Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässige Verwertung von Videoaufnahmen aus dem Kassenbereich. Kein Anfechtungsrecht mangels Drohen mit einer rechtswidrigen Kündigung. Schmerzensgeld bei rechtswidriger Videoüberwachung. Unzulässige Aufrechnung gegenüber dem Nettolohn

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Anfechtungsprozess ist nicht wie ein Kündigungsschutzverfahren zu führen, da der anfechtende Arbeitnehmer die gesamte Darlegungs- und Beweislast trägt.

2. Das Filmen der Kassenzone und des dahinterliegenden Arbeitsbereichs ist rechtmäßig.

3. Es besteht kein Schmerzensgeldanspruch wegen Persönlichkeitsverletzung, da die Videoüberwachung recht- und verhältnismäßig ist.

4. Es besteht kein Anfechtungsrecht wegen rechtswidriger Drohung mit einer Kündigung, weil die Entnahme von Geld aus der Kasse aufgezeichnet und damit der Verdacht des Diebstahls/der Unterschlagung gegeben ist.

 

Normenkette

BDSG § 26; BGB §§ 123, 394; ZPO § 850d; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 6; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 15.12.2020; Aktenzeichen 4 Ca 275/20)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung der Klägerin hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern, Auswärtige Kammern Pirmasens, vom 15.12.2020, 4 Ca 275/20, teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 574,32 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.07.2020 zu zahlen.
  2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
  3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
  4. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Eigenkündigung der Klägerin, um Vergütungsansprüche, Schmerzensgeldansprüche, sowie - auch im Wegen der Widerklage- um Schadensersatzansprüche der Beklagten.

Die Klägerin war seit September 2007 bei der Beklagten als Verkäuferin in einer Bäckereifiliale, die an einen Lebensmittelmarkt angegliedert ist, beschäftigt. Nachdem es im Frühjahr 2020 in dieser Filiale zu Buchungen kam, die die Beklagte als ungewöhnlich einstufte, veranlasste diese eine Videoüberwachung der Filiale.

Am 18.06.2020 fand ein Personalgespräch statt, in dem die Klägerin mit Diebstahlsvorwürfen konfrontiert wurde. Die Einzelheiten des Gesprächsverlaufs sind zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin unterzeichnete innerhalb des Termins ein "Selbständiges, konstitutives Schuldanerkenntnis", ein mit "Anerkenntnis Fremdkosten" überschriebenes Dokument, zudem eine "Zusatzregelung", die folgenden Wortlaut enthält:

"Ich bin damit einverstanden, dass das mir noch zustehende Nettoentgelt bzw. die Ausbildungsvergütung für den laufenden Monat bzw. des Vormonats bis zum Austrittstermin ggf. unter Rückrechnung bereits vergüteter Sonderzuwendungen (Urlaubs- Weihnachtsgeld) in voller Höhe einbehalten und auf die Schuldsumme (aus selbständigem, konstitutivem Schuldanerkenntnis und Anerkenntnis Fremdkosten) angerechnet wird. Die Pfändungsfreigrenzen sind dabei nicht zu beachten. Den einbehaltenen Nettobetrag ersehe ich aus der Verdienstabrechnung."

Weiter erstellte die Klägerin handschriftlich eine Eigenkündigung (fristlos, zum 18.06.2020) und unterzeichnete eine ebenfalls von ihr handschriftlich verfasste Stellungnahme, laut der sie "gegessen und nicht bezahlt, die Kasse manipuliert und nicht die richtigen Preise abgezogen sowie Trinkgeld eingesteckt" habe.

Die Beklagte rechnete den Bruttolohn für Juni 2020 ab, zahlte den sich aus der Abrechnung ergebenden Nettobetrag von 574,32 EUR jedoch nicht an die Klägerin aus. Mit Schreiben vom 24.06.2020 erklärte die Klägerin die Anfechtung der von ihr am 18.06.2020 abgegebenen Erklärungen.

Erstinstanzlich hat die Klägerin vorgetragen, sie habe sich während des Personalgesprächs am 18.06.2020 unter Druck gefühlt und keinen klaren Gedanken fassen können. Nur aus diesem Grund habe sie die Dokumente unterzeichnet. Sie habe kein Fehlverhalten begangen.

Die Videoüberwachung sei unzulässig gewesen, zumal auch "persönliche Bereiche" mitgefilmt worden seien. Aufgrund dessen stehe ihr Schmerzensgeld zu. Sie bestreite die ordnungsgemäße Betriebsratsbeteiligung hinsichtlich der Video-Überwachung. Auch seien die veranschlagten Kosten für die Überwachung und deren Auswertung zu hoch. Der Betrag sei weder ortsüblich noch angemessen.

Sie hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 18.06.2020 und über den 23.06.2020 hinaus fortbesteht,
  2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 936,92 EUR brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit abzüglich 40,- EUR netto,
  3. die Beklagte zu verurteilen, an sie Schmerzensgeld in angemessener Höhe, jedoch mindestens 20.000,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Widerklagend hat sie beantragt,

die Klägerin zu verurteilen, an sie 3.627,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentp...

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