehörigkeit beruhenden Beschränkungen der Beschäftigung abzuschaffen sind, um die Mobilität zu fördern und gleichzeitig sicherzustellen, dass diejenigen Arbeitnehmer, die von der Möglichkeit der Freizügigkeit innerhalb der damaligen Vertragsstaaten Gebrauch machen, keine sozialen Nachteile erleiden.[2] Der sich daraus für den europäischen Gesetzgeber ergebende Arbeitsauftrag wurde in der Zwischenzeit mittels des Art. 48[3] des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)[4] verwirklicht. Artikel 48 AEUV verpflichtet, auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ein System zu schaffen, welches Arbeitnehmern und ihren Familienangehörigen bei Ausübung dieses Freizügigkeitsrechtes bestimmte Rechte sichert. Der Artikel sichert die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruches, sowie für die Berechnung der Leistungen und die Zahlung der Leistungen an Personen, die in den Hoheitsgebieten der EU-Mitgliedstaaten wohnen.

Der an den Rat gerichtete Auftrag findet sein Ziel somit in der Koordination der Systeme sozialer Sicherheit der einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Seit dem 01.05.2010 wird dieser Auftrag durch die VO (EG) 883/2004[5] als Grundverordnung sowie die VO (EG) 987/2009[6] als Durchführungsverordnung erfüllt.[7]

Eine Übersicht der unterschiedlichen Systeme der sozialen Sicherheit enthält die MISSOC-Datenbank.[8] Bei MISSOC handelt es sich um ein System der EU zur gegenseitigen Information über den sozialen Schutz, das auf Deutsch, Englisch und Französisch detaillierte, vergleichbare und regelmäßig aktualisierte Informationen über nationale Systeme der sozialen Sicherheit liefert. Die dort veröffentlichten vergleichenden Tabellen der MISSOC-Datenbank enthalten detaillierte Informationen über die sozialen Sicherungssysteme in 31 verschiedenen Ländern und sind strukturiert in 12 Kapiteln (Tabellen). Diese sind: Finanzierung, Krankheit – Sachleistungen, Krankheit – Geldleistungen, Mutterschaft/Vaterschaft, Invalidität, Alter, Hinterbliebene, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, Familienleistungen, Arbeitslosigkeit, Mindestsicherung und Langzeitpflege. Jede Tabelle ist in mehrere Themen (Kategorien) unterteilt, die sich mit Aspekten wie Rechtsgrundlage, Anwendungsbereich, Anspruchsbedingungen, Höhe der Leistungen etc. beschäftigen.

[1] BGBl II 1952, 447.
[2] Artikel 69, § 4 EGKS-Vertrag.
[3] Ex-Artikel 42, Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV).
[4] Abl. EU 2012, Nr. C 326.
[5] Abl. EU 2004, Nr. L 166.
[6] Abl. EU 2009, Nr. L 284.
[7] Ergänzt durch Beschlüsse und Empfehlungen der Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit.

2 Auswirkungen des Austritts auf die Anwendbarkeit des koordinierenden Sozialrechts

Mit dem Ende der Mitgliedschaft des VK in der EU entfallen auch die Regelungen zur Koordinierung der sozialen Sicherheit nach den Verordnungen (EG) Nr. 883/2004, (EG) Nr. 987/2009 sowie (EG) Nr. 859/2003[9] (i. V. m. der VO (EWG) Nr. 1408/71[10]) als Rechtsgrundlage für die Koordinierung von britischen Leistungen der sozialen Sicherheit bei Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Mutterschaft und/oder gleichgestellten Leistungen bei Vaterschaft, Familienleistungen, Rente, Hinterbliebenenrente, Invalidität, Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, Arbeitslosigkeit, Sterbegeld und Vorruhestandsgeld mit den entsprechenden Leistungen der verbleibenden EU-Mitgliedstaaten einerseits sowie Norwegen, Island und Liechtenstein als Vertragsstaaten des EWR-Abkommens und der Schweiz andererseits.

Bedeutung des Übergangsabkommens

Durch das zwischen der EU und dem VK geschlossene Austrittsabkommen[11] wurden die Bedingungen der Trennung und die Regelungen für eine bis 31.12.2020 andauernde Übergangsphase geregelt. Allerdings wirkt sich das Übergangsabkommen auch weit über den 31.12.2020 hinaus aus. Für Sachverhalte, die vor dem 01.01.2021 einen grenzüberschreitenden Bezug zum VK aufweisen, sind die bisherigen Regelungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in dem im Austrittsabkommen festgelegten Rahmen weiter anzuwenden (Art. 30 ff. des Austrittsabkommens). Ergänzt wird diese Regelung durch Art. 39 des Austrittsabkommens, in dem "garantiert" wird, dass es für Rechte aus dem Austrittsabkommen kein "Ablaufdatum" gibt – es besteht also für die betroffenen Personen ein lebenslanger Anspruch. Eine Hilfe zur Klärung der Frage, ob in einem konkreten Einzelfall vor dem 01.01.2021 ein grenzüberschreitender Sachverhalt im Verhältnis zum VK vorlag, bietet der Leitfaden zum Abkommen über den Austritt des VK aus der EU und der Europäischen Atomgemeinschaft – Teil 2 – Rechte der Bürger.[12]

 
Praxis-Beispiel

Beispiel

Herr Juric, der die kroatische Staatsangehörigkeit besit...

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