Rz. 246

Da nach den Ausführungen in Rz. 6ff. weder das nationale Recht noch das EU-Recht ein allgemeines Verbot der Doppelbesteuerung enthält, ist eine Vorschrift, die zu einem Treaty Override führt, grundsätzlich wirksam. Sie verstößt allein aus dem Grund, dass sie ein Treaty Override enthält, weder gegen höherrangiges nationales Recht noch gegen EU-Recht. Der gegenteiligen Ansicht des BFH in dem Vorlagebeschluss v. 11.12.2013[1] dürfte angesichts der zwischenzeitlichen Rspr. des BVerfG, die ein Treaty Override nahezu uneingeschränkt für zulässig erklärt hat, nicht zu folgen sein (grundsätzlich hierzu Rz. 3ff.). In Betracht kommt nur ein spezieller Verstoß gegen die Grundrechte des GG. Da nach den obigen Ausführungen (Rz. 243) jedenfalls im Grundsatz davon auszugehen ist, dass § 50d Abs. 10 EStG zu einer Doppelbesteuerung in grenzüberschreitenden Fällen führt, könnte aus diesem Grund ein Eingriff in Grundrechte des benachteiligten Gesellschafters vorliegen.

 

Rz. 247

Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass der ausl. Gesellschafter eine natürliche Person und daher grundrechtsberechtigt ist. Da es sich bei der inländischen Gesellschaft um eine Personengesellschaft handelt, wird dieser Fall häufig vorliegen. Ist der ausl. Gesellschafter eine juristische Person, ist zu unterscheiden, ob er in der EU oder in Drittstaaten ansässig ist. Körperschaften, die in der EU ansässig sind, darf der Schutz der Grundrechte trotz Art. 19 Abs. 3 GG nicht verweigert werden, da sonst eine Diskriminierung vorliegt. Daher wird solchen Körperschaften ein dem Grundrechtsschutz inländischer Körperschaften entsprechender Schutz über Art. 2 GG gewährt.[2] Körperschaften, die in Drittstaaten ansässig sind, ist jedoch der Grundrechtsschutz nach Art. 19 Abs. 3 GG regelmäßig versagt. Ob sich insoweit aus Diskriminierungsverboten in internationalen Verträgen oder der Europäischen Menschenrechtskonvention ein Schutz der Körperschaften in Drittstaaten, insbesondere ein Eigentumsschutz und Gleichbehandlungsgebot, ergeben kann, und wieweit dieser reichen würde, ist gegenwärtig noch offen.[3]

 

Rz. 248

Wesentliche Frage bei der Prüfung der Vereinbarkeit einer abkommensverdrängenden Norm mit dem GG ist, ob eine solche Norm, die zu einer Doppelbesteuerung des betroffenen Gesellschafters führt, einen Eingriff in die durch die Grundrechte begründeten subjektiven öffentlichen Rechte dieses Gesellschafters führt, d. h., ob ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts vorliegt. In Betracht kommen die Grundrechte aus Art. 14 GG, eventuell i. V. m. Art. 2 GG, und aus Art. 3 GG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein abkommensverdrängendes Gesetz nicht allein wegen des Verstoßes gegen den internationalen Vertrag in ein Grundrecht eingreift, sondern dass besondere Umstände hinzutreten müssen. Diese besonderen Umstände liegen m. E. vor, wenn durch die abkommensverdrängende Vorschrift eine Doppelbesteuerung entsteht.

 

Rz. 249

Art. 14 GG setzt einen Eingriff in ein durch diese Vorschrift geschütztes vermögenswertes Recht voraus. Durch das DBA hat der Gesetzgeber durch die Art. 11, 12 OECD-MA entsprechenden DBA-Regelungen ein (einfachgesetzliches) subjektives öffentliches Recht auf eine Einmalbesteuerung der im Verhältnis zu dem jeweiligen Staat grenzüberschreitend erzielten Zins- und Lizenzeinkünfte geschaffen. Durch § 50d Abs. 10 EStG werden diese vermögenswerten Rechte, so der Anspruch auf Zinsen aus der Darlehensbeziehung und auf Lizenzgebühren aus dem Lizenzvertrag, einer Sonderbelastung unterworfen, die bei anderen grenzüberschreitenden Einkünften im Verhältnis zu dem Staat, mit dem das DBA abgeschlossen wurde, nicht eintritt. Die Bundesrepublik belegt damit die durch die Investition in die Personengesellschaft durch Darlehensgewährung bzw. Überlassung der immateriellen Rechte erworbenen Einkünfte einer Sonderbelastung. Diese Sonderbelastung knüpft an eine durch eine wirtschaftliche Leistung des Gesellschafters, d. h. die Darlehensgewährung bzw. die Überlassung der immateriellen Rechte, erworbene Rechtsposition, d. h. den Anspruch auf Zins- und Lizenzzahlungen, an.[4] Solche Rechtspositionen, die durch eigene Leistungen des Stpfl. erworben wurden, fallen im Gegensatz zu dem "Vermögen" als solchem, in den Schutzbereich des Art. 14 GG.[5] Da § 50d Abs. 10 EStG eine Sonderbelastung, und damit einen Eingriff, in ein nach Art. 14 GG geschütztes Recht darstellt, handelt es sich um einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 GG, und nicht nur um eine Inhaltsbestimmung des Eigentums. Dieser Eingriff wird durch die in § 50d Abs. 10 S. 5 EStG enthaltene Regelung zur Anrechnung der ausl. Steuer zwar gemildert, aber nicht beseitigt. Dem Stpfl. werden belastende Nachweispflichten auferlegt, die andere Stpfl. mit ausl. Einkünften nicht in gleichem Umfang und gleicher Intensität haben. Wegen der engen Voraussetzungen, an die die Anrechnung der ausl. Steuern geknüpft ist, sowie die Gefahr, bei Nichterfüllung der Nachweispflichten den Anspruch auf Anrechnung zu verlie...

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