Rz. 12

Mit Urteil vom 17.12.2014[1] hat das BVerfG, nachdem es zuvor 3 unmittelbar gegen das ErbStRG gerichtete Verfassungsbeschwerden mangels Selbstbetroffenheit der Beschwerdeführer nicht zur Entscheidung angenommen hatte[2], auf den Vorlagebeschluss des BFH[3] die Verschonungsregelungen der §§ 13a und 13b ErbStG in ihrer ab 2009 geltenden Fassung sowie die Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG für gleichheits- und verfassungswidrig erklärt.

[1] 1 BvL 21/12, BStBl II 2015, 50.
[3] BFH v. 27.9.2012, II R 9/11, BStBl II 2012, 899; dazu z. B. Wehberg, BB 2013, 96; Loose, FR 2013, 101; Bareis, FR 2013, 13; Meincke, ZEV 2013, 1.

2.3.1 Grundaussagen des BVerfG-Urteils

 

Rz. 12a

Das BVerfG-Urteil beurteilt die Verschonung beim Übergang von Betriebsvermögen mit einem verfassungsrechtlich eher großzügigen Maßstab. Der Gesetzgeber darf grundsätzlich auch eine Steuerverschonung von 85 % oder gar 100 % vorsehen. Im Grundsatz verfassungskonform ist eine Verschonung ohne Bedürfnisprüfung, soweit es sich um Erwerbe kleiner und mittlerer Unternehmen handelt. Nicht beanstandet hat das BVerfG auch die – im BFH-Vorlagebeschluss[1] als "unverhältnismäßig kurz" gerügten – Behaltensregelungen von 5 bzw. 7 Jahren (§ 13a Abs. 5 S. 1 bzw. Abs. 8 Nr. 2 ErbStG). Mit eingehender Begründung hat das BVerfG schließlich auch das in § 13b Abs. 1 ErbStG umschriebene begünstigte Vermögen und insbesondere für Anteile an Kapitalgesellschaften die Mindestbeteiligungsquote von 25 % gebilligt.[2] Die Verschonungsregelungen bedürfen deshalb auch künftig, sofern sich nicht der Gesetzgeber zu einer Korrektur durchringt, keiner rechtsformneutralen Ausgestaltung.[3] Das Credo des BFH-Vorlagebeschlusses[4], die Verschonungsregelungen des ErbStG machten in verfassungswidriger Weise die steuerliche Freistellung zur Regel und die Besteuerung zur Ausnahme, hat das BVerfG nicht erhört und ein solches Regel-Ausnahmeverhältnis als grundsätzlich verfassungsgemäß erkannt (dazu auch Rz. 23).

Verfassungswidrig sind §§ 13a und 13b ErbStG deshalb, weil nach bisheriger Rechtslage

  • die Verschonung unentgeltlicher Erwerbe von Betriebsvermögen, soweit es sich nicht um kleine oder mittlere Unternehmen handelt, ohne Bedürfnisprüfung erfolgt;
  • Betriebe mit nicht nur "einigen wenigen Beschäftigten" von der Lohnsummenpflicht befreit sind und
  • Verwaltungsvermögen mit einer Quote bis zu 50 % bzw. 10 % begünstigt ist.

Für die Neuregelung hatte das BVerfG eine Frist bis zum 30.6.2016 gesetzt. Eine gesetzliche Neuregelung ist jedoch erst durch das Gesetz vom 9.11.2016

[5] erfolgt. Die Kommentierung der im einzelnen geänderten Vorschriften der §§ 10, 13a13d, 19, 28 und 28a erfolgt ebenda.

[3] Vgl. dazu die eindringliche Kritik von Piltz, DStR 2015, 97/99 f.
[5] Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rspr. des BVerfG v. 4.11.2016, BGBl I 2016, 2464.

2.3.2 Weitergeltung des bisherigen Rechts bis zum 30.6.2016

 

Rz. 13

Das BVerfG hatte wiederum – wie schon zuvor in seinen Entscheidungen der Jahre 1995 und 2006 – die Weitergeltung des ErbStG angeordnet und den Gesetzgeber dieses Mal zur Neuregelung bis zum 30.6.2016 verpflichtet (zur Möglichkeit einer rückwirkenden Inkraftsetzung der Neuregelung vgl. Rz. 16). Damit fehlt es für die Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer seit mehr als 3 Jahrzehnten an einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage – ein unter rechtsstaatlichem Aspekt höchst bedenklicher Befund.

 

Rz. 13a

Aus der vom BVerfG getroffenen Weitergeltungsanordnung folgt zunächst, dass vor dem 17.12.2014 ergangene Steuerfestsetzungen von der vom BVerfG ausgesprochenen Unvereinbarkeitserklärung unberührt bleiben; insoweit ist die Regelung des § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO entsprechend anzuwenden.[1] Ist die Erbschaft- oder Schenkungsteuer zwar bereits vor dem 17.12.2014 entstanden (zur Steuerentstehung vgl. § 9 ErbStG), aber noch kein Steuerbescheid ergangen, ist zwar die Vertrauensschutzregelung des § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO nicht anwendbar. Aufgrund der vom BVerfG angeordneten "Fortgeltung der für gleichheitswidrig befundenen Normen bis zu einer Neuregelung"[2] sind aber auch diese Steuerfälle grundsätzlich auf der Grundlage des insoweit weiter geltenden früheren ErbStG zu veranlagen.[3] Aus der Weitergeltungsanordnung des BVerfG folgt schließlich, dass es auch für ab dem 17.12.2014 entstandene Erbschaft- oder Schenkungsteuer bei der Weitergeltung des (an sich verfassungswidrigen) ErbStG bis zu seiner Neuregelung verbleibt. Dies ist jedenfalls für Steuerentstehungszeitpunkte bis zum 30.6.2016 nicht zweifelhaft; für nach dem 30.6.2016 liegende Zeitpunkte ist hingegen die Rechtslage – dazu nachfolgend – jedoch umstritten. Zu einer etwaigen rückwirkenden Neuregelung vgl. Rz. 15.

[1] Wachter, FR 2015, 193, 211 m. w. N.

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