Rz. 27

Die Unrichtigkeit muss beim Erlass des Verwaltungsakts, d. h. der zuständigen Finanzbehörde in der Phase von der Bildung des Entscheidungswillens bis zur Bekanntgabe des Verwaltungsakts, unterlaufen sein. Dabei kann die Unrichtigkeit auch mehrfach unterlaufen, z. B. nochmals bei einer Überprüfung des Verwaltungsakts vor Absendung.[1] Unrichtigkeiten "beim Erlass" sind alle Unrichtigkeiten, die der Finanzbehörde zuzurechnen sind, auch wenn sie sich im Vorfeld der Steuerfestsetzung bei einer anderen Dienststelle als dem Veranlagungsbezirk ereignen.[2]

 

Rz. 28

Offenbare Unrichtigkeiten des Stpfl., die dieser etwa in einer Erklärung gemacht hat und die ohne Wissen des Beamten in die Steuerfestsetzung eingegangen sind, rechtfertigen nach h. M. eine Berichtigung nach § 129 AO nicht.[3] Auf der Grundlage der hier vertretenen Ansicht wird man jedoch differenzieren müssen. Ist es für die Beteiligten, also auch für die Finanzbehörde, offenbar, dass die Steuererklärung einen Fehler enthält, d. h. konnte die Finanzbehörde den Fehler anhand der ihr zur Verfügung stehenden Unterlagen erkennen, ist § 129 AO anwendbar (z. B. Rechenfehler in den der Finanzbehörde mitgeteilten Berechnungen). Dann hat die Finanzbehörde den Fehler des Stpfl. übernommen und sich zu eigen gemacht.[4] War der Fehler dagegen für die Finanzbehörde nicht offenbar (z. B. Fehler in Zwischenrechnungen, die der Finanzbehörde nicht mitgeteilt wurden), ist § 129 AO nicht anwendbar; es bleibt nur eine Durchbrechung der Bestandskraft nach §§ 172ff. AO. Vgl. auch FG Berlin v. 21.5.1979, III 109/78, EFG 1979, 579; ähnlich Niedersächsisches FG v. 26.1.1984, V 164/83, EFG 1984, 428. Ebenfalls nicht offenbar für die Finanzbehörde ist der Fehler, wenn er sich nicht aus der Steuererklärung und ihren Anlagen (wie Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung) ergibt. Ist der Fehler nur bei Beiziehung der Akten (Steuerbescheide der Vorjahre) zu entdecken, ist er für die Finanzbehörde nicht offenbar.[5] Es liegt dann ein Fehler in der Sachverhaltsermittlung vor (Nichtbeiziehung der Akten), keine offenbare Unrichtigkeit. Vgl. auch BFH v. 14.2.1995, IX R 101/93, BFH/NV 1995, 1033. Keine Berichtigung ist möglich, wenn dem Stpfl. nicht eine offenbare Unrichtigkeit unterlaufen ist, sondern ein sonstiger Irrtum.[6]

 

Rz. 29

Eine Sonderregelung wurde bisher für Steueranmeldungen angenommen, da der Stpfl. insoweit die Aufgabe der Finanzbehörde (Steuerberechnung) übernommen habe und die Finanzbehörde sich deshalb Fehler des Stpfl. zurechnen lassen müsse. Diese Rechtsansicht ist, jedenfalls in dieser weiten Fassung, durch die neue Rechtslage überholt, da Steueranmeldungen nach § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen und daher nach § 164 Abs. 2 AO jederzeit geändert werden können, ohne dass es des § 129 AO bedarf.

Allerdings sind die obigen Ausführungen zu den Steuererklärungen auch auf Steueranmeldungen anwendbar. Wenn dem Stpfl. bei der Selbstberechnung der Steuer in den der Finanzbehörde mitgeteilten Besteuerungsgrundlagen eine offenbare Unrichtigkeit unterläuft (z. B. Rechenfehler) und die Finanzbehörde das Ergebnis übernimmt, hat sie sich den erkennbaren Fehler zu eigen gemacht, es liegt daher eine offenbare Unrichtigkeit (auch) der Finanzbehörde vor.[7]

[1] BFH v. 18.4.1986, VI R 4/83, BStBl II 1986, 541; FG Baden-Württemberg v. 21.10.1992, 12 K 176/90, EFG 1993, 357.
[2] BFH v. 30.11.1989, IV R 76/88, BFH/NV 1991, 457 für die Übernahme einer der Betriebsprüfung unterlaufenen offenbaren Unrichtigkeit; ebenso BFH v. 18.8.1999, I R 93/98, BFH/NV 2000, 539.
[3] BFH v. 1.7.1954, IV 444/53 I, BStBl III 1954, 265; vgl. BFH v. 25.2.1972, VIII R 141/71, BStBl II 1972, 550; BFH v. 3.6.1987, X R 61/81, BFH/NV 1988, 342; FG Bremen v. 16.3.1979, I 190/77, EFG 1979, 422; FG Münster v. 12.5.1982, IX 415/79 E, EFG 1983, 50; ähnlich FG Düsseldorf v. 22.9.1982, VI 437/81A, EFG 1983, 323, wo sowohl ein Rechtsfehler als auch eine fehlerhafte Sachverhaltsaufklärung nach Lage der Dinge ausschieden.
[4] Ebenso BFH v. 24.7.1984, VIII R 304/81, BStBl II 1984, 785 für den Fall, dass in dem erklärten Gewinn für die Finanzbehörde nicht eindeutig erkennbar steuerfreie ausländische Einkünfte mit erfasst waren; BFH v. 2.4.1987, IV R 255/84, BStBl II 1987, 762 für eine fehlerhafte Einnahme-Überschuss-Rechnung; BFH v. 31.7.1990, I R 116/88, BStBl II 1991, 22 für den Nichtansatz eines vortragsfähigen Gewerbeverlusts; BFH v. 17.6.2004, IV R 9/02, BFH/NV 2004, 1505 für eine Doppelerfassung von Einnahmen in der Gewinnermittlung des Stpfl., die dem Außenprüfer aus den vorgelegten Belegen offensichtlich war; Niedersächsisches FG v. 24.1.1997, VI 148/93, EFG 1997, 649 für den Ansatz eines Gewerbeverlusts in der KSt-, nicht aber in der GewSt-Erklärung; Hessisches FG v. 6.12.1990, 8 K 947/90, EFG 1991, 362; FG Köln v. 14.1.1988, 7 K 576/82, EFG 1988, 271; vgl. auch Hering, DStZ 1984, 220.
[5] BFH v. 31.7.1990, I R 116/88, BStBl II 1991, 22 für den Nichtansatz eines vortragsfähigen Gewerbe...

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