Rz. 157

Wird von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Steuer nach § 165 AO vorläufig festzusetzen, oder wird die Steuerfestsetzung nach dieser Vorschrift ausgesetzt, benötigt die Finanzbehörde nach Beseitigung der Ungewissheit eine ausreichende Frist, um die steuerlichen Konsequenzen zu ziehen. Die Festsetzungsfrist endet daher erst mit Ablauf eines Jahres, nachdem die Finanzbehörde von der Beseitigung der Ungewissheit Kenntnis erlangt hat.[1] Unter "Ungewissheit" ist dabei diejenige Ungewissheit zu verstehen, die zu der vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 AO geführt hat. Die Ungewissheit, die beseitigt worden ist, muss also dieselbe Ungewissheit gewesen sein, die nach § 165 AO zur vorläufigen Steuerfestsetzung oder zur Aussetzung der Steuerfestsetzung geführt hat.[2] Diese Ungewissheit muss beseitigt sein und die Finanzbehörde hiervon Kenntnis erlangt haben. Beseitigt ist die Ungewissheit, wenn für jedermann erkennbar mit einer gewissen Eindeutigkeit feststeht, dass die ungewisse Tatsache vorliegt oder nicht vorliegt. Die subjektive Einschätzung der Finanzbehörde, die richtigen Schlüsse ziehen zu können, genügt nicht.[3] Außerdem muss hinzukommen, dass die Finanzbehörde von der objektiven Beseitigung der Ungewissheit Kenntnis erlangt hat. Es genügt, dass die Finanzbehörde Kenntnis von den maßgeblichen Hilfstatsachen erhält, auf deren Grundlage eine abschließende Beurteilung möglich ist. Es muss also die Ungewissheit beseitigt sein. Nicht erforderlich ist, dass die Finanzbehörde aufgrund der jetzt bekannten Hilfstatsachen bereits festgestellt hat, welche Besteuerungsgrundlagen jetzt gewiss sind, also die Entscheidung über die steuerliche Behandlung gefällt hat. Es genügt, dass sie mit ihrer Kenntnis der Hilfstatsachen im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht zu einer endgültigen Entscheidung in der Lage ist.[4] Die Ablaufhemmung endet daher ein Jahr bzw. zwei Jahre nach dem Zeitpunkt, zu dem der Finanzbehörde positiv bekannt ist, dass sie die Besteuerungsgrundlagen ermitteln kann. Ist die Steuerfestsetzung wegen Unsicherheit hinsichtlich der Gewinnerzielungsabsicht vorläufig, ist die Ungewissheit beseitigt, wenn die Hilfstatsachen feststehen, durch die auf das Bestehen der Gewinnerzielungsabsicht geschlossen werden kann.[5] Das ist spätestens der Zeitpunkt, zu welchem dem FA bekannt wird, dass der Stpfl. den Betrieb bzw. die Wirtschaftsgüter, hinsichtlich derer die Gewinnerzielungsabsicht zweifelhaft ist, veräußert und die Tätigkeit damit aufgegeben hat. Da dann in Zukunft aus dieser Tätigkeit keine Einnahmen mehr erzielt werden können, kann die Gewinnerzielungsabsicht endgültig festgestellt werden. Entsprechendes gilt für die Einkunftserzielungsabsicht bei Überschusseinkünften. Bei Vermietung und Verpachtung ist die Ungewissheit beseitigt, wenn das Grundstück vermietet oder wenn die Vermietung dauerhaft unmöglich wird, etwa weil der Stpfl. das Grundstück veräußert, einem Dritten außerhalb eines Mietverhältnisses überlässt oder mit einer auf Dauer angelegten Selbstnutzung beginnt.[6]

 

Rz. 157a

Wird die Ungewissheit durch eine Außenprüfung beseitigt, ist der maßgebende Zeitpunkt i. d. R. weder das Datum der Schlussbesprechung noch des Prüfungsberichts, sondern derjenige Zeitpunkt im Laufe der noch nicht abgeschlossenen Prüfung, zu dem aufgrund der dem FA bekannten tatsächlichen Feststellungen feststand, welche Besteuerungsgrundlagen der Besteuerung zugrunde zu legen waren.[7]

 

Rz. 158

"Kenntnis" bedeutet positive Kenntnis der für die Steuerfestsetzung zuständigen Stelle, d. h. Kenntnis, dass die Ungewissheit der wesentlichen Besteuerungsgrundlagen, derentwegen die Steuerfestsetzung vorläufig vorgenommen worden ist, beseitigt ist; "Kennenmüssen", etwa infolge von Ermittlungsfehlern, steht der Kenntnis nicht gleich.[8] Der für § 173 AO geltende Grundsatz, dass das Kennenmüssen der Kenntnis gleichsteht, ist auf § 171 Abs. 8 AO nicht übertragbar. Der Stpfl. ist insoweit nicht schutzbedürftig, da er weiß, dass die Steuerfestsetzung nur wegen der Ungewissheit nicht erfolgt ist. Ebenfalls ist der Finanzbehörde nicht die Kenntnis einer anderen Finanzbehörde zuzurechnen.[9] Das Rechtsschutzinteresse des Stpfl. wird hierdurch nicht beeinträchtigt, da er infolge des Vorläufigkeitsvermerks weiß, dass noch eine Ungewissheit besteht.

 

Rz. 159

Das Gesetz enthält keine zeitliche Einschränkung dahin, wie lange die Unsicherheit dauern darf. Der Gesetzgeber hat bei Vorliegen einer Ungewissheit der sachlichen Richtigkeit Vorrang vor dem Rechtsfrieden gegeben. Diese im Ermessen des Gesetzgebers liegende Entscheidung enthält keinen Verfassungsverstoß.[10]

 

Rz. 160

Der persönliche Umfang der Hemmung richtet sich danach, wem gegenüber die Steuerfestsetzung ausgesetzt worden ist. So bewirkt die Aussetzung der ErbSt-Festsetzung gegenüber dem Erben nicht die Hemmung der Festsetzungsfrist gegenüber einem sonstigen ErbSt-Pflichtigen wie dem Pflichtteilsberechtigten.[11]

 

Rz. 161

Die Hemmung ist davon abhängig, dass eine Maßnahme nach § 165 AO...

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